Moin,
Ich kann mich noch gut an diese seltsame Stimmung erinnern.
Irgendwo zwischen Angst, Ärger und Frustration, weil
(friedliche) Idees zerstört wurden.
Na das ist doch meine Frage.
Hieß das Ganze jetzt so, weil es im Herbst angefangen hat,
oder weil die Stimmung so durcheinander war?
Weder noch. Die Bezeichnung „Deutscher Herbst“ bezog sich weniger auf die RAF-Anschläge als auf die Reaktion des Staates darauf (das wird auch im namengebenden Film deutlich). Hysterische Einschränkung von Meinungsfreiheit (typisch: der Fall des ‚Göttinger Mescalero‘, der sich ja eigentlich vom Terror distanzierte). Forcierung des Überwachungsstaates (‚Rasterfahndung‘). Berufsverbote (‚Radikalenerlass‘). Wenn sich jemand um eine Stelle im öffentlichen Dienst bewarb, gab es erst einmal eine Regelanfrage beim Verfasungsschutz. Kanzler Helmut Schmidt persönlich gab seine Entschlossenheit bekannt „bis hart an die Grenzen des Rechtsstaates“ gehen zu wollen - wo immer die auch liegen mochten.
In Baden-Württemberg wurde die verfasste Studentenschaft abgeschafft mit einer bezeichnenden Begründung des Ministerpräsidenten und vormaligen NS-Juristen (‚Was damals Recht war kann heute nicht Unrecht sein‘) Filbinger: „Die Abschaffung der Verfaßten Studentenschaft und damit der ASten, ist ein taugliches Mittel, ein Stück Sympathisantensumpf des Terrorismus trockenzulegen.“ Mit anderen Worten - politisch engagierte Studenten wurden unter Generalverdacht gestellt, „Sympathisantensumpf“ wurde zum geflügelten Wort. Um zu diesem Sumpf gerechnet zu werden reichte es schon aus, das allgemeine Betroffenheitsgeschwafel um den Märtyrer der Deutschen Demokratie, Sankt Hanns Martin Schleyer, mit ein paar Bemerkungen über dessen Vergangenheit als SS-Offizier und seine Rolle bei der ‚Arisierung‘ und der Zwangsarbeiterrekrutierung im Protektorat Böhmen und Mähren zu konterkarieren. Zu diesem „Sympathisantensumpf“ wurden aber auch Leute wie Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll gezählt - im deutschen Bundestag zum „intellektuellen Helfershelfer“ des Terrorismus erklärt. Von einem hirnamputierten Abgeordneten namens Vogel, der sich damit bestens für eine Verwendung als Staatsminister unter Helmut Kohl qalifizierte. Nicht nur bei der Bild-Zeitung tropfte da der Geifer - die Quick, das bestverkaufte Wichsblatt des Bauer-Verlags, verkündete ihren Lesern: „Die Bölls sind gefährlicher als Baader-Meinhof.“
Es sah ganz so aus, als würde die Strategie der ersten RAF-Generation aufgehen - „die Fratze des Faschismus hervorbomben“ (U. Meinhof). Der demokratische Aufbruch von 1968 war steckengeblieben; der Rollback der Reaktion war auf dem Vormarsch. Der ‚Herbst‘ war vor allem der Vorbote eines Winters - der dann doch glücklicherweise nicht so eintraf, wie befürchtet.
Freundliche Grüße,
Ralf