Der Bundeswehr/ISAF-Einsatz aus islamischer Sicht?

Hallo und Guten Tag,

mich würde mal interessieren, wie Muslime den Einsatz der ISAF-Truppen im Allgemeinen und der Bundeswehr im Besonderen in Afghanistan bewerten. Afghanistan ist ja ein zu 100% islamisches Land.

Krieg wird zur Zeit in Afghanistan nun bekanntlich geführt gegen die Taliban, die ja nach eigenem Selbstverständnis besonders „gute“ Muslime sind. Die Afghanen, die keine Taliban sind, sind, nur um es noch einmal in Erinnerung zu rufen, ebenfalls Muslime und halten sich im Zweifelsfalle ebenfalls für besonders „gute“ Muslime.

Sieht die islamische Welt das im Allgemeinen nun so, dass die Taliban-Afghanen die „falschen Muslime“ sind und die Nicht-Taliban-Afghanen die „wahren Muslime“? Oder dass die Bundeswehr/ISAF den „Islamismus“ bekämpft im Namen des Islam?

Ist es nicht, aus islamischer Sicht, merkwürdig, dass es nicht-islamische Truppen, also Ungläubige, „Kuffar“ es sind, welche eifrige Muslime, nämlich die Taliban, bekämpfen um nicht so eifrige Muslime zu beschützen? Wäre das nicht eher die Aufgabe von Truppen aus „gemäßigten“ islamischen Ländern wie der Türkei oder Pakistan?

Andererseits liest man immer wieder, von deutschen Muslimen, die an den Hindukusch ziehen (z.B. hier: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,687011,00.html), aber nicht etwa, um die Bundeswehr/ISAF gegen die Taliban zu unterstüzten, sondern um umgekehrt die Taliban gegen die Bundeswehr/ISAF zu unterstützen. D.h. für diese deutschen Muslime repräsentieren eben doch die Taliban den „wahren Islam“.

Deshalb würde mich, wie gesagt, einfach mal die islamische Sichtweise auf den Bundeswehr/ISAF-Einsatz interessieren.

Sehen Muslime es tatsächlich so, dass Bundeswehr/ISAF für den „wahren“ Islam gegen den „falschen“ Islam kämpfen?

Danke im Voraus für Antworten und Meinungsäußerungen,

Jasper.

Hallo und Guten Tag,

Hallo Jasper :wink:

Krieg wird zur Zeit in Afghanistan nun bekanntlich geführt
gegen die Taliban, die ja nach eigenem Selbstverständnis
besonders „gute“ Muslime sind. Die Afghanen, die keine Taliban
sind, sind, nur um es noch einmal in Erinnerung zu rufen,
ebenfalls Muslime und halten sich im Zweifelsfalle ebenfalls
für besonders „gute“ Muslime.

Und genau gegen diese Muslime wird zwangsläufig auch Krieg geführt. Zahlen sprechen für sich, es gibt auch wie in jedem anderen Krieg zivile Opfer was die Problematik darstellt. Die Leute die in den Grenzgebieten zu Pakistan wohnen werden von der Taliban unterdrückt und das wiederum zwingt sie dazu dem Widerstand beizutreten, wenn sie eine Chance haben wollen zu leben. Ich persönlich als Muslim und viele andere Leute müssen doch verstehen können, dass eben der Einsatz egal welcher Truppen in Afghanistan die Menschen dort, oder zu mindest ein Teil stetig weiter radikalisiert.

Sieht die islamische Welt das im Allgemeinen nun so, dass die
Taliban-Afghanen die „falschen Muslime“ sind und die
Nicht-Taliban-Afghanen die „wahren Muslime“? Oder dass die
Bundeswehr/ISAF den „Islamismus“ bekämpft im Namen des Islam?

Erst einmal festzuhalten ist dass es den „wahren Muslim“ aus islamischer Sicht nicht gibt. Jeder Gläubige ist im Islam ohne Institution (zu mindest beim Großteil) für sich selbst zuständig. Natürlich ist es für die meisten Muslime totaler Quatsch Krieg zu führen und vorallem nicht aus Eigeninnitiative, aber genau da unterscheidet sich das Verständnis der dort ansässigen Truppen und der Taliban. Die Taliban behauptet von sich dass sie einen Verteidigungskrieg führt, ohne jetzt irgendeine Aussage über die Richtigkeit zu treffen. Dieser Verteidigungskrieg ist nach ihrer Auslage aus islamischer Sicht erlaubt. Ist es ein Verteidigungskrieg, muss man auch sagen dass dieser Krieg aus islamischer Sicht für die Allgemeinheit erlaubt ist, solange dabei keine unschuldigen Leute verletzt oder getötet werden. Aber das ist passiert und es passiert. Was einen rechtgläubigen Muslim dazu bewegen sollte, nicht der Taliban beizutreten. Nun sind die Leute in Afghanistan nicht gerade die gebildetesten Menschen und sind oftmals nicht einmal fähig islamische Schriften zu lesen geschweige denn zu interpretieren und zu verstehen. Und dies wiederum ist ein weiterer Faktor der die Problematik verstärkt. Die Leute dort beziehen ihr Wissen aus Erzählung und wenn der Obermullah der Taliban denen was erzählt glauben die das auch. Also für mich, kann ich dir sagen, dass ich nicht weiss wer die wahren Muslime sind, aber definitiv sagen kann dass die Taliban völlig unislamisch handelt.

