Die Zeit des "Verschwimmens von Fiktion und Realität" in der Politik?

Hallo!

  • Anlässlich der mit überwältigenden Mehrheit erfolgten Wahl Selenskyjs ins höchste Amt der Ukraine,
  • angesichts des Umstands, dass die Wahl Marjan Šarecs ins höchste Amt Sloweniens vor einem dreiviertel Jahr bereits annähernd die Blaupause für die Ukraine war,
  • angesichts des Erfolgs Grillos und der 5 Sterne in Italien,
  • angesichts dessen, dass noch weitere genannt werden könnten, bei denen TV-Show und Politik ineinandergreifen (Morales, der Präsident Guatamalas; der The-Apprentice-Macher Trump; weitere?)

All die oben genannten unterscheidet von althergebrachten Schauspieler-Politikern wie Reagan oder Schwarzenegger, dass sie nicht einfach nur ihr in Filmen gewonnenes Image eingebracht haben, sondern dass sie mehr oder weniger mit ihren TV-Reality-Shows bereits in die Rolle des Politikers geschlüpft sind, der sie dann geworden sind.°

Selenskyj als stärkster Ausdruck dieser Entwicklung hat sich quasi in seiner Serie bereits als Präsident der Ukraine gespielt bevor er Präsident wurde. Er war schon der real-fiktiv/fiktiv-reale Schattenpräsident.

Der (m.E. sehr kluge) Film „Er ist wieder da“ fragt sich im Grunde, wie der wieder auferstandene Hitler in der Jetztzeit, also unter veränderten politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, erneut an die Macht kommen könnte. Er erreichte es als Polit-Comedian, Darsteller seiner selbst.

Wird dieses Muster (oder sind diese unterschiedlichen Fälle gar nicht als Ausdruck eines gemeinsamen Musters zu verstehen? Auch weil die politischen Ausrichtung der Genannten sich durchaus unterscheiden) sich fortsetzen?
Wie kams eigentlich dazu? Ein bisschen komplizierter zu erklären als „heute produziert das Fernsehen eben viele Reality-Formate“ oder „wir leben in einem populistischen Zeitalter“ dürfte es wohl sein.
Was ist eigentlich mit der Demokratie im Zeitalter der Hyperrealität°? Fiktiv? Real? Real-fiktiv? Fiktiv-Real?

Gruß
F.

° Definition der postmodernen Hyperrealität: Die Hyperrealität ist das Abbild von etwas, das es in der Realität nicht gibt, sondern sein eigenes Simulacrum
(de.wikipedia.org/wiki/Hyperrealität)

Passt auf den Fall Selenskyj doch wie Arsch auf Eimer :wink:

Sie bleibt eine hundsmiserable Staatsform, bedroht durch populistische Parteien, Medienmogule und andere Stimmungsmacher.

Mir ist aber nach wie vor keine bessere bekannt. Also lassen wir es dabei.

Selenskyj? Keine Ahnung, was der machen wird. Einige warnen wegen der Nähe zu dem Medienmogul. Andere hoffen auf eine ehrliche Politik. Man wird es sehen. Ist halt eine knallbunte Verpackung, bei der man gerade erst mit dem Auspacken beginnen will.

Ist die Demokratie real oder fiktiv?

Wenn Wahlen von Menschen entschieden werden, die keinerlei Ahnung von dem haben, über was sie abstimmen?
Wenn eine einmalige Stimmungsschwankung dafür sorgt, dass die Politk mehrerer Jahre sich danach richten soll?
Wenn ein „Dagegen!“-Gefühl mehr zählt als fein herausgearbeitete Fakten?

Demokratie, die Macht geht vom Volke aus - nein, das ist eher fiktiv.
Es kann aber nicht sein, dass ich die von Entscheidungen über IHR Leben ausschließe, weil ich DIE für zu ungebildet halte. Und bislang war es doch so, dass das gezielte Täuschen, das Spielen einer Show ein Tabu war. Also: Man hat es zumindest nicht allzu offensichtlich übertrieben.
Diese Ethik schwindet aber. Es wurde in anderen Ländern einfach zu häufig erfolgreich vorgemacht, als dass es nicht auch in Deutschland einmal einen erfolgreichen, hinreichend niederträchtigen Nachahmer geben wird.

Ich weiß nicht, ob es eine Frage der „Ethik“ ist, sondern denke mir, dass es eher um Entwicklungen im Bereich der Mediengesellschaft geht, die die Grenzen von Fiktion und Realität verschwimmen lassen.

