Keine Zeit mehr seit Rente
Hallo Eckard und alle anderen hier,
meine Eltern sind beide seit mehr als 10 Jahren 50+.
Hatte ich früher noch leichte Sorge, dass sie dann vor lauter Langeweile in ein großes Loch plumpsen, belehren die Beiden mich mit jedem Jahr aufs Neue:
Beide unternehmen bei jedem Wetter ausgedehnte Spaziergänge von mehrstündiger Dauer, alternativ fahren sie Fahrrad. Auch längere Touren über mehrere Tage mit Gepäck waren dabei.
An Wochenenden fahren sie manchmal mit der Bahn in irgendwelche Städte (z.B. Berlin) um diese endlich kennen zu lernen, dafür nahmen sie sich früher keine Zeit oder Gelegenheit.
Sie besuchen Konzerte, umsonst oder mit Eintritt. Sie besuchen Theater und Musicals.
Selbst eine Lesung besuchte meine Mutter neulich und fand es gut, sie liest selber so gut wie nie.
Undenkbar das alles früher, das örtliche Schützenfest war sozusagen der kulturelle Höhepunkt des Jahres… 
Mehrfach im Jahr fahren sie mit einem Bus voller Leute aus der Nachbargemeinde in den Urlaub.
Bei diesen super organisierten Rundreisen ist es kein Problem, dass meine Eltern keine Fremdsprache erlernt haben, als Paar würden sie sich solche Reisen in „ferne Länder“ niemals zutrauen.
Sie sehen dadurch endlich Länder und Menschen und Dinge, die sie zuvor nur aus dem Fernsehen kannten und jetzt endlich selbst erleben können. Unsere gemeinsamen Reisen früher gingen an die Nordsee, Österreich oder, ganz was Heißes
an die italienische Adria. …Das war schon superklasse!
Anfang des Jahres geben meine Eltern uns ihre Termine durch, wann sie mal wieder auf Tour sind, damit wir auch planen können…
Wenn ich sie anrufe, habe ich nur jedes dritte Mal „Glück“, meistens sind sie unterwegs…
Als wir uns neulich mal darüber unterhielten, was wir gestern so gemacht hätten, waren meine Eltern bis nachts halb 3 bei Bekannten, haben gequasselt und Wein getrunken. Herrlich! …ich glaube es ist mehr als ein halbes Jahr her, dass ich zuletzt solange mit Freunden zusammen gesessen habe…!(Traurig, ich weiß…)
Selbst der Inhalt des Kühlschrankes hat sich verändert…
In meiner Kindheit/ Jugend wurde trotz Berufstätigkeit beider Eltern immer frisch gekocht. Heute gibt es oft einen Salat, zum Frühstück essen sie Müsli (das gab es früher mal phasenweise, wenn Klein-Finjen mal Lust auf sowas hatte; selber gegessen hätte vor allem mein Vater „soetwas“ nie…)
Ein Handy haben sie mittlerweile für Notfälle in der Tasche, SMS wollen sie nicht kennenlernen.
Ein Computer kommt ihnen (leider) nicht ins Haus.
…Aber seit sie sich in unseren Kater „verliebt“ haben und sich mit unseren Nachbarn fast zanken, wer ihn während unseres Urlaubs füttern darf *g*, warte ich eigentlich nur darauf, wann sie sich auch `nen Tiger ins Haus holen… (Solche Tiere durfte ich als Kind nicht haben, grade „Katz und Hund wollen wir nicht!“ Meerschwein und Kanarienvogel waren damals das Größte)
Also, die beschriebene
tiefe Sinn- und Motivationskrise
ist glücklicherweise ausgeblieben.
Und auch
Zoff mit Ehefrau und Familie ist
nicht
gleichsam vorprogrammiert.
Meine Eltern sehe ich jetzt häufiger Hand in Hand, das gab es früher eher selten bis „nie“. Als ich sie mal darauf angesprochen habe, erröteten Beide und lächelten sich an. „Ach das bildest Du Dir nur ein,“ meinte meine Mutter. …Nee, nee, tu ich nicht 
Meine Eltern jedenfalls genießen ihr Leben richtig, seit sie in Rente sind. Ich freue mich darüber, dass sie es sich so gut gehen lassen (können)
Und Dir und allen anderen mit viel Zeit wünsche ich das auch,
Finjen