Hallo Bettina,
am Anfang stand bei mir im Alter von 15 Jahren die Lektüre von Nietzsche, die mich aus psychologischen Gründen faszinierte, obwohl ich nicht wirklich verstand, was er schrieb. Das führte mich dann aber dazu, in der Schule einen Grundkurs Philosophie zu belegen, in dem ich mit Kierkegaard und Heidegger konfrontiert wurde, was in mir den Wunsch nach einem gründlichen Studium der dort angesprochenen Existenzfragen auslöste (das Thema des ersten Halbjahres war „Angst“).
Privat las ich „Sein und Zeit“ komplett, was in mir mannigfaltige Fragestellungen auslöste, aber nur wenig befriedigende Antworten.
Im zweiten Halbjahr beschäftigten wir uns dann mit dem Thema „Freiheit“, und diese Beschäftigung löste in mir Zweifel aus, ob denn das Gesagte immer so seine Berechtigung hatte - und noch heute bin ich davon überzeugt, dass das Thema zu den schwierigsten der Philosophie gehört. Am Ende des Kurses stand Kant, den wir aus zeitlichen Gründen nur streifen konnten. Danach gab es den Kurs nicht mehr, was zu einer philosophischen Pause und einer privaten Beschäftigung mit der Psychoanalyse Freuds und der Psychologie C. G. Jungs führte, mir aber keine wirkliche Klarheit gab.
Nach dem Abitur wollte ich einen Schnitt machen, und wagte mich daher an das Studium der Philosophie mit einem Elan, der mir noch heute seltsam erscheint, aber auch zu den ersten klaren Ergebnissen führte. Ich studierte gleich im ersten Semester Hume und Kant, was mich dann im zweiten Semester zur kompletten Lektüre der Kritik der reinen Vernunft incl. massenhafter Sekundärliteratur führte.
Kant hat mir dann erstmals den Grund für meine philosophische Suche vor Augen geführt: die Entdeckung fremder und eigener Vorurteile. Und das ist noch heute mein Impetus, was mich dazu führt, allzu einfache Konzepte als solche zu bezeichnen. Die Beseitigung einiger dieser Vorurteile hat meiner Ansicht nach auch praktische Folgen. Diese Einsicht versuche ich seitdem zu vermitteln, indem ich sie auf konkrete Fälle anwende, was vielfach gelingt. Die Menschen, die sich an mich mit der Bitte um Hilfe wenden, leiden in der Mehrzahl an ihren Vorurteilen, weil sie sich derer nicht bewusst sind.
Es ist mir wichtig zu betonen, dass diese praktische Absicht meiner Meinung nach zwar wichtig ist, aber nicht ohne Theorie machbar ist. Daher betone ich gern, dass aus meiner Sicht das Denken - und nicht das Handeln - entscheidend ist.
Und wie stellt(e) sich die Frage nach der Philosophie bei dir?
Herzliche Grüße
Thomas Miller