Hallo Mike,
für mich ist zwar klar, dass in historischer, juristischer und
allgemein-vernünftiger Sicht die Dinge gemäss den Evangelien
plausibler erscheinen als gemäss der genannten Theorie.
Bei Chajm Cohn geht es darum, was jüdische bzw. römische Rechts praxis hergeben, von daher erscheint mir, was den in den Evangelien erzählten Verlauf der Verhaftung und es Prozesses Jesu betrifft, wenig plausibel. Aber das ist wie gesagt eine Frage der Bezugsgröße.
Eine
Juden-Feindschaft aus den Evangelien herzuleiten, ist aber
dennoch nicht notwendig.
Unabhängig welchen historischen Wert man den Evangelien zuweist bei der Frage, wie der Prozeß Jesu abgelaufen ist, so ist das eine andere Fragestellung.
Wie die Texte der Evangelien - insbesondere des Johennesevangeliums und auch Textstellen in den Paulusbriefen - gegen Juden instrumentalisiert worden sind, das ist eine Geschichte der Rezeptionsgeschichte der christlichen Schriften.
Dass diese Schriften die Grundlage für viele Ausschreitungen gegen Juden geliefert haben, ist offensichtlich, denn immer wieder wurde damit argumentiert.
Besonders bliebt - was Porgome zur Osterzeit betrifft - war das Argument, die Juden hätten den Heiland Jesus getötet und die Juden seien Söhne des Teufels (Johannesevangelium).
Wie Du anhand dieser geschichtlichen Tatsache zu der Schlußfolgerung kommen kannst, neutestamentliche Schriften und die Diskriminierung von Juden hätten nichts miteinander zu tun, ist mir ein Rätsel.
Allerdings war diese Fragestellung nicht Bestandteil meines Ausgangspostings.
Ich gebe zu, dass Leute sich mit den
entsprechenden Begründungen gegen Juden gewendet haben,
erachte diese Begründungen aber weder für zwingend
das ändert aber nichts für die jüdischen Gemeinden, die im Zuge der Kreuzzüge ausgerottet worden sind und am Ergebnis sämtlicher anderer Pogrome.
noch für richtig.
Die Revision dieser Stellen der neutestamentlichen Literatur ist noch gar nicht so alt - erst einige Jahrzehnte. Und überall in den Kirchen scheint sich das auch noch nicht herumgesprochen zu haben, wie man immer wieder an Postings hier sehen kann.
Das Christentum als wesentlich judenfeindlich zu betrachten,
gelingt mir beim besten Willen nicht - ob ich jetzt von was
auch immer abstrahiere oder nicht.
Inwieweit es das Wesen des Christentums ist, judenfeindlich zu sein, das muß die christliche Theologie mit ihren verschiedenen Disziplinen erschließen.
Da das Christentum aber zumindest einen maßgeblichen Anteil an der Judenfeindschaft in seinem Verbreitungsgebiet hat, gibt es durchaus Initiativen, dafür Verantwortung zu übernehmen und diese Tatsache nicht schön- oder weg zureden.
Auch - wenn auch nicht nur - aus diesem Grund sind
-vor sechzig Jahren die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit entstanden
- hat die evangelische Kirche drei Denkschriften zu ihrem Verhältnis zu den Juden veröffentlicht (so viele wie zu keinem anderen Thema
- und wurde in Berlin das Institut für Kirche und Judentum eingerichtet, um diese unheilvolle Geschichte aufzuarbeiten und andere Weichenstellungen in der Ausbildung von Theologen vorzunehmen.
Es hat einfach nichts mit
dem christlichen Glauben an sich zu tun, wenn man Geschichten
bzw. Ereignisse, die das Christentum bewegen, namentlich die
Passionen, als gegen das Judentum an sich gerichtet anschaut,
wenn sie es (wie ich nun einmal empfinde) nicht sind.
Das mag Dein persönliches Empfinden sein. Nur: christliche Judenfeindschaft war quer durch die Konfessionen / Kirchen verbreitet, was gegen Deine Annahme spricht.
Aussagen wie die Juden seien Kinder des Teufels sind Aussagen gegen Juden.
Wenigstens sei festgehalten (und ich hoffe, dass Du mir in
diesem Punkt zustimmen kannst), dass Christen sich nicht
deswegen von den Geschichten beeindrucken lassen, weil sie
sich gegen ein Volk richten würden, sondern viel eher wegen
der geschilderten allgemeinmenschlichen Tragödien, welche
bedingt sind durch menschliche Schwächen, die jeder
gesellschaftlich lebende Mensch hat, nicht nur ein Jude, nicht
nur ein Nichtjude, nicht nur ein Römer usw., sondern jeder
Mensch.
Nun, in der deutschen Sprache ist Judas mit Jude gleichgesetzt worden, und zwar nicht aus Erwägung allgemein menschlicher Schwächen, sondern wegen der Zuschreibung, die Juden seien abgrundtief schlecht.
Viele Grüße
Iris