Wenn hier etwa die bpb schreibt: „Die wichtigste Funktion der Massenmedien liegt also darin, politische Kultur und den Kampf um die Deutung von politischen Realitäten sichtbar zu machen“,° dann ist das längst überholt.
Heute geht es nicht mehr um politische Realitäten, sondern um Realitätspolitik. Gerade Trump macht das klar sichtbar, und der allseitige Kampf um „Fake News“ ist das beste Beispiel dafür.

Das was in der Ukraine geschehen ist, ist zwar ein ukrainischer Sonderfall°°, aber so wurde eine strukturelle Entwicklung sichtbar, die weder mit Ländern noch mit spezifischen Inhalten (darum brauchts dafür keine besonders „niederträchtigen“ Politiker dafür) zu tun hat.
In der hyperrealen Demokratie entwickelt sich der Mediennutzer vom passiven Konsumierenden zum aktiv Handelnden, der ein vorgegebenes Skript um- und weiterschreibt, sich und seine „demokratische Stimmmacht“ in das Skript einschreibt, indem er einfach nur wählt: ein Anruf für Deutschland sucht den Superstar, eine SMS für Germanys Next Topmodel, ein Brief (vgl. den seit einigen Jahren rasanten Anstieg der Briefwahl!) für den neuen BRD-BK.

Gruß
F.

° http://www.bpb.de/apuz/29917/politik-als-fiktion?p=all
°° https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-03/ukraine-praesidentschaftswahlen-oligarchen-kontrolle-tv-sender

Das ist sehr einfach zu beantworten. Fiktiv!

Letzte Woche kam die Benachrichtigung zur Europawahl. Lachnummer. Europawahl. Nicht einmal den Begriff EU-Wahl irgendwo erwähnend. Darum geht es doch, nur darum. Nicht um Europa oder Europäer (hinsichtlich der Migrationsbewegungen schon ein nahezu absurder Begriff, der nur auf selbst erwählten und durch nichts begründbaren moralischen Hoheitsansprüchen beruht).

Also erst einmal ein wenig gegoogelt ob der Größe des/der Wahlzettel/s. Er ist groß. Und hier in D schon bundesländerisch spezifisch. „Europa“ ist auch hier sehr gesplittet, in Bayern wählt man andere(s) als in NRW und wiederum anders in Hessen oder …

Was wählt man denn im Mai?
Listenplätze.
So kann man bundesweit bei einer kleinen Partei wie die FDP unter 168 KanditatInnen auswählen, bei allen anderen deutlich weniger.

Wichtig ist der der vordere Rang auf der Liste. Barley-SPD wird also so oder so in das Parlament einziehen, Nummer 1 auf der Liste. Huber-CSU ebenso, und sicher Nachfolger von Juncker (ist gesetzt und ein Bayer gilt als noch trinkfester als ein Lugschemburger, für Ischias haben sie den Wohlfahrt).

Dann wird ausnahmsweise das Parlament zahlenmäßig verkleinert!!!
Wegen Brexit. Die Briten fallen aus, oder auch nicht, wählen jetzt, scheiden dann doch aus Ende Oktober. Oder vielleicht doch nicht. Das Letzte ist wichtig, der Brexit, weil am Ende dann das Parlament zahlenmäßig doch aufgestockt wird. Viele Länder erhalten aus „Paritätsgründen“ mehr Plätze, D wird dann auf letzten Platz hinsichtlich Plätze/Bewohner und damit Stimmenanteil endgültig fallen.

Jedenfalls ist außer der Mitteilung zum Austragungsort der „Kreuzigung“ dem Schreiben nichts zu entnehmen.

Das ist grundsätzlich „SO WAS VON ÄTZEND“, aber dass du auf diese üble Schiene so hereinfällst, auch.

Denkt doch mal nach, ihr Prediger.

awM

Servus,

eine der wichtigsten Währungen in der Politik ist der Bekanntheitsgrad. Nicht umsonst wird bei Umfragen immer gerne gefragt, wer diesen oder jenen Politiker überhaupt (er)kennt.
Früher musste man sich auf einen Parteiapparat stützen, um eine entsprechende Bekanntheit zu erklangen, die mit etwas Glück in ein politisches Amt umgewandelt werden kann. In der heutigen Zeit mit Twitter, FB und Co. ist das aber nicht mehr zwingend nötig und die Bedeutung einer Partei(zugehörigkeit) wird immer kleiner.
Selenskyjs’ Partei ist nicht mal im Parlament vertreten, VdBs Grüne sind nicht mehr vertreten und auch bei Macron kam die Partei erst nach seiner Wahl in die Nationalversammlung.

