Hiho,
ja, die Aufforderung, aus der Einzelbucht mal rauszukommen, gilt selbstverständlich für alle.
Ein Studienkamerad von mir war zum Praktikum auf einer Weizenfarm in South Dakota. Nach einiger Zeit war er ziemlich unglücklich damit, dass ihm der Vorarbeiter immer bloß die allerletzten Scheißjobs zuteilte, und er erreichte zu dem Thema ein Gespräch zu Dritt mit dem Farmer und dem Vorarbeiter. Bei diesem Gespräch stellte sich heraus, dass ihn der Vorarbeiter für einen deutschen Kriegsgefangenen hielt - er glaubte, seine Kumpels, die mit der Army nach Deutschland gingen, zögen in den Krieg, und hatte irgendwelche Filmchen und die Wirklichkeit miteinander vermischt.
- Weil er kurz vor Beginn der Erntekampagne kontrollierte, ob alle Verschleißteile für die Mähdrescher in ausreichender Zahl da lagen, wurde ihm übrigens wenig später die Farmerstochter und die halbe Farm angetragen, weil der Boss sowas vorher noch nie erlebt hatte und vor sich das Inbild des „Deutschen Bauern“ sah, was Hartmut allerdings auch nicht zu erfüllen geneigt war; ob es an der Farmerstochter lag, weiß ich nicht: Darüber schweigt des Sängers Höflichkeit.
Zur Stereotype von Deutschem Bauerntum gibts noch eine nette Episode aus der Dominikanischen Republik: Rafael Trujillo, obwohl von seiner eigenen Couleur her durchaus dem Faschismus zugeneigt, hat Ende der 1930er Jahre ziemlich vielen deutschen Juden die Einwanderung in seinem Staat erlaubt. Dem Vernehmen nach ging es ihm darum, Rindviehhaltung und Milchproduktion zu fördern, und er war überzeugt davon, dass alle Deutschen vorbildliche Milchviehbauern wären. Dass der Besitz von landwirtschaftlich genutztem Grund und Boden, der ja eigentlich die Grundlage der Viehwirtschaft ist, in Deutschland für Juden fast überall schon ein paar hundert Jahre lang verboten war, hat Trujillo dabei nicht bedacht.
Ich komm nochmal zurück auf den Anfang: Grade Nachbars wird ja aus unerfindlichen Gründen Deutschenhass nachgesagt - und wenn es nur darum geht, dass Elsässer sich weigern, von Gästen aus Frankfurt als eine Art Deutsche angesehen zu werden, und deswegen erwarten, dass der Besucher wenigstens drei Worte Französisch versucht, bevor sie sich mit ihm auf Deutsch unterhalten, wenn er nicht weiterkommt. Mein älterer Bruder, der in den 1976 mit Aktion Sühnezeichen in der Normandie war, hat tatsächlich noch in der Wirtschaft einen Bauern getroffen, der ihm sagte: „Ja, Du hast einen Akzent - vielleicht bist Du Holländer, oder Norweger, oder Kanadier - aber ein Deutscher bist Du nicht, erzähl mir nichts: Ich kenne die Deutschen, ich habe sie erlebt - die sind anders als Du: ein Deutscher bist Du nie im Leben!“
Das war aber eine Ausnahme. Die anderen Bauern in der Gegend haben schlicht gesehen, woher die Güterzüge kamen, mit denen Stroh aus den deutschen Weizenbaugebieten in die Normandie gebracht wurde, damit dort das Vieh nicht krepiert (1976 hat es von Mai bis September nicht geregnet). Für nachdenklichere Gemüter - die es entgegen allen Stereotypen sowohl bei französischen als auch bei deutschen Bauern genügend gibt - war es dabei wichtig zu sehen, dass die deutschen E-Wagen, von denen einige auch schon 35 Jahre vorher bei Nuit et Brouillard im Einsatz waren, nicht bloß schaden, sondern auch nützen können.
Nun, und als wir meinen Vater zu seinem Siebzigsten - wo nicht bloß er, sondern wohl die meisten Leute anfangen, mehr zurück als nach vorne zu schauen - gefragt haben, was er denn in seinem Leben als „wichtig“ zurückbehalten würde, war unter den Top 5 auch: Dass er in der Schule noch lernen mußte, dass die Franzosen unsere Erbfeinde sind, aber dass alle seine vier Söhne sich ohne große Mühe mit Franzosen verständigen können.
Ich glaube übrigens, dass die in diesem Thread schon angesprochene lange Dauer auch eine Erfindung von Schullehrern ist. Die, die „dabei waren“, haben das ziemlich kurz und schnell abgemacht. Ein Lehrer von mir, der 1944 als Hitlerjunge in Holland in Gefangenschaft geraten war, kurz nachdem er einem jungen Engländer seinen Klappspaten in den Hals gehauen hatte, weil alle Munition verschossen aber Durchhalten befohlen war, war einige Zeit später auf der Rückreise über den Kanal, noch mit der Jacke, auf deren Rücken „PW“ gepinselt war. Die Fähren waren 1945 nicht besonders groß und der Seegang entsprechend spürbar - fast alle Passagiere hingen über der Reling, würgten ihr Innerstes heraus und wünschten, dass das irgendwann vorbei wäre. Sein Nachbar schaute zwischen zwei Kotzgängen zu ihm herüber und grüßte: „Hello, Fritzy!“ - worauf er zurückgrüßte: „Hello, Tommy!“. Der erste, auch deswegen erleichtert, weil er mal einen Moment lang nicht kotzen musste, antwortete lächelnd: „Hey, we are not enemies any more!“
Kurzer Sinn: Wenn man immer bloß abwartet und schätzt, dass es noch irgendwieviele Jahre dauern wird, bis man wieder normal miteinander umgehen kann, wird daraus nie etwas. Viel wichtiger ist es, den Glauben an Pässe, Grenzen und Fahnen zumindest für die Zeit auf der Seite zu lassen, die es braucht, dass man mal mit František, Zbysek, Jean-François und David mal ein Bierchen getrunken oder - noch besser- drei Klafter Holz gemacht hat.
Diese Dekorationsartikel kann man getrost den Figuren überlassen, die erst „jemand sind“, wenn sie rote Streifen an der Hose und alberne Mützen tragen: http://www.youtube.com/watch?v=XkKYDaDglpE
In diesem Sinne
Dä Blumepeder