Emilia Galotti: Bürgerliche oder Adlige?

Kurze, knackige Frage: Welchem Stand gehört Lessings Emilia Galotti an?

Laut unten verlinkter Zusammenfassung der Uni Duesseldorf ist sie eine Bürgerliche:
http://www.uni-due.de/einladung/Vorlesungen/dramatik…

Ich habe daran allerdings so meine Zweifel. Indizien:

  1. Im Vierten Auftritt des Ersten Aufzugs sagt der Prinz über ihren Vater: „Er war es, der sich meinen Anspruechen auf
    Sabionetta am meisten widersetzte.–Ein alter Degen, stolz und rauh,
    sonst bieder und gut!“ Sabionetta meint hier eine Region in Oberitalien. Ein Bürgerlicher oder Bauer hat eigentlich keine Mitspracherechte, wenn ein Adliger einen Anspruch auf eine Region erhebt; dies haben nur Adlige, was dafür spricht, dass Emilia eben jenem angehört.

  2. Als Emilias Vater im Siebten Auftritt des Fünften Aufzugs im Schloss des Prinzen erscheint, stellt er fest, dass er „ohne Gewehr“ dorthin gegangen ist. Dies meint hier vermutlich weniger eine Feuerwaffe, als eine Klinge (vgl. auch die obige Bezeichnung als „alter Degen“). Das Tragen einer solchen war meines Wissens lange Zeit jedoch allein dem Adel vorbehalten; auch dürfte es Odoardo kaum möglich sein, als einfacher Bürgerlicher so weit in das Schloss vorzudringen, ohne aufgehalten / vertröstet worden zu sein.

Was denkt ihr? Ist Emilia eine Adlige?

  1. Im Vierten Auftritt des Ersten Aufzugs sagt der Prinz über
    ihren Vater: „Er war es, der sich meinen Anspruechen auf
    Sabionetta am meisten widersetzte.–Ein alter Degen, stolz und
    rauh,
    sonst bieder und gut!“ Sabionetta meint hier eine Region in
    Oberitalien. Ein Bürgerlicher oder Bauer hat eigentlich keine
    Mitspracherechte, wenn ein Adliger einen Anspruch auf eine
    Region erhebt; dies haben nur Adlige, was dafür spricht, dass
    Emilia eben jenem angehört.

Zur Zeit des aufgeklärten Absolutismus hatten Fürsten nicht selten auch Bürgerliche in ihren Räten, also kein Argument.

Historisch mag das richtig sein. Im Drama ist der Prinz allerdings alles andere als ein aufgeklärter Monarch, ebensowenig wie sein Hof als dem Ideal des aufgeklärten Adels entspricht.

Moin,

Kurze, knackige Frage: Welchem Stand gehört Lessings Emilia
Galotti an?

Laut unten verlinkter Zusammenfassung der Uni Duesseldorf ist
sie eine Bürgerliche:
http://www.uni-due.de/einladung/Vorlesungen/dramatik…

Ich habe daran allerdings so meine Zweifel. Indizien:

  1. Im Vierten Auftritt des Ersten Aufzugs sagt der Prinz über
    ihren Vater: „Er war es, der sich meinen Anspruechen auf
    Sabionetta am meisten widersetzte.–Ein alter Degen, stolz und
    rauh,
    sonst bieder und gut!“ Sabionetta meint hier eine Region in
    Oberitalien. Ein Bürgerlicher oder Bauer hat eigentlich keine
    Mitspracherechte, wenn ein Adliger einen Anspruch auf eine
    Region erhebt; dies haben nur Adlige, was dafür spricht, dass
    Emilia eben jenem angehört.

es geht nicht um Mitspracherecht sondern um Widerstand gegen die Staatsgewalt. Denke bitte an Spartacus - der war Sklave und hat trotzdem die Römische Republik aufgemischt.

Zweitens „alter Degen“ meint nicht, dass jener einen führen durfte, sondern seine Kampfstärke. Du denkst hier über die Wortbedeutungen des 18. Jahrhunderts nach; dazu bräuchte es heute wie für die Bibel fast eine Exegese. Wir meinen für viele Worte heute andere Inhalte.
Das typische Beispiel ist Intelligenz.
Zu Schillers Zeit hieß Intelligenz, von einem Fürsten verlangt Aufklärung … über feindliche Tätigkeit. Das nennen wir heute aber Spionage.

