Hallo Castiglio,
Mir geht es nicht darum, diese Begriffe hier zu diskutieren, sondern eine Erklärung für das Phänomen zu finden, dass im Gegensatz zu den Naturwissenschaften in den Humanwissenschaften Begrifflichkeiten nicht eindeutig sind.
einer Erklärung kannst du dich schon annähern, wenn Du die Begriffe ‚Naturwissenschaften‘ und ‚Humanwissenschaften‘ mit den Begriffen ‚empirische Wissenschaften‘ und ‚hermeneutische Wissenschaften‘ ersetzt. Um es mit Diltheys bekannter Formel auszudrücken: „Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir.“
Nun beziehen sich Begriffe in empirischen Wissenschaften auf objektive Sachverhalte, sie sind damit eindeutig. Begriffe, die sich auf menschliches Denken, Vorstellen und Verstehen beziehen, beziehen sich auf subjektive Sachverhalte - hier muss eine Eindeutigkeit des Begriffs erst hergestellt werden (bzw. eine größtmögliche Annäherung an das Ideal der Eindeutigkeit), um einen solchen subjektiven Sachverhalt kommunizieren zu können. D.h. der Begriff muss definiert werden - was in diesem Fall eben keine eindeutige Zuordnung von Begriff zu objektivem Sachverhalt sein kann, sondern lediglich eine Beschreibung des subjektiven Sachverhaltes, der ein Wiedererkennen, eine Identifikation im eigenen subjektiven Erfahren ermöglichen soll.
Begriffe haben somit grundsätzlich unterschiedliche Funktion in empirischen und hermeneutischen Wissenschaften. Im ersten Fall sind sie sprachliches Abbild, Symbol eines objektiven Sachverhaltes (im empiristisch-realistischen Sinn), im zweiten „Platzhalter“, Kürzel für eine Beschreibung einer subjektiven Erfahrung (eine subjektive Empfindung, ein Gedanke, eine Vorstellung …). Im ersten Fall ist der Bezug auf den Sachverhalt (das mit dem Begriff zu Begreifende) ein unmittelbarer, im zweiten Fall ist er mittelbar.
Offensichtlich ist im zweiten Fall der Begriff sehr viel diffuser, unschärfer. Er wird dadurch aber auch vielseitiger, er kann ohne weiteres auch als ‚Platzhalter‘ für eine etwas andere Beschreibung eines etwas anderen subjektiven Sachverhaltes eingesetzt werden. Das ist auch gut so, denn mögliche subjektive Sachverhalte sind unbegrenzt, während es die zur Verfügung stehenden Begriffe nicht sind und ein simples ‚Neuerfinden‘ von Begriffen letzlich Sprache als Kommunikationsmedium unbrauchbar machen würde.
Wichtig ist es lediglich, dass die Begriffe auf eine nachvollziehbare Beschreibung bezogen werden (‚definiert‘ werden) und dass sie innerhalb des jeweiligen hermeneutischen Systems (in dem die verwendeten Begriffe aufeinander bezogen sind) konstant (also mit gleichbleibender Bedeutung) verwendet werden.
Um Deine Beispiele aufzugreifen - deswegen ist es sinnvoll, im Gespräch mit Anderen über Gott und die Welt zunächst einmal die Frage zu stellen: „Was verstehst du unter ‚Gott‘? … unter ‚Religion‘, unter ‚Idee‘?“ usw. usf.
Freundliche Grüße,
Ralf