Ein paar Statements zu “Urknall” und “Expansion des Universums”

Im Anschluß an die Fragen von @Jule in diesem → anderen Thread im Brett Astronomie
ein paar Statements zu „Urknall“ und „Expansion des Universums“, die vielleicht hilfreich sind, um ein paar weitverbreitete Missverständnisse aufzuhellen, die durch manche „schiefe“ Sprechweisen in populären Dastellungen zu diesen Themen entstehen und dadurch mehr unnötige Fragen aufwerfen als sie zu lösen bemüht
sind.

Ok @Jule hier also noch eine kleine Dosis Kosmologie:

Die Frage ist, wo anfangen mit der Antwort, ohne allzuweit auszuholen.Zunächst zum Ausdruck „klein(er)“. Er hat nur Bedeutung in Relation zu anderem im selben Raum. Es muß ein Maßstab vorliegen, dessen Maßzahl einen Vergleich zu anderen Maßzahlen ermöglicht. Physikalisch ausgedrückt: Es liegt in einen Raum „eingebettet“, der eine „Metrik“ (= ein elementares Kriterium für eine Distanzmessung) hat. Wenn du zu einer (2-dimasionalen) Kugelsphäre sagst, sie sei klein bzw. kleiner als eine andere, dann ist das nur möglich bzw. sinnvoll, weil sie in einem (außerhalb ihrer existierenden) Raum liegt (= sie ist „eingebettet“), in dem es außerdem einen Maßstab gibt. Das ist ja in unserem Anschauungsraum der Fall.

Wenn du aber ausschließlich die Kugelshäre „in sich“ (= „intrinsisch“) meinst, z.B. als 2-dimensionales Wesen, dessen ganze Welt aus dieser Sphäre besteht: Solche Begriffe wie „das Innere der Sphäre“ oder „der Abstand zu einer anderen Sphäre“ wären für dieses Wesen komplett unverständlich.

Nun weiter: Wenn wir diese Spähre betrachten, dann befinden wird uns ja bereits in einem Außenraum, m.a.W. in ihrer „Einbettung“. Wir können z.B. ihren „Radius“ bestimmen, und z.B. etwas über ihre „Krümung“ k aussagen (sie wird als k = 1/r bestimmt). Aber das Kugelsphärenwesen kennt sowas wie „Radius“ oder „MIttelpunkt“ nicht, denn auf der Kugeloberfläche gibt es keinen Mittelpunkt. Und weiter: Wir, im Einbettungsraum, wissen z.B., daß die Winkelsumme von Dreiecken 180° ist. Immer. Die Geometrie, in der das der Fall ist, nennt man „euklidisch“. Und weil ein Dreieck darin immer eine Fläche bestimmt, nennt man diese Geometrie „flach“. Wenn das Kugelwesen in seiner Welt aber ein Dreieck zeichnet (aus Linien „auf“ der Kugelsphäre), dann wird es immer eine Winkelsumme > 180° messen. Es hat in seiner Welt eine andere Geometrie, die als „sphärisch“ bzw, „elliptisch“ bezeichnet wird. Wir, die die Sphäre von „außen“ betrachten, also ihre Krümmung „sehen“, bezeichnen diese Krümmung als „positiv“. (Es gibt auch Flächen, in denen die Winkelsumme immer < 180° ist.
Deren Krümmung - die man von innen ja ebenfalls nicht sieht - heißt „negativ“).

So. Nun zur Kosmologie. Was eben gesagt wurde über die Krümmungseigenschaften von 2-dim. Flächen, kann man auch auf 3-dim. Räume übertragen. Aber dabei verlassen wir natürlich die Möglichkeiten der Anschauung. Aber mathematisch ist das keinerlei Problem. Dabei wird ein „euklidischer“ Raum (wie z.B. der unser Anschauung) als „flach“ bezeichnet (in Analogie zur 2-dim. Geometrie). Es war nun gerade die Leistung Einsteins, das Phänomen der Gravitation als „attraktive Kraft“, die zwischen Massen wirkt, zu beschreiben als Angelegenheit von Raumkrümmung: Wo sich in unserem 3-dim. euklidischen („flachen“) Anschauungsraum eine Masse befindet, ist deren Umgebung „gekrümmt“. Ein Probekärper in deren Umgebung bewegt sich nicht mehr in einem Raum mit euklidischer Geometrie, sondern in einer sphärischen Geometrie. Seine Bahn erscheint uns dann gekrümmt, und wir sagen, er werde „von einer Kraft angezogen“, aber er selbst bewegt sich auf einer Linie, die er selbst als „geradeaus“ wahrnimmt (so, wie auf der Kugeloberfläche eine „gerade“ Linie ein Großkreis ist. Der Äquator z.B. ist ein Großkreis). Solche „Geraden“ in gekürmmten Geometrien heißen „Geodätische“, um sie von „Geraden“ im euklidischen Raum zu unterscheiden. Übrigens auch Licht, das ja masselos ist und daher von einer klassichen Gravitatioskraft gar nichts merken könnte, wird in der Umgebung eines massiven Körpers „abgelenkt“: Es folgt einer Geodätischen, d.h es bewegt sich im gekürmmten Raum „geradeaus“… Das war 1919 der erste Beweis für die Richtigkeit der Theorie Einsteins.