  1. Als Emilias Vater im Siebten Auftritt des Fünften Aufzugs
    im Schloss des Prinzen erscheint, stellt er fest, dass er
    „ohne Gewehr“ dorthin gegangen ist. Dies meint hier vermutlich
    weniger eine Feuerwaffe, als eine Klinge (vgl. auch die obige
    Bezeichnung als „alter Degen“). Das Tragen einer solchen war
    meines Wissens lange Zeit jedoch allein dem Adel vorbehalten;
    auch dürfte es Odoardo kaum möglich sein, als einfacher
    Bürgerlicher so weit in das Schloss vorzudringen, ohne
    aufgehalten / vertröstet worden zu sein.

sicher, dass es nicht ohne Gewähr heißt?
Dann wäre der Sinn ein völlig anderer!

zweitens: Bitte verabschiede Dich von der Vorstellung, es sei alles ständemäßíg absolut feststehend geregelt gewesen und eindeutig.
Waffen jeder Art konnte jeder Mann tragen; entweder aus eigenem Recht oder beauftragt durch seinen Fürsten/Vorgesetzten. Zudem konnte schon immer jeder der das Geld hatte alles kaufen. Oder wie sonst gäbe es bereits 200 Jahre vor Schiller Stadtverordnungen, die Bürgersfrauen das Tragen von Seide und Pelzen verbieten wollten - worüber die reichen Bürgersgattinnen noch nicht einmal lachten. Beschwerden des Magistrats über das Ignorieren solcher Vorschriften sind historisch mehrfach belegt.

letzter Punkt gegen Deine Interpretation:
Der Adel lebte bis ins 20.Jahrhundert hinein in völliger und inniger Gemeinschaft mit dem Volk. Kammerdiener und Zofen wohnten mit ihren Herren und begleiteten sie 24Stunden/365Tage. Zum Teil schliefen sie im gleichen Bett (die Bedienstetem am Fußende). Alle herrschaftlichen Wohnsitze und die Parks waren dem Volk zugänglich … es musste nämlich in ihnen gearbeitet werden. Ohne Rasenmäher und elektrischer Heckenschere dauert es den ganzen Sommer, einen Park ordentlich zu halten.
Es gab mit Sicherheit Wachen und ebenso sicherlich (darum machte man es ja) wurden einige intime Wohnbereiche verschlossen. Doch bis in die „Audienzräume“ vorzudringen, erforderte höchstens genug Ausdauer. Da wollten nämlich viele hin und darum stand man stundenlang in verschiedenen Vorzimmern, wo natürlich auch gesiebt wurde.

Stichwort: Adel - „adelstechnisch“ kann in manchen Ländern/Gesellschaften der 1. Sohn = der Stammhalter eines Adeligen den Adel erben, während der 2. Sohn derselben Eltern als Bürgerlicher gilt. Auch hier gilt, es gibt unendlich viele Varianten auf dieser Welt.

Und zum guten Schluss sind wir bei Emila Galotti in einem Bühnenstück.

Bitte nie das echte Leben mit dem dargestellten verwechseln!
Weder heute noch damals.

viele Grüße
Geli

Hallo Paradice,

Kurze, knackige Frage: Welchem Stand gehört Lessings Emilia
Galotti an?

kurze, knackige Antwort: hast Du den 6. Auftritt beim Lesen eigentlich überschlagen?

Etwas ausführlicher: Marinelli berichtet da doch unmissverständlich von einer Mésalliance, die Appiani eingehen will. Und damit auch ja keine Unklarheiten aufkommen, bezeichnet er Emilia explizit als „Mädchen ohne Vermögen und ohne Rang“. „Ohne Rang“ kann in diesem Kontext (eine junge, unverheiratete Frau) gar nicht anders verstanden werden als „nicht von adligem Stand“.

In diesem Auftritt findest Du auch einen Hinweis auf Odoardo Galetti, sogar in direktem Zusammenhang mit Sabionetta. Er ist Oberst - seine „Widersetzlichkeit“ war eine militärische, nicht eine politische. Der Hinweis auf Sabionetta erlaubt uns übrigens auch, die Zeit der Handlung des Dramas grob zu datieren - Sabionetta kam 1708 an das Herzogtum Guastalle. Odoardo hatte also offensichtlich auf Seite der Franzosen gegen Gonzaga gekämpft (Spanischer Erbfolgekrieg).

