Eltern des ermordeteten Mirko

Hallo zusammen,

kürzlich haben ja die Eltern des 2010 ermordeten Mirko ihr Buch vorgestellt, in dem sie sagen, dass sie dem Mörder verziehen.

Sie werden für ihre Haltung häufig bewundert und sagen ja auch selber, sie wollen „anderen Menschen zeigen, wie man mit so einem Schicksalsschlag fertig werden kann“.

Ich muss sagen, mich gruselt eher ein bisschen, wenn ich sie sehe, und möchte sie mir keineswegs als Vorbild nehmen für Trauerverarbeitung.

Sicher ist es gut, sich nicht in Hass auf den Mörder zu zerfleischen - aber Gefühle wie Wut und auch Hass sind auch menschlich bei solchen Tragöden. Mir kommt die Reaktion besonders der Frau nicht glaubhaft vor, ich verumute religiösen Fanatismus dahinter.

Ich vermute auch, dass sie unermesslichen Schuldgefühle, die man hat, wenn man nicht bemerkt, dass das eigene 10jährige Kind nachts nicht nachhause kommt, durch dieser Haltung auf Abstand gehalten werden sollen.

Ihr Mann wirkt auf mich noch weniger überzeugend - er scheint wie erstarrt vor Trauer und als wäre er noch gar nicht fähig gewesen, seinen eigenen Standpunkt zu der Tragödie zu finden. Vielleicht steht ihm ein Großteil von Trauer und Verzweiflung noch bevor.

Bei beiden habe ich den Eindruck, dass sie versuchen, über Religion den Weg durch Trauer, Wut und Verzweiflung zu umgehen - und dass das tiefe Loch für beide vielleicht erst noch kommt.

Um es klar zu machen: Ich verurteile die Eltern nicht für ihre Reaktion - jeder muss seinen eigene Weg finden, mit Trauer umzugehen. Als das leuchtende Beispiel, als das sie sich präsentieren möchten, kann ich sie aber auch nicht sehen.
Was meint ihr dazu?
fragt Bixie

Es gibt ca. 7 Mrd. Menschen …
… und mehr als 7 Mrd. Persönlichkeiten.

Jeder tickt halt doch ein bisschen anders.

Ich muss sagen, mich gruselt eher ein bisschen, wenn ich sie
sehe, und möchte sie mir keineswegs als Vorbild nehmen für
Trauerverarbeitung.

Das ist DEIN Problem.

Sicher ist es gut, sich nicht in Hass auf den Mörder zu
zerfleischen - aber Gefühle wie Wut und auch Hass sind auch
menschlich bei solchen Tragöden.

Na und? Es gibt auch Übermenschen.

Mir kommt die Reaktion
besonders der Frau nicht glaubhaft vor, ich verumute
religiösen Fanatismus dahinter.

Manchen Hilft Religion, manche finden es Bullshit. Solange sie anderen Menschen nicht damit vorsätzlich auf die Nerven gehen.

Ich vermute auch, dass sie unermesslichen Schuldgefühle, die
man hat, wenn man nicht bemerkt, dass das eigene 10jährige
Kind nachts nicht nachhause kommt, durch dieser Haltung auf
Abstand gehalten werden sollen.

Das ist immer noch nicht DEIN Problem.

Bei beiden habe ich den Eindruck, dass sie versuchen, über
Religion den Weg durch Trauer, Wut und Verzweiflung zu umgehen

  • und dass das tiefe Loch für beide vielleicht erst noch
    kommt.

Vielleicht, vielleicht nicht.

Auch nicht DEIN Problem.

Um es klar zu machen: Ich verurteile die Eltern nicht für ihre
Reaktion - jeder muss seinen eigene Weg finden, mit Trauer
umzugehen. Als das leuchtende Beispiel, als das sie sich
präsentieren möchten, kann ich sie aber auch nicht sehen.

Was meint ihr dazu?

Vielfalt statt Einfalt.

Gruß

Stefan

Hallo bixie,

mein Mann wurde zwar „nur“ (plötzlich, schnell, unerwartet) durch Krebs getötet, aber ich meine, dass ich trotzdem hierzu meine Haltung darlegen darf.

Sie werden für ihre Haltung häufig bewundert und sagen ja auch
selber, sie wollen „anderen Menschen zeigen, wie man mit so
einem Schicksalsschlag fertig werden kann“.

Das kommt mir bekannt vor - und da sind sie in ihrer Trauerarbeit um einiges weiter als andere.

Ich muss sagen, mich gruselt eher ein bisschen, wenn ich sie

sehe, und möchte sie mir keineswegs als Vorbild nehmen für
Trauerverarbeitung.

