Hallo ParaDice,
grundsätzlich ist es schon so, dass aus dem Text des Dramas nicht eindeutig entscheidbar ist, ob die Galotti nun der obersten Schicht des Bürgerstandes angehören oder aber dem niederen Landadel. „Indizien“ gibt es für beides - die beiden von Dir genannten „stechen“ freilich nicht. Was davon übrig bleibt ist lediglich, dass Odoardo Galotti als Bürgerlicher mit hohem militärischem Rang einer kleinen Minderheit angehören würde - was andererseits seine ‚Ebenbürtigkeit‘ in Hinsicht auf Fähigkeiten und Verdienst (und eben nicht durch Abstammung) unterstreichen würde.
Und damit auch ja keine Unklarheiten aufkommen,
bezeichnet er [Marinelli] Emilia explizit als „Mädchen ohne Vermögen und
ohne Rang“. „Ohne Rang“ kann in diesem Kontext (eine junge,
unverheiratete Frau) gar nicht anders verstanden werden als
„nicht von adligem Stand“.
Doch, ich habe diese Stelle durchaus gelesen und darüber
gegrübelt.
Ein gar so eindeutiges Indiz wie dir ist mir die
Textstelle allerdings nicht.
So weit stimme ich Dir zu. Man könnte nun lang und breit darüber diskutieren, wie das zeitgenössische Publikum diese Aussage aufgefasst hat. Das würde den Rahmen dieses Forums sprengen und bliebe letzlich doch weitestgehend spekulativ - ebenso wie die (durchaus erörterte) Frage, ob Lessing in seinem Drama ganz bewusst offen gelassen hat, welchem Stand die Galotti angehören.
Deine folgende Argumentation halte ich freilich für anachronistisch.
Man muss im Hinterkopf behalten:
Es ist ein Höfling, der hier spricht, und jener urteilt
natürlich nach Kriterien der höfischen Schicklichkeit. In
dieser Rangliste stünde die Familie Galotti, die, dem Vater
folgend, den Prinzenhof verabscheut, ganz weit unten - ganz
sicher jedenfalls unter einer Figur wie Appiani, die sich
zumindest am Prinzenhof bemüht. Die Galottis haben naturgemäß
„keinen Rang“ am Prinzenhof, weil sie diesem Spinne-Feind
sind.
Diese „Feindschaft“ halte ich für arg konstruiert. Die Galotti halten zum einen Abstand vom Hof aus Gründen moralischer Mißbilligung, zum anderen sind sie gar nicht hoffähig, weil sie (selbst, wenn sie dem niederen Landadel angehörten) keinen entsprechenden Adelsrang haben - nicht, weil sie mit dem Hof „verfeindet“ wären.
Das würde die Abneigung Odoardos gegen den Prinzenhof (und vice versa) erklären.
Die - wenn wir sie mal so ohne weiteres voraussetzen - hat keine politischen Ursachen. Zumindest nicht in diesem Drama; Lessing wollte ja aus dem Verginia-Stoff ganz entschieden kein politisches Drama machen, was der ohne weiteres hergegeben hätte. Es gab unter Adligen und hohen Offizieren einen Komment, eine ‚internationale Klassensolidarität‘, die sich in Resten noch bis ins 20. Jahrhundert hinein erhielt. Persönliche Feindschaften, nur weil man mal auf unterschiedlichen Seiten gestanden hatte, hatten da schlicht keinen Platz. Gonzaga macht ja auch deutlich, dass er Galotti auf Grund seiner militärischen Tüchtigkeit schätzt und achtet. Insofern ist auch diese von Dir vorgeschlagene „Erklärung“ anachronistisch.
Grundsätzlich ist die Meinung, die Du hier vertrittst, ja nichts Neues. Eines Deiner Argumente findet man z.B. direkt in Nisbetts Lessing-Biographie von 2008, nämlich:
„Odoardo hat Grundbesitz und trat als solcher den territorialen Ambitionen des Prinzen öffentlich entgegen, was undenkbar wäre, wenn er nicht dem Adel angehörte“
- wobei Nesbitt freilich nur zeigt, dass er sich offensichtlich mit dem historischen Hintergrund des Dramas gar nicht beschäftigt hat. Das ist schlicht eine grobe Fehl- bzw. Überinterpretation; Nesbitt hätte da besser erst einmal einen Historiker konsultiert.
Wie gesagt - es gibt für beide Auffassungen Indizien, wobei ich die, die für den bürgerlichen Stand der Galotti sprechen, für überzeugender halte. Am schwersten wiegt da wohl Lessings Brief an Nicolai vom 21.01.1758 - also zu einem Zeitpunkt, als Lessing die Emilia Galotti konzipierte:
„Unterdeß würde mein junger Tragikus fertig, von dem ich mir, nach meiner Eitelkeit, viel Gutes verspreche; denn er arbeitet ziemlich wie ich. Er macht alle sieben Tage sieben Zeilen; er erweitert unaufhörlich seinen Plan, und streicht unaufhörlich etwas von dem schon Ausgearbeiteten wieder aus. Sein jetziges Sujet ist eine bürgerliche [sic!] Virginia, der er den Titel Emilia Galotti gegeben …“
Freundliche Grüße,
Ralf