Durch Ostvertreib. Zurückdrängung v. dt.Dialekten?

Hallo und Guten Tag,

in den Kriegs und Nachkriegsjahren 1945-1950 flohen bekanntlich um die 10 Millionen Deutsche aus den Ostgebieten, meistens in die Bundesrepublik, manchmal auch in die DDR. Später kamen dann bis zum Mauerfall noch einmal mehr als eine Million DDR-Flüchtlinge dazu. Diese Flüchtlinge aus dem Osten bestanden bekanntlich aus den unterschiedlichsten Gruppen - Schlesier, Pommern, Sudetendeutsche, aber auch „Volksdeutsche“ aus dem Baltikum, Bessarabien usw. Diese unterschiedlichen Ostvertriebenen hatten doch, neben anderen regionalen Besonderheiten, wie Kochgerichte, Musik, Trachten usw., auch jeweils ihre eigenen regionalen deutschen Dialekte (Mundarten) - trotzdem mussten sie sich untereinander und auch mit den Alteingesessenen in ihrer jeweiligen neuen Heimat, von Schleswig-Holstein bis Oberbayern, verständigen. D.h., damit überhaupt eine Kommunikation möglich war, werden doch alle mehr oder weniger versucht haben, auf Hochdeutsch miteinander zu sprechen - sonst wird doch die z.B. Verständigung einer ostpreussischen Gutsmagd mit einem holsteinischen Bauern schwierig gewesen sein. Nun meine Frage: Kann es sein, dass durch die schiere Masse an „dialektfremden“ Zuwanderern in Westdeutschland das Mundarten zurückgedrängt und das Hochdeutsche als „Standardsprache“ weiter auch bei „einfachen“ Menschen, etwa in Bayern oder in Norddeutschland, gefestigt wurde? Oder „fügten“ sich spätestens die Kinder der Schlesier, Ostpreussen usw., auch wenn es noch so viele waren, in die Dialekte der jeweiligen Region in Deutschland, die ihre neue Heimat geworden war, „ein“?

Danke im Voraus für Antworten und Meinungsäußerungen,

Jasper.

Hallo!
Ja: Die ostdeutschen Dialekte wurden verdrängt bis zum heute zu beobachtenden Aussterben.
Als ich das Gymnasium besuchte, haben wir im Deutschuntericht in der 10. Klasse noch Hauptmanns „Weber“ mit einigermaßen Schlesisch sprechenden Mitschülern lesen können. Damit kann ich nun als Deutschlehrer nicht mehr rechnen.
Nein: Diese Entwicklung diente nach meinen (Kleinstadt-)Beobachtungen nicht dem Erwerb des Hochdeutschen, sondern die Kinder (besser: Enkel und Urenkel) der Vertriebenen sprechen den regionalen Dialekt.
Gruß!
Hannes

Hallo,

ich halte beide Entwicklungen gleichzeitig für wahrscheinlich, da ich beide beobachtet habe.

Ich kenne Kinder und Enkel von Flüchtlingen, die den jeweiligen Dialekt erlernt haben und sprechen und ich kenne Kinder und Enkel von Flüchtlingen, die Kunstdeutsch anwenden, um sich mit ihrer Umwelt zu verständigen.

Die Masse der Vertriebenen wurde ja in der britischen und amerikanischen Besatzungszone angesiedelt, während die sowjetische aus naheliegenden und die französische aus politischen Gründen fast keine Vertriebenen aufzunehmen hatte. In der ehemaligen DDR wie auch in Südwestdeutschland sind denn auch die Dialekte stärker bewahrt worden als im Westen und Norden.

Zu beobachtende Tendenzen, wonach selbst Großstädte wie München und Stuttgart inzwischen „verpreußt“ sind, sind aber hauptsächlich erst dem Nachkriegs-Binnenzuzug aus dem Norden geschuldet, seien es Stundenten oder Yuppies. Um 1950 sprach ein Münchner noch bairisch und ein Stuttgarter schwäbisch - und ein dort lebendes Flüchtlingskind auch.