Dass Odoardo Galetti Offizier ist, erklärt natürlich auch, dass er üblicherweise bei einer offiziellen Audienz einen Degen trägt. Bürgerliche in hohen militärischen Kommandos waren im 18. Jahrhundert zwar nicht gerade häufig, aber auch keine Seltenheit. Das Offizierskorps Friedrichs des Großen beispielsweise bestand zu grob 15% aus Bürgerlichen. Das mit dem angeblichen Verbot für Bürgerliche, Waffen zu tragen, vergisst Du besser, das ist ein typisches factoid. Schon im Mittelalter war z.B. Studenten (unter denen sich zunehmend Bürgerliche befanden) das Waffentragen ausdrücklich (durch Privilege) erlaubt. Ähnliche Privilege wurden gegen Ende des Mittelalters (z.B. durch Kaiser Maximilian) bürgerlichen Fechtergilden ausgestellt.

Von diesen Belegen einmal ganz abgesehen: die ganze inhaltliche Konzeption des Dramas ist darauf abgestellt, bürgerliche und adlige Moral zu kontrastieren - was übrigens neben der literaturgeschichtlichen die zeitgeschichtliche Bedeutsamkeit dieses Dramas ausmacht. Selbstverständlich steht hier die Familie Galotti für die bürgerliche Moral - wer sonst? Und ein bürgerliches Trauerspiel würde ohne bürgerliches Personal ja irgendwie auch nicht so recht funktionieren, oder?

Freundliche Grüße,
Ralf

Hallo, Ralf!

Und damit auch ja keine Unklarheiten aufkommen,
bezeichnet er [Marinelli] Emilia explizit als „Mädchen ohne Vermögen und
ohne Rang“. „Ohne Rang“ kann in diesem Kontext (eine junge,
unverheiratete Frau) gar nicht anders verstanden werden als
„nicht von adligem Stand“.

Doch, ich habe diese Stelle durchaus gelesen und darüber gegrübelt. :wink: Ein gar so eindeutiges Indiz wie dir ist mir die Textstelle allerdings nicht. Man muss im Hinterkopf behalten: Es ist ein Höfling, der hier spricht, und jener urteilt natürlich nach Kriterien der höfischen Schicklichkeit. In dieser Rangliste stünde die Familie Galotti, die, dem Vater folgend, den Prinzenhof verabscheut, ganz weit unten - ganz sicher jedenfalls unter einer Figur wie Appiani, die sich zumindest am Prinzenhof bemüht. Die Galottis haben naturgemäß „keinen Rang“ am Prinzenhof, weil sie diesem Spinne-Feind sind.

Er (Odoardo) ist
Oberst - seine „Widersetzlichkeit“ war eine militärische,
nicht eine politische. Der Hinweis auf Sabionetta erlaubt uns
übrigens auch, die Zeit der Handlung des Dramas grob zu
datieren - Sabionetta kam 1708 an das Herzogtum Guastalle.
Odoardo hatte also offensichtlich auf Seite der Franzosen
gegen Gonzaga gekämpft (Spanischer Erbfolgekrieg).

Das würde die Abneigung Odoardos gegen den Prinzenhof (und vice versa) erklären. Dennoch: Der militärische Rang (der des Obersten) spricht eher für adlige Abstammung, da bürgerliche Befehlhaber, wie du selbst sagst, eher selten waren.

Und ein bürgerliches Trauerspiel würde ohne
bürgerliches Personal ja irgendwie auch nicht so recht
funktionieren, oder?

Das ist leider eine vielgelesene Fehlkonzeption. Gerade das bürgerliche Trauerspiel der 50er und 60er Jahre definiert sich ja gerade _nicht_ im soziologischen Sinne („bürgerlich“ = mit Figuren aus dem Bürgertum arbeitend). Vgl. Lessings „Miß Sara Sampson“ (nebenbei bemerkt das einzige Stück von Lessing, das sich expressis verbis „Bürgerliches Trauerspiel“ nennt, zumindest in der ersten Auflage): Alle wichtigen handelnden Figuren (_Miß_ Sara, _Sir_ William, Mellefont, Marwood) entstammen dem Adel, wenn auch vermutlich dem aufgeklärten Landadel. „Bürgerlich“ meint in dieser Zeit ja eben nicht „im Bürgertum spielend“, sondern vielmehr „nicht-höfisch, den privaten, familiären Bereich betreffend.“
Erst in den 70ern, da hast du Recht, verschiebt sich die Perspektive allmählich in Richtung einer soziologischen Definition von „bürgerlich“. Schillers „Kabale und Liebe“ (allerdings mehr als eine Dekade später erschienen) fällt definitiv hierunter, hier haben wir mit den Millers expressis verbis Charaktere aus dem einfachen Bürgertum.
Das stellt nicht in Abrede, dass „Emilia Galotti“ eine ganze Reihe von ständischen oder besser hofkritischen Bemerkungen enhält - das hattest du ja richtig angemerkt. Nur: Für Hofkritik braucht es nicht zwangsweise bürgerliche Charaktere (vgl. Appiani). Mir geht es um konkrete Textbelege dafür, dass Lessings zweites bürgerliches Trauerspiel Anfang der 70er tatsächlich schon bereit ist, sich von der Ständeklausel zu verabschieden und bürgerliche Charaktere (im soziologischen Sinne) einzusetzen.