Warum? Weißt Du, was in den ersten Wochen/Monaten abgelaufen ist? Weißt Du, wie häufig sich die Trauer immer noch in den Alltag einschleicht? Weißt Du, wie dankbar man ist, über den Tod reden zu können, ohne gleich wieder in Tränen auszubrechen? Weißt Du, wie es ist, wenn Deine Freunde schon fast irritiert sind, wenn Du nach einiger Zeit „abgeklärt“ über das Dahinvegetieren des krebskranken Mannes erzähltst, Dir es aber dabei gut tut und Du auch „stolz“ auf Dich bist?

Sicher ist es gut, sich nicht in Hass auf den Mörder zu
zerfleischen - aber Gefühle wie Wut und auch Hass sind auch
menschlich bei solchen Tragöden.

Ja, sie sind sehr menschlich. Ich habe die Ärzte gehasst, die uns so viele Hoffnungen gemacht haben, ich habe meine Schwiegermutter gehasst, die mit ihrer Penetranz meinem Mann zusätzlich Stress bereitet hat. Ich habe meine Schwester gehasst, die alles abgebügelt hat.

Aber dieser Hass/die Wut lässt nach, weil man merkt, dass es einem Selbst nicht hilft - er auch gar nicht zu einem passt.

Hass und Wut sind eben auch immer Ausdruck von Hilflosigkeit. Irgendwann kommt man an den Punkt, an dem der Verstorbene und die Gefühle für ihn wichtiger sind.

Mir kommt die Reaktion
besonders der Frau nicht glaubhaft vor, ich verumute
religiösen Fanatismus dahinter.

Was sollte hierbei religiös sein?

Ich vermute auch, dass sie unermesslichen Schuldgefühle, die
man hat, wenn man nicht bemerkt, dass das eigene 10jährige
Kind nachts nicht nachhause kommt, durch dieser Haltung auf
Abstand gehalten werden sollen.

Ich kann mir beileibe nicht vorstellen, dass die Schuldgefühle nicht da waren/sind. Es ist bloß die Frage, wie man damit umgeht. Vorwürfe macht man sich immer - aber man kann definitv niemanden brauchen, der die Schuldgefühle auch noch nährt.

Ihr Mann wirkt auf mich noch weniger überzeugend - er scheint
wie erstarrt vor Trauer und als wäre er noch gar nicht fähig
gewesen, seinen eigenen Standpunkt zu der Tragödie zu finden.

Du erwartest von Trauernden Überzeugungsfähigkeit? Jeder geht anders mit der Trauer um: Viele ziehen sich zurück, vielen hilft es zu reden, viele ignorieren sie.

Bei Trauer gibt es kein Richtig oder Falsch, aber einen gewissen Zeitrahmen, der bei Überschreitung „ungesund“ sein kann.

Vielleicht steht ihm ein Großteil von Trauer und Verzweiflung
noch bevor.

Ich möchte eher mal vermuten, dass er bereits mittendrin steckt.

Bei beiden habe ich den Eindruck, dass sie versuchen, über
Religion den Weg durch Trauer, Wut und Verzweiflung zu umgehen

  • und dass das tiefe Loch für beide vielleicht erst noch
    kommt.

Zu welchen „Trauermethoden“ rietest Du denn?

Trauer ist ein Prozess der Wut, der Verzweiflung, des Redens, der Hoffnung, der Vorangehens, des Schweigens, des Rückzugs, des „Besser-Machens“…

Mein Mann soll auch nicht „umsonst“ gestorben sein. Wenn ich der Nachwelt irgendetwas an meinen Gedanken, Erfahrungen mit seinem Krebs-Tod hinterlassen kann, dann fühle ich mich besser!

Aber jeder geht eben anders mit Trauer um!

