Eßkultur in verschiedenen Bundesländern

Hallo,

ein Bekannter von mir vertrat neulich bei einem Gespräch die Meinung, daß allgemein in Bundesländern, die gleichzeitig Weinbau betreiben besser gekocht wird.

Dabei ging es nicht um das Essen im Restaurant, (da würde ich unter Umständen zustimmen) sondern um die allgemeine Eßkultur im Alltag.

Da bin ich eigentlich der Meinung, daß gerade die Jugend in Deutschland ohne regionale Unterschiede schlecht kocht. Hiermit ist die Tendenz zur Fastfood oder zu Produkten wie KNORR oder MAGGI gemeint.

Bitte beachten: Ich weiß es gibt sehr viele sehr gute Köche und Köchinnen, ich koche selbst und es geht mir nicht um den Einzelnen.

Wie sind Eure Erfahrungen oder Meinungen ??

Grüße

Bettina

Hallo Bettina,

daß allgemein in Bundesländern, die gleichzeitig
Weinbau betreiben besser gekocht wird.

wenn man regionale Kultur in D differenzieren will, sind Bundesländer als Kriterium gänzlich ungeeignet. Ganz grob sind die regionalen Sprachen etwa sechshundert Jahre alt, die Küche etwa dreihundert, die „Folklore“ etwa einhundertundfünfzig. Und die heutigen deutschen Bundesländer zwischen vierzehn und fünfundfünfzig Jahre.

Ferner gibt es unabhängig von den Regionen Spezifika der Küche, die von Klassen respektive sozialen Schichten und Gruppierungen abhängen.

Mir fehlt der vollständige Vergleich, ich kenne nur einige Teile Deutschlands gut. Ich habe überall gute regionale und schlechte standardisierte Küche gefunden. Wirklich abscheuliche Kässpätzle wurden mir in Braunschweig aufgetischt, eine ebensolche Ratatouille (im Februar!) in Tübingen.

Vor langer Zeit habe ich ein bekanntes Fischgut südlich Uelzen aufgesucht. Der Fisch war sehr erfreulich, aber auf der Weinkarte stand (ohne Schmäh): Weißweine (1) Rhein (2) Mosel; Rotweine (1) Forster Schnepfenflug (2) Französischer Landwein. Punktum.

In Berne wurde es gar als etwas seltsam angesehen, wenn einer zum Fisch kein Jever haben wollte. Frisia non cantat.

Ob der Südwesten wirklich im Durchschnitt besser kocht? Das Gefühl habe ich, aber wie will man das objektiv beurteilen? Und was ist mit einer Braunschweiger Senfsoße? einem Rheinischen Sauerbraten? der Münsteraner Fischküche? einem Grünkohlgericht aus dem Nassen Dreieck? Klößen aus dem Kartoffelland zwischen Güstrow und Stavenhagen? Einer Berliner Currywurst? Einen ordentlichen Kaffee in einer Bierkneipe wird man hier nicht kriegen, aber am Niederrhein immer. Umgekehrt: Wenn ein Fremder sich hat von dem Ruf schwäbischer Lebensfreude anlocken lassen, wie viele grässliche Jäger-, Zigeuner und Hawaiischnitzel muss er überwinden, bis er im großen Stuttgart am äußeren Ende der Olgastraße im Souterrain das Schild „Kochenbaas“ leuchten sieht: Vielleicht dem einzigen Innenstadtlokal, wo Rostbraten & Spätzle … psst, nicht mehr. Ist eh immer voll da.

Vorschlag: Der Reichtum liegt in den Unterschieden, Qualität hängt wesentlich von der Aufmerksamkeit des Einzelnen ab. Katholizismus als vorherrschende Religion begünstigt die Freude an diesseitigen Genüssen, ist aber keine Bedingung.

Schöne Grüße

MM

Und was ist mit einer Braunschweiger Senfsoße? einem
Rheinischen Sauerbraten? der Münsteraner Fischküche? einem
Grünkohlgericht aus dem Nassen Dreieck? Klößen aus dem
Kartoffelland zwischen Güstrow und Stavenhagen? Einer Berliner
Currywurst? Einen ordentlichen Kaffee in einer Bierkneipe wird
man hier nicht kriegen, aber am Niederrhein immer. Umgekehrt:
Wenn ein Fremder sich hat von dem Ruf schwäbischer
Lebensfreude anlocken lassen, wie viele grässliche Jäger-,
Zigeuner und Hawaiischnitzel muss er überwinden, bis er im
großen Stuttgart am äußeren Ende der Olgastraße im Souterrain
das Schild „Kochenbaas“ leuchten sieht: Vielleicht dem
einzigen Innenstadtlokal, wo Rostbraten & Spätzle … psst,
nicht mehr. Ist eh immer voll da.

Deutschland hört nicht mit der Elbe-Saale-Linie auf. Nur mal so zur Info :smile:

Thüringer Klöße.
Erzgebirgisches Neunerlei ( zu Weihnachten ).