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es geht nicht um Mitspracherecht sondern um Widerstand gegen
die Staatsgewalt. Denke bitte an Spartacus - der war Sklave
und hat trotzdem die Römische Republik aufgemischt.

Gut, einverstanden.

Zweitens „alter Degen“ meint nicht, dass jener einen führen
durfte, sondern seine Kampfstärke.

Die mittelhochdeutsche Bedeutung ‚Kämpfer, Streiter‘ ist mir durchaus bewusst. Gerade deswegen komme ich ja darauf, sie als Indiz _gegen_ Odoardos Bürgerlichkeit zu werten: Im Mhd. wurde sie überwiegend für Ritter, d.h. für Krieger von hoher Geburt, verwendet.

sicher, dass es nicht ohne Gewähr heißt?
Dann wäre der Sinn ein völlig anderer!

Schau’ die Textstelle nochmal nach. :wink: Es geht ihm tatsächlich um die Bewaffnung; Orsina springt ihm auf die Bemerkung hin „hilfreich“ bei und steckt ihm ihren Dolch zu.

Zu den Ausführungen hinsichtlich des Waffentragens und des Durchdringens zur Audienz: Gut, akzeptiert.

Und zum guten Schluss sind wir bei Emila Galotti in einem
Bühnenstück.
Bitte nie das echte Leben mit dem dargestellten verwechseln!
Weder heute noch damals.

Das ist ein alter Hut. :wink: Nur: Mit der aufklärerischen Natürlichkeitspoetik im Hintergrund, gekoppelt mit Lessings verstärkten Bemühungen um Illusionstheater (Stichwort: „Wahrscheinlichkeit“) darf man durchaus erwarten, dass der Text sich durchaus stärker um Mimesis und Einklang mit den realen Gegebenheiten _bemüht_. Ob das im Einzelfall immer so ist, da gebe ich dir Recht, muss geprüft werden.

Hallo ParaDice,

grundsätzlich ist es schon so, dass aus dem Text des Dramas nicht eindeutig entscheidbar ist, ob die Galotti nun der obersten Schicht des Bürgerstandes angehören oder aber dem niederen Landadel. „Indizien“ gibt es für beides - die beiden von Dir genannten „stechen“ freilich nicht. Was davon übrig bleibt ist lediglich, dass Odoardo Galotti als Bürgerlicher mit hohem militärischem Rang einer kleinen Minderheit angehören würde - was andererseits seine ‚Ebenbürtigkeit‘ in Hinsicht auf Fähigkeiten und Verdienst (und eben nicht durch Abstammung) unterstreichen würde.

Und damit auch ja keine Unklarheiten aufkommen,
bezeichnet er [Marinelli] Emilia explizit als „Mädchen ohne Vermögen und
ohne Rang“. „Ohne Rang“ kann in diesem Kontext (eine junge,
unverheiratete Frau) gar nicht anders verstanden werden als
„nicht von adligem Stand“.

Doch, ich habe diese Stelle durchaus gelesen und darüber
gegrübelt. :wink: Ein gar so eindeutiges Indiz wie dir ist mir die
Textstelle allerdings nicht.

So weit stimme ich Dir zu. Man könnte nun lang und breit darüber diskutieren, wie das zeitgenössische Publikum diese Aussage aufgefasst hat. Das würde den Rahmen dieses Forums sprengen und bliebe letzlich doch weitestgehend spekulativ - ebenso wie die (durchaus erörterte) Frage, ob Lessing in seinem Drama ganz bewusst offen gelassen hat, welchem Stand die Galotti angehören.

Deine folgende Argumentation halte ich freilich für anachronistisch.

Man muss im Hinterkopf behalten:
Es ist ein Höfling, der hier spricht, und jener urteilt
natürlich nach Kriterien der höfischen Schicklichkeit. In
dieser Rangliste stünde die Familie Galotti, die, dem Vater
folgend, den Prinzenhof verabscheut, ganz weit unten - ganz
sicher jedenfalls unter einer Figur wie Appiani, die sich
zumindest am Prinzenhof bemüht. Die Galottis haben naturgemäß
„keinen Rang“ am Prinzenhof, weil sie diesem Spinne-Feind
sind.

