Eintritt von GB in den ersten WK

Hallo,

die offizielle Lesart für den Eintritt Englands in den 1. WK lautet vielfach „Verletzung der Neutralität Belgiens“. Christofer Clark („Die Schlafwandler“) sagte heute morgen auf Phoenix: „Das stimmt nicht.“
Warum dann?

Danke
Laika

Hallo

Clark hat natürlich recht. Dazu habe ich ein nettes Zitat von Egon Bahr gefunden:

"In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt."

Was wäre ein vernünftiger Grund gewesen? Zum Bsp.

1914 - Fertigstellung der Bagdadbahn == D hätte genug Öl gehabt, Bedrohung des Transportmonopols der Briten durch den Suezkanal, mit der Bahn wäre es billiger und schneller gewesen. Im übrigen hatten die Briten im Mai 14 gerade die Ölverträge mit den dortigen Scheichs, unter den Kanonen ihrer Kriegschiffe, verlängert.

Das DR war in den Jahren in allen Belangen auf der Überholspur. Das deutsche Flottenprogramm war eingestellt worden, die Briten fürchteten sich ohnehin nicht davor, wird aber auch gerne als legitimer Kriegsgrund der Briten angegeben

Im Falle eines europäischen Krieges beabsichtigten auch die Briten nicht, Belgien neutral zu halten. Sie hätten als 1. Antwerpen besetzt, um einen guten Hafen für den Nachschub zu haben. Das DR war nur schneller :wink: nachzulesen hier

https://www.amazon.de/Der-falsche-Krieg-Weltkrieg-Ja…

LG
Rolf

die offizielle Lesart für den Eintritt Englands in den 1. WK
lautet vielfach „Verletzung der Neutralität Belgiens“.
Christofer Clark („Die Schlafwandler“) sagte heute morgen auf
Phoenix: „Das stimmt nicht.“
Warum dann?

Die britische Regierung war schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts entschlossen, im Fall eines deutsch-französischen Krieges nicht neutral zu bleiben. Es wurden auch schon vor Kriegsausbruch entsprechende regierungsamtliche Erklärungen abgegeben. Die deutsche Besetzung der belgischen Gegenküste war somit ohnehin die unausweichliche strategische Reaktion auf diese britische Aufgabe der Neutralität. Dass da auch noch ein Schlieffenplan war, der ebenfalls die Besetzung Belgiens vorsah, spielte somit de iure wie de facto schon keine Rolle mehr.

Ich hoffe, du kannst genug englisch und französisch:

https://www.mtholyoke.edu/acad/intrel/peer.htm

Gruß
s.

die offizielle Lesart für den Eintritt Englands in den 1. WK
lautet vielfach „Verletzung der Neutralität Belgiens“.
Christofer Clark („Die Schlafwandler“) sagte heute morgen auf
Phoenix: „Das stimmt nicht.“
Warum dann?

Die britische Regierung war schon seit Anfang des 20.
Jahrhunderts entschlossen, im Fall eines deutsch-französischen
Krieges nicht neutral zu bleiben. Es wurden auch schon vor
Kriegsausbruch entsprechende regierungsamtliche Erklärungen
abgegeben.

hast du dafür auch lesbare deutsche Quellen? Wenn es offizielle Stellungnamen in diese Richtung gegeben hätte, wäre das DR sofort auf die Bremse gestiegen. Die Engländer haben es bis zum letzten Tag geschafft, D im unklaren über einen Kriegseintritt zu lassen. Aufgrund der analysierten Haldane Mission von 1911 ist Ribbentrop 1938 zu richtigen Schlußfolgerungen gelangt, der Weizsäcker hat das hintertrieben und H hat dummerweise auf ihn gehört. :frowning:

rolf

die offizielle Lesart für den Eintritt Englands in den 1. WK
lautet vielfach „Verletzung der Neutralität Belgiens“.
Christofer Clark („Die Schlafwandler“) sagte heute morgen auf
Phoenix: „Das stimmt nicht.“
Warum dann?

Die britische Regierung war schon seit Anfang des 20.
Jahrhunderts entschlossen, im Fall eines deutsch-französischen
Krieges nicht neutral zu bleiben. Es wurden auch schon vor
Kriegsausbruch entsprechende regierungsamtliche Erklärungen
abgegeben.

hast du dafür auch lesbare deutsche Quellen?

