Gründung des Kaiserreiches
Mit dem Scheitern der Revolution begann eine Phase der Reaktion: Die Frankfurter Reichsverfassung wurde aufgehoben, die revolutionären demokratischen und liberalen Gruppen verfolgt, der Deutsche Bund erneuert. Das Ziel der Nationalbewegung, ein geeintes Deutschland zu erreichen, rückte so in weite Ferne. In diesem Bund hatte immer noch Österreich den Vorsitz, wie es 1815 beim Wiener Kongress vereinbart worden war. Damit wollte sich der preußische König Friedrich Wilhelm IV. nicht zufrieden geben. Er erhoffte sich, einen kleindeutschen Bundesstaat unter preußischer Führung aufbauen zu können.
Da Preußen seinen Anspruch nicht durchsetzen konnte, kam es fortan im Deutschen Bund zu einem anhaltenden Kampf der beiden großen deutschen Monarchien, dem „preußisch-österreichischen Dualismus“. Die auch industriell aufstrebende Macht Preußen wollte nicht dauerhaft dem Kaiserstaat untergeordnet sein. Mit Otto von Bismarck wurde 1862 ein Mann preußischer Ministerpräsident, der diesen Zustand beenden wollte – notfalls auch militärisch.
Im Kampf gegen Dänemark 1864 hatten Preußen und Österreich noch zusammen um die Herzogtümer Schleswig und Holstein gekämpft. 1866 entfachte sich gerade an der Frage um diese „Kriegsbeute“ der lange schwelende Konflikt. Bismarck wollte Schleswig und Holstein annektieren und damit die Vormachtstellung Preußens auch in Norddeutschland ausbauen. Österreich hingegen wollte Schleswig-Holstein als neuen Staat unter einem Fürsten in den Deutschen Bund aufnehmen - eine Lösung, der auch die kleineren Staaten im deutschen Bund zustimmten. Preußen lehnte ab und gewann den darauf folgenden Deutschen Krieg in nur wenigen Wochen. Spätestens mit dem preußischen Sieg im Deutschen Krieg wurde klar: Preußen wollte im europäischen Konzert der Mächte in der ersten Reihe mitspielen – und war dafür auch bereit, eine neue Tonart anzuschlagen. Dem gewonnenen Krieg folgte die Neuordnung auf deutschem Boden. Das hieß zunächst: Auflösung des Deutschen Bundes, Ausschluss Österreichs aus Deutschland, die Erlaubnis, dass die süddeutschen Staaten sich in einem eigenen Bund zusammenschließen und: die Gründung eines Norddeutschen Bundes unter preußischer Führung 1866. Dieser Bund, dem der König von Preußen vorstand, war nur eine Vorstufe zur Einigung Deutschlands. Am 1. Juli 1867 trat die Verfassung für den Norddeutschen Bund in Kraft. Sie enthielt föderalistische und liberale Elemente, also einen Bundesrat und Reichstag sowie freie, allgemeine Wahlen. Damit wollte Bismarck die süddeutschen Fürsten in den Bund locken und generell Werbung für seinen Kurs einer verordneten Einigung machen. Vollzogen wurde die Einigung jedoch erst nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71. Das Verhältnis zwischen Frankreich und Preußen war schon seit längerem angespannt gewesen. Nach dem Streit um die spanische Thronfolge forderte der französische König vom preußischen König eine generelle Zusage, für immer auf den Anspruch auf die spanische Krone zu verzichten. Die Inthronisierung eines Hohenzollern (deutscher Fürst)in Spanien wurde in Frankreich als weiterer Machtzuwachs Preußens und als Gefahr angesehen. Der französische Botschafter Vincent Graf von Benedetti verlangte von Wilhelm I. im Auftrag seiner Regierung eine Garantie, dass der preußische König seine Zustimmung verweigere, sollten die Hohenzollern erneut eine Kandidatur anstreben. Wilhelm I. lehnte das französische Verlangen als unzumutbar ab und telegrafierte den Inhalt der Unterredung an Otto von Bismarck. Dieser veröffentliche noch am selben Tag die von ihm redigierte und gekürzte „Emser Depesche“ mit den französischen Forderungen in verschärfter Form in der Presse. Sie erregt einen Sturm nationaler Entrüstung in Deutschland und Frankreich. Das Vorgehen Bismarcks stellte einen Affront dar, auf den Frankreich am 19. Juli 1870 mit der Kriegserklärung an Preußen reagierte. Bismarcks Kalkül, Preußen als Opfer einer vermeintlichen französischen Aggression hinzustellen und damit die übrigen Mächte aus dem deutsch-französischen Krieg herauszuhalten, ging auf: Kaiser Napoleon III. galt in der öffentlichen Meinung in Europa als Friedensbrecher. Die süddeutschen Staaten hatten Preußen in geheimen Verträgen 1866 Beistand im Falle eines Krieges mit Frankreich zugesichert. Ende Januar 1871 endete der Krieg mit einem Sieg Preußens. Das verbindende Gefühl, das die französische Kriegserklärung in Deutschland ausgelöst hatte, nutzte Bismarck geschickt für seine Einigungspläne. In Einzelgesprächen überzeugte er auch die süddeutschen Fürsten von seinem Plan für ein geeintes Deutsches Reich. Mit der Krone und dem Titel eines „Deutschen Kaisers“ ging Bismarck ganz bewusst auf 1848 ein: Damals hatte das Paulskirchenparlament dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. schon einmal die Kaiserkrone als Krone eines deutschen Kaisers angeboten; dieser hatte jedoch abgelehnt, die Kaiserkrone aus der Hand der Revolutionäre anzunehmen. Aus der Hand aller deutschen Fürsten wollte er sie jedoch jetzt empfangen. Am 18. Januar 1871, kurz bevor der Waffenstillstand mit Frankreich unterzeichnet wurde, wurde nun im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles der neue Kaiser Wilhelm I. proklamiert. Die Geburtsstunde des Deutschen Reiches stand ganz im Zeichen des militärischen Sieges über Frankreich. Die Kaiserproklamation auf französischem Boden war eine Demütigung für die große Nachbarnation. Bismarck wurde Reichskanzler und genoss vielfache Verehrung. Das von weiten Teilen des deutschen Bürgertums geforderte Reich entstand jedoch nicht im Ergebnis einer demokratischen Bewegung, sondern als monarchischer Obrigkeitsstaat(„Revolution von oben“). Es erhielt trotzdem die Unterstützung der Bevölkerung im und nach dem Kriege. Die Deutschen gewannen mit der Reichsgründung die staatliche Einheit, aber um den Preis einer unterbliebenen Demokratisierung.
