Deutsch-Arabisch-Dolmetschen

Hallo Experten!

In einem Elterngespräch in der Schule kommunizierte der arabische Vater immer mit einem Wortschwall, den die Dolmetscherin von Zeit zu Zeit mit einem dürren kurzen deutschen Satz „übersetzte“. Auf meine Bitte hin, doch bitte genau das zu übersetzen, was der Vater sage, antworte sie, das ginge nicht, Arabisch sei anders als Deutsch.

Kann man nicht „enger“ übersetzen? Ich hatte so das Gefühl, dem Vater gar nicht richtig näher zu kommen!
Gruß!
Karl

Hallo Karl,

ich denke, grundlegend kann man schon relativ wörtlich vom Arabischen ins Deutsche übersetzen, zumindest wenn es um die Wiedergabe von Inhalten geht. Schwieriger wird es sicherlich, wenn es um die Übertragung von blumigen Floskeln geht, von denen es im Arabischen einige gibt. Eine Formulierung wie beispielsweise الله يعطيك العافية (Allah ya‘aṭīka al-‘āfiyya) könnte man wörtlich mit „Gott schenke dir Wohlergehen“ übersetzen, aber der eigentliche Sinn „Guten Tag“ (als Begrüßung eines Menschen bei der Arbeit) würde sich dadurch nicht erschließen.

Deswegen könnte ich mir folgende Gründe vorstellen, warum die Dolmetscherin nicht so wörtlich übersetzt hat:

  1. Der Vater hat vielleicht tatsächlich sehr phrasenreich gesprochen, der Inhalt war aber eben so knapp, dass man ihn am besten mit diesen paar kurzen Worten wiedergeben konnte. Zudem kommt es beim Dolmetschen (anders als beim schriftlichen Übersetzen) durch die Unmittelbarkeit ohnehin eher auf die Übertragung der Information an und weniger auf die adäquate literatische Übersetzung jeder einzelnen Formulierung.

  2. Im Arabischen gibt es neben der geschriebenen Hochsprache eine Vielzahl von Dialekten, die nicht immer untereinander verständlich sind. Nicht jeder Araber beherrscht nun die Hochsprache einwandfrei. Und wenn, sagen wir, der Vater aus Marokko oder Algerien kommt, die Dolmetscherin hingegen von der arabischen Halbinsel, könnte es durchaus sein, dass sie ihn hin und wieder schlicht und ergreifend nicht verstanden und deshalb etwas kürzer und freier übersetzt hat.

  3. Eine andere Möglichkeit wäre natürlich auch die, dass der Vater so einiges von sich gegeben hat, was die Dolmetscherin aus Höflichkeit nicht übersetzt hat. Halte ich jedoch für eher unwahrscheinlich, da ein „anständiger arabischer Mann“ in Anwesenheit einer Frau normalerweise nicht ausfallend wird oder irgendwelche schlimmen Sachen sagt, die sich die Dame nicht zu übersetzen getrauen würde.

  4. Letztlich mag es einfach auch eine gewisse kulturelle Barriere gegeben haben. Ohne die Beteiligten Eures Gesprächs zu kennen oder ihnen zu nahe treten zu wollen: Wenn, sagen wir einmal, der Vater daheim das respektierte Familienoberhaupt ist und nun von einem Lehrer in die Schule zitiert wird, der ihm ohne Umschweife erklärt, warum sein Lieblingssohn so schlecht in der Schule ist und wie er ihn besser erziehen soll, wäre der Vater vermutlich nicht der zugänglichste Gesprächspartner. Wenn noch dazu dieses Gespräch nicht in einer gemeinsamen Sprache geführt, sondern (noch dazu von einer Frau!) übersetzt werden muss, wird die Atmosphäre dadurch auch nicht besser. Alles selbstverständlich ein wenig überzogen, aber ich denke, Du verstehst, was ich mit diesem Szenario andeuten will: Selbst wenn der deutsche Lehrer es wirklich nur gut meint, kommt das über Sprach- und Kulturgrenzen nicht zwingend so beim Vater an.

Letzten Endes sind das natürlich alles nur Denkansätze und Vermutungen. Ohne die genauen Inhalte und Hintergründe des Gesprächs zu kennen, ist die Geschichte eben schwer eindeutig zu beurteilen.

Gruß,
Stefan

Vielen Dank für diese ausführliche informative Antwort!
Karl