Evolution in der Sozialgesellschaft

Hallo zusammen,

seit längerer Zeit spukt ein Gedanke in meinem Kopf, der mich nicht loslassen will:

Vorab mein vorhandenes Halbwissen zur Evolution der Menschheit: Irdisches Leben entwickelt sich dadurch weiter, dass sich der Überlegenere, am besten Angepasste durchsetzt, sich vermehrt und den Schwächeren, weniger Angepassten verdrängt.

Zu meinem Gedanken: Wie verhält sich das in der Sozialgesellschaft, in der der Schwächere gefördert und unterstützt wird und der Stärkere dadurch keinerlei Vorteile mehr hinsichtlich der Fortpflanzung hat? Ist damit dieser Prozess außer Kraft gesetzt?

Ist das Ganze zu naiv gedacht, oder ist gar der Zeitraum, in dem eine Sozialgesellschaft zu erwarten ist, einfach zu kurz, um so etwas wie einen „Stillstand“ zu bewirken?

Diese Denkweise behagt mir nicht, ich bin aber äußerst gespannt auf eure Antworten.

Gruß,
Chris

P.S. Ich hatte so meine Probleme, das richtige Board zu finden. Ich hoffe es passt halbwegs.

Hallo Chris

Wie verhält sich das in der
Sozialgesellschaft, in der der Schwächere gefördert und
unterstützt wird und der Stärkere dadurch keinerlei Vorteile
mehr hinsichtlich der Fortpflanzung hat? Ist damit dieser
Prozess außer Kraft gesetzt?

Du wirst wahrscheinlich auf diese deine Frage die unterschiedlichsten Antworten bekommen, schon allein aus dem einfachen runde, weil die heutige Gesellschaft recht komplex zusammengesetzt ist und es SEHR im Auge des Betrachters liegt, ob man diese Gesellschaft eher als eine „die sozial Schwächeren fördernde“ oder eine im Sinne des „Neo-Darwinismus“ sehen möchte bzw. sehen kann.
Dir werden alle Linken wahrscheinlich empört antworten, dass es ja gar nicht so sei, wie du sagst und alle Konservativen werden dir eher zustimmen und das alles sehr problematisch finden (z.B. dass man zuweilen als Arbeitsloser mehr Knete hat als ein hart arbeitender Abeiter).
Ich möchte mich da eher rashalten, nicht aus Scheiß-Liberalität, sondern weil ich beide Seiten deutlich sehe und mich schwer entscheiden kann, welche mir zur Zeit prägnanter erscheint. :wink:
Gruß,
Branden

Hallo Branden,
danke für deine Antwort.

Natürlich hast du recht, indem was du schreibst. Ich möchte auch nicht drüber urteilen, ob unsere Gesellschaft zu sozial oder unsozial ist.
Ich beziehe mich mit meinem Artikel aber hauptsächlich auf die Vorteile in der Fortpflanzung. Ich kann nicht erkennen, das der „Stärkere“ mehr Kinder bekommt als der „Schwächere. Im Gegenteil: Man hört doch immer öfter Dinge wie: Mann macht Karriere, Frau macht Karriere, für Kinder bleibt keine Zeit. Alleine daraus resultieren meine Gedanken.

Ich möchte keine Diskussion über soziale Gerechtigkeit anzetteln. Es geht mir wirklich nur um diese Theorie (urteilsfrei).

Gruß,
Chris

Hallo Chris,

Vorab mein vorhandenes Halbwissen zur Evolution der
Menschheit: Irdisches Leben entwickelt sich dadurch weiter,
dass sich der Überlegenere, am besten Angepasste durchsetzt,
sich vermehrt und den Schwächeren, weniger Angepassten
verdrängt.

Zu meinem Gedanken: Wie verhält sich das in der
Sozialgesellschaft, in der der Schwächere gefördert und
unterstützt wird und der Stärkere dadurch keinerlei Vorteile
mehr hinsichtlich der Fortpflanzung hat? Ist damit dieser
Prozess außer Kraft gesetzt?