„ Blut- und- Eisen- Rede“ von Bismarck nicht durch Reden und Mehrheitsentscheidungen wurde ein vereintes Deutschland geschaffen, sondern durch Kriege
Revolution von oben Bismarck nutzt den Krieg als Mittel um alle Deutschen zu vereinigen; ein Nationalgefühl hervorzurufen
Die deutsche Nationalbewegung nahm regen Anteil an der Entwicklung des Imperialismus. Umgehend gab es Befürchtungen, dass Deutschland aufgrund seiner staatlichen Zersplitterung als Kolonial- und Seemacht zu spät kommen und aufgrund außen- und innenpolitischer Rückständigkeit zudem seiner ökonomischen und sozialen Probleme nicht Herr werden könne. Der Ruf nach Einigkeit und Recht und Freiheit wurde ergänzt durch eine entschiedene Forderung nach Macht und Weltgeltung. Als Frankreich zur Kompensation seines Machtverlustes im Zuge der Orientkrise den Rhein als Ostgrenze forderte und damit das linke Rheinufer für sich beanspruchte, stärkte dies den Abwehrwillen und das Ansehen der protestierenden deutschen Nationalbewegung. Von nun an herrschte in Deutschland die Überzeugung, dass die Ordnungsvorstellungen des Wiener Kongresses nicht mehr griffen und nur ein starker Nationalstaat für äußeren Schutz sorgen könne. Mit seiner Errichtung würde auch die Fürstenherrschaft in den Einzelstaaten verschwinden.
• nach Märzrevolution existierte Deutscher Bund weiter unter österreichischer Führung
• Politik des deutschen Bundes durch Führungskampf der beiden Großmächte Preußen und Österreich bestimmt (Deutscher Dualismus)
• Preußen baut seine wirtschaftliche Vormacht aus
• wirtschaftlichen Voraussetzungen drängen zur kleindeutsche Einigung (Zollverein)
Einigungskriege
Einigung Deutschlands durch Preußen:
• 1864: Deutsch - Dänischer Krieg:
o „Schleswig-Holstein Frage“: deutschsprachiges Gebiet in Dänemark
o Preußen und Österreich kämpfen gegen Dänemark
o Schleswig und Holstein fallen zu gemeinsamer Verwaltung an Preußen und Österreich (Konfliktpunkt: Was passiert mit Schleswig- Holstein)
• 1866: Deutscher Krieg:
o Krieg durch Provokation Preußens gegen Österreich (Schleswig-Holstein)
o Bündnispartner Österreichs: die meisten Südstaaten, klein und Mittelstaaten
o Bündnispartner Preußens: einige norddeutscher Staaten und Italien
o Schneller Sieg Preußens
o Auflösung des Deutschen Bundes
o kleindeutsche Lösung von Preußen in Aussicht genommen
o Gründung des Norddeutschen Bundes mit Reichstag, Reichskanzler, Bundesheer und Verfassung unter übergewichtiger Führung Preußens
o „Schutz- und Trutzbündnisse“: Bayern, Württemberg, Baden und das Großherzogtum Hessen mit Preußen
o Südstaaten waren zwar souverän, wurden aber wirtschaftlich (Zollverein) und militärisch (Schutz- und Trutzbündnisse) an Preußen gebunden
• 1870: Deutsch - Französischer Krieg
o Streitigkeiten zwischen Preußen und Frankreich (von Preußen provoziert)
o Kaiser Napoleon III. wird bei Sedan gefangen genommen, Paris wird belagert
o Ausbrechen einer nationalen Kriegsbegeisterung
o dieser Krieg galt als nationale Aufgabe (Einigungskrieg)
o süddeutschen Staaten treten nach Verhandlungen dem Norddeutschen Bund bei
Bedingungen der Reichsgründung
• Preußischer Ministerpräsident Bismarck nutzt nationale Situation zur Kaiserreichsgründung
• drei Kriege von 1864 bis 1871 sind „Einigungskriege Bismarcks“: allgemeine Siegesfreude
• kleindeutsche Lösung (ohne Österreich)
• Januar 1871: Kaiserproklamation Wilhelm I. von Preußen im Spiegelsaal Versailles durch die deutschen Bundesfürsten
• bayrischer Monarch Ludwig II. musste bestochen werden (Bismarck hatte ihn erst durch erhebliche finanzielle Zuwendungen bewegen können, Willhelm I. im Namen der deutschen Fürsten die Krone anzubieten)
• Beginn der deutsch-französischen Erbfeindschaft durch den deutsch-französischen Krieg spätere Linie der Außenpolitik des Kaiserreiches
Verfassung und Grundlagen des politischen Systems
• Reichsverfassung von 1871 als Kompromiss zwischen dem monarchischen preußischen Staat und seinen konservativen staatstragenden, adeligen und großbürgerlichen Anhängern und den liberalen und demokratischen Bewegungen des Bürgertums und zum Teil auch der Arbeiterschaft(revolutionär umgeformter konservativer Monarchie und national-liberalem Bürgertum) (Fürstenbund ↔ Monarchie).
