Ein hohes humanistisches potential der dt. Sprache?

Im swr Radio kam neulich dieses:

In einer 1965 vom Deutschlandfunk ausgestrahlten Sendereihe setzte sich der Philosoph Theodor W. Adorno mit der Frage auseinander: „Was ist deutsch?“

Sein Gedanke, dass in der deutschen Sprache mit ihrer metaphysischen Ausdruckskraft ein besonderes humanisierendes Potential wirksam sei, findet sich bereits in den ältesten Zuschreibungen an das Deutsche, wie sie einigen Autoren im ausgehenden 18. Jahrhundert aus der Feder geflossen sind.

Nun ja, das war wohl Adornos Meinung.

Ich stelle dieses Thema nicht ins philosophische Brett, weil ich gerne
von Kennern der Deutschen Sprache eine Antwort haette.

Meint Ihr auch, dass das Deutsche in dieser Beziehung
den anderen Sprachen ueberlegen sein koennte?

Gute Nacht!

Mike

…metaphysischen Ausdruckskraft ein besonderes humanisierendes Potential …

…soso, deutsche Sprache
…erinnert mich an Sprüche wie „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ oder auch das Gefasel von „Herrenrassen“, etc. Gerade Herr Adorno sollte eigentlich genau wissen, welch „humanisierendes Potenzial“ in der deutschen Sprache steckt, denn grundlos ist er nicht vor jenen, die sich ausschließlich dieser Sprache bedienten, um ihre „Überlegenheitsideologie“ zu verbreiten in die Staaten emigriert. Daß er natürlich „auf die deutsche Sprache angewiesen“ war (schließlich steht beinahe jedem Menschen seine „Muttersprache“ am nächsten, beherrscht er sie am besten), um seine Gedanken in eine passende Form zu bringen steht auf einem anderen Blatt, spielt dabei (bei seiner „Einschätzung“) aber sicher auch eine Rolle.
Mark Twain beispielsweise verbreitet in seiner „schrecklichen deutschen Sprache“ differierende Ansichten.
Meines Erachtens eignet sich die deutsche Sprache mehr zum Erteilen von Befehlen und Anweisungen denn zu „humanistischem Ausdruck“…

Gruß
nicolai

Beispiele?
Hallo Mike,

Sein Gedanke, dass in der deutschen Sprache mit ihrer
metaphysischen Ausdruckskraft ein besonderes humanisierendes
Potential wirksam sei

Hast du dafür ein paar Beispiele? Woran zeigt sich denn die besondere „metaphysische Ausdruckskraft“ der deutschen Sprache?

Oder hast du da eben selber keine rechte Vorstellung und möchtest deshalb hier auch fragen, was diese „metaphysische Ausdruckskraft“ sein könnte?

Gruß
M.

Hallo Mike

Sein Gedanke, dass in der deutschen Sprache mit ihrer
metaphysischen Ausdruckskraft ein besonderes humanisierendes
Potential wirksam sei

diesen Adorno untergeschobenen Gedanken hätte ich bitteschön gern mit einem Zitat - und zwar einem von Adorno selbst - belegt, bevor ich mir das allen Ernstes weismachen lasse.

Als Exilierter hatte Adorno eine große Sensibilität für die Ausdrucksnuancen verschiedener Sprachen, insbesondere des Deutschen. Richtig ist, dass er in Bezug auf das Deutsche (und speziell in Hinblick auf Heideggers Sprache) von einem „metaphysischen Überschuß“ sprach:

„Der Zurückkehrende, der die Naivität zum Eigenen verloren hat, muss die innigste Beziehung zur eigenen Sprache vereinen mit unermüdlicher Wachsamkeit gegen allen Schwindel, den sie befördert; gegen den Glauben, das, was ich den metaphysischen Überschuß der deutschen Sprache nennen möchte, garantiere bereits die Wahrheit der von ihr nahegelegten Metaphysik, oder von Metaphysik überhaupt. Vielleicht darf ich in diesem Zusammenhang gestehen, daß ich den ‚Jargon der Eigentlichkeit‘ darum geschrieben habe.“ (Negative Dialektik, 1966)

