Don Juan und Camus
Hi Malte,
ich möchte gerne wissen, ob der obige Begriff lediglich scharf
begrenzt auf übermäßiges sexuelles Verlangen benutzt wird oder
ob er weiter gefasst wird und wenn ja, wie.
Er wird zumindest in der Literatur nicht nur weitergefaßt, sondern er hat auch mit „übermäßigem sexuellem Verlangen“ recht wenig zu tun. Denn dieses zwingt nicht per se zum Partnerwechsel und auch nicht zur multiplen sexuellen Partnerschaft.
Bei dem Prototypen des Don Juan (nämlich dem burlador de Sevilla von Molinas) geht es nicht um Quantität von Sex, er ist nicht nur der geile Bock (→ Satyrismus), der keine Gelegenheit ausläßt. Dem Don Juan geht es um Erotik, Leidenschaft, Liebe. Sex ist für ihn eben keine banale Körperlichkeit [Zitat von dir aus einem anderen Thread].
Was ihn weitertreibt, ist jedoch eine Paradoxie der Leidenschaft, die Camus , der bisher noch nicht erwähnt wurde, auf interessante Weise interpretiert („Der absurde Mensch“ in „le Mythe de Sisyph“ 1943):
… weil er alle gleich stürmisch und jedesmal mit Einsatz seiner ganzen Person liebt, muß er diese Gabe und diese Vertiefung wiederholen. [Hervorhebung von mir]
„Endlich“, ruft eine, „habe ich dir die Liebe geschenkt!“ Ist es verwunderlich, wenn Don Juan darüber lacht: „Endlich? Nein, nur einmal mehr!“ Warum sollte man selten lieben, um stark zu lieben?
Es dreht sich also um eine grundlegendere Problematik zwischen Eins und Vieles der Leidenschaft und der Liebe, nicht um die Frage, auf wieviele Betten man Quantitäten von Sex verteilt.
„Wenn Don Juan eine Frau verläßt, so tut er das absolut nicht, weil er sie nicht mehr begehrt. Eine schöne Frau ist immer begehrenswert. Aber er begehrt eine andere, und das ist - wahrlich! - nicht dasselbe“
Das ist eine ganz andere Ebene als die ewigen Fragen um sexuelle Treue, wo einerseits Sexualität gerade der Anlaß des problematischen Handelns ist, andererseits Sexualität zur Banalität abgewertet wird, weil es in einer Liebesbeziehung ja um viel Höherwertiges gehe. Sowohl in Molinas Don Juan als auch bei Camus ja generell steht aber im Zentrum, das, was man tut, ganz zu tun: Leidenschaft, so gut und so lange wie möglich.
Camus: Alle diese Tode und alle diese Wiedergeburten sind für Don Juan die Ernte seines Lebens. Es ist leider hier für die Frage, ob man mal in ein fremdes Bett hopsen dürfe/solle/müsse, um dort „banale Körperlichkeit“ zu praktizieren, nicht viel gewonnen.
Gruß
Metapher