Mittlerweile ist es ja sogar so, dass einzelne Politiker etablierte Parteien nach eigenem Gutdünken umformen. Trump macht das mit der GOP und Kurz mit den Schwarzen Türkisen. Die Parteien ziehen mit, weil sie weitaus mehr von dem Einzelnen abhängen, als das umgekehrt der Fall ist. Die Hausmacht der Partei ist weitaus weniger wichtig geworden als die Marke.

Ein Quereinsteiger muss ja nicht grundsätzlich etwas Schlechtes sein und gerade bei Selenskyjs finde ich diese Fixiertheit auf ‚Komiker‘ ziemlich unpassend. Der Gute hat Jus studiert und war in der Privatwirtschaft erfolgreich und wie schon an anderer Stelle geschrieben wurde, sind gerade politische Comedians sehr versiert auf dem Gebiet. Ich würde einem Jon Stewart oder Stephen Colbert ohne weiteres ein politisches Amt in der Legislative zutrauen. Einem Mario Barth halt eher nicht :wink:

Ich bin aber schon der Meinung, dass das Fernsehen auch unser Verständnis von Politik (bzw. wie diese zu sein hat) und andere Bereiche unseres täglichen Lebens geprägt hat. Bekanntestes Beispiel ist der CSI Effekt, aber auch House of Cards hatte einen großen Einfluss und das nicht nur in den USA. Wer weiß, was aus Spacey noch hätte werden können :stuck_out_tongue:

Man darf ja auch nicht vergessen, dass wir in Österreich unseren eigenen Trump haben. Richard Lugner ist als Baulöwe reich und bekannt und durch Reality Formate noch etwas reicher und bekannter geworden. Sein Rekord bei Präsidentschaftswahlen sind knappe 10%, was jetzt auch nicht so schlecht ist. Womöglich wäre die Welt heute ein besserer Ort, wenn Mörtel damals in die Hofburg eingezogen wäre :smile:

Richtig.
Da ist eine deutliche Entwicklungslinie zu sehen.
Das in der Ukraine (und abgeschwächt in Slowenien) ist aber nochmal eine andere Dimension, denn …

… der Wahlerfolg Selenskyjs hat nicht einmal auf der Bekanntheit Selenskyjs beruht, sondern eigentlich auf der Bekanntheit des von ihm gespielten Wassilyj Petrowytsch Holoborodko.

Das ist auf Österreich übertragen ungefähr so, wie wenn der Mundl damals Kreisky als Bundeskanzler abgelöst hätte :wink:
Das wäre ja auch nicht der Bekanntheit vom Karl Merkatz geschuldet gewesen.

Robin Wright wäre noch ganz skandalfrei und die hat sich letztlich ja eh als die Geeignetere/Skrupellosere erwiesen … :wink:

Wobei der große Unterschied von House of Cards zur Ukraine der ist, dass die dortige TV-Politserie m.W. von vorn herein darauf angelegt war, Realität zu werden.

Die Hofburg wäre auf jeden Fall ein ‚weiblicherer‘ Ort geworden :laughing:

Mörtel ist eine Witzfigur, genauso wie der Strohsack, aber wenn ein Mateschitz mal ernsthaft gewollt hätte, dann Gute Nacht!
Für mein Empfinden ist das aktuelle Österreich dafür viel anfälliger als das aktuelle Deutschland.
Ob ich da recht habe, wäre mal ein interessantes Threadthema.

Gruß
F.

Ich bin mir nicht sicher, ob man hier wirklich so scharf zwischen Schauspieler und Figur trennen kann, aber dazu kenne ich Selenskyjs zu wenig bzw. gar nicht. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass der Name Selenskyjs vor der Wahl kein Begriff gewesen wäre. Gibt’s zu dem Thema eventuell sogar schon Wahlanalysen?

Meine Güte, du setzt dem Begriff „billig“ eine ganz neue Krone auf.

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Ich habe leider keinen vertieften Einblick, z.B. über ukrainische Medien, sondern kann mir nur Quellen wie die folgende anschauen:

Ein Bild aus der Serie - Selenskyj in seiner Rolle als Holoborodko, mit Aktentasche unter dem Arm - ist auf der Webseite des Kandidaten zu sehen. Dasselbe Foto verwendet sein Team auch auf Facebook. „Diener des Volkes“ steht auf Werbematerial des Showmans. Unklar bleibt, ob die TV-Serie oder die gleichnamige Partei gemeint ist, die 2017 gegründet wurde und Selenskyj als Spitzenkandidaten aufgestellt hat. Die Serie selbst - die erste Staffel lief im Herbst 2015 - wurde kurz vor den Wahlen im ukrainischen Privatsender „1+1“ wiederholt. Und die neueste, die bereits dritte Staffel, lief wenige Tage vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen an.