Empfehlenswert in diesem Zusammenhang wäre eine Lektüre des ‚Jargons der Eigentlichkeit‘, der Text ist nicht allzu lang: https://encrypted.google.com/url?sa=t&rct=j&q=jargon…

Nun ja, das war wohl Adornos Meinung.

das bezweifle ich sehr. Das mit dem „humanisierenden Potential“ mag dem schlichten Geist eines Rundfunkredakteurs entsprungen sein - mit Adorno hat das nicht allzuviel zu tun. Dazu noch ein Zitat aus der ‚Negativen Dialektik‘:

„Theoretisch zu widerrufen wäre die Integration des physischen Todes in die Kultur, doch nicht dem ontologisch reinen Wesen Tod zuliebe, sondern um dessentwillen, was der Gestank der Kadaver ausdrückt und worüber deren Transfiguration zum Leichnam betrügt. […] Daß das vergessen wird, ist der Triumph der Kultur und deren Mißlingen. […] Sie perhorresziert den Gestank, weil sie stinkt; weil ihr Palast, wie es an einer großartigen Stelle von Brecht heißt, gebaut ist aus Hundescheiße. Jahre später als jene Stelle geschrieben ward, hat Auschwitz das Mißlingen der Kultur unwiderleglich bewiesen. Daß es geschehen konnte, sagt mehr als nur, daß diese, der Geist, es nicht vermochte, die Menschen zu ergreifen und zu verändern. […] Alle Kultur nach Auschwitz, samt der dringlichen Kritik daran, ist Müll. Indem sie sich restaurierte nach dem, was in ihrer Landschaft ohne Widerstand sich zutrug, ist sie gänzlich zu der Ideologie geworden, die sie potentiell war, seitdem sie, in Opposition zur materiellen Existenz, dieser das Licht einzuhauchen sich anmaßte, das die Trennung des Geistes von körperlicher Arbeit ihr vorenthielt. Wer für die Erhaltung der radikal schuldigen und schäbigen Kultur plädiert, macht sich zum Helfershelfer, während, wer der Kultur sich verweigert, unmittelbar die Barbarei befördert, als welche die Kultur sich enthüllte. Nicht einmal Schweigen kommt aus dem Zirkel heraus; es rationalisiert einzig die eigene subjektive Unfähigkeit mit dem Stand der objektiven Wahrheit und entwürdigt dadurch diese abermals zur Lüge.“

Freundliche Grüße,
Ralf

Letzteres!

Vor allem im Vergleich zu anderen Sprachen…

Was Adorno wirklich gesagt hat
Der Radiovortrag findet sich in Band 10 der Werkausgabe. Zur deutschen Sprache kommt Adorno am Schluß des Vortrags, den ich hier komplett zitiere:


