Erster Weltkrieg - Rolle von Kaiser Wilhelm II

Hallo Experten,

ich bin gerade im Wiki-Artikel über den ersten Weltkrieg über folgenden Satz gestolpert:

Kaiser Wilhelm II. hatte Österreich-Ungarn Unterstützung versprochen und auf ein rasches Losschlagen gedrängt.

Irgendwie hatte ich in meiner - zugegeben dunklen - Geschichtserinnerung, dass Kaiser Wilhelm II. ganz im Gegenteil im Vorfeld des Krieges noch mittels Briefen an seinen Vetter den Zaren von Russland eine Ausweitung der Aggressionen von Österreich gegen Serbien zu einem europaweiten Krieg verhindern wollte. Auch meine ich mich zu erinnern, dass Wilhelm II. zumindest anfangs versuchte mit Briefen relativ beschwichtigend auf Österreich einzuwirken (d.h. der politischen Lösung mittels Sanktionen etc. den Vorzug zu geben), auch wenn später ein Krieg vom deutschen Militär und weiten Teilen der deutschen Führung als vielversprechende Chance (im Sinne einer Stabilisierung und Ausweitung deutscher Machtansprüche in Europa) eingeschätzt wurde.

Habe ich mir da einfach was falsch gemerkt und war es in der Tat so wie der Wiki-Artikel es darstellt, dass nämlich Kaiser Wilhelm II. von Deutschland und nicht Kaiser Franz-Josef von Österreich der eigentliche „Kriegstreiber“ war?

Vielen Dank für aufklärende Hinweise.

Gruß,
Sax

Dem österreichischen Kaiser machte spätestens das Attentat deutlich, daß die Sicherheit seines Reiches durch den serbischen Panslawismus gefährdet war. Am 5. Juli 1914 ließ er durch seinen Botschafter Szögyéni in Berlin eine Denkschrift überbringen, die einen Balkanbund anregte, der Serbien isolieren sollte. Kaiser Wilhelm nahm die serbische Bedrohung ernst, wollte aber keine Empfehlung über weitere Reaktionen geben, da „… wir mit allen Mitteln dagegen arbeiten müßten, daß sich der österreichisch-serbische Streit zu einem internationalen Konflikt auswachse.“

Das zeigt, dass Wilhelm II nicht wie behauptet lospreschen wollte. Ohnehin scheint der deutsche Kaiser damals nicht besonders in Kriegslaune gewesen zu sein. Wenige Tage bevor der Krieg ausbrach, reiste er in den Sommerurlaub.

Bleibt also festzuhalten: Wikipedia muss die vorgekauten Meinungen wiedergeben (obwohl mich das hier wundert, wo eigentlich unter Historikern schon ewig nicht mehr behauptet wird, Deutschland sei am 1. Weltkrieg schuld).
Um sich ein etwas klareres Bild über die Geschichte machen zu können, muss man leider viel zu oft, auf Historiker ausweichen, die abseits vom „Mainstream“ forschen.
Dass sind für Geschichte des Kaiserreiches und des Dritten Reiches meist rechts gesinnte, für z.B. die DDR links gesinnte Historiker.
Um ein weniger verklärtes Geschichtsbild, dass mehr auf Fakten beruht, zu kommen, muss man sich leider deren Schriften antun (obwohl es komisch klingt, dass ein Rechter tatsachenbasierter über das 3. Reich, und ein Linker über die DDR, berichtet, zeigt die Erfahrung, dass es tatsächlich so läuft.

Hallo,

Kaiser Wilhelm II. hatte Österreich-Ungarn Unterstützung
versprochen und auf ein rasches Losschlagen gedrängt.

Das Deutsche Reich (ich weiss nicht, ob es der Kaiser selbst war) hat Habsburg eine Art Blankovollmacht für einen Krieg gegen Serbien gegeben. Der Kaiser war eher zurückhaltend, hat noch kurz vor oder nach Ausbruch des Krieges mit England (seine Mutter war bekanntlich Engländerin) intensiv mit England (wem immer) kommuniziert, um den Krieg noch zu verhindern. Aber es war wohl das Militär, das ihm klar gemacht hat, „dass die Maschinerie nicht mehr zu stoppen sei.“ Lies nach in div. Geschichtsbüchern - Sebastian Haffners „Von Bismarck bis Hitler“ ist relativ kurz und übersichtlich, H.A. Winkler „Der lange Weg nach Westen“ ist sehr viel umfangreicher und detaillierter… Bei beiden liest Du auch, dass W"ilhelm eher kriegsunlustig war.

… dass nämlich Kaiser
Wilhelm II. von Deutschland und nicht Kaiser Franz-Josef von
Österreich der eigentliche „Kriegstreiber“ war?

Für den ehemaligen österreichischen Kanzler Bruno Kreisky war Österreich hauptschuldig am Krieg: Nachdem Serbien das eigentlich unannehmbare Ultimatum Wiens in letzter Sekunde angenommen hat, hat Ö. S. den Krieg erklärt, D hat „Nibelungentreue“ gezeigt.

Ob D „nach der Weltmacht gegriffen hat“ (Fritz Fischers Buch aus den 60er Jahren), muss man nicht glauben, aber hauptschuldig war es schon. Das wird auch nicht dadurch gemildert, dass auch die anderen Mächte nicht gerade kriegsverhindernd gewirkt haben.

Gruß
Laika

Der Text des Ultimatums kam vor allem aus Berlin.
Schließlich hatten die Serben das Ultimatum erfüllt bis auf einen Punkt: Das Ultimatum verlangte die Untersuchung durch österreichische Beamte.
Kein souveräner Staat kann dem zustimmen, damals - mit den Ehrbegriffen der Zeit - sowieso nicht.
In Berlin wußte man das genau.
Natürlich war es ein Vorwand für die Öffentlichkeit, wie die Emser Depesche lange zuvor auch schon.

Dies und die Tatsache, daß Wilhelm II. die Kriegserklärung nur nicht zu unterschreiben brauchte, machen Deutschland zum Hauptschuldigen des Krieges.

Wilhelm wußte nicht, was er wollte: wenn er mit dem Säbel rasselte, wunderte er sich hinterher über die Folgen.

Die bayerische Regierung hat übrigens schon 1919 die wichtigsten Dokumente zur deutzschen Kriegsschuld veröffentlicht.

Servus,

Der Text des Ultimatums kam vor allem aus Berlin.

Das war mir neu. Hast Du da eine Quelle für?

Ich dachte immer Kaiser Wilhelm hätte „lediglich“ mit seinem Telegramm 6. Juli 1914 eine „Blankovollmacht“ dem österreichischen Kaiser (bzw. Außenminister Graf Leopold Berchtold) ausgestellt, der dann seinerseits das Ultimatum an Serbien formulierte.

Lasse mich da aber gerne korrigieren.

Gruß,
Sax