Deutsche/r=Nazi? Wieso?

Hi,

…oder in der tschechischen U-Bahn
herumgeschubst zu werden sobald jemand mitbekommt, dass du
Deutsch sprichst. Ist mir zumindest passiert.

Dazu fände ich die näheren Umstände ziemlich interessant.

In früheren Zeiten in Prag fiel mir auf, das Leute, die deutsch sprachen, im Restaurant oder auf der Strasse gefragt wurden, aus welchem Deutschland sie kamen.
Westdeutschland: „Wollen Sie Geld tauschen?“
Ostdeutschland: „Heil Hiltler“

Mensch bin ich notwendigerweise - Deutscher bin ich durch
Zufall.

Das ist zweifellos richtig aber weder hier noch im Ausland sehen das alle so.

Gruß
T.

Hiho,

ja, die Aufforderung, aus der Einzelbucht mal rauszukommen, gilt selbstverständlich für alle.

Ein Studienkamerad von mir war zum Praktikum auf einer Weizenfarm in South Dakota. Nach einiger Zeit war er ziemlich unglücklich damit, dass ihm der Vorarbeiter immer bloß die allerletzten Scheißjobs zuteilte, und er erreichte zu dem Thema ein Gespräch zu Dritt mit dem Farmer und dem Vorarbeiter. Bei diesem Gespräch stellte sich heraus, dass ihn der Vorarbeiter für einen deutschen Kriegsgefangenen hielt - er glaubte, seine Kumpels, die mit der Army nach Deutschland gingen, zögen in den Krieg, und hatte irgendwelche Filmchen und die Wirklichkeit miteinander vermischt.

  • Weil er kurz vor Beginn der Erntekampagne kontrollierte, ob alle Verschleißteile für die Mähdrescher in ausreichender Zahl da lagen, wurde ihm übrigens wenig später die Farmerstochter und die halbe Farm angetragen, weil der Boss sowas vorher noch nie erlebt hatte und vor sich das Inbild des „Deutschen Bauern“ sah, was Hartmut allerdings auch nicht zu erfüllen geneigt war; ob es an der Farmerstochter lag, weiß ich nicht: Darüber schweigt des Sängers Höflichkeit.

Zur Stereotype von Deutschem Bauerntum gibts noch eine nette Episode aus der Dominikanischen Republik: Rafael Trujillo, obwohl von seiner eigenen Couleur her durchaus dem Faschismus zugeneigt, hat Ende der 1930er Jahre ziemlich vielen deutschen Juden die Einwanderung in seinem Staat erlaubt. Dem Vernehmen nach ging es ihm darum, Rindviehhaltung und Milchproduktion zu fördern, und er war überzeugt davon, dass alle Deutschen vorbildliche Milchviehbauern wären. Dass der Besitz von landwirtschaftlich genutztem Grund und Boden, der ja eigentlich die Grundlage der Viehwirtschaft ist, in Deutschland für Juden fast überall schon ein paar hundert Jahre lang verboten war, hat Trujillo dabei nicht bedacht.

Ich komm nochmal zurück auf den Anfang: Grade Nachbars wird ja aus unerfindlichen Gründen Deutschenhass nachgesagt - und wenn es nur darum geht, dass Elsässer sich weigern, von Gästen aus Frankfurt als eine Art Deutsche angesehen zu werden, und deswegen erwarten, dass der Besucher wenigstens drei Worte Französisch versucht, bevor sie sich mit ihm auf Deutsch unterhalten, wenn er nicht weiterkommt. Mein älterer Bruder, der in den 1976 mit Aktion Sühnezeichen in der Normandie war, hat tatsächlich noch in der Wirtschaft einen Bauern getroffen, der ihm sagte: „Ja, Du hast einen Akzent - vielleicht bist Du Holländer, oder Norweger, oder Kanadier - aber ein Deutscher bist Du nicht, erzähl mir nichts: Ich kenne die Deutschen, ich habe sie erlebt - die sind anders als Du: ein Deutscher bist Du nie im Leben!“

Das war aber eine Ausnahme. Die anderen Bauern in der Gegend haben schlicht gesehen, woher die Güterzüge kamen, mit denen Stroh aus den deutschen Weizenbaugebieten in die Normandie gebracht wurde, damit dort das Vieh nicht krepiert (1976 hat es von Mai bis September nicht geregnet). Für nachdenklichere Gemüter - die es entgegen allen Stereotypen sowohl bei französischen als auch bei deutschen Bauern genügend gibt - war es dabei wichtig zu sehen, dass die deutschen E-Wagen, von denen einige auch schon 35 Jahre vorher bei Nuit et Brouillard im Einsatz waren, nicht bloß schaden, sondern auch nützen können.

