Das musste mal raus, nicht? Ich erlaube mir einige Anmerkungen dazu:
Sprachgefühl ist IMHO auch angeboren […]
Die richtige Schreibung läßt sich nicht aus der Aussprache
ableiten, sondern man muß sie lernen.
Was nun: Gefühl oder Lernen? Man bedenke, dass Orthografie nicht mit Sprache gleichzusetzen ist. Rechtschreibung ist ein oft wenig organisches Gebilde, das bei der Verschriftlichung mancher Sprachen eine Rolle spielt. Dieses System zu beherrschen, erfordert Regelkenntnis, die man erwirbt, wenn man dafür Zeit und Mühe aufbringt – nicht durch Gefühl. Es ist nicht zu spüren, warum die See ›Meer‹, das Gegenteil von weniger hingegen ›mehr‹ geschrieben wird; dafür gibt es historische Gründe, die zu kennen jedoch nicht weniger, sondern meer mehr Studium erforderte als das Auswendiglernen der Zuordnung von Form und Inhalt.
Ganz am Rande: Weshalb eigentlich ist es schlecht und falsch, wenn eine alte deutsche Formulierung (/t/uebersetzungen-allgemeines/3370629/12
Ansonsten wäre so etwas Unsägliches wie eine Rechtschreibreform ja gar nicht nötig gewesen.
Dir scheint der Grund zu entgehen, aus dem sich die Schreibweise, die deine Ahnen im 19. Jahrhundert gelernt haben, und die, die dir in der Schule beigebracht wurde, wesentlich unterscheiden: Rechtschreibreformen. Von besonderer Bedeutung ist in dieser Hinsicht die Orthografische Konferenz von 1901, in der (nicht mehr und nicht minder ex cathedra als 1996 ff.) festgelegt wurde, dass hinfort an Schulen aller deutschen Staaten – klassisches Beispiel – ›Tür‹ statt ›Thür‹ und ›Kenntnis‹ statt ›Kenntniß‹ als korrekte Schreibungen gelehrt werden sollen. Ziel dieser wie späterer Rechtschreibreformen war es, die Zahl von Wörtern mit konkurrierenden Schreibungen zu verringern und Inkonsistenzen zu beseitigen. Zumindest Letzteres ist der jüngsten Orthografiereform in einem Punkt gut gelungen: Wann ›ss‹ und wann ›ß‹ zu schreiben ist, kann man heute leichter denn je verstehen. Ich sehe das als Fortschritt.
Irgendwann wird eben die s-Regel eben komplett fallen, weil sie
keiner mehr kann und es jedem egal ist.
Mit Prognosen wäre ich im linguistischen Bereich vorsichtig. Selbst wenn wir annehmen, dass der Genitiv – oder, wie noch Karl Kraus schrieb, ohne dafür ausgelacht zu werden, der Genetiv – in immer weniger Kontexten als obligatorisch empfunden wird, ist das eine wenig spektakuläre Entwicklung. Erstens sind Dativ und Genitiv in vielen Kontexten nicht auseinanderzuhalten (›Wegen Lawine(n) gesperrt‹ – welcher Kasus ist das?); das begünstigt Vermischung und Verwechslung. Zweitens ist der Bedeutungsbeitrag von Kasus häufig eher mager: Welcher Inhalt, außer einer subjektiven, stilistischen Nuance, geht also verloren, wenn der Dativ den Akkusativ oder den Genitiv ersetzt? Drittens ist der Kasusgebrauch bei Adpositionen nicht erst in jüngster Zeit schwankend: Wieland und Kant schreiben ›dem ungeachtet‹, wo heute der Genitiv, also ›dessen ungeachtet‹, gängig ist. Eine Zeile aus einem Gedicht von Annette von Droste-Hülshoff lautet: ›Entlang den Teich, hinauf, hinab‹, wo man inzwischen eher ›entlang dem Teich‹ schriebe. Konnten Wieland, Kant und die Droste also kein vernünftiges Deutsch? Es ist wohl eher von Sprachwandel auszugehen, denke ich, selbst wenn die Gründe für diese oder jene Entwicklung teilweise schwer erkennbar sind. Und es ist wenig überraschend, dass durch Sprachwandel außer Gebrauch gekommene Formen vielen als charmante Archaismen erscheinen, während vergleichbare sprachliche Innovationen auf dieselben Personen plump, ungebildet, falsch wirken. Dieses Gefühl sollte man jedoch inhaltlich nicht überbewerten.
Dazu kommt, daß durch Internet und Microsoft jeder Idiot Texte veröffentlichen kann.
Du meinst: Leute wie du und ich? Die Beschreibung ist, abgesehen von der Injurie, einigermaßen korrekt. Nutznießer dieser Entwicklung sind nämlich nicht nur die ›Idioten‹, sondern auch gute, professionelle Schreiber, deren Möglichkeiten, ihre Texte zu verbreiten, sich verändert und vergrößert haben. Zudem wäre es – wie ich schon einmal (/t/raettet-daem-doitsch/3723290/3
Gruß
Christopher