Hallo Forum,
wenn man sich ein bisschen mit der Idee beschäftigt, dass die Wirtschaft immer weiter wachsen müsse, damit Arbeitslosigkeit in Grenzen gehalten wird, die Sozialsysteme stabil sind und bleiben, der Staat seine Schulden bedienen kann usw., kann einem das schon irgendwann recht absurd vorkommen. Ich stelle mir dann die Frage, wie es denn sein kann, dass es heute - in einer Zeit, wo die durchschnittliche Produktivität einer Arbeitsstunde in etwa zehn Mal so hoch ist wie vor 100 Jahren - immer noch Wachstum braucht, damit nicht alles… ja was eigentlich alles? Zusammenbricht, wir völlig verarmen, alles nichts ist? Würde es stimmen, dass die Wirtschaft ihre Hauptaufgabe tatsächlich in der Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen sehen würde, und gebe es dazu keine „Sachzwänge“, die Wachstum unbedingt voraussetzen, dann würde ein Ausbleiben des Wachstums ja schlechtestenfalls bedeuten, dass der materielle Lebensstandard nicht weiter steigt. Nun, ich weiß, aufgrund von Produktivitätssteigerungen würde die Arbeitslosigkeit steigen und das würde zu Verteilungsproblematiken führen und auch auf den Kapitalmärkten, die auf Wachstum ausgelegt sind, würde es zu Instabilitäten und Kreditausfällen kommen.
Von diesen Sachzwängen aber mal abgesehen würde mich einmal eines interessieren. Mal angenommen, es wäre unser Ziel, tatsächlich für den Menschen zu wirtschaften und die durchschnittliche Zeit, die Menschen arbeiten müssen, zu reduzieren, ohne dabei unseren derzeitigen materiellen Lebensstandard verringern zu müssen. Nehmen wir weiter an, das komplette in Deutschland lebende Arbeitskräftepotential könnte komplett aktiviert werden (z.B. durch mittelfristig angelegte sinnvolle Förderung von Bildung), wir würden alle Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung ausschöpfen (z.B. sinnvoller Einsatz von Technologie, wo sie bisher noch nicht verwendet wird), würden „sinnlose“ Stellen (d.h. Stellen, die den Wohlstand der Gesellschaft nicht erhöhen) eliminieren und die Personen, die diese bisher besetzten für sinnvolle Tätigkeiten umschulen, usw.
Wie viele Stunden in der Woche müsste dann jeder durchschnittlich noch arbeiten?
Ich bin mir darüber im Klaren, dass in dieser Frage möglicherweise ein wenig die Idee des Sozialismus mitklingt. Mir geht es aber ausdrücklich lediglich darum einmal zu erfragen, wie viel Ineffizienz in unserem Wirtschaftssystem entstanden ist, um dem Wachstumsanspruch gerecht zu werden.
Das BIP wächst real schließlich auch dann, wenn ich bei meinem Nachbarn putze und er mich dafür bezahlt, während er bei mir putzt und ich ihn dafür bezahle (wenn wir dies als Arbeit angemeldet haben) oder eben auch, wenn einer die Grube ausschaufelt, während der nächste sie wieder füllt.
Ich bin sehr gespannt auf eure Meinungen und Antworten, gerne auch Hinweise auf Studien oder Literatur, die zu dieser/diesen Frage(n) veröffentlicht wurden.
Danke
!
Chris