Don Juanismus

Hallo,

ich möchte gerne wissen, ob der obige Begriff lediglich scharf begrenzt auf übermäßiges sexuelles Verlangen benutzt wird oder ob er weiter gefasst wird und wenn ja, wie. Achja, und ob das überhaupt ein ernsthaft in wissenschaftlicher Weise benutzter Begriff ist. Googlen hat mich leider nur zu Kurzbeschreibungen in Sex-Lexika u.ä. gebracht. Was also macht den Typ des „Don Juan“ aus?

Gruß,

Malte.

Hallo Malte,

Was also macht den Typ des „Don Juan“ aus?

Don Juan ist eine literarische Figur aus dem 17. Jahrhundert (Tirso de Molina), und diese Figur ist insbesondere durch ihr Liebesleben gekennzeichnet.

http://de.wikipedia.org/wiki/Don_Juan

Später ist zwar die eine oder andere Umdeutung hinzugekommen (z. B. durch Max Frisch), aber der Typ als solcher ist konstant gekennzeichnet durch seinen Frauenverbrauch.

Ich empfehle dir, einmal das kurze Stück von Tirso de Molina zu lesen:
ISBN: 315008556X Buch anschauen - es lohnt sich.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Donjuanismus = Satyriasis = „Nymphomanie“ des Mannes

Es gibt bestimmt zig Leute, die sich darüber ausgelassen haben. Schlag nach z.B. bei Adler, Alfred - z.B. „Über den nervösen Charakter“ oder „Individualpsychologie“ - und Du findest eine.

Hier ist der Wikipedia-Artikel:

http://de.wikipedia.org/wiki/Satyriasis

mit den unvermeidlichen tiefenpsychologischen Spekulationen („Mutterproblematik“ - alles klar?).

ICD-10 schreibt dagegen knapp:

„Männer und Frauen (meist Teenager oder junge Erwachsene) klagen gelegentlich über ein gesteigertes sexuelles Verlangen als eigenständiges Problem. Handelt es sich um ein sekundär gesteigertes sexuelles Verlangen bei einer affektiven Störung (F30-F39) oder in frühen Stadien einer Demenz (F00 - F03), ist die zugrundeliegende Störung zu kodieren.“

Für mich ist das ´ne Ferner-liefen-Kategorie.

O. Walter

Ergänzung
Hallo Malte
Der Don-Juanismus als Syndrom ist übrigens ganz hübsch dargestellt in dem Fim „Don Juan de Marco“ (oder so ähnlicher Titel) mit Johnny Depp als Don-Juan-Type und Marlon Brando als alter, aber offener und lernfähiger Psychiater. Einer der wenigen US-amerikanischen Filme, die das Thema nicht allzu oberflächlich und trotzdem kurzweilig handhabten.
Gruß,
Branden

Don Juan und Camus
Hi Malte,

ich möchte gerne wissen, ob der obige Begriff lediglich scharf
begrenzt auf übermäßiges sexuelles Verlangen benutzt wird oder
ob er weiter gefasst wird und wenn ja, wie.

Er wird zumindest in der Literatur nicht nur weitergefaßt, sondern er hat auch mit „übermäßigem sexuellem Verlangen“ recht wenig zu tun. Denn dieses zwingt nicht per se zum Partnerwechsel und auch nicht zur multiplen sexuellen Partnerschaft.

Bei dem Prototypen des Don Juan (nämlich dem burlador de Sevilla von Molinas) geht es nicht um Quantität von Sex, er ist nicht nur der geile Bock (→ Satyrismus), der keine Gelegenheit ausläßt. Dem Don Juan geht es um Erotik, Leidenschaft, Liebe. Sex ist für ihn eben keine banale Körperlichkeit [Zitat von dir aus einem anderen Thread].

Was ihn weitertreibt, ist jedoch eine Paradoxie der Leidenschaft, die Camus , der bisher noch nicht erwähnt wurde, auf interessante Weise interpretiert („Der absurde Mensch“ in „le Mythe de Sisyph“ 1943):

weil er alle gleich stürmisch und jedesmal mit Einsatz seiner ganzen Person liebt, muß er diese Gabe und diese Vertiefung wiederholen. [Hervorhebung von mir]

„Endlich“, ruft eine, „habe ich dir die Liebe geschenkt!“ Ist es verwunderlich, wenn Don Juan darüber lacht: „Endlich? Nein, nur einmal mehr!“ Warum sollte man selten lieben, um stark zu lieben?