Im Einstenschen Universum gibt es also keine „Kräfte“ mehr, die zwischen massiven Körpern wirken, sondern nur Raumbereiche mit größeren oder kleineren „nicht-euklidischen“ Geometrien. Der quantitative Zusammenhang zwischen Masse und Raumkrümmung ist gerade der Inhalt der Einsteinschen → Feldgleichungen

Nächstes Kapitel: Hubbel hatte, als man Mitte der 1920er entdeckte, daß das Universum mit fernen Galaxien gefüllt ist, bei deren Beobachbachtung bemerkt, daß sie sich alle von uns fortbewegen. Und zwar in einem linearen („direkten“) Zusammenhang zwischen ihrer Distanz und ihrer Entfernungsgeschwindigkeit. Aus diesem Zusammenhang war zu schließen, 1. daß dieses Phänomen nicht auf einer Art „Explosion“ (also von irgendeinem Zentrum aus) beruht, und außerdem, 2. daß dieser Zusammenhang von jedem beliebigen Ort im Universum aus in gleicher Weise besteht.

Das konnte nur dann sein, wenn nicht irgendeine „Kraft“ die Galaxien auseinandertreibt, sondern wenn der Raum selbst, in dem sich die Körper befinden, expandiert. Diese Expansion nimmt die Körper einfach mit. Man muß daher korrekter sagen: Nicht die Galaxien bewegen sich auseinander, sondern ihre Distanz von einander wird immer größer.

Nun konnte man leicht diese Expansionsgeschwindigkeit (die übrigens ebenfalls mit den Einsteinschen Gleichungen beschrieben ist, laut deren das Unversum in toto eine positive Krümmung hätte) „rückwärts“ extrapolieren und bekam ein Resultat, wann diese Expansion ihren Anfang gehabt haben müßte. Der Zeit"punkt" also, zu dem alle Materie des Universum sich am selben Raum"punkt" befunden haben mußte. Das waren eben ungefähr diese ca 14 Milliarden Jahre, die auch heute noch als das „Alter des Universums“ bezeichnet werden. In diesem Modell ist das gesamte Universum zwar unbegrenzt, aber endlich, Genau wie im 2-dim. Modell eine (positiv gekrümmte) Kugeloberfläche unbegrenzt, aber nicht unendlich ist)

Ok, die Fragen folgten dann auf dem Fuß: Wie können wir diese seltsamen Zustände der Materie beschreiben, in denen diese sich befunden haben muß, wenn sie (im Film rückwärts betrachtet), sich in so unheueren Maß verdichtet (man hatte ja noch nicht die vollentwickelte Elementarteilchenphysik und Quantenmechanik der späteren Jahrzehnte und wie heute). Klar war jedenfalls, daß diese Expansion nicht „in einen schon vorhandenen leeren Raum hinein“ geschieht, weil es ja eben der Raum selbst ist, der expandiert. Das Universum ist nicht als Ganzes wiederum „eingebettet“ in einen Umgebungsraum. Da „Raumexpansion“ gerade bedeutet, mit der Einsteinschen Theorie, daß die durch die Masse der Materie des Universums bestimmte Krümmung des Universums immer „flacher“ wird (und das heutige Universum ist tasächlich sehr „flach“, wie man durch Triangulation zwischen weitentfernten Objekten nachmessen konnte), nahm man (übrigens bis vor ein paar Jahren) an, daß retrospektiv die Krümmung immer stärker wird. Das bedeutet zugleich, daß das raumzeitliche (also 3+1-dimensionale) „Volumen“ immer kleiner wird, außer natürlich, daß die Massendichte über alle Schranken wächst. Mit „Volumen“ ist dabei gemeint: Die jeweils größtmögliche „intrinsische“ Zeitspanne und die größtmöglche „intrinsische“ Distanz im gesamten Universum. Es gibt dazu eben keinen „Außenraum“, in dem dieses sich retrospektiv verdichtende Universum „eingebettet“ ist. Das Universum war nie ein „Objekt“, das sich in einem Einbettungsraum befindet (so, wie wir etwa eine Seifenblase betrachten, die über dem Wohnzimmerteppich schwebt) und es ist auch nie ein „Ereignis“ gewesen, das sich in der Vergangenheit einer vorhandenen historischen Zeitskala (also in einer Einbettungszeit) abspielte (so wie etwa in der vergangenen „Epoche“ der Völkerwanderung das römische Reich aufgefressen wurde). Es ist immer das ganze Universum, inclusive „wir“, das zu beschreiben ist. Und, jedenfalls, ist in diesem kosmologischen Modell das Gesamteuniversum 3+1-dimensional endlich, aber unbegrenzt.