Die damaligen Flüchtlinge führten sich nämlich nicht als mit Herrenmenschenallüren beladene Sprachkolononialherren ein, sondern taten alles, um nicht aufzufallen, sondern sich anzupassen und einzuleben. Und dazu gehörte nun mal das Erlernen der Sprache des Landes, in das man einwanderte. Dies sicherlich auch in dem steigenden Bewusstsein, nie mehr an den Herkunftsort zurückkehren zu können (oder müssen).

Dieses Bewusstsein können die heute als Sprachfremdkörper etwa in München oder Stuttgart wohnenden Binnenmigranten nicht mehr entwickeln.

Gruß
smalbop

Die Masse der Vertriebenen wurde ja in der britischen und
amerikanischen Besatzungszone angesiedelt, während die
sowjetische aus naheliegenden und die französische aus
politischen Gründen fast keine Vertriebenen aufzunehmen hatte.
In der ehemaligen DDR wie auch in Südwestdeutschland sind denn
auch die Dialekte stärker bewahrt worden als im Westen und
Norden.

Hallo Smalbop,
kannst Du diese Aussage mal statistisch belegen, denn das glaube ich Dir ehrlich gesagt nicht.
Grüße
Almut

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Meinst Du die Tatsache, dass die meisten Flüchtlinge in die Bizone gingen, oder dass dort weniger Dialekt gesprochen wird?

Andreas

Hallo,

zur regionalen Verteilung habe ich auch noch eine Frage. Mein Eindruck ist, dass sich die Sprachfamilien im Groben schon gefunden haben. Ostpreußen sprechen niederdeutsch, also Schleswig-Holstein/Niedersachsen. Sudetendeutsche und Teile Schlesiens sprechen bairisch (österreichisch) und gehen nach Bayern…

Dass Oberschlesier sich aus industriellen Gründen im „Pott“ wiederfinden, ist ja fast schon Tradition.

Stimmt mein Eindruck?

Gruß,
Andreas

Hallo,

Ostpreußen sprechen niederdeutsch,

Ich kenne viele aus Ostpreußen stammende Menschen, die in der Pfalz angesiedelt wurden (viel Wahl hatten die erstmal nicht). Die sprechen heute, je nachdem wie alt sie zur Zeit ihrer Umsiedlung waren, mehr oder weniger pälzisch.

Gruß
Elke

Hallo,

also ich bin in einer typischen „Flüchtlingssiedlung“ in Württemberg aufgewachsen.

Von daher habe ich schon als Kind gelernt, Schlesier, Ostpreussen, Siebenbürger, Sudetendeutsche oder Ungarndeutsche voneinander zu unterscheiden.

Die „Alten“ gebrauchten ihre Dialekte weiter gern und häufig. Manche versuchten sich an der Hochsprache (welch ein Frevel unter Schwaben), manche versuchten sich an schwäbisch (noch schlimmer).
Aber die allermeisten sprachen weiter ihre Dialekte.

Obgleich somit alle meine Kameraden wie auch ich in einem bestimmten Dialekt erzogen wurden, sprachen wir Kinder auf wundersame Weise alle schwäbisch.

Ich vermute da eine babylonische Sprachverwirrung. Kein Kind konnte alle diese Dialekte in der Siedlung erlernen und verstehen, also haben sich die Kinder, ohne sich untereinander absprechen zu müssen, auf schwäbisch als gemeinsame Standardsprache geeinigt.

Gruß
Lawrence

Hallo, Jasper,
wie andere bereits vor mir, kann ich ähnliches berichten.

Die Familie war aus Dresden in die Bamberger Umgegend verschlagen worden. In der Familie sprach man „gemäßigtes“ Sächsisch. Auf der Straße aber sprachen wir Kinder ausschließlich fränkischen Dialekt. Erst in der Schule wurde Hochdeutsch gelehrt.

Die „Alten“ haben sich nicht mehr umgewöhnt.

Gruß
Eckard

Hallo!

Oder „fügten“ sich spätestens die Kinder der Schlesier,
Ostpreussen usw., auch wenn es noch so viele waren, in die
Dialekte der jeweiligen Region in Deutschland, die ihre neue
Heimat geworden war, „ein“?

Mein Vater ist 1946 mit 9 jahren aus Sachsen nach Bayern gekommen. Er spricht weitgehend Bairisch, ganz selten schimmert da ein sächsischer Vokal durch und auch nur, wenn man es weiß. Er hat sich damals sehr schnell seinen neuen Schulkameraden angepasst.

