Ehrenamt

Hallo liebe Mitwisser,
ich bin seit einigen Monaten als ehrenamtliche Helferin in einem Altenpflegeheim, habe jedoch keine medizinische Ausbildung. Zur Zeit besuche ich zwei Damen, von denen die eine erst seit Dezember 2008 in dem Altenheim lebt. Sie ist alleinstehend und lebte vorher selbständig und in einer eigenen Wohnung. Sie ist Diabetikerin, sieht schlecht und hat beide Beine amputiert bekommen. In den ersten Wochen, in denen ich sie besuchte, mit ihr redete und ihr vorlas, ging sie davon aus, dass ihr Aufenthalt im Heim nur vorübergehend war, obwohl der Pflegevertrag unterschrieben war. Ich denke, dass sie verwirrt war und ihre Situation verdrängte, dass sie nun im Heim leben soll. Dennoch konnte ich Gespräche mir ihr führen, ihr Angebote machen und sie für Dinge interessieren. Seit nunmehr einem Monat hat sie MRSA und darf, außer für Untersuchungen im Krankenhaus, ihr Zimmer nicht mehr verlassen. Bei meinen letzten Besuchen habe ich gemerkt, dass sie sich in sich zurückgezogen hat und es ist für mich sehr schwer ist zu ihr „durch zu kommen“. Sie macht momentan eine schwere Zeit durch und hat wohl viele negative Gedanken. Ein Gespräch führen geht fast gar nicht mehr. Auf Fragen reagiert sie nur noch mit „ja“ oder „nein“, sie wirkt resigniert und es scheint ihr alles egal zu sein. Durch die MRSA fehlen ihr sehr viele Reize von Außen, da sie auch nicht mehr am Heimleben teilhaben kann. Alle kommen nur noch vermummt in ihr Zimmer. In ihren Augen müssen somit alle Menschen gleich aussehen. Es bleibt mir nur, ihr weiterhin vorzulesen. Vor einigen Wochen freuten wir uns noch gemeinsam darauf, wenn ich sie im Frühling mit dem Rolli an die Frühlingsluft rollen kann. Mich macht die Situation sehr traurig und ich überlege hin und her wie ich ihr wieder den Lebensmut zurückgeben kann, trotz ihrer momentanen Situation.

Hat denn vielleicht jemand von euch eine Idee, was ich machen kann?

Es grüßt euch
Rapunzel

isolierte Alte - Motivation
Hallo, Rapunzel,
das hört sich nach einem schwierigen Fall an.

Was ich versuchen würde, wäre der alten Dame nicht nur vorzulesen, sondern ihr ganz allgemein das Gefühl zu geben, dabei zu sein. Frage sie um Rat in Dingen des Alltags, erzähle ihr von Deinem Leben oder meinetwegen vom gestrigen Fernsehprogramm. Und befrage sie nach ihrem Leben. Es ist selten, dass ältere Leute nicht gern von dem erzählen, was sie anno dunnemals erlebt haben. (Merke ich doch an mir selbst :smile: Aber wundere Dich nicht, wenn Du die gleiche Geschichte mehrfach hörst.

Und wenn sie nicht raus kann, freut sie sich vielleicht über ein Töpfchen mit Primeln oder anderen Frühlingsblumen.

Grüße
Eckard

Guten Tag,
ich habe mich noch einmal konket belesen, was genau MRSA ist und stell mal den Link dazu http://www.mrsa-net.org/DE/faq.html#1

Mein Eindruck ist, dass diese Frau sehr vieles zu verarbeiten hat, angefangen von der Beweglichkeit (Amputation), über den Verlust der Selbstbestimmung, Selbstständigkeit und Eigenverantwortung, bis hin zur Isolation.

Das alles nachzuvollziehen würde einen stabilen selbstbewussten gesunden Menschen schwächen, wie muss es da erst in ihr aussehen?!

Dass sie sich möglicherweise deshalb in sich zurückzieht, oder einfach „abhaut“, ist doch „normal“.

Ich würde beide Hände in meine Hände nehmen, Blickkontakt herstellen und ihr sagen:"Ich kann mir gut vorstellen, wie anstrengend, verunsichernd und bedrohlich all das Neue, was in der letzten Zeit in Ihrem Leben passiert ist, auf Sie wirken muss.

Möchten Sie mich dazu etwas fragen?
Kann ich etwas für Sie tun?
Brauchen Sie etwas?"

Ich würde Ihr erklären, dass die Maßnahme, steril, Mundschutz, Kittel etc. absehbar ist und wieder aufhört.

Und ich würde ihr das Gefühl geben, für mich wichtig zu sein, insofern ist der Tipp nachzufragen, wie war es vorher, wen gibt es vielleicht, der ihr noch etwas bedeutet, was möchte sie vielleicht gern vorgelesen haben und/oder ansehen…

Auch mit ihr zu schweigen, zu weinen, einfach zusammen zu sein, über den Tod zu sprechen, WENN sie das will, wäre hilfreich.
Der Film/CD „Hinter dem Horizont“, das Ende ist nur der Anfang, mit Robin Williams ist ein wunderbarer Anlass, darüber ggf. zu reden, wenn man mag.

Es würde mich interessieren zu erfahren, wie sich das weiter entwickelt.

Herzensgruß schickt
Johanna-Merete

Hallo, Rapunzel!

ich bin seit einigen Monaten als ehrenamtliche Helferin in
einem Altenpflegeheim, habe jedoch keine medizinische
Ausbildung.