Allerdings:

In einer Umfrage vor den Wahlen fand das KIIS heraus, warum so viele Ukrainer für Selenskyj sind. 54 Prozent der Befragten sagten: „Weil er nicht zum etablierten System gehört und ein neues Gesicht in der Politik ist.“ Nur sechs Prozent gaben an, Selenskyj gefalle ihnen in der Rolle des Präsidenten, die er in der Serie spielt.

Solche Umfrage über Wahlentscheidungen finde ich generell ziemlich wertlos.

Komplexer analysiert … So gesehen ging es weder um Selenskyj noch um Holoborodko, weil beide gleichermaßen für etwas Drittes stehen.

Auch Andrij Bytschenko vom Kiewer Rasumkow-Forschungszentrum glaubt nicht, dass die TV-Serie „Diener des Volkes“ Selenskyjs Wahlergebnis entscheidend beeinflusst hat. „Es gibt zwischen der Serie und anderen Produktionen von Quartal-95 Synergieeffekte, die sich gegenseitig verstärken“, so Bytschenko. Seiner Meinung nach ist Selenskyj irgendwann zum „Inbegriff einer Opposition gegen das Establishment“ geworden. Quartal-95 sei in der Ukraine fast die einzige Quelle von Kritik an der Staatsmacht „aus Sicht des Volkes“. „Das hat Selenskyj letztlich geholfen“, so Bytschenko.

und

Diana Duzyk, Medienexpertin am Ukrainischen Institut für Medien und Kommunikation, meint auch, Selenskyjs Erfolg hänge nicht nur mit der TV-Serie „Diener des Volkes“ zusammen. „Über viele Jahre hat Quartal-95 eine ganze Generation von Ukrainern geprägt, die über Politik nur aus den Shows der Produktionsfirma erfuhren“, so Duzyk. Das seien meist unpolitische Menschen, die sich Unterhaltungsshows anschauen würden.

Der letzte Satz zeigt, dass meine Aussage oben von wegen „DSDSBK“ (Deutschland sucht den Superbundesanzler - Voten Sie mit!) keine billige Polemik war, sondern nur noch einen Schritt über Selenskyi/Holoborodko/Quartal 95 hinaus erfordert.

Abschließend nochmal das Thema meiner UP-Frage, weil ich über den Link gerade gestolpert bin:
Zwar ist Selenskyj nicht der erste Film- oder Fernsehstar, der in die Politik geht – man denke etwa an Ronald Reagan, Arnold Schwarzenegger oder Donald Trump –, „aber noch nie war es so schwer, den Menschen von der Maske, die Figur vom Kandidaten und den Wähler vom Fernsehzuseher zu trennen“, schreibt die britische Internet-Zeitung „The Independent“. Bei ihm sei „nie klar, wo die Figur Holoborodko endet und der Kandidat Selenskyj beginnt“.

Gruß
F…

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Etwas OT und doch nicht wirklich

Doch es fehlt der Pro-EU-Politszene nicht nur an Ideen. Die Lage ist schlimmer: Was fehlt, ist der Mut, um überhaupt eigene Ideen entwickeln und sich mit fremden Ideen auseinandersetzen zu wollen. Alles, was auch nur entfernt nach Veränderung und Kritik riecht, wird in die untersten und mit allerlei unappetitlichen Namen beschilderten Schubladen gesteckt, Hauptsache, möglichst weit unter der Gürtellinie der politischen Korrektheit. Was oberhalb übrigbleibt, ist genau der Einheitsbrei, der der Öffentlichkeit dann als Ausbund der Buntheit und Vielfalt unter die Nase gehalten wird.

Mit Verlaub: Wer ist hier eigentlich Komiker? Und wären professionelle Kabarettisten nicht vielleicht viel besser geeignet, um den farb- und geschmacklosen Brei mit neuer Würze und neuer Farbe zu etwas ganz anderem zu machen? Sind das Erneuern und Beleben der tiefgefrorenen politischen Landschaften nicht positive Signale für die politische Kultur in Europa? Und kann man solcherlei Belebung von Polit-Managern überhaupt erwarten, deren politische Biografie stets auf das Verhindern von offenen Debatten und das Verteidigen des Status quo ausgerichtet war?