• eigentlich keine richtige Monarchie, sondern Fürstenbund, föderales System
• Sicherung der Monarchie
• Abblocken des demokratisch gewählten Parlaments
• Schaffen des Großstaates einer bürgerlichen Gesellschaft
• Spannungen und Konflikte zwischen Reichskanzler (Bismarck) und Parteien
• Verfassung des Kaiserreichs = ergänzte und geänderte Verfassung des Norddeutschen Bundes
• „Deutscher Bund“ → „Deutsches Reich“
• „Bundespräsident“ → „Deutscher Kaiser“
Balance von Unitarismus und Föderalismus
• Bundesstaat aus 25 souveränen monarchistischen Einzelstaaten
• Trotzdem große Macht Preußens:
o Größe (ca.65%) des Reichsgebietes
o Preußischer König ist zugleich deutscher Kaiser
o Reichskanzler und Vorsitzender des Bundesrates ist meistens preußischer Ministerpräsident
o Vorherrschaft Preußens im Bundesrat
• Der Deutsche Kaiser war Staatsoberhaupt. Er konnte nach der Verfassung Verträge mit dem Ausland abschließen. Sein „Mitregieren“ basierte auf dem Recht, den Reichskanzler zu ernennen und zu entlassen. Auf Gebieten, die von der Verfassung nicht geregelt waren, konnte der Kaiser grundlegende Entscheidungen fällen. So hatte der Kaiser die Kommandogewalt über die Streitkräfte. Als militärischer Oberbefehlshaber entschied der Monarch über Krieg und Frieden. Auch bei der Auswahl des militärischen Führungspersonals war er souverän; politische und militärische Führung, Recht zur Auflösung des Reichstages insgesamt: sehr starke Stellung des Kaisers in der Verfassung
• Der Reichskanzler verkörpert die Exekutive. Er kann den Reichstag auflösen und Neuwahlen ausschreiben. Nur der Kaiser war ihm übergeordnet. Die Reichsämter, wie zum Beispiel das Auswärtige Amt, sind dem Kanzler untergeordnet. An ihrer Spitze stehen Staatssekretäre, die untereinander und mit dem Kaiser nur über den Kanzler kommunizieren können. Für jedes Gesetzesvorhaben muss sich der Kanzler Mehrheiten im Reichstag verschaffen. Aufgrund der Verbindung mit der Funktion des preußischen Ministerpräsidenten kann der Reichskanzler Initiativen im Bundesrat ergreifen.
• Bundesrat: zentrales Entscheidungsorgan (auch hier hatte Preußen eine Vorherrschaft)
Probleme des Systems:
• mit der Zeit geht Preußen und dessen Kultur langsam in das ganze Reich auf
o „Verpreußung Deutschlands“
o „Verreichung Preußens“
• Preußen konnte die Reichspolitik in großem Maße bestimmen
• Militarismus geht in Gesellschaft und Staatssystem ein
• Arbeiterschaft identifiziert sich mit dem Kaiserreich kaum, die Arbeiterbewegung wird vom Staat bekämpft (Sozialistengesetze)
• Chefs des Heeres und der Marine als Nebenregierung und große Machthaber
• Reichstag (von Männern über 25; gleiche& geheime direkt gewählte Volksvertretung) hat sehr schwache Stellung:
o konnte durch Bundesrat aufgelöst werden
o Gesetze bedurfte der Zustimmung des Bundesrates
o Reichstag konnte Reichskanzler kein Misstrauen aussprechen
o Parteien konnten aber Haushalt blockieren
• Fehlen von Grundrechten
• Deutsches Reich = konstitutionelle Monarchie, Monarch alleiniger Inhaber der Souveränität, keine parlamentarische Regierung