Mit der Wiedervereinigung Deutschlands widerfuhr der Disziplin der Analyse des “deutschen Wesens” eine Renaissance. Unbeachtet dabei bleibt die Tatsache, dass es keinen wissenschaftlichen Beweis für die Existenz von Nationalcharakter oder nationalen Wesen, gibt.
Eine deutsche und internationale Debatte um den deutschen Volkscharakter entbrannte im Spätjahr 1990 als während der ersten Golfkrise die deutsche Regierung unter Hinweis auf das Grundgesetz eine Beteiligung an einer internationalen Streitmacht verweigerte und eine in anderen Staaten spürbare Kriegseuphorie nicht aufkommen wollte, vielmehr eine Friedensbewegung entstand, die ihre Angst vor den Folgen dieses Krieges artikulierte. Das Wort „Angst“ war schon im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen Ende der siebziger Jahre als Bezeichnung für eine deutsche Haupteigenschaft in den angloamerikanischen Wortschatz eingegangen.
Anlässlich eines Deutschlandgesprächs englischer und amerikanischer Experten mit Margaret Thatcher im März 1990 wurden weniger schmeichelhafte Attribute als typischer Teil des deutschen Charakters erwähnt: Angst, Aggressivität, Überheblichkeit, Rücksichtslosigkeit, Selbstgefälligkeit, Minderwertigkeitskomplex, Sentimentalität.
Weiterhin wurde in laufe der Diskussion “mangelnde Sensibilität der Deutschen den Gefühlen anderen gegenüber (am deutlichsten in ihrem Verhalten in der Grenzfrage gegenüber Polen), ihre Selbstbezogenheit, einen starken Hang zu Selbstmitleid und das Verlangen, geliebt zu werden” festgestellt.
Zwei weitere Aspekte des deutschen Charakters wurden als Gründe dafür angeführt, dass man sich um die Zukunft zu sogen habe. Zum einen die Neigung der Deutschen, Dinge zu übertreiben, zum anderen ihre Neigung, ihre Fähigkeiten und ihre eigene Stärke zu überschätzen.
Im Großteil Einigkeit besteht bei dem deutsch - kritischen Stimmen, das bei den demokratischen Regierungen der Bundesrepublik (egal aus welchen politischen Lagern diese stammte) der letzten Jahrzehnte politische Kontinuität bestand. Eingeschränkt wird diese Erkenntnis durch die Befürchtung das Deutschland in Krisensituationen wie z.B. Wirtschaftskrisen diese demokratische Kontinuität verlieren würde.
Dennoch ist festzustellen, dass sich die deutsche Demokratie in den letzten vierzig Jahren behauptet hat. Sie durchlief Ölkrisen, Massenarbeitslosigkeit, die Studentenunruhen, den Terrorismus der Siebziger und frühen achtziger Jahre, „Asylantenschwemme“ und die Wiedervereinigung. Die politischen und gesellschaftlichen Institutionen erwiesen sich hierbei als stabil ebenso wie die „guten Gewohnheiten“ der deutschen Bevölkerung. Abgesehen von rechtsextremistischen Ausfällen wie Möllen, Solingen oder Rostock die zwar beschämend sind, aber nicht das eigentliche Bild der deutschen Gesellschaft widerspiegelt.
Mit freundlichen Grüßen
Michael culus