Wenn du dich mit der Vorgeschichte des 1. Weltkriegs qualifiziert beschäftigen willst, statt auf anderer Leute Meinungen angewiesen zu sein, dann wird ein gutes englisches und französisches Textverständnis unabdingbar sein, um Originalquellen auswerten zu können.

Wenn es
offizielle Stellungnamen in diese Richtung gegeben hätte, wäre
das DR sofort auf die Bremse gestiegen. Die Engländer haben es
bis zum letzten Tag geschafft, D im unklaren über einen
Kriegseintritt zu lassen.

"This more general and wider-ranging commitment was the only additional commitment made until 2 August 1914, when the cabinet authorized the foreign secretary „to give an assurance that if the German fleet comes into the Channel or through the North Sea to undertake hostile operations against the French coasts or shipping, the British fleet will give all the protection in its power.“*
Diese Zusicherung wurde von Foreign Secretary Edward Grey am folgenden 3. August 1914 im Britischen Unterhaus bekanntgegeben.

http://www.1914-1918.net/greys_speech.htm

Am 4. August erfolgte der Einmarsch der deutschen Armee in Belgien.

Der Generalstab hätte da übrigens nicht mehr „auf die Bremse steigen können“. Der Schlieffenplan war zum Zeitpunkt der Rede bereits ausgelöst worden und wurde nach einer oft geübten, minutiös ausgearbeiteten Logistik abgewickelt. Jegliches Eingreifen in den Mobilmachungsplan hätte zu einem heillosen Chaos und damit letztlich zu einer sofortigen Niederlage geführt.

Einer der wesentlichen Punkte, den man der deutschen Seite ja als kriegsauslösend vorwirft, war die Unflexibilität der militärischen Aufmarschplanung hinsichtlich politischer Entwicklungen.

Dieser Vorwurf übersieht jedoch einige Dinge:

  1. Die strategische Zwangslage Deutschlands in kontinentaler Mittellage. Wesentlich kriegsauslösend war eben nicht nur der Schlieffenplan, sondern auch dessen Ursache, nämlich ein französisch-russisches Bündnis, gegen das ein Schlieffenplan überhaupt erst entwickelt werden musste.
  2. Die freiwillige Rüstungsbeschränkung, die sich Deutschland auferlegt hatte. Hätte Deutschland in den Jahren vor dem Krieg pro Einwohner ebensoviel Geld in seine Rüstung gesteckt wie z. B. England und hätte es pro Einwohner ebenso viele Rekruten für ebenso lange Zeit eingezogen wie z. B. Frankreich, dann hätte der 1. Weltkrieg genau drei Monate gedauert, bis die Deutschen in Bordeaux und St. Petersburg gewesen wären und das britische Expeditionskorps in einem Gefangenenlager in der Lüneburger Heide.
  3. Jegliche alternative Defensivstrategie war in dem Moment hinfällig, in dem Großbritannien sich auf die Seite der Gegner stellte, da die Mittelmächte dann im Würgegriff der Seeblockade sein würden.

s.

1 Like
  1. Die freiwillige Rüstungsbeschränkung, die sich Deutschland
    auferlegt hatte. Hätte Deutschland in den Jahren vor dem Krieg
    pro Einwohner ebensoviel Geld in seine Rüstung gesteckt wie z.
    B. England und hätte es pro Einwohner ebenso viele Rekruten
    für ebenso lange Zeit eingezogen wie z. B. Frankreich, dann
    hätte der 1. Weltkrieg genau drei Monate gedauert, bis die
    Deutschen in Bordeaux und St. Petersburg gewesen wären und das
    britische Expeditionskorps in einem Gefangenenlager in der
    Lüneburger Heide.

liegst du da nicht falsch? Das DR wird doch immer als der größte Kriegstreiber und Militarist Europas Bezeichnet?

2 Tage vorher war natürlich die Maschinerie nicht mehr auf zu halten, das ist schon klar. Anscheinend hat das DR auch nicht gemerkt, das die Navy nach den Juli Manövern voll mobilisiert blieb

und auf meine alten Tage lerne ich bestimmt kein französich und englisch mehr :wink:

rolf

liegst du da nicht falsch? Das DR wird doch immer als der
größte Kriegstreiber und Militarist Europas Bezeichnet?

