Was Adorno wirklich gesagt hat
Der Radiovortrag findet sich in Band 10 der Werkausgabe. Zur deutschen Sprache kommt Adorno am Schluß des Vortrags, den ich hier komplett zitiere:
Der Entschluß zur Rückkehr nach Deutschland war kaum einfach vom subjektiven Bedürfnis, vom Heimweh, motiviert, so wenig ich es verleugne. Auch ein Objektives machte sich geltend. Das ist die Sprache. Nicht nur, weil man in der neuerworbenen niemals, mit allen Nuancen und mit dem Rhythmus der Gedankenführung, das Gemeinte so genau treffen kann wie in der eigenen. Vielmehr hat die deutsche Sprache offenbar eine besondere Wahlverwandtschaft zur Philosophie, und zwar zu deren spekulativem Moment, das im Westen so leicht als gefährlich unklar – keineswegs ohne allen Grund – beargwöhnt wird. Geschichtlich ist die deutsche Sprache, in einem Prozeß,der erst einmal wirklich zu analysieren wäre, fähig dazu geworden, etwas an den Phänomenen auszudrücken, was in ihrem bloßen Sosein, ihrer Positivität und Gegebenheit nicht sich erschöpft. Man kann diese spezifische Eigenschaft der deutschen Sprache am drastischsten sich vergegenwärtigen an der fast prohibitiven Schwierigkeit, philosophische Texte obersten Anspruchs wie Hegels Phänomenologie des Geistes oder seine Wissenschaft der Logik in eine andere zu übersetzen. Das Deutsche ist nicht bloß Signifikation fixierter Bedeutungen, sondern hat von der Kraft zum Ausdruck mehr festgehalten jedenfalls, als an den westlichen Sprachen der gewahrt, welcher nicht in ihnen aufwuchs, dem sie nicht zweite Natur sind. Wer aber dessen versichert sich hält, daß der Philosophie, im Gegensatz zu den Einzelwissenschaften, die Darstellung wesentlich sei – jüngst hat Ulrich Sonnemann sehr prägnant formuliert, keinen großen Philosophen hätte es gegeben, der nicht auch ein großer Schriftsteller gewesen wäre –, der wird auf das Deutsche verwiesen. Zumindest der geborene Deutsche wird fühlen, daß er das essentielle Moment der Darstellung, oder des Ausdrucks, in der fremden Sprache nicht voll sich erwerben kann. Schreibt man in einer ernsthaft fremden Sprache, so gerät man, eingestanden oder nicht, unter den Bann, sich mitzuteilen, es so zu sagen, daß die anderen es auch verstehen. In der eigenen Sprache jedoch darf man, wenn man nur die Sache so genau und kompromißlos sagt wie möglich, auch darauf hoffen, durch solche unnachgiebige Anstrengung verständlich zu werden. Für die Mitmenschen steht im Bereich der eigenen Sprache diese selbst ein. Ob der Tatbestand fürs Deutsche spezifisch ist, oder viel allgemeiner das Verhältnis zwischen jeweils eigener und fremder Sprache betrifft, wage ich nicht zu entscheiden. Doch spricht die Unmöglichkeit, nicht nur hoch ausgreifende spekulativeGedanken, sondern sogar einzelne recht genaue Begriffe wie den des Geistes, des Moments, der Erfahrung, mit all dem, was in ihnen auf deutsch mitschwingt, ohne Gewaltsamkeit in eine andere Sprache zu transponieren, für eine spezifische, objektive Eigenschaft der deutschen Sprache. Fraglos hat sie dafür auch ihren Preis zu zahlen in der immerwährenden Versuchung, daß der Schriftsteller wähnt, der immanente Hang ihrer Worte, mehr zu sagen, als sie sagen, mache es leichter und entbinde davon, dies Mehr zu denken und womöglich kritisch einzuschränken, anstatt mit ihm zu plätschern. Der Zurückkehrende, der die Naivetät zum Eigenen verloren hat, muß die innigste Beziehung zur eigenen Sprache vereinen mit unermüdlicher Wachsamkeit gegen allen Schwindel, den sie befördert; gegen den Glauben, das, was ich den metaphysischen Überschuß der deutschen Sprache nennen möchte, garantiere bereits die Wahrheit der von ihr nahegelegten Metaphysik, oder von Metaphysik überhaupt. Vielleicht darf ich in diesem Zusammenhang gestehen, daß ich den ›Jargon der Ei-gentlichkeit‹ auch darum geschrieben habe. Weil ich der Sprache als einem Konstituens des Gedanken soviel Gewicht beilege wie in der deutschen Tradition Wilhelm von Humboldt, dränge ich sprachlich, auch im eigenen Denken, auf eine Disziplin, der die eingeschliffene Rede nur allzugern entläuft. Der metaphysische Sprachcharakter ist kein Privileg. Nicht ist von ihm die Idee einer Tiefe zu erborgen, die in dem Augenblick verdächtig wird, in dem sie sich ihrer selbst rühmt. Ähnlich etwa ward, was immer am Begriff deutsche Seele einmal daran war, tödlich beschädigt ,als ein ultrakonservativer Komponist sein romantisch-retrospektives Werk danach betitelte. Der Begriff derTiefe selbst ist nicht unreflektiert zu bejahen, nicht, wie die Philosophie es nennt, zu hypostasieren. Keiner, der deutsch schreibt und seine Gedanken von der deutschen Sprache durchtränkt weiß, dürfte die Kritik Nietzsches an jener Sphäre vergessen. In der Tradition war selbstgerechte deutsche Tiefe ominös einig mit dem Leiden und mit dessen Rechtfertigung. Darum hat man die Aufklärung als flach verketzert. Ist etwas noch tief, nämlich unzufrieden mit blind eingeschliffenen Vorstellungen, dann die Aufkündigung von jeglichem verdeckenden Einverständnis mit der Unabdingbarkeit des Leidens. Solidarität verwehrt seine Rechtfertigung. In der Treue zur Idee, daß, wie es ist, nicht das letzte sein solle – nicht in hoffnungslosen Versuchen, festzustellen, was das Deutsche nun einmal sei, ist der Sinn zu vermuten, den dieser Begriff noch behaupten mag: im Übergang zur Menschheit.
Freundliche Grüße,
Ralf