Nun, und als wir meinen Vater zu seinem Siebzigsten - wo nicht bloß er, sondern wohl die meisten Leute anfangen, mehr zurück als nach vorne zu schauen - gefragt haben, was er denn in seinem Leben als „wichtig“ zurückbehalten würde, war unter den Top 5 auch: Dass er in der Schule noch lernen mußte, dass die Franzosen unsere Erbfeinde sind, aber dass alle seine vier Söhne sich ohne große Mühe mit Franzosen verständigen können.

Ich glaube übrigens, dass die in diesem Thread schon angesprochene lange Dauer auch eine Erfindung von Schullehrern ist. Die, die „dabei waren“, haben das ziemlich kurz und schnell abgemacht. Ein Lehrer von mir, der 1944 als Hitlerjunge in Holland in Gefangenschaft geraten war, kurz nachdem er einem jungen Engländer seinen Klappspaten in den Hals gehauen hatte, weil alle Munition verschossen aber Durchhalten befohlen war, war einige Zeit später auf der Rückreise über den Kanal, noch mit der Jacke, auf deren Rücken „PW“ gepinselt war. Die Fähren waren 1945 nicht besonders groß und der Seegang entsprechend spürbar - fast alle Passagiere hingen über der Reling, würgten ihr Innerstes heraus und wünschten, dass das irgendwann vorbei wäre. Sein Nachbar schaute zwischen zwei Kotzgängen zu ihm herüber und grüßte: „Hello, Fritzy!“ - worauf er zurückgrüßte: „Hello, Tommy!“. Der erste, auch deswegen erleichtert, weil er mal einen Moment lang nicht kotzen musste, antwortete lächelnd: „Hey, we are not enemies any more!“

Kurzer Sinn: Wenn man immer bloß abwartet und schätzt, dass es noch irgendwieviele Jahre dauern wird, bis man wieder normal miteinander umgehen kann, wird daraus nie etwas. Viel wichtiger ist es, den Glauben an Pässe, Grenzen und Fahnen zumindest für die Zeit auf der Seite zu lassen, die es braucht, dass man mal mit František, Zbysek, Jean-François und David mal ein Bierchen getrunken oder - noch besser- drei Klafter Holz gemacht hat.

Diese Dekorationsartikel kann man getrost den Figuren überlassen, die erst „jemand sind“, wenn sie rote Streifen an der Hose und alberne Mützen tragen: http://www.youtube.com/watch?v=XkKYDaDglpE

In diesem Sinne

Dä Blumepeder

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Interessanterweise wird von beinahe allen hier von einem „online“-Spiel auf Assoziation mit der Vergangenheit geschlossen, was meines Erachtens falsch ist (wie überhaupt dieser „thread“ eigentlich ins Brett „Computerspiele“ gehören würde).
Dabei wird völlig außer Acht gelassen, daß viele der „online“-Spiele „ego-“ oder „Gruppenshooter“ sind und ein guter (und sehr populärer) Teil davon ist im 2. Weltkrieg angesiedelt; gerade dieser Teil aber ist es, der auch auf die in reichlicher Zahl vorhandenen „jungen Rechten“ verstärkten Anreiz ausübt (warum, muß wohl nicht erklärt werden), sodaß sich gerade bei diesen Spielen häufig Spieler und „Spieler-clans“ finden (vorzugsweise auf deutscher, resp. „Wehrmachts“-seite), die aus ihrer Sympathie für, bzw. „Zugehörigkeit“ zu „Nazi-Deutschland“ kein Hehl machen und sich in ihren Kommentaren und Äußerungen auch noch damit brüsten. Wer mehrmals auf solche „Spieler“ oder „Spielerclans“ gestoßen ist, neigt schon einmal zu „Verallgemeinerungen“, zumal sich die „Spielerschaft“ nicht nur aus den „weltoffensten“ und „hellsten“ Köpfen zusammensetzt, sondern zu einem guten Teil aus „nerds“, frustrierten Pubertierenden und „bildungsfernen Proleten“ (im negativen Sinne des Wortes) rekrutiert.
Hinzu kommt (und das wird gerne - gerade von an ihrem „Vergangenheitsschuldkomplex“ kränkelnden Deutschen - übersehen), daß beispielsweise in den Staaten die Bezeichnung „Nazi“ geradezu inflationär gebraucht wird, so würden etwa die meisten von uns, die gelegentlich in den Sprachenbrettern antworten, mit dem Begriff „grammar-nazi“ belegt, der mit dem Nationalsozialismus so gut wie gar nichts gemein hat.
Und dann ist natürlich nicht zu vergessen, daß frustrierte „Verlierer“ auch oder gerade bei „online“-Spielen nicht gerade wählerisch in der Wahl ihrer Beschimpfungen und Unmutsäußerungen sind, und ob es jetzt wirklich Unterschiede in der Wertigkeitsskala eines „ausflippenden“ Vierzehnjährigen, der sein Keyboard gegen die Wand donnert, weil er „schon wieder gepwned“ wurde zwischen „Scheißnazi“ und „mothafuckin asshole a kll ya“ gibt, darf bezweifelt werden.