Der Entschluß zur Rückkehr nach Deutschland war kaum einfach vom subjektiven Bedürfnis, vom Heimweh, motiviert, so wenig ich es verleugne. Auch ein Objektives machte sich geltend. Das ist die Sprache. Nicht nur, weil man in der neuerworbenen niemals, mit allen Nuancen und mit dem Rhythmus der Gedankenführung, das Gemeinte so genau treffen kann wie in der eigenen. Vielmehr hat die deutsche Sprache offenbar eine besondere Wahlverwandtschaft zur Philosophie, und zwar zu deren spekulativem Moment, das im Westen so leicht als gefährlich unklar – keineswegs ohne allen Grund – beargwöhnt wird. Geschichtlich ist die deutsche Sprache, in einem Prozeß,der erst einmal wirklich zu analysieren wäre, fähig dazu geworden, etwas an den Phänomenen auszudrücken, was in ihrem bloßen Sosein, ihrer Positivität und Gegebenheit nicht sich erschöpft. Man kann diese spezifische Eigenschaft der deutschen Sprache am drastischsten sich vergegenwärtigen an der fast prohibitiven Schwierigkeit, philosophische Texte obersten Anspruchs wie Hegels Phänomenologie des Geistes oder seine Wissenschaft der Logik in eine andere zu übersetzen. Das Deutsche ist nicht bloß Signifikation fixierter Bedeutungen, sondern hat von der Kraft zum Ausdruck mehr festgehalten jedenfalls, als an den westlichen Sprachen der gewahrt, welcher nicht in ihnen aufwuchs, dem sie nicht zweite Natur sind. Wer aber dessen versichert sich hält, daß der Philosophie, im Gegensatz zu den Einzelwissenschaften, die Darstellung wesentlich sei – jüngst hat Ulrich Sonnemann sehr prägnant formuliert, keinen großen Philosophen hätte es gegeben, der nicht auch ein großer Schriftsteller gewesen wäre –, der wird auf das Deutsche verwiesen. Zumindest der geborene Deutsche wird fühlen, daß er das essentielle Moment der Darstellung, oder des Ausdrucks, in der fremden Sprache nicht voll sich erwerben kann. Schreibt man in einer ernsthaft fremden Sprache, so gerät man, eingestanden oder nicht, unter den Bann, sich mitzuteilen, es so zu sagen, daß die anderen es auch verstehen. In der eigenen Sprache jedoch darf man, wenn man nur die Sache so genau und kompromißlos sagt wie möglich, auch darauf hoffen, durch solche unnachgiebige Anstrengung verständlich zu werden. Für die Mitmenschen steht im Bereich der eigenen Sprache diese selbst ein. Ob der Tatbestand fürs Deutsche spezifisch ist, oder viel allgemeiner das Verhältnis zwischen jeweils eigener und fremder Sprache betrifft, wage ich nicht zu entscheiden. Doch spricht die Unmöglichkeit, nicht nur hoch ausgreifende spekulativeGedanken, sondern sogar einzelne recht genaue Begriffe wie den des Geistes, des Moments, der Erfahrung, mit all dem, was in ihnen auf deutsch mitschwingt, ohne Gewaltsamkeit in eine andere Sprache zu transponieren, für eine spezifische, objektive Eigenschaft der deutschen Sprache. Fraglos hat sie dafür auch ihren Preis zu zahlen in der immerwährenden Versuchung, daß der Schriftsteller wähnt, der immanente Hang ihrer Worte, mehr zu sagen, als sie sagen, mache es leichter und entbinde davon, dies Mehr zu denken und womöglich kritisch einzuschränken, anstatt mit ihm zu plätschern. Der Zurückkehrende, der die Naivetät zum Eigenen verloren hat, muß die innigste Beziehung zur eigenen Sprache vereinen mit unermüdlicher Wachsamkeit gegen allen Schwindel, den sie befördert; gegen den Glauben, das, was ich den metaphysischen Überschuß der deutschen Sprache nennen möchte, garantiere bereits die Wahrheit der von ihr nahegelegten Metaphysik, oder von Metaphysik überhaupt. Vielleicht darf ich in diesem Zusammenhang gestehen, daß ich den ›Jargon der Ei-gentlichkeit‹ auch darum geschrieben habe. Weil ich der Sprache als einem Konstituens des Gedanken soviel Gewicht beilege wie in der deutschen Tradition Wilhelm von Humboldt, dränge ich sprachlich, auch im eigenen Denken, auf eine Disziplin, der die eingeschliffene Rede nur allzugern entläuft. Der metaphysische Sprachcharakter ist kein Privileg. Nicht ist von ihm die Idee einer Tiefe zu erborgen, die in dem Augenblick verdächtig wird, in dem sie sich ihrer selbst rühmt. Ähnlich etwa ward, was immer am Begriff deutsche Seele einmal daran war, tödlich beschädigt ,als ein ultrakonservativer Komponist sein romantisch-retrospektives Werk danach betitelte. Der Begriff derTiefe selbst ist nicht unreflektiert zu bejahen, nicht, wie die Philosophie es nennt, zu hypostasieren. Keiner, der deutsch schreibt und seine Gedanken von der deutschen Sprache durchtränkt weiß, dürfte die Kritik Nietzsches an jener Sphäre vergessen. In der Tradition war selbstgerechte deutsche Tiefe ominös einig mit dem Leiden und mit dessen Rechtfertigung. Darum hat man die Aufklärung als flach verketzert. Ist etwas noch tief, nämlich unzufrieden mit blind eingeschliffenen Vorstellungen, dann die Aufkündigung von jeglichem verdeckenden Einverständnis mit der Unabdingbarkeit des Leidens. Solidarität verwehrt seine Rechtfertigung. In der Treue zur Idee, daß, wie es ist, nicht das letzte sein solle – nicht in hoffnungslosen Versuchen, festzustellen, was das Deutsche nun einmal sei, ist der Sinn zu vermuten, den dieser Begriff noch behaupten mag: im Übergang zur Menschheit.