Fällt mir nur jetzt spontan dazu ein.
Und „Sachsen“ gibt es auch nicht erst seit 14 Jahren, auch früher, über die „DDR“ - Zeit hinaus wie auch Thüringen schon immer zusammenhängende „Staats“-Gebilde und keine Nachkriegskreaturen, Nachfolgestaaten Preußens - bunte Würflungen wie Mecklenburg-Vorpommern oder Nordrhein-Westfalen.

Gut wird überall gekocht. In der Lüneburger Heide genauso wie im brandenburgischen Spreewald. Trifft auch auf den Kaffee zu.

HM

Vielen Dank für die Beispiele regionaler Küche aus deutschen Landen, aber: Werden diese auch gekocht, oder: Was kocht Frau M. aus W an einem Donnerstag ??

Ich interessiere mich sehr für regionale Küche und wollte vor Jahren von einer sehr jungen Kollegin aus den damals für mich noch fremden östlichen Bundesländern regionale Küche wissen, nicht was man u.U. in Restaurants bekommt, sondern einfach was ihre Mutter kocht. Sie hatte nach etwas Nachdenken ein Rezept, das letzten Endes unter "früherer Fastfood (Hackfleisch und Käse und Nudeln - Sachsen) rangieren würde.
Dieses Erlebnis hatte ich häufiger. Ich bin sicher, es gibt regionale Küche in einzelnen Haushalten, aber mein Eindruck ist, daß die Mehrheit bei Paprikaschnitzel aus der Tüte oder Miraculi hängengeblieben ist. Eine Ausnahme vielleicht ist die immer neue Bewegung „gesunde Küche“, die mir aber nicht regional vorkommt.

Grüße Bettina

Hallo,
ein Standardkochbuch zu Deinem Thema:
‚Unvergessene Küche‘, in Antiquariaten zu bekommen. z.B.
http://www.buchgourmet.com/prod_details.asp?producti…
Ich glaube, es wurde auch nochmal neu aufgelegt.
Die Rezepte simmen - zumindest die fränkischen und ostpreußischen, und in Franken wird heute immer noch so gekocht. Da grinst Dir jedenfalls nicht aus jedem Rezept der Biolek entgegen.

Viel Spass damit

Gruß
Peter

Hallo Herr Meyer,

Und „Sachsen“ gibt es auch nicht erst seit 14 Jahren, auch
früher, über die „DDR“ - Zeit hinaus wie auch Thüringen schon
immer zusammenhängende „Staats“-Gebilde

eben Staats-Gebilde, und Sachsen enthält u.a. Ober- und Niederlausitz, aber auch ein ordentliches Stück Erzgebirge, Vogtland und selbstverständlich auch das Leipziger Land & das untere Muldetal, welche man als pars pro toto von außen gesehen als Sachsen betrachtet.

Wenn man ein wenig weiter krümeln will, kann man innerhalb der lutherischen Abrlausitz noch die teilweise katholisch gebliebene innre Wendei differenzieren etc.

Dieses, meine ich, ein weiterer Beleg dafür, dass die Bundesländer ziemlich wenig geeignet sind, wenn man regionale Kultur klassifizieren will.

Schöne Grüße

MM

gib mal bei Google „unvergessene Küche“ ein, dann findest Du schon einen Teil der dort beschriebenen Rezepte

Gruß
Peter

Eßkultur abhängig von der Lebenssituation
Hallo nochmal,

Vielen Dank für die Beispiele regionaler Küche aus deutschen
Landen, aber: Werden diese auch gekocht, oder: Was kocht Frau
M. aus W an einem Donnerstag ??

Diese Frage hängt m.E. nicht so sehr von der Region ab, sondern von der Lebenssituation. Wenn Frau M. in Thale wohnt, richtet sich ihr Speiseplan ausschließlich nach dem Budget. Und in der Familie kocht sie sowieso bloß am Sonnabend und am Sonntag, weil ihr Gatte - falls er überhaupt Arbeit hat - freitags am späten Abend aus Waiblingen oder Fellbach oder Pasing anreist und sonntags direkt nach dem Mittagessen wieder loszieht.

Ich interessiere mich sehr für regionale Küche und wollte vor
Jahren von einer sehr jungen Kollegin aus den damals für mich
noch fremden östlichen Bundesländern regionale Küche wissen.

Dort gibt es in den Familienhaushalten nach meinem Eindruck schon örtlich anderes, was aber nicht Element regionaler Kultur ist, sondern vor dem Hintergrund einer selbstverständlichen Doppelfunktion der Hausfrauen - Produzierend auf Schicht und reproduzierend zu Hause - gewachsen ist. Da ist „Glas aufmachen“ einfach das normalste, um mit der gegebenen Zeit klarzukommen.