Es dreht sich also um eine grundlegendere Problematik zwischen Eins und Vieles der Leidenschaft und der Liebe, nicht um die Frage, auf wieviele Betten man Quantitäten von Sex verteilt.

Wenn Don Juan eine Frau verläßt, so tut er das absolut nicht, weil er sie nicht mehr begehrt. Eine schöne Frau ist immer begehrenswert. Aber er begehrt eine andere, und das ist - wahrlich! - nicht dasselbe

Das ist eine ganz andere Ebene als die ewigen Fragen um sexuelle Treue, wo einerseits Sexualität gerade der Anlaß des problematischen Handelns ist, andererseits Sexualität zur Banalität abgewertet wird, weil es in einer Liebesbeziehung ja um viel Höherwertiges gehe. Sowohl in Molinas Don Juan als auch bei Camus ja generell steht aber im Zentrum, das, was man tut, ganz zu tun: Leidenschaft, so gut und so lange wie möglich.

Camus: Alle diese Tode und alle diese Wiedergeburten sind für Don Juan die Ernte seines Lebens. Es ist leider hier für die Frage, ob man mal in ein fremdes Bett hopsen dürfe/solle/müsse, um dort „banale Körperlichkeit“ zu praktizieren, nicht viel gewonnen.

Gruß

Metapher

Hallo Metapher und Malte,

ich möchte gerne wissen, ob der obige Begriff lediglich scharf
begrenzt auf übermäßiges sexuelles Verlangen benutzt wird oder
ob er weiter gefasst wird und wenn ja, wie.

Er wird zumindest in der Literatur nicht nur weitergefaßt,
sondern er hat auch mit „übermäßigem sexuellem Verlangen“
recht wenig zu tun.

Die Eroberung und Verführung ist der Antrieb des Don Juan, den Weg zum Ziel erotisch zu gestallten macht die sinnlich-dämonischen Gestalt des Don Juan in der Literatur zum Mythos.

Don Juan faszinierte vor hunderten von Jahren Frauen, weil er einen gesellschaftlich verdrängten wichtigen Teil der Weiblichkeit anerkannte, ihre Sexualität.
Ein Don Juan fasziniert heute noch, ein Don Juan erobert sinnlich und leidenschaftlich, richten und abwerten ist nicht sein Ding.

Das Duettino (Scena IX, No. 7, Là ci darem la mano) lässt den Hörer ein erstes Mal Zeuge der Sogkraft dieses Edelmannes werden, des ›Sendboten der Lust‹ (Adorno) der in das Kleid des bäuerlichen 6/8-Taktes seine schmeichelnden Worte zu kleiden weiß. Unaufhaltsam schreitet die Melodie fort. Zerlina ist sofort gefangen genommen. Die Holzbläser, die Vordersatz und Nachsatz verbinden, ziehen Zerlina immer weiter in ihren Bann. Er wird Zeuge, wie die zunächst vorsichtig imitatorisch einsetzende Stimme der Zerlina sich vereinigt mit der Stimme Giovannis. Mit einem sehnsüchtigen ›Vieni‹ ist das Eis endgültig gebrochen. „Heilung der Schmerzen einer unschuldigen Liebe zu stillen“ ist das Begehren, welches Giovanni geweckt hat. Ihre Stimmen gewähren sie sich. Vereinigung findet statt - in der Musik. Bedarf es mehr?

http://www.uni-koeln.de/phil-fak/muwi/wamo/giovanni…

schwärm
Zorra

1 Like

Wen´s interessieren sollte, der kann Alfred Adlers Auffassung zum Don Juanismus hier kurz nachlesen:

„Bricht der männliche Protest in der Richtung des Sexualverkehrs durch, so findet der Neurotiker bloß die völlig entwertete Frau, die Dirne, aber auch das Kind und die Leiche seiner ‚Liebe‘ wert oder die starke Frau, die er herabzusetzen trachtet. Die Analyse deckt dann als echtes Motiv auf, daß er die eine leichter beherrschen zu können glaubt oder sich sogar die Beherrschung der anderen zutraut. So drängt auch der männliche Protest den Lebensfeigen zum Don Juanismus“ (Alfred Adler [1920/1992], Praxis und Theorie der Individualpsychologie. Frankfurt/M.: Fischer, S. 159).

Grüße,

O. Walter

3 Like