Freundliche Grüße,
Ralf

Danke fuer Eure Aws.
Adorno kenne ich ganz gut, hab schliesslich in Frankfurt auch Philosophie studiert.
Ich war natuerlich auch verwundert bzgl. der angeblichen Aussage zum „humanistischen Potential“ der Deutschen Sprache.
Und ich denke auch, dass Adorno ja oft genug deutlich gemacht hat, was er von Deutschland seit Auschwitz haelt!
Wobei er da auch - unter dem noch frisch nachwirkenden Trauma - meiner Meinung nach zu pessimistisch und verurteilend war.

Aber wie eingangs geschrieben,
mir ging es in erster Linie hier um ein „moegliches Potential“ der Deutschen Sprache bzgl. der Humanitaet.

Mike

Also ich habe nochmal den Anfang der Swr Sendung hier als Text:

„In einer 1965 vom Deutschlandfunk ausgestrahlten Sendreihe setzte sich der Philosoph Theodor W. Adorno mit der Frage auseinander: „Was ist deutsch?― Als Essayist und Aphoristiker hätte Adorno dazu gleich bemerken können, dass vor allem das Grübeln über das Wesen oder die Eigenart des Deutschen ein deutscher Wesenszug sei…“

weiter:

"Neben den Kindheitsorten, an denen Heimatgefühle hingen, hatte Adorno im amerikanischen Exil vor allem die intellektuelle Kultur vermisst, die er in Deutschland unabhängiger und weniger unter ökonomischen Zwängen glaubte als in den USA.

Zu den stärksten Kräften aber, die ihn zur Rückkehr bewegten, zählte Adorno die deutsche Sprache, genauer: die deutsche philosophische Sprachheimat. Gerade aus der Distanz, jenseits des Atlantiks, hatte der Vordenker der Kritischen Theorie die Erfahrung gemacht, dass die deutsche Sprache dem philosophischen Gedanken mit Begriffsreichtum und Wortgastlichkeit entgegenkäme. Er glaubte zu wissen, dass das spekulative Denken, die Vorstellung, nach der die Geschichte eine menschengerechte Zukunft vorsehe, eben in dieser Sprache beheimatet sei.

**Adorno wagte sogar die These, dass die deutsche Sprache durch ihren metaphysischen Charakter eine besondere Treue zu dieser Idee der Humanität selbst zeige.

„In der Treue zur Idee, dass, wie es ist, nicht das letzte sein solle – nicht in hoffnungslosen Versuchen festzustellen, was das Deutsche nun einmal sei, ist der Sinn zu vermuten, den dieser Begriff noch behaupten mag: im Übergang zur Menschheit.―1

Dieser Gedanke, dass in der deutschen Sprache mit ihrer „metaphysischen Ausdrucks-kraft― ein besonderes humanisierendes Potential wirksam sei, den Adorno als eigenste Erfahrung aus dem Exil mitbrachte…"**

Das eigentlich aber etwas „Off Topic“, denn es ist eher fuer Philosophen interessant, dass Adorno so „positiv“ ueber den deutschen Geist/Kultur auch sinnierte…

Hab den DLF angeschrieben und nach der Quelle gefragt…

Hab den DLF angeschrieben und nach der Quelle gefragt…

Die Quelle habe ich oben angegeben und umfänglich daraus zitiert. Das von Dir angegebene Adorno-Zitat aus der Radiosendung ist der letzte Satz meines Zitats.

Ich habe bewusst so umfangreich zitiert - mittels des so gegebenen Kontextes der pointierten und - für sich alleine stehend - etwas kryptischen abschließenden Bemerkung dürfte problemlos überprüfbar sein, was an dieser These dran ist:

Adorno wagte sogar die These, dass die deutsche Sprache durch
ihren metaphysischen Charakter eine besondere Treue zu dieser
Idee der Humanität selbst zeige.

Kurz und deutlich: das ist bullshit.

Hatte es gelesen. Danke auch.

Bin dennoch gespannt, was der DLF zu dieser - seiner - Sendung schreibt.

Mike