Ehrenamtlich tätig zu sein und das in einem Umfeld, welches selbst ausgebildetem Fachpersonal oftmals mehr als alles abverlangt, verdient Respekt und Hochachtung. Doch Du solltest auch vorsichtig sein, vorsichtig im Umgang mit Dir selbst. Der Wunsch zu helfen lässt uns leicht die eigene Grenze der Belastbarkeit überschreiten und bei emotionaler Betroffenheit wird dieser Punkt oft noch schneller erreicht.

Für ehrenamtliche Helfer werden gerade deswegen von den Bürgerinstituten oder Freiwilligenagenturen Fortbildungs-Seminare angeboten und auch regelmäßige Treffen der freiwilligen Helfer zum Erfahrungsaustausch.

Leider kann ich Dir nicht sagen, wie Du die von Dir betreute Dame jetzt am besten unterstützen und auffangen kannst. Aber ich empfehle Dir, Dich mit anderen ehrenamtlichen Helfern und Trainern auszutauschen. Für Dich selbst und zum Wohl der von Dir Betreuten.

Beste Grüße

Elli

Hallo liebe Mitwisser,
ich danke euch für die Ratschläge und werde den Tipp von Eckard, sie bei Dies und Das um ihren Rat zu fragen zu Herzen nehmen. Der Filmtipp von Johanna-Merete ist auch gut, den Film hab ich sogar.
Am Freitag habe ich die Dame wieder besucht und sie war diesmal nicht im Bett, sondern saß im Rolli als ich ins Zimmer kam. Sie machte auf mich einen wachen Eindruck und ich freute mich sehr, sie so wohl zu sehen. Ich wollte von der schönen Frühlingsluft und den Geräuschen ein wenig mehr in ihr Zimmer lassen und das Fenster ganz auf machen, doch leider ging es nur zu kippen. Ich setzte mich an ihre Seite und nahm wieder ihre Hand und strich sie behutsam, zog sogar meinen Gummihandschuh aus, damit sie auch mal eine „ganz normale Hand“ spüren konnte. Ich fragte, wie es ihr geht und wie sie sich fühlt. Meist sagt sie „naja“ und dann nicht mehr viel. Den Fragen, die sie persönlich betrafen, wich sie weiterhin aus und so ließ ich es vorerst sein, damit sie sich nicht noch weiter in sich verzog. Nachdem sie sagte, dass sie schon immer krank war und nun auch nicht mehr gesund wird machte ich ihr Mut und sagte, dass das MRSA bald vorüber sein wird und wir dann gemeinsam aus dem Zimmer nach draußen gehen werden und ich hoffe, dass sie mir diesen Wunsch erfüllen möge.
Was sie sich wünscht wollte ich später von ihr wissen und sie zeigte auf ihre Oberschenkel und sagte: „Naja, dass das hier wieder wird.“ Ich schaute sie an, nahm all meinen Mut zusammen, in der Hoffnung sie mit meinen Fragen nicht zu verletzen, und wollte wissen, was sie genau meint und wie sie sich das vorstellt. Sie wolle gern wieder laufen und warum ihre Beine am Rollstuhl festgebunden sind und sie will gern aufstehen. Ich sprach ganz offen mit ihr, dass sie schon mehrfach aus dem Rolli gefallen war weil sie versucht hatte aufzustehen und dabei nach vorn heraus gefallen war. Sie schien es zu akzeptieren und zog nicht mehr so oft an den Gurten. Trotz meiner Aufmunterungen im Bezug auf die Zeit nach der MRSA und trotz dass ich versuchte ihr Hoffnung und Mut zu machen, wirkte sie auf mich resigniert und als ob alles was ich sage doch sowieso egal sei.
Ich versuchte sie abzulenken und auf andere Gedanken zu bringen. Erzählte ihr also wie ich den Frühling wahrnahm und was in den letzten Tagen in meinem Leben passiert war. Ich hängte einige großformatige Blumenbilder auf, die ich in Folie einlaminiert hatte, um ihr im Zimmer einige Farbtupfer zu geben. Meine Nachfragen, ob sie vielleicht aus ihrer Wohnung gern etwas bei sich haben möchte, was ihr viel bedeuten würde (Fotos oder kleine Gegenstände mit Erinnerungen) winkte sie ab. Das Zimmer gleicht also leider einem Krankenhauszimmer, statt einem BewohnerZimmer im Pflegeheim. Ihre einzige Bezugsperson ist ihre Schwester, die ich auch bereits im Dezember schon kennen lernte. Sie ist Ärztin und betreut sie auch. Leider findet sie es nicht so gut, dass ich ihre kranke Schwester besuche und ich habe mit ihr leider auch eher keine so gute Erfahrung gemacht, da sie dem Ehrenamt wohl nicht sonderlich positiv gegenübersteht („Warum machen Sie denn das? Haben Sie mit Ihrer Zeit denn nichts besseres zu tun?“ usw.) Ich werde mir wohl aber doch mal ein Herz fassen und nachfragen, was mit der ehem. Wohnung ihrer Schwester ist und warum bisher kein persönliches Möbelstück in ihrem Zimmer ist.
Nun habe ich schon wieder so viel geschrieben, doch um die Situation zu erklären reichen eben nicht drei Sätze. Das ganze beschäftigt mich doch schon sehr und Elli hat wohl auch ein wenig Recht, dass man schnell an seine Belastungsgrenzen kommt.
Doch glücklicherweise habe ich viel Energie und möchte nichts unversucht lassen.
Natürlich werde ich weiterhin versuchen was möglich ist, bin aber mit meinem Latein ein wenig am Ende.

Ich bleib aktiv. Bis bald also
Rapunzel