Die Frage ist halt, von wem. Wenn ich dir zum Thema Rüstungsbeschränkung und Militärausgaben der beteiligten Großmächte in den Jahren vor dem Krieg ein deutschsprachiges Buch empfehlen darf:

Franz Uhle-Wettler: Höhe- und Wendepunkte deutscher Militärgeschichte. Von Leuthen bis Stalingrad

Betreffend den deutschen Militarismus im Vergleich zum Militarismus anderer Nationen, empfehle ich eine amerikanische Forschungsarbeit für das Pentagon, die aber auch in deutscher Übersetzung vorliegt und zwar den 2. Weltkrieg thematisiert, jedoch weit in die Vergangenheit ausholt und sich auch in die Volkspsyche vertieft:

Martin van Creveld: Kampfkraft. Militärische Organisation und Leistung der deutschen und amerikanischen Armee 1939-1945

s.

1 Like

Hallo

für gute Bücher bin ich immer zu haben, danke dafür. In meiner gut sortierten Bücherei warten die schon auf mich :wink:

Gruß
Rolf

Die Folgen von Sedan …
Hallo Rolf,

Das DR wird doch immer als der größte Kriegstreiber und Militarist
Europas Bezeichnet?

Nur vier Dinge zum Militarismus damals in Deutschland:

Der deutsche Flottenbauplan war kein geheimer Plan mit dem Ziel die
britische Flotte zu schlagen sondern hatte als Endstand ca. 1/3 der
Stärke der britischen Flotte und wurde öffendlich parlamentarisch
diskutiert und war weltweit bekannt.

Der Schlieffenplan war ein reichlich verzweifelter Notfallplan um einen
Zweifrontenkrieg gegen Russland und Frankreich zu überleben. In einem
langen Abnutzungskrieg sah der deutsche Generalstab keinerlei Sieges-
chance.

Der original Schlieffenplan sah das Zurückgehen der Heeresgruppen 5 bis 8
hinter den Rhein vor um die französischen Armeen nach vorn zu locken. Dazu
waren aber Moltk (der Jüngere) und der Kaiser schlicht zu feige. Sie stärkten
dieser Verbände und es gelang die französiche Invasionsarmee an der Reichs-
grenze aufzuhalten. Dadurch traf der Hauptstoss über Belgien diese frontal
und in die Flanke statt in den Rücken und blieb erfolglos.

Der Auslöser für den Kriegseintritt Englands war der deutsche Sieg bei Sedan.
Ab diesem Zeitpunkt war für Englands Presse und Regierung klar, wer der
Feind ist …

Viele Grüße

Jake

1 Like

Hallo Rolf,

Hallo

Der Auslöser für den Kriegseintritt Englands war der deutsche
Sieg bei Sedan.
Ab diesem Zeitpunkt war für Englands Presse und Regierung
klar, wer der
Feind ist …

und seit fast 150 Jahren sind sie daran kläglich gescheitert diesen Fehler zu bereinigen, trotz 2er heißer Kriege und anderer Hinterlistigkeiten :smile: :smile:
es könnte aber noch gelingen, wenn sie uns weiterhin Millionen von „ausländischen“ Facharbeitern von den ärmsten Ländern der Welt überhelfen :frowning:

Gruß
Rolf

Hallo,

die offizielle Lesart für den Eintritt Englands in den 1. WK
lautet vielfach „Verletzung der Neutralität Belgiens“.

genau, das ist die „offizielle Lesart“. Anders gesagt: der Anlass der Kriegserklärung, nicht der Kriegsgrund.

Christofer Clark („Die Schlafwandler“) sagte heute morgen auf
Phoenix: „Das stimmt nicht.“
Warum dann?

Offensichtlich hat von den bisherigen Antwortenden niemand Clark gelesen. Ehrlich gesagt, ist es mir zu aufwendig, Clarks Augumentationsgang hier darzustellen - er zieht sich durch das gesamte chronologisch aufgebaute Buch. Falls Du nicht das ganze Buch lesen möchtest (ich finde es empfehlenswert), könntest Du evt. in einer Bibliothek einen Blick hineinwerfen. Die wesentliche Stelle (die ich am liebsten hier zitiert hätte, wenn sie mir zum Abtippen nicht zu lang wäre) findest Du auf den Seiten 749 - 752. Sie ist allerdings ohne Kenntnis des Vorangegangenen nicht ohne Weiteres verständlich.

Freundliche Grüße,
Ralf