Ist es nicht, aus islamischer Sicht, merkwürdig, dass es
nicht-islamische Truppen, also Ungläubige, „Kuffar“ es sind,
welche eifrige Muslime, nämlich die Taliban, bekämpfen um
nicht so eifrige Muslime zu beschützen? Wäre das nicht eher
die Aufgabe von Truppen aus „gemäßigten“ islamischen Ländern
wie der Türkei oder Pakistan?

Diese Frage basiert auf eine Antwort die du dir selbst auf die letzte Frage gegeben hast. Mit dieser Frage implizierst du ja dann dass die Taliban eifrige, wahre Muslime sind. Sind sie aber definitiv nicht. Gemässigte islamische Länder haben auch ihre eigenen Probleme und die Pakistanische Armee ist schon längst von der Taliban infiltriert worden, selbst der Geheimdienst dort pflegt seine Kontakte mit der Taliban. Pakistan hat selber Terroristen mit dene sie jeden Tag zu kämpfen haben und das auch jenseits des Swat-Tals.

Andererseits liest man immer wieder, von deutschen Muslimen,
die an den Hindukusch ziehen (z.B. hier:
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,687011,00.html), aber
nicht etwa, um die Bundeswehr/ISAF gegen die Taliban zu
unterstüzten, sondern um umgekehrt die Taliban gegen die
Bundeswehr/ISAF zu unterstützen. D.h. für diese deutschen
Muslime repräsentieren eben doch die Taliban den
„wahren Islam“.

Du verallgemeinerst zu schnell. Du musst immer den persönlichen Hintergrund der Menschen berücksichtigen. Das diese Leute dort hinziehen um die Taliban zu unterstützen, bedeutet nicht dass sie ausreichend und v.A. richtig sich über den Islam informiert haben. Das verstärkt sich dann auch durch den Eifer der hinzu kommt, da sie versuchen sehr gute Muslime zu sein weil Konvertiten einfach weniger akzeptiert werden von Gläubigen (Traurige Wahrheit).

Gruß Aqib

Hallo Aqib, ich danke dir vorab für deine Antwort,

Erst einmal festzuhalten ist dass es den „wahren Muslim“ aus
islamischer Sicht nicht gibt.

Ist das so? Dann kann ja aus islamischer Sicht jeder sich zu Recht Muslim nennen, ob nun Khomeini, Bin Laden, König Ibn Saud, Erdogan, die Mitglieder der Al-Qaida, die Taliban oder sonstwer.

Diese Frage basiert auf eine Antwort die du dir selbst auf die
letzte Frage gegeben hast. Mit dieser Frage implizierst du ja
dann dass die Taliban eifrige, wahre Muslime sind. Sind sie
aber definitiv nicht.

Aber eben sagtest du doch, dass es den „wahren Islam“ aus islamischer Sicht nicht gibt.
Wie kannst du dann wissen, dass die Taliban nicht besonders eifrige Muslime sind?
Warum wurden und werden die Taliban stets als „radikalislamisch“ bezeichnet, warum distanziert sich nicht die islamische Welt eindeutig von Ihnen?

Gemässigte islamische Länder haben auch
ihre eigenen Probleme

Na, du bist gut!
Meinst du, „eigene Probleme“ haben wir in Deutschland nicht?

und die Pakistanische Armee ist schon
längst von der Taliban infiltriert worden, selbst der
Geheimdienst dort pflegt seine Kontakte mit der Taliban.

Also, das heisst, die Taliban, die eigentlich keine „wahren Muslime“ sind (wobei es „wahre Muslime“, siehe oben, ja aus islamischer Sicht eigentlich nicht gibt) schaffen es, die pakistanische Armee zu infiltrieren, weil die Nicht-Taliban-Muslime in Pakistan, die aber in der Regel auch Muslime, und zwar wirklich religiöse, gläubige Muslime sind, es nicht schaffen, die Taliban-Muslime vom Infiltrieren abzuhalten?

Aber auch dass man in Afghanistan tut, als gäbe es die „Nicht-Taliban-Afghanen“ (=„gute, wahre Muslime“) einerseits und „Taliban-Afghanen“ (=„böse, falsche Muslime“) andererseits, und eine klare Trennlinie zwischen diesen beiden Gruppierungen ist doch offensichtlich eine Farce.