Ist das Ganze zu naiv gedacht,

es ist nicht zu naiv gedacht, sondern Du „überschätzt“ die allgemeine Evolutionstheorie; diese kann keinen allgemeinen Vorab-Maßstab bieten für „stärker“ und „schwächer“, sondern es ist schlichtweg so, dass derjenige, der sich durchgesetzt hat, eben der stärkere war. Basta!

… Variation … Selektion … Restabilisierung … Variation …

das ist das Da-tumm-ta-ta der Evolution, mehr lässt sich auf dieser Ebene nicht sagen, da müsste schon eine konkretere, speziellere „Theorie der Evolution von X“ benannt werden.

Naiv ist das:
Es gibt Leute, die allen Ernstes so argumentieren, dass der Sozialstaat den „natürlichen Gang der Evolution“ außer Kraft setzen würde, weil er diejenigen fördert/am Leben erhält/Fortpflanzungserfolg verschafft, die sich materiell nicht selbst versorgen können, z.B. weil sie keinen Erfolg auf dem Arbeitsmarkt erzielen …

Diese Leute setzen aber völlig absurd den Arbeitsmarkt mit „Natur“ gleich, bzw. setzen „bestehende Gesellschaft abzüglich Sozialstaat“ = „Natur“.

Sowas ist nicht Evolutionstheorie, sondern gaga …

Das heißt aber natürlich nicht, dass man nicht auch die Sozialgesellschaft evolutionstheoretisch betrachten könnte, denn das kann man schon, solange man es nur nicht gaga macht.

Viele Grüße
Franz

P.S.: die Brettwahl passt schon!

Hallo Chris,

dieser Gedanke ist nicht neu, sondern so alt wie die Lehre Darwins selbst.

Es dauert, glaube ich, ein paar hundert Generationen, bis geänderte Lebensbedingungen zu merkbaren Anpassungen im Erbgut führen. Aber schon, wenn Du nur drei oder vier Generationen zurückgehst, findest Du eine ganz andere Welt vor. Und erst seit zwei bis dreihundert Generationen gibt es so etwas wie Schrift, fingen die frühen Hochkulturen an, soweit wir sie kennen. Wie hingegen unsere Welt in nur drei Generationen aussehen wird, kann niemand sagen. Also glaube ich, daß Du mit der Vermutung, die zu betrachtenden Zeiträume seien einfach zu kurz, richtig liegst.

Ein anderer Punkt ist der, daß selbst in einer völlig „sozialdarwinistischen“ Gesellschaft sich die Anforderungen an gut angpaßte und durchsetzungsfähige Individuen ändern: heute sind gute körperliche Fähigkeiten nicht mehr so wichtig wie früher, und gute mentale Fähigkeiten werden immer wichtiger. Die jeder hochentwickelten Gesellschaft inhärente Spezialisierung tut ihr Übriges: einer, der in einem Beruf mit ausschließlich intellektuellen Anforderungen Erfolg hat, überlebt auch als Körperbehinderter - in freier Natur hätte er so keine Chance. Für Menschen mit guten körperlichen und weniger guten geistigen Fähigkeiten wird es zunehmend schwieriger.

Fazit: jede irgendwie hochentwickelte Gesellschaft verändert die Lebensumstände sosehr, daß sie die Vorgänge von Evolution und Anpassung sowieso unterläuft - völlig egal ob sozial oder sozialdarwinistisch.

Grüße,

I.

Sozialdarwinismus

Hallo zusammen,

seit längerer Zeit spukt ein Gedanke in meinem Kopf, der mich
nicht loslassen will:

Vorab mein vorhandenes Halbwissen zur Evolution der
Menschheit: Irdisches Leben entwickelt sich dadurch weiter,
dass sich der Überlegenere, am besten Angepasste durchsetzt,
sich vermehrt und den Schwächeren, weniger Angepassten
verdrängt.

Die Argumentation „Stärker - Schwächer“ ist in diesem Zusammenhang nicht korrekt.

Zu meinem Gedanken: Wie verhält sich das in der
Sozialgesellschaft, in der der Schwächere gefördert und
unterstützt wird und der Stärkere dadurch keinerlei Vorteile
mehr hinsichtlich der Fortpflanzung hat? Ist damit dieser
Prozess außer Kraft gesetzt?