Diese „Feindschaft“ halte ich für arg konstruiert. Die Galotti halten zum einen Abstand vom Hof aus Gründen moralischer Mißbilligung, zum anderen sind sie gar nicht hoffähig, weil sie (selbst, wenn sie dem niederen Landadel angehörten) keinen entsprechenden Adelsrang haben - nicht, weil sie mit dem Hof „verfeindet“ wären.

Das würde die Abneigung Odoardos gegen den Prinzenhof (und vice versa) erklären.

Die - wenn wir sie mal so ohne weiteres voraussetzen - hat keine politischen Ursachen. Zumindest nicht in diesem Drama; Lessing wollte ja aus dem Verginia-Stoff ganz entschieden kein politisches Drama machen, was der ohne weiteres hergegeben hätte. Es gab unter Adligen und hohen Offizieren einen Komment, eine ‚internationale Klassensolidarität‘, die sich in Resten noch bis ins 20. Jahrhundert hinein erhielt. Persönliche Feindschaften, nur weil man mal auf unterschiedlichen Seiten gestanden hatte, hatten da schlicht keinen Platz. Gonzaga macht ja auch deutlich, dass er Galotti auf Grund seiner militärischen Tüchtigkeit schätzt und achtet. Insofern ist auch diese von Dir vorgeschlagene „Erklärung“ anachronistisch.

Grundsätzlich ist die Meinung, die Du hier vertrittst, ja nichts Neues. Eines Deiner Argumente findet man z.B. direkt in Nisbetts Lessing-Biographie von 2008, nämlich:
„Odoardo hat Grundbesitz und trat als solcher den territorialen Ambitionen des Prinzen öffentlich entgegen, was undenkbar wäre, wenn er nicht dem Adel angehörte“

  • wobei Nesbitt freilich nur zeigt, dass er sich offensichtlich mit dem historischen Hintergrund des Dramas gar nicht beschäftigt hat. Das ist schlicht eine grobe Fehl- bzw. Überinterpretation; Nesbitt hätte da besser erst einmal einen Historiker konsultiert.

Wie gesagt - es gibt für beide Auffassungen Indizien, wobei ich die, die für den bürgerlichen Stand der Galotti sprechen, für überzeugender halte. Am schwersten wiegt da wohl Lessings Brief an Nicolai vom 21.01.1758 - also zu einem Zeitpunkt, als Lessing die Emilia Galotti konzipierte:

„Unterdeß würde mein junger Tragikus fertig, von dem ich mir, nach meiner Eitelkeit, viel Gutes verspreche; denn er arbeitet ziemlich wie ich. Er macht alle sieben Tage sieben Zeilen; er erweitert unaufhörlich seinen Plan, und streicht unaufhörlich etwas von dem schon Ausgearbeiteten wieder aus. Sein jetziges Sujet ist eine bürgerliche [sic!] Virginia, der er den Titel Emilia Galotti gegeben …“

Freundliche Grüße,
Ralf

Das ist ein alter Hut. :wink: Nur: Mit der aufklärerischen
Natürlichkeitspoetik im Hintergrund, gekoppelt mit Lessings
verstärkten Bemühungen um Illusionstheater (Stichwort:
„Wahrscheinlichkeit“) darf man durchaus erwarten, dass der
Text sich durchaus stärker um Mimesis und Einklang mit den
realen Gegebenheiten _bemüht_. Ob das im Einzelfall immer so
ist, da gebe ich dir Recht, muss geprüft werden.

Dazu wäre anzumerken, dass die (mE durchaus nicht unberechtigte) Kritik Johann Jacob Bodmers auf etwas ganz anderes abzielt als auf die hier diskutierten Umstände - nämlich auf die mangelnde Plausibilität der Tötung Emilias. Bodmer wäre nicht Bodmer gewesen, wenn er aus seiner Kritik nicht selbst ein kleines Drama gemacht hätte: ‚Odoardo Galotti, Vater der Emilia‘. Hier zu lesen. Für Eilige: auf den Punkt kommt Bodmer erst im Epilogus, den man durchaus für sich alleine lesen kann.

Mal schauen, wenn ich heute abend etwas Zeit habe, sehe ich vielleicht mal nach, ob es eine Kritik von Wieland im Deutschen Merkur gibt. In Bd. 1/1793 S. 175f hatte er sie zumindest angekündigt.

Gruß,
Ralf