Ich zitiere mal aus der „Zeit“ 38/2008:

" (…)Schon Stunden vor dem Abflug verwandelt er sich zurück in das Mitglied des Vorstandes der SPD, schaltet sein Handy öfter ein, lauert auf Nachrichten, siebt im Kopf die Essenzen seiner Reise. Zu Hause könnte Niels Annen seinen Wählern erzählen, dass afghanische Polizisten 70 Dollar im Monat verdienen, dass manche von ihnen plötzlich verschwinden oder überlaufen, weil sie bei den Taliban oder im Drogengeschäft mehr verdienen.
Dass man deshalb aufpassen müsse, welche Waffen man den jungen Polizisten aushändige, weil man leicht riskiere, den Gegner auszurüsten.
(…)"

(http://www.zeit.de/2008/38/DOS-Afghanistan)

D.h. ob ein Afghane - ein Muslim - ein Taliban ist oder nicht, oder manchmal und manchmal nicht ist offenbar nicht zuletzt auch eine Frage des Geldes - oder seiner Tageslaune.

Einen Unterschied zwischen „Taliban-Muslimen“ und „Nicht-Taliban-Muslimen“ kann offenbar weder in Afghanistan noch in Pakistan eindeutig gezogen werden.

Trotzdem hat der Bundeswehrprofessor Michael Wolfssohn kürzlich in der Talkshow „Anne Will“ vertreten, Taliban, die als solche eindeutig identifiziert worden seien, sollten „liquidiert“ werden.

Und eine solche Haltung u.a. führt dann natürlich zu Gemetzeln wie dem Angriff auf den Tanklastzug im September 2009 in Kunduz.

Pakistan hat selber Terroristen mit dene sie jeden Tag zu
kämpfen haben und das auch jenseits des Swat-Tals.

Eben darum sollte doch Pakistan die Taliban in Afghanistan bekämpfen, oder sich zumindest an der ISAF beteiligen. Und ebenso das einzige islamische Nato-Mitglied Türkei. Wenn wirklich die „Nicht-Taliban-Muslime“ in der islamischen Welt eindeutig die Ansicht vertreten, dass die „Taliban-Muslime“ den „falschen Islam“ vertreten, die „Nicht-Taliban-Muslime“ aber den „wahren Islam“, dann müssten sich doch muslimische Freiwillige aus aller Welt darum reissen, die Bundeswehr bzw. ISAF-Truppen in Afghanistan gegen die Taliban zu unterstützen.
Schließlich hat es doch auch seinerzeit, während der 1980er Jahre, massenhaft Muslime aus aller Welt gegeben, die gegen die Sowjetarmee gekämpft haben.Tatsächlich ziehen aber, wie bereits erwähnt, Muslime aus Deutschland und zwar sowohl geborene Muslime als auch Konvertiten an den Hindukusch, um die Taliban gegen die Bundeswehr zu unterstützen.

Du verallgemeinerst zu schnell. Du musst immer den
persönlichen Hintergrund der Menschen berücksichtigen. Das
diese Leute dort hinziehen um die Taliban zu unterstützen,
bedeutet nicht dass sie ausreichend und v.A. richtig sich über
den Islam informiert haben.

Wer, wenn nicht Menschen in Deutschland hat denn die Möglichkeit, sich umfassend aus Büchern, Presse und Internet zu informieren?

Übrigens glaube ich auch nicht, dass Taliban überwiegend „Analphabeten“ sind, sie sind ja schließlich selber auch im Internet höchst präsent.
Und das kann man als Analphabet nur schwerlich sein.

Das verstärkt sich dann auch durch
den Eifer der hinzu kommt, da sie versuchen sehr gute Muslime
zu sein weil Konvertiten einfach weniger akzeptiert werden von
Gläubigen (Traurige Wahrheit).

Aber wenn doch angeblich ein Konsens in der islamischen Welt besteht, dass die Taliban den „falschen, missbrauchten Islam“ repräsentieren, dann müsste sich der „Eifer“ sowohl jener Konvertiten als auch der Muslime, die von vorneherein als Muslime geboren wurden, die zum Kämpfen an den Hindukusch ziehen, doch dahingehend äussern, die Bundeswehr/ISAF gegen die Taliban zu unterstützen und nicht umgekehrt. Vorausgesetzt, es gibt in der islamischen Welt, die ja immerhin 1,3 Milliarden Menschen umfasst, eine Mehrheitsmeinung darüber, dass die Taliban die „falschen Muslime“ sind. Gerade dann aber müsste es doch für Nicht-Taliban-Muslime das Selbstverständlichste der Welt sein, in Afghanistan gegen die Taliban in den Krieg zu ziehen und dies nicht Soldaten der - aus islamischer Sicht - „Ungläubigen“, der „Kuffar“, zu überlassen.

Wenn es aber so sein sollte, dass es vielleicht sowieso keine klare Trennlinie zwischen „Taliban-Afghanen“ und „Nicht-Taliban-Afghanen“ bzw. zwischen „Taliban-Muslimen“ und „Nicht-Taliban-Muslimen“ gibt, dann ist ein „Krieg ohne Ende“ in Afghanistan vorprogrammiert. Und ich finde nicht, um jetzt mal als Deutscher zu sprechen, dass die Bundeswehr an so etwas beteiligen sollte. Was der „wahre Islam“ ist und was der „falsche Islam“, das müsste doch die islamische Welt untereinander ausfechten. Und das müsste doch auch jeder Muslim so sehen, oder nicht?

Gruß Jasper.