Schwächer und Stärker haben hier nun gar nichts zu suchen.

Das von dir angedachte Problem nennt sich „Sozialdarwinismus“
http://de.wikipedia.org/wiki/Sozialdarwinismus
bringt imho eine gute Zusammenfassung

Diese Denkweise behagt mir nicht,

Mir auch nicht

ich bin aber äußerst
gespannt auf eure Antworten.

Sozialdarwinismus geht im Kern davon aus, dass sich eine Gesellschaft seiner schwächeren Glieder entledigen muß, um zu einer (wie auch immer gearteten) höheren Form aufzusteigen. Dabei entscheidet diese Gesellschaft selbst, was „schwächere Glieder“ sind. Dadurch wird ein fundamentales Prinzip der biologischen Evolution verletzt, es fehlt nämlich der äussere Einfluß.
Die übertragung Evolutionärer Prinzipien auf Gesellschaftspolitische Fragen ist eine unzulässige Überdehnung der Evolutionstheorie.

Im übrigen stellt sich die Frage, wie sich eine „höhere Gesellschaftsform“ definiert.

LG
Mike

Hallo Chris

Zu meinem Gedanken: Wie verhält sich das in der
Sozialgesellschaft, in der der Schwächere gefördert und
unterstützt wird und der Stärkere dadurch keinerlei Vorteile
mehr hinsichtlich der Fortpflanzung hat? Ist damit dieser
Prozess außer Kraft gesetzt?

Der „Schwächere“ bzw. der „Dümmere“ ist der,
der so degeneriert ist, den ganzen Tag zu arbeiten,
kein oder kaum Familienleben hat, nach einem strengen
Stundenzeitplan sich täglich viele Stunden lang mit
den Problemen anderer Leute abgibt und also als
„schlau gilt“ (weil er so nützlich ist). Dieser wird
sicher aussterben.

Der „Stärkere“ bzw. der „Klügere“ ist der,
der so schlau ist, nur das zu machen, was seiner
Familie nützt, möglichst gar nicht (für fremde
Leute) arbeitet und sich hauptsächlich um seine
Familie (mit zahlreichen Kindern) kümmert.
Dieser wird überleben.

Ich kann daher nicht sehen, dass in einem
Sozialsystem der Stärkere keine Fort-
pflanzungschance hat.

Die „Stärkeren“ finden sich dort, wo man
vorwiegend den Staat oder die Gesellschaft
für die Erhaltung von sich und seiner Familie
arbeiten lässt, also bei den ganz ganz Reichen
und den ganz ganz Armen :wink:

Grüße
(leichtes Grinsen)

CMБ

Vorab mein vorhandenes Halbwissen zur Evolution der
Menschheit: Irdisches Leben entwickelt sich dadurch weiter,
dass sich der Überlegenere, am besten Angepasste durchsetzt,
sich vermehrt und den Schwächeren, weniger Angepassten
verdrängt.

Im Prinzip stimmt das schon - nur die Wertung „überlegener“ oder „am besten angepasst“ würde ich weglassen. In der nächsten Generation sind nur die Gene von Individuen vertreten, die sich fortgepflanzt haben - ohne dass ein Ziel bekannt wäre, ohne Sinn und Verstand. (Man kann bei Tieren den Eindruck gewinnen, dass sie aktiv das Ziel der maximalen Fortpflanzung verfolgen. Ich denke, sie tun das nicht - genausowenig, wie die Menschen.)

Zu meinem Gedanken: Wie verhält sich das in der
Sozialgesellschaft, in der der Schwächere gefördert und
unterstützt wird und der Stärkere dadurch keinerlei Vorteile
mehr hinsichtlich der Fortpflanzung hat? Ist damit dieser
Prozess außer Kraft gesetzt?

Der Prozess wirkt natürlich immer. Vielleicht gibt es die neue Nische „Sozialstaat“ - aber so neu ist die auch nicht. Aus unsozialer Sicht der reinen Überlebens- und Fortpflanzungfähigkeit in der freien Natur schneidet der Mensch im Vergleich nicht gerade als besonders fit ab. Das Killer-Feature ist wohl eher die menschliche Gesellschaft.