Ich glaube eher, daß die Dialekte der Vertriebenen unter der Flucht gelitten haben - in der alten Heimat durften sie nicht mehr, in der neuen konnten sie nicht gesprochen werden.

Für den Rückgang der Dialekte in den Westgebieten nach 1945 dürften andere Gründe viel schwerwiegender sein - die moderne Mobilität, die Massenmedien und auch Fernkommunikation. Ein schlesische Familie, die sich ansiedelt (und bei der sich die Kinder vielleicht assimiliert haben) dürfte da weniger Einfluß gehabt haben als der norddeutsche Fernsehmoderator jeden Samstag.

Gruß,
Max

Hallo,

Für den Rückgang der Dialekte in den Westgebieten nach 1945
dürften andere Gründe viel schwerwiegender sein - die moderne
Mobilität, die Massenmedien und auch Fernkommunikation.

Dem kann ich nur zustimmen.
Bei uns lief eine strikte Dialektgrenze durch die Stadt: in der Altstadt (Bürger) UND in der Weststadt (Arbeiter) wurde in den 60er und 70er Jahren breiter Dialekt gesprochen. Einheimische konnten an der Sprache meist sogar das Viertel der Kleinstadt identifizieren, aus dem man stammte.
Im sogenannten Musikantenviertel, wo viele „neugeplackte“ (zugezogene) Familien wohnten, bei denen die Väter in höheren Positionen in Mannheim/Ludwigshafen oder Frankfurt arbeiteten, wurde Hochdeutsch oder sehr gemäßigter Dialekt gesprochen.
Gemeinsam machten wir uns über die „Ourewäller“ (sprich: Hinterwäldler) lustig, die einen noch breiteren Dialekt sprachen.

Heute hört unter der Jugend im Odenwald nur noch „gefärbtes“ Deutsch, richtig Dialekt spricht kaum noch jemand. Je näher an der großen Stadt, desto weniger, aber selbst in den entlegenen Orten wird täglich ferngesehen und der Dialekt so „ausgeschliffen“.

Gruß
Elke

1 Like

Hallo Andreas,
ich meine die Tatsache, dass bedeutend mehr Flüchtlinge in die Bizone gelangten. Deckt sich nicht so ganz mit meiner persönlichen Erfahrung.
Und verlässliche Zahlen hab ich bei (oberflächlicher) Suche noch nicht gefunden.
Grüße
Almut

Hallo Jasper,
also bei uns war das so:
Meine Eltern sind zu Kriegsende aus Schlesien in die Niederlausitz gekommen. Mein Brunder ist in Schlesien geboren, ich dann in der Niederlausitz. Mein Vater sprach schlesisch und mußte sich dann sprachlich umstellen, um „verstanden“ zu werden, das gleiche gilt für meinen Bruder. Ich bin mit dem Niederlausitz-Dialekt aufgewachsen, habe nie schlesisch gesprochen. Mein Bruder ist dann 19 jährig in’s Rheinland gezogen und hat auch den Dialekt der Rheinländer angenommen. Ich bin 28 jährig nach Sachsen gezogen und habe den Dialekt nicht angenommen (wollte auch nicht). Mein Sohn war bei unserem Umzug nach Sachsen 5 Jahre alt und spricht jetz sächsisch. Lustig war es in den ersten Jahren unseres Aufenthalts in Sachsen: war er in Sachsen, sprach er sächsisch, war er bei den Großeltern in der Niederlausitz, sprach er den dortigen Dialekt.
Ich hoffe, ich konnte mit meinen Erfahrungen behilflich sein.
LG Ch.

Grüß Gott!
Bei uns in Bayern, zumal im bairischen Teil, haben sich die Flüchtlinge und Heimatvertriebenen in der zweiten Generation meist ganz von selbst assimiliert. Ausnahmen sind Städteneugründungen wie Waldkraiburg oder Traunreut, wo aber auch schnell bairische Einflüsse erkennbar wurden. Die heutigen Schwierigkeiten des Bairischen kommen von späteren Entwicklungen.
Gruß
Hellsepp