Viele Grüße

Kathleen

Ein Kind zu verlieren ist eine Sache über die man niemals im Leben hinwegkommen kann. Ein Kind durch ein Verbrechen zu verlieren wird wohl noch viel schlimmer sein.
Eine Eigenschaft des Menschen ist die Fähigkeit zu verdrängen. Man kann Schicksalsschläge ausblenden, sie im Alltag vergessen und man kann sich damit arrangieren. Bei so einem schweren Schicksalsschlag dürfte das aber kaum möglich sein. Es wird kaum eine Sekunde vergehen an denen die Eltern nicht an ihren Sohn denken. Sie müssen aber einen Weg finden weiter leben zu können. Sie müssen versuchen irgendetwas positives aus ihrem Schicksal zu ziehen das ihrem Dasein wieder einen Sinn gibt. Ich denke deshalb haben sie dieses Buch geschrieben. Das Schreiben selbst war Teil einer Art Verarbeitung, und da sie sowas wie eine tragische Prominenz erhalten haben, können sie sich selbst den Auftrag geben anderen als Vorbild zu dienen. Bekanntlich sind es oft Menschen die selbst Hilfe benötigen die das Bedürfnis haben anderen zu helfen.
Religiösität ist etwas das vielen Menschen hilft mit ihrem Leben fertig zu werden. Sie finden Trost in Gottes Liebe und Gott ist es schließlich der verantwortlich ist für Alles. In ihrem Glauben ist ihr Sohn jetzt im Himmel und Jesus gebietet dem „Feind“ zu verzeihen.
Dem Mörder des eigenen Kindes zu verzeihen ist für Aussenstehende absurd. Aber das was Eltern in so einem Fall fühlen, kann wohl kaum jemand nachvollziehen. Gefühle wie Hass sind auf dauer nicht ertragbar, besonders im Zusammenspiel mit Trauer. Es kostet einfach zu viel Kraft ständig zu hassen und es ist leichter zu vergeben (auch wenn das vielleicht nur eine Illusion ist). Der Täter ist schließlich auch ausserhalb des Wirkungsbereichs der Eltern. Rache, auch wenn sie gewünscht wäre, wäre garnicht möglich.

Hallo,

ich habe das Buch nicht gelesen, deshalb muss ich nachfragen. Haben sie dort wirklich gesagt, sie verzeihen? Ich habe Berichte in den Zeitungen dazu gelesen, in denen ausgesagt wird, dass sie den Mörder ihres Kindes nicht hassen.

Den Mörder nicht hassen zu wollen, um abschließen und wieder nach vorne sehen zu können, kann ich nachvollziehen. Aber ich sehe einen himmelweiten Unterschied zwischen „nicht hassen“ und „verzeihen“.

LG Barbara

Hallo Barbara,

Haben sie dort wirklich gesagt, sie verzeihen?

Ja, das sagen sie. Ich habe sie im Stern-TV-Interview gesehen, wo sie äußerten, dass sie dem Mörder verziehen haben, was für sie aber nicht im Widerspruch dazu steht, dass er bestraft werden muss.

Schöne Grüße,
Jule

Hallo Jule,

Haben sie dort wirklich gesagt, sie verzeihen?

Ja, das sagen sie. Ich habe sie im Stern-TV-Interview gesehen,
wo sie äußerten, dass sie dem Mörder verziehen haben, was für
sie aber nicht im Widerspruch dazu steht, dass er bestraft
werden muss.

Einen Widerspruch zwischen Verzeihen können und trotzdem Bestrafen sehe ich auch nicht.

Ich bin nur grad erschüttert darüber, dass sie Verzeihen können. Ich kann das gar nicht fassen.

LG Barbara

Hi,

leider auf die Schnelle nur auf Englisch:

http://en.wikipedia.org/wiki/K%C3%BCbler-Ross_model

„Acceptance“ ist das, was die Eltern erreicht haben. „Verzeihen“ bedeutet nicht, dass man denkt „Ist ok, mach ruhig wieder, ich hab mich geirrt.“ sondern „Es ist, wie es ist, und ich kann nichts ändern. Und es ist nicht schlimm, dass ich nichts ändern kann.“

die Franzi

Hallo,

dann belege ich die Begriffe akzeptieren / sich abfinden / nicht hassen auf der einen Seite und verzeihen auf der anderen Seite aber völlig anders.

Ich kann nämlich nachvollziehen, dass die Eltern die Situation akzeptieren und annehmen. Ich kann nicht nachvollziehen, dass sie verzeihen. Jedenfalls nicht in dem Sinn, wie ich den Begriff verzeihen gebrauche. Im Sinne von vergeben, dem anderen die Last des schlechten Gewissens nehmen. Ich kann es nicht richtig in Worte fassen.

Wenn sie das wirklich können, haben sie meine Bewunderung. Aber halt auch mein Unverständnis.

LG Barbara

sag ich ja
Hallo Kathleen,

in den meisten Dingen stimme ich dir zu. Nur hier muss ich was richtigstellen:

Du erwartest von Trauernden Überzeugungsfähigkeit?

Nein. Ich erwarte Überzeugungsfähigkeit von jemandem, der ein Buch schreibt und den Anspruch hat, Antworten zu wissen.

Das ist es zum Teil, was mir unglaubwürdig vorkommt:
Schlitters präsentieren sich nicht als Trauernde und Menschen, die eine Antwort auf das „Warum“ suchen. Sondern als Menschen , die alle Antworten wissen. Sowas ist mir immer unheimlich.

Jeder geht

anders mit der Trauer um:

Sag ich ja. Deswegen empfinde ich diesen „Trauerratgeber“ als unangemessen.

Zu welchen „Trauermethoden“ rietest Du denn?

Zu keiner speziellen. Siehe oben.

Viele Grüße

Kathleen