Grüßé,

Ptee

Huhu!

Vorab mein vorhandenes Halbwissen zur Evolution der
Menschheit: Irdisches Leben entwickelt sich dadurch weiter,
dass sich der Überlegenere, am besten Angepasste durchsetzt,
sich vermehrt und den Schwächeren, weniger Angepassten
verdrängt.

Generell alles Leben. Nicht nur irdisches.
Und es ist nicht der am besten Angepasste, sondern der Fortpflanzungsfähigste - das kann durchaus ein Unterschied sein, siehe Pfauen (mit den Federn … ein Pfauenmann mit unaufälliger Färbung und ohne Schwanz wäre viel Angepasster an seine Umgebung, könnte sich aber nicht fortpflanzen, weil die Weibchen ihn nicht interessant fänden. Und so weiter)

Zu meinem Gedanken: Wie verhält sich das in der
Sozialgesellschaft, in der der Schwächere gefördert und
unterstützt wird und der Stärkere dadurch keinerlei Vorteile
mehr hinsichtlich der Fortpflanzung hat? Ist damit dieser
Prozess außer Kraft gesetzt?

Nein, dieses Verhalten ist ein Ergebniss dieses Prozesses.

Offensichtlich waren Menschen in Gruppen, in denen für Schwächere gesorgt wurde, wenn die Zeiten das erlauben gegenüber anderen Gruppen im Vorteil -> der Mensch ist ein soziales Lebewesen.

Das bringt in vielen Fällen bestimmt auch dem Einzelnen was für seine Fortpflanzungschancen (nach Verletzungen z.B.) - in einigen Fällen ist es eine Überschussreaktion, bei der auch nicht Fortpflanzungsfähige oder ihre Umgebung Fortpflanzungsfähiger Machende durchgefüttert.

(Letzteres wären z.B. Frauen nach ihren Wechseljahren, die anscheinend u.U. den Fortpflanzungserfolg ihrer Kinder verbessern. Oder generell ältere Menschen, die sich nicht mehr Fortpflanzen können, aber dafür ihrer Umgebung ihr gesammeltes Wissen zur Verfügung stellen. Vor der Erfindung der Schrift war die einzige Möglichkeit wissen zu speichern, die Köpfe von Großeltern zu benutzen.)

Weibliche Hunde z.B. haben dermaßen gute Programme zur Welpenpflege, das sie Tigerjunge erfolgreich aufziehen - auch wenn das ein riskantes Unterfangen ist.
Menschen haben halt enorm gute soziale Verhaltensprogramme, und im Sozialstaat wird das ganze organisiert auf Staatlichem Niveau betrieben.

Ist das Ganze zu naiv gedacht, oder ist gar der Zeitraum, in
dem eine Sozialgesellschaft zu erwarten ist, einfach zu kurz,
um so etwas wie einen „Stillstand“ zu bewirken?

Der Zeitraum ist zu kurz, die Frage falsch gestellt.
Man müßte sich sehr genau die Statistiken anschauen, um festzustellen, wie sich der Sozialstaat auf die Fortpflanzungschancen seiner Bürger auswirkt.
Vielleicht sind SozialarbeiterInnen besonders fruchtbar, und der Sozialstaat wäre nur ein Mittel für sie, sich besser fortzupflanzen?
Oder die, die sonst ausgelesen worden wären, und nur dank des Sozialstaates überleben, sind bei weitem in der Unterzahl?

Jedenfalls ist ein großer Genpool immer gut - man weiss nie, was für Gene noch gebraucht werden.
Und wenn dann irgendwann eine große Katastrophe kommt, haben wir einen großen Genpool, aus dem die Überlebensfähigsten ausgewählt werden - diese Auswahl findet im Sozialstaat nicht statt, was den Genpool aber nicht verwässert - sobald er überprüft wird, wird er wieder eindampfen.

(Das war jetzt soziobiologisch. Ich hoffe, ich bin niemandem auf den Schlipps getreten