Hallo Carolin!
Ich lese jeden Tag aufs Neue :von Firmengewinnen in :ungeahnten :schwindelerregenden Höhen. :Von einem Rekord nach dem :anderen.
Du hörst und liest von den meistens Unternehmen gar nichts. Das Bild der Wirtschaft in der Öffentlichkeit wird von wenigen börsennotierten Unternehmen bestimmt, die aber gar nicht die Wirtschaft repräsentieren. Du hörst nur von wenigen Aktiengesellschaften, die sich ihr Eigenkapital von Aktionären beschaffen. Aktionäre wollen Rendite für ihr eingesetztes Geld sehen. Wenn Du Aktien kaufst, wirst Du nicht besonders erfreut reagieren, wenn das Unternehmen, in das Du Dein Geld investiert hast, voller Stolz berichtet, es würde ein paar tausend Mitarbeiter aus sozialen Gründen mit Kaffeekochen und Klönschnack beschäftigen und mit der Rendite für Dein Geld sei es deshalb Essig. Sobald Du solche Töne hörst, wirst Du wütend rufen „ich bin doch nicht die Caritas!“ und die Aktien des Sauladens verkaufen. Als Aktionärin wird Du auch nicht zufrieden sein, wenn sich Dein Geld nur mit z. B. 3% verzinst. Dafür trägst Du immerhin das Risiko des Totalverlusts und würdest ruhiger schlafen, wenn Du Dein sauer Verdientes zur Sparkasse bringst.
Warum will/muss man jetzt die :Unternehmen noch mehr :entlasten?
Unsere Wirtschaft besteht weit überwiegend aus kleinen und mittleren Unternehmen. Außerdem fehlen uns ein paar Millionen Arbeitsplätze. Wenn in Hamburg ein Alu-Hersteller schließt, wäre das weiter nicht schlimm, wenn laufend genug neue Betriebe mit neuen Produkten entstünden. Aber genau das passiert nicht. Offensichtlich ist es nicht attraktiv genug und/oder zu schwierig, ein neues Unternehmen zu gründen. Aber wir brauchen dringend mehr Unternehmer und mehr Unternehmen. Anders sind Arbeitsplätze nicht zu schaffen. Wenn wir mehr Unternehmen brauchen, überlege selbst, ob sich dieses Ziel erreichen läßt, indem man unternehmerisches Tun erschwert oder ob es vielleicht schlauer wäre, das Dasein als Unternehmer attraktiver zu gestalten.
Außerdem fällt mir ein, dass :trotzdem immer mehr Leute auf :die Straße geschickt werden. :Gibt es keine soziale :Verantwortung mehr?
Mehr Leute zu beschäftigen, als im Unternehmen gebraucht werden, zeugt i. d. R. nicht von besonders ausgeprägtem Verantwortungsbewußtsein. Ein Handwerksmeister, der 10 Leute tatsächlich braucht, aber 12 Mitarbeiter bezahlt, ist schnell am Ende. Wenn er in der Folge ins Aus gerät, war der Betriebsinhaber nicht besonders sozial, sondern nur besonders unfähig. In der Praxis sind dann nämlich alle Beschäftigten ihren Job los.
Und bringt es wirklich etwas, :wenn eine z.B. :Arbeitslosenversicherung um :1-2 Prozent gesenkt wird? :Merkt das ein Unternehmen :überhaupt?
Man kann schlecht alle Branchen und Unternehmen über einen Kamm scheren. Trotzdem versuche ich es mal: Ein Durchschnittslohn liegt irgendwo bei 2.500 € brutto im Monat. 2% Senkung des Al-Vers.-Beitrages sind 50 €. Davon zahlt der Betrieb die Hälfte, also 25 €. Beim Handwerksmeister mit seinen 10 Beschäftigten kommt man auf 250 € monatliche Entlastung. Ein Teil davon wird sogleich wieder weggesteuert. Insgesamt kommt die Maßnahme nicht über den Tropfen auf den heißen Stein hinaus. Beschäftigungseffekte werden im Rauschen saisonaler Schwankungen untergehen. Aber immerhin, die Richtung stimmt. Ein bißchen mehr Geld bleibt in privater Hand, statt im großen staatlichen Loch einfach zu verschwinden.
Das zu schnürende Paket muß viel umfänglicher ausfallen, um spürbare Effekte zu erzielen. Die Staatsquote muß insgesamt herunter gefahren werden. Das Gemeinwesen muß schlanker und damit preiswerter werden. Wir brauchen mehr Eigenverantwortung und Kostentransparenz in der Krankenversicherung und einen höheren Anteil privater Vorsorge in der Altersvorsorge. Die staatlichen soz. Sicherungssysteme müssen billiger werden, die Kosten weg von den Lohnkosten. Der Staat muß sich von ganzen Aufgabenbereichen trennen und viele Reglementierungen ersatzlos streichen. Was man nicht reglementiert, muß man nicht überwachen, nicht verwalten und dafür braucht man dann keine Staatsdiener mehr. Das Beamtenrecht braucht eine tiefgreifende Reform. Es geht nicht an, daß ein Verwaltungsbeamter bei der Post mit spätestens 50 in den Ruhestand geht, weil es die Beamtenpost nicht mehr gibt und die Betroffenen andere Verwaltungsstellen nicht annehmen müssen. Wir sollten uns dringend überlegen, worin die hoheitliche Aufgabe beim Mathe-Unterricht oder bei der BWL-Vorlesung besteht und wozu wir 250.000 Soldaten brauchen.
Neben den genannten fallen mir noch eine ganze Reihe aus meiner Sicht dringend erforderlicher Unbequemlichkeiten ein, aber das alles wird nicht reichen, um mehr Menschen in den Arbeitsmarkt zu bringen und die Verschuldung des Gemeinwesens nicht weiter fortschreiten zu lassen. Die wichtigste Veränderung hat in den Köpfen vieler Millionen Menschen stattzufinden. Wir brauchen mehr Bereitschaft zu umfassender Eigenverantwortung. Wir müssen es schaffen, daß sich niemand mehr beschwert, daß er keine Arbeit findet und sich niemand über zu geringe Zuwendungen beklagt. Das Gemeinwesen kann auf Dauer nicht mehr leisten, als das letzte, wenig komfortable Notnetz vor dem Absturz ins Nichts bereit zu halten. Alles andere muß privat jeder Einzelne selbst bewerkstelligen. Wer sich beklagt, daß er als Ägyptologe keinen Arbeitsplatz findet, soll statt dessen eine Industrieberatung zur Förderung deutsch-ägyptischer Wirtschaftsbeziehungen gründen. Wir müssen von der Mentalität weg, daß immer jemand anderes für Arbeit, für Unterkunft, für den Kühlschrank und seinen Inhalt zuständig ist.
Gruß
Wolfgang