Regionales im eigentlichen Sinn würde ich in den sehr selten gewordenen Haushalten suchen, wo (a) nicht arbeitende Hausfrau zu Hause ist, (b) kurze Pendelzeiten vorliegen, idealerweise Mittagspause zu Hause, © die nicht arbeitende Hausfrau auf diesen Job in geeigneter Weise präpariert worden ist. Alle drei Bedingungen werden am ehesten vielleicht in Familien von Bauern und Handwerkern zu finden sein, eventuell noch in den wenigen verbliebenen Industriestädten, dort am ehesten ausgeprägt bei Familien, die innerhalb der letzten fünfzig Jahre aus ausgeprägt ländlichen Räumen in Spanien, Portugal, Mezzogiorno, Anatolien, Batschka, Epirus etc. zugezogen sind. Bestätigung dafür bieten meine Gartennachbarn Hüseiyn und Juan: Die können was, und da bleibt keine Handbreit Boden ungenutzt: Andalusische Wachtelbohnen, türkische Traubengurken, Paprika & Peperonen in allen Spielarten, Kürbisse und Zucchini in der ganzen Palette usw.

Fazit: Es sind nicht unbedingt „die jungen Leute“, die aus Ignoranz eine bestimmte Entwicklung der Küche ausmachen, sondern die Lebensbedingungen. Für eine Person kochen ist, wenns überhaupt stattfindet, mit Regionalia nicht vereinbar.

Schöne Grüße

MM

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Hai, Bettina,

ein Bekannter von mir vertrat neulich bei einem Gespräch die
Meinung, daß allgemein in Bundesländern, die gleichzeitig
Weinbau betreiben besser gekocht wird.

Geschmackssache, oder?
Z. B. die schwäbische Küche (ich bin mir ganz sicher, daß da irgendwelcher Wein herkommt), so, wie sie von meiner Schwiemu zubereitet wird, also ziemlich traditionell, incl. handgeschabter Spätzle, find ich zwar gelegentlich mal ganz lecker, auf die Dauer wäre mir das aber viel zu schwer und zu salzig…

Gaaaanz anders, als das, was ich als Berliner Küche (meiner Heimatstadt - genaugenommen ja auch ein Weinbaugebiet…), kennengelernt habe:
Sahneheringe mit Pellkartoffeln
Pellkartoffeln mit Quark und Leinöl
Süßsaure Eier mit Kartoffelpüree (oder Senfeier)
Linseneintopf, süß-sauer
(allerdings sind auch Eißbeine ( keine Grill-Haxen) eine Berliner Spezialität *würg*)

leicht, gesund, dauerhaft lecker…
Nur mein Schatz (Schwabe, aus Überzeugung) findet, daß ich viel zu selten Spätzle mit viel Soße und Schweinebraten mache…

Welche Küche nun „besser“ ist, kann ich nicht beurteilen - zumal es ja doch, wie schon erwähnt, stark auf die Lebensumstände ankommt…

Gruß
Sibylle

Dieses Erlebnis hatte ich häufiger. Ich bin sicher, es gibt
regionale Küche in einzelnen Haushalten, aber mein Eindruck
ist, daß die Mehrheit bei Paprikaschnitzel aus der Tüte oder
Miraculi hängengeblieben ist. Eine Ausnahme vielleicht ist die
immer neue Bewegung „gesunde Küche“, die mir aber nicht
regional vorkommt.

Hallo Bettina,

es wurde ja bereits treffend bemerkt, Kochen hat immer auch mit Lebenssituationen zu tun. Ganz sicher findest Du auch in westlichen, Dir bekannteren Regionen die Beispiele, wo Schnelligkeit über Kochgenuß gestellt wird. Das ist auch die Zeit. Manche Leute haben eben einfach ‚besseres‘ mit ihrer Zeit anzufangen. Ich habe Bekannte, wo die ganze Familie z.B. sehr sportlich engagiert ist, viel Wettkämpfe und Organisation, da stellt sich natürlich niemand Sonntags an den Herd um Braten zuzubereiten, das wiederum führt natürlich dazu, daß auch keiner Übung darin hat.

Die Kleine aus Sachsen, das übrigens auch mit eigenem Wein aufwarten kann, hättest Du aber vielleicht mal nach Backrezepten fragen sollen…wenn ich da so an Eierschecke denke… :wink:

Im Osten wurde außerdem exakt bis zur Wende ganz zwangsläufig ‚richtig‘ gekocht. Außerdem sehr ursprünglich, denn allzu exotisches gab es schlichtweg zu kaufen.

Das alles beantwortet natürlich nicht die Frage, ob es einen möglicherweise einen direkten oder indirekten Zusammenhang zwischen Weinanbau und ‚gutem‘ Essen gibt. Ich denke mal, Du hast gar nicht so unrecht mit der Beobachtung. Das könnte was mit Mentalität zu tun haben, vielleicht weil man durch den Wein ganz allgemein mehr den sinnlichen Genüssen verfällt…dafür spricht, das auch Frankreich und Italien als kulinarisch wertvolle Regionen gelten.

Wer gerne ißt, der findet aber überall in den Küchen Deutschlands noch heute leckere Mahlzeiten, wie sie schon Großmütterchen zubereitete.

Gruß Maid :wink: