Ein weiser Spruch, ein weiser Mann?

Hallo!

Ich stelle in den letzten Jahren vermehrt eine Entwicklung fest, in der meine Mitmenschen dazu
neigen, sich in ihrer Unterhaltung mit weisen Sprüchen und Zitaten von großen Dichtern und Denkern
zu schmücken. Es scheint mir als bestehe in dem Menschen von heute eine innerer Drang
seinen Gegenüber mit Fremdwörtern, Sprüchen und weisen Worten beeindrucken zu wollen.
Findet heute der Konkurrenzkampf zwischen uns auf der Ebene von:
„ich weiß was, was du nicht weißt“ statt?
Ich meine dabei nicht das Weitergeben von Wissen wenn es dem anderen dienlich ist oder man danach fragt.
Viel mehr meine ich dieses sinnlose einwerfen von „Wissen“, das einem aufgezwungen wird, was
überflüssig oder fehl am Platze ist.
In vielen Gesprächen empfinde ich dieses Imponiergehabe langsam nervig, da es sehr offensichtlich
ist, wie sehr sie in ihren eigenen Worten dahinschwimmen und kaum noch am Boden festzuhalten
sind. Viele scheinen „weise“ erscheinen zu wollen; und kaum fragt man tiefer nach, fällt ihnen nichts
gescheites mehr ein.

Ich denke „ein weiser Spruch, macht aus einem noch lange keinen weisen Menschen“ oder?
Bilde ich mir diese Entwicklung nur ein, oder gibt es noch andere, die ebenso empfinden?

Ich freue mich über Eure Einschätzungen oder Erfahrungen.

Viele Grüße, Markus
http://www.germany.net/teilnehmer/101,9987/petersbur…

Ein weiser Spruch, ein weiser Mann?
„Es ist eine gute Sache für ungebildete Leute, Zitatensammlungen zu lesen.“
WINSTON CHURCHILL

(…womit ich natürlich auch wieder nur was zitiert habe)

Hallo!

Die von Dir angesprochene Tendenz gibt es m.E. schon seit langer Zeit und ist keine neuerliche Entwicklung. Und immer schon dürften die Motivationen, aus denen heraus Zitate und Redewendungen in Gespräche eingeflochten werden, verschiedener Art gewesen sein:

  • der von Dir angesprochene „Ich weiß was, was Du nicht weißt“-Selbstdarstellungseffekt
  • Authentisierung von etwas, was man selbst gerade behauptet hat
  • Selbstüberzeugung, d.h. indem ich mir ein Zitatenmantra wähle, bestärke ich mich an Punkten, an denen ich mich selbst unsicher fühle
  • Informationsvermittlung (gibt’s!)
  • rhetorisches Füllsel / Glättung
  • rhetorischer Spieltrieb / Illustration
    usw.

Der Umgang mit Zitaten ist eine von vielen Möglichkeiten, das Mindestmaß an Bildung an den Tag zu legen, das heutzutage auch in der Wirtschaft erwartet wird - und das nimmt in der Tat in dem Maße zu, wo Leistung auch zugleich Imageleistung sein muß. Zitate sind eine Formvariante rhetorischen Lay-outs, wenn man so will - auch ein spezielles Design kann ja mehr oder weniger gelingen, kann verstärkend oder aufgesetzt wirken.
Bildung ist eben mehr und mehr ein Imagegut.

Als problematisch sehen muß man den Umstand, daß vieles verfälscht wird - entweder im Wortlaut (womit es im Grunde keine Zitate mehr sind) oder im Kontext (letzteres betreffend haben alle christlichen Gruppierungen eine meist traurige mehrtausendjährige Tradition). Was zu kritisieren ist, ist nicht der Umgang mit Zitaten schlechthin, sondern die inexakte (und damit positive Wirkungen korrumpierende) schlampige Art und Weise, in der mit solchen Quellen umgegangen wird. Insofern hat der Okzident dieses Problem aber in Bezug auf seine gesamte Geschichte, nicht nur in Bezug auf Zitate - die Informationsgesellschaft ist zur Darstellungsverkaufsgesellschaft degeneriert, weil längst alles vom Einzelnen überschaubare Maß überwuchert worden ist.

Gruß,
hendrik

Hi Hendrik
sehe ich genauso, allerdings bieten Zitate manchmal prägnante Formulierungen, die einem selber nicht unbedingt eingefallen wären, zb „Gegen Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens“.
Wenn man sie nicht benutzt, um anzugeben oder andere als Nichtwisser blosszustellen, können sie durchaus einer Diskussion den Kick geben und zum Neuüberdenken des eigenen Standpunkts führen.
CU
Rainer

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Abkürzungen
Hi!

Du hast natürlich recht: zielsicher verwendet sind Zitate natürlich - ähnlich Sprichwörtern oder entsprechenden Metaphern - auch Abkürzungen bei der Vermittlung einer wie immer gearteten Information. Dummerweise gehen sehr viele Leute in recht aufgesetzter Weise mit solchen Dingen um - z.B. entbehren Zitateinflechtungen in offiziellen Ansprachen (Politik, Wirtschaft) fast immer jeglicher Eleganz und Originalität. Ich möchte sie selbst auch nicht missen und suche immer wieder nach schönen neuen „Stellen“ in meinen Lektüren - nicht um damit anzugeben (hätte ich nix von, ich gelte eh’ schon als Bücherwurm), sondern weil eine schöne Metapher oder ein sonstwie schönes Zitat für einen Sprachbegeisterten einen Wert an sich haben, den ich mit Ähnlichgesinnten gerne teile.

In Bezug auf mein eigenes Schreiben von Gedichten z.B. finde ich bis heute dieses Zitat sehr hübsch: „Wenn der Versuch, etwas auszudrücken, besonders schön mißlingt, dann entsteht ein Gedicht.“ (R. Maletzke)

Das fasst in sehr eleganter und witziger Weise zusammen, was man sonst in einen mehrseitigen Vortrag packen müßte - und es stimmt dennoch und deswegen erst recht.

Daß mit ihnen oft so ein Schindluder getrieben wird, dafür können ja Zitate nix, ebensowenig wie Sprichwörter, Metaphern oder Kommaregeln.

Gruß,
hendrik
(***der, so verstanden, auch immer auf Stellensuche ist***)