Lieber Luca!
oder
Liebe Luca!
Auch wenn für Sie das eigenartig erscheinen mag, ich muss einige Rückfragen stellen bzw. einige Punkte voranstellen.
Wo (in welchem Staat, Bundesland…) leben Sie? Hier denke ich kann es bereits Unterschiede geben die uns trotz angeblicher Anrechenbarkeit und gegenseitiger Akzeptanz innerhalb der EU anscheinend noch lange nicht wirklich grenzenlos und vergleichbar macht. In vielen Berufen ist daher das was ich über einen HTL-Absolventen mit Fachbereich Elektrotechnik schreibe, zwingend gleich zu setzten mit einem HTL-Absolventen in Deutschland oder der Schweiz. Allein die Wort-Bedeutungen von Schulbezeichnungen sind oft schon irreführend.
Zum Beispiel war in Deutschland das sogenannte Polytechnikum bis ins 20. Jahrhundert eine Ausbildungsrichtung für das Ingeneur-Wesen, hier in Österreich versteht man heute darunter die Berufsvorbereitende letzte Pflichtschulklasse für Menschen die sich keiner höheren Schule unterziehen wollen, also eher das Gegenteil der ursprünglichen Bedeutung.
In der Schweiz wurden die Höheren Technischen Lehranstalten in Technische Fachhochschulen umstrukturiert, in Österreich ist man diesen Schritt (noch?) nicht gegangen und es gibt beide Ausbildungswege, sowie zusätzlich noch die Technische Universität. In Österreich hat man eine fundierte Basis und eine gewisse Eignung erlangt. Gehen Sie in die Schweiz sagt man Ihnen vielleicht „machen Sie eine Fachhochschule, dann könne wir das anerkennen“.
In Österreich hat ein HTL-Maturant mit dem Fachzweig Elektrotechnik primär einmal eine Matura (mit Abitur in Deutschl. gleichzusezten) geleistet, damit steht ein Zugang zur Universität (TU) und zur Fach-Hochschule (FH) offen. Der Fach-Zweig den er in der HTL belegt hat befähigt ihn (zum Teil) darüber hinaus auch ein (definiertes einschlägiges) Gewerbe zu führen, weil er neben einem höheren theoretischem Grund-Wissen betriebspraktische Grundlagen erlernen durfte.
Also Firmengründung ist, ähnlich wie nach einer Meisterprüfung im Lehrberuf, hier nach dem HTL-Abschluß möglich. Dieses Recht bedingt aber nicht zwingend, dass ein HTL-Absolvent auch alle praktischen Fertigkeiten mitbrint, die ein Elektiker (also ein E-Installateur) auf dem Wege der Lehre sich praktisch angeeignet hat. Hier würde ich keineswegs von einer Überqualifizierung sprechen, solange man nicht auch eine gewisse praktische Arbeits-Erfahrung in dieser Sparte mitgemacht hat.
Nachdem eine (mindest-)Praxis in der Fach-Sparte über einige Jahre (z.B. Projektplanung, Maschinenberechnungen usw.) geleistet wurde kann der Titel IngeneurHTL (Ing.) geführt werden. In der weiteren Ausbildung folgt idealerweise FH oder TU. Manche sind mit der Führung eines Gewerbe zufrieden und bleiben hier beheimatet.
Manche andere FH-Sparten sind weit geringer im Ausbildungslevel bewertet und erlauben nach einer Praxiszeit im Berufsfeld eine Lehr-Abschlußprüfung oder eine Meisterprüfung abzulegen (z.B. Metall-Bearbeiter-Zweig, Goldschmied).
Abschließend möchte ich daher sagen, machen Sie sich die Mühe und arbeiten Sie als Elektriker. Das spezifische Fachwissen das ihnen als Überqualifizierung erscheinen mag, ist ihnen auf den meisten Großbaustellen nicht so hilfreich, wenn Sie ihren Arbeitsablauf womöglich gemeinsam mit einem Team allen anderen Einflüssen (Baufirma, Bodenleger, Wasserinstallateur, Maler usw.) auf eine vernünftige gemeinsame Struktur stellen müssen. Hier sind es Materialmanagement, Personalmanagement, Arbeitswille und Ablaufkoordination die sie benötigen. Sie werden Fehl-Lieferungen und Personal-Ausfälle kompensieren müssen. Sie werden Zeitpläne einhalten und Überstunden dafür leisten müssen. Sie haben selbst nicht immer die gleiche Motivation zur Arbeitsleistung wenn Sie oder auch nur Ihr Kind krank ist oder Sie zur Reiterpassprüfung erwartet und Sie das Tages-Soll nicht erfüllen können wenn sie den Erwartungen des Kindes entsprechen wollen. Auch das ist gut zu erfahren und macht Sie für spätere Beurteilungen Ihrer Mitarbeiter weitsichtiger.
Nach einer gewissen Praxis können Sie beurteilen und verstehen welche Leisungen Ihre vielleicht zukünftigen Mitarbeiter oder Angestellten zum Gelingen Ihres Unternehmens beisteuern. Darüber hinaus möchte ich auch zur Vorsicht warnen und „einfache Handwerker“ in ihrem Bildungs-Niveau zu unterschätzen, besonders wenn es sich dann wieder um deren Fach-Gebiet handelt, in das sie sich weit über ihre Schulische Bildung eingelesen haben können.
Bei der Bezahlung als Elektriker bin ich mir nahezu sicher, dass ein Firmenchef bei einer Neuanstellung keinerlei Rücksicht darauf nehmen wird ob Sie Matura haben oder einen Doktor-Titel. Das ist heute durchaus gängige Praxis bis hin in den Bereich der staatlichen Dienstposten oder auch im Bereich der Sozialarbeit.
In weiterer Folge, wie gesagt nach entsprechender Leistungserbringung, steht Ihnen aber ein weit größeres Spektrum an Arbeiten zur Verfügung als dem Elektriker aus dem Lehr-Beruf. Natürlich immer nur dann wenn dieser nicht bereit ist auf dem zweiten Bildungsweg das alles nachzuholen, was Sie ihm zumindest theoretisch im ersten Moment voraus sind.
Umgehen könne Sie dieses Dilemma indem Sie sich als HTL-Techniker bewerben, falls eine entsprechende Stellen-Ausschreibung dezidiert einen Solchen sucht.
Bei Ihrer Arbeit alles Gute
lg
Walter Praher
ORIGAMI.GRAZ