Eine „Kleinigkeit“ von allerdings herausragender Bedeutung kam in der Geschichte der physikalsichen Kosmogonie sehr bald noch hinzu: Auf Max Planck gingen die Überlegungen zurück, daß es prinzipielle Grenzen der Zustandsbeschreibung von Materie gibt, jenseits derer die Mittel von Relativitätstheorie und Quantenmechanik (und damit der gesamten heutigen Physik) versagen. Warum das so ist, kann hier nicht angedeutet werden. Diese Grenzen sind jedenfalls quantitativ genau bestimmt. Es handelt sich - neben anderen Größen - um das räumliche Maß („Planck-Länge“) von LPlanck = 10-33 cm und das zeitliche Maß („Planck-Zeit“) von TPlanck = 10-43 s.. Jenseits dieses Raumzeit-„Volumens“ versagt die heutige Physik.

Das bedeutet insbesondere, daß in dem anfänglichen kosmologischen Modell, in dem man aus der Expansiongeschwindigkeit auf einen Ursprungs-Nullpunkt zurückrechnete, eine prinzipielle Grenze gesetzt ist. Abgesehen davon, daß ein solcher Nullpunkt (physikalisch als „Singulariät“ bezeichnet) eh physikalisch „draußen vor“ ist. Damit, was man populär als „Urknall“ bezeichnt als Anfang der kosmischen Expansion, ist daher sowieso niemals ein solcher Nullpunkt der Raumzeit.gemeint. Vielmehr ist als der Ausgangspunkt der physikalsichen Kosmogonie immer dieses Raumzeitvolumen mit 10-33 cm und 10-43 s gemeint (die sog. „Planck-Era“).

Was heißt in dem Zusammenhang „flach“? Und woher weiß man das (oder meint, es zu wissen)?

In neuerer Zeit ist durch die Messungen der → Hintergrundstrahlung von → COBE und WMAP deutlich geworden, das die Over All Geometrie des Universums (zumindest die des beobachtbaren) nicht - wie oben angedeutet - doch nicht sphärisch, also nicht nichteuklidisch ist, sondern tatsächlich euklidisch (in diesem Sinne „flach“). Und zwar nicht erst heute, sondern es war auch bereits 300000 Jahre nach dem Anfangs"nullpunkt" bereits euklidisch. Und ebenfalls damit auch davor. Das bedeutet, daß das Universum nicht endlich, sondern unendlich ist (ebenso wie eine 2-dimensionale euklidische Fläche unendlich ist) Es hat keine Gesamtkrümmung.

Die Bedeutung der „Planck-Era“ ist damit nicht mehr die eines primordialen 4-dim. „Volumens“, sondern vielmehr einer Maßstab-Skala jenseits deren keine physikalischen Aussagen mehr gemacht werden können.

Nicht erwähnt seien hier zahlreiche Bemühungen der theoretischen Physik der letzten Jahrzehnte, diese prinzipielle Planck-Grenze zu überwinden, und - sozusagen - noch näher an den Ursprung des Universums heranzukommen. Damit ist immer verbunden, über das, was unter „Raum“ und „Zeit“ und „Materie“ überhaupt zu verstehen sei, zu reflektieren („Schleifenquantengravitation“, „Superstringtheorien“ usw. usw.)

Gruß
Metapher

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Wow. DANKE! Ich werd das noch mal in Ruhe lesen und versuchen es zu durchdenken, soweit mein in sich gekrümmtes und alles andere als unendliches Hirn das hergibt. Incurvatus in se ipsum, um mal wild die Disziplinen zu mischen: Es kann so schwer über sich hinausdenken!

Grüße, dankbar und angeregt,

Jule

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