Hallo Frank!
Ich lasse Deine Überschrift stehen, denn nur Deppen nehmen Vorhersagen der Zukunft für bare Münze. Dennoch werden aus guten Gründen unablässig Prognosen erstellt. Jeder Geschäftsplan von Existenzgründern beruht auf Prognosen. Dabei geht eine seriöse Prognose von objektiv feststellbaren Istzuständen aus, wobei es stets unbekannte Größen gibt, die geschätzt werden müssen. Auch ohne größere Schätzfehler wird man feststellen, daß der tatsächliche Geschäftsverlauf vom prognostizierten abweicht. Das liegt daran, daß die vermeintlich objektiv sicheren Istzustände, die die Grundlage der Prognose lieferten, nur für den Moment ihrer Feststellung stimmten, also für eine differentiell kleine Zeitspanne. Von diesen Istzuständen gab es sehr viele und alle ändern sich zeitlich. Man erhält eine Differentialgleichung n-ter Ordnung. Viel Spaß bei der Lösung
. Dabei geht es nur um die Prognose für einen einzigen Betrieb.
Betrachtet man die gesamte Volkswirtschaft, hat man es plötzlich mit der Größenordnung von 100.000 Betrieben, 80 Millionen Menschen, der EU und der gesamten Weltwirtschaft mit allen gegenseitigen Beeinflussungen zu tun. Es erscheint einsehbar, daß die Lösung der oben erwähnten Differentialgleichung nicht eben einfacher wird. Langer Rede kurzer Sinn: Alle Prognosen gelten nur unter bestimmten Voraussetzungen, die ihrerseits Veränderungen unterliegen. Die Zusammenhänge sind weder dem durchschnittlichen Journalisten, geschweige denn einer breiten Öffentlichkeit vermittelbar. So kommen dann solche Artikel wie der von Dir verlinkte zustande.
Anmerkung: Aus der oben gebrachten Darstellung läßt sich u. a. ableiten, weshalb Planwirtschaft nicht funktioniert: Die Anzahl der Variablen der zu lösenden Dgl. ist zu groß. Es läßt sich auch herleiten, weshalb eine Planwirtschaft innovationsfeindlich sein muß: Im Interesse der Planbarkeit versucht jede Planwirtschaft, aus möglichst vielen Variablen Konstanten zu machen.
Wieder zurück zum einzelnen Betrieb: Trotz problematischer Prognose gibt es Maßnahmen, deren prognostizierte Auswirkung mit großer Sicherheit eintritt. Ich kann also sicher sagen, wenn ich nicht arbeite, bekomme ich kein Produkt fertig. Wenn ich mich auf Preiskampf einlasse, geht mir die Puste aus. Wenn ich zu große Aufträge akquiriere, die nicht aus eigenen Mitteln zu finanzieren sind, mache ich mich von der Bank abhängig. Wenn ich auf zu großem Fuß lebe, treibe ich mich in die Schulden usw. Es gibt also Maßnahmen, deren Ergebnis zumindest qualitativ prognostizierbar ist. Genau so verhält es sich in der Volkswirtschaft. Wenn wir mehr Wohltaten verteilen, als wir bezahlen können, machen wir Schulden. Wenn wir uns eine Bundeswehr leisten, die wir für den verfassungsgemäßen Auftrag der Landesverteidigung in der heutigen Form nicht mehr brauchen, treiben wir Verschwendung. Wenn wir uns ein Beamtenrecht leisten, das ein paar hunderttausend Menschen bei vollen Bezügen lebenslang Blumen gießen läßt, statt sie an anderer Stelle des Gemeinwesens sinnvoll einzusetzen, belasten deren Gehälter und Pensionen die gesamte Volkswirtschaft. Wenn wir mit Billigprodukten gegen Korea anstinken wollen, können wir nur verlieren. Wenn wir den Menschen die Motivation zu besonderer Leistung nehmen, bekommen wir keine neuen Spitzenprodukte zustande usw. Weil das offenkundig allesamt keine Selbstgänger sind, brauchen wir die Wirtschaftwissenschaftler. Gesunde Skepsis kann aber nicht schaden. In jeder Disziplin gibts neben fähigen Leuten eine Menge Stümper. Daran ändern Titel rein gar nichts.
Gruß
Wolfgang