Grüße
nicolai

Im Auland wurde mal gefragt woher in Deutschland. Dann kam Ostdeutschland= Kommunisten.

Hallo nicolai,
Interessante Überlegung! Ich war mir erst nicht sicher, ob du nur auf die Spieler einhacken wolltest, aber dem scheint nicht so. Kann wirklich gut sein, dass 1 von zich tausend mal so tickt…

Gruß
Julian

Hi

Nur um mal die näheren Umstände nachzuliefern…

Tschechien, das war 2003, genauergesagt Prag, eine Abschlussfahrt, aber wir waren in kleineren Gruppen unterwegs. Da wird zwischen der zum Hotel nächstgelegenen Haltestelle und dem Wenzelplatz eine Weile fahren mussten hat man sich auch unterhalten. Komische Blicke kamen da manchmal, aber teilweise wurde auch gezielt gerempelt. Mir ist es da passiert, dass eine Frau höheren mittleren Alters sich einen Spaß daraus machte mich mehrmals durch die Bahn zu schubsen (sie war etwa das doppelte von mir) welche wohlgemerkt _nicht_ voll war und ich stand auch nicht im Weg zum Ausgang der in Prag erstaunlich weiträumigen Bahn. Sie hatte zuvor gehört, wie wir uns auf Deutsch unterhalten haben, uns dann nicht mehr aus den Augen gelassen, und als wir dann auf die nächste Haltestellte warteten im Stehen Ziel aufgenommen und losgeschubbst. Als wir ausstiegen hat sie uns noch mit einem eindeutig bösartigen Blick nachgestiert. Blöde Leute gibt es überall, aber sie hatte wohl speziell was gegen Deutschsprecher.

Belgien, das war 2008 oder 2009? Ich glaube 2009, die Europalia fand in Brüssel statt, ganz Brüssel und auch etwas außerhalb gab es Stationen. Wir waren mit einer kleineren Gruppe dort unterwegs zu einer Ausstellung, vor dieser versammelten wir uns, da war auch ein Park, und wir unterhielten uns. Da kam eine Gruppe Jugendlicher vorbei, guckte uns eine Weile an und ging weiter, wir gingen in die Ausstellung.
Als wir aus der Ausstellung kamen und uns vor dem Park sammelten kam die gleiche Gruppe Jugendlicher wieder an und begann uns mit Steinen (aus dem Park) zu bewerfen und Schimpfwörter zu rufen, wir sind dann zur nächsten Haltestelle geflüchtet. Gaaaanz tolle Erfahrung.

Wie gesagt, ich verallgemeinere nicht, das sind eben Idioten. Aber Deutsch = Nazis ist immer noch eine gern gesehene Entschuldigung um sich daneben zu benehmen.

lg
Kate

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Hi!

Diese Dekorationsartikel kann man getrost den Figuren
überlassen, die erst „jemand sind“, wenn sie rote Streifen an
der Hose und alberne Mützen tragen:
http://www.youtube.com/watch?v=XkKYDaDglpE

Ich hatte mir eigentlich das hier erwartet :wink:

Ich will eigentlich gar nix beitragen, nur soviel, dass ich trotz deutscher Sprache (auch wenn sich „österreichisch“ trotzdem anders anhört) noch nirgendwo deswegen in Schwierigkeiten kam; eher sogar der gegenteilige Effekt (nachdem man ein paar Brocken der hiesigen Sprache rausbekam), dass der ältere, griechische Ladeninhaber seine paar Wörter deutsch voller Freude an den Mann brachte; dass man in Budapest, als man den Stadtplan diskutierend studierte, auf „ungarisches deutsch“ angesprochen und der Weg gewiesen wurde; etc.

Was ich aber eigentlich schreiben wollte: Ich warte auf Blumepeders erstes Buch seiner gesammelten Erinnerungen quer durch Europa - es ist für mich immer ein Genuß, Deinen Erzählungen zu folgen :smile:

Grüße und Danke für die paar Minuten Abschweifungen,
Tomh

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Hallo.

Da müsste man die Äußerungen deiner Spielpartner genauer
analysieren.

Und mit den ganzen Verlauf der Kommunikation, vor allem weil ich diese Erfahrungen nicht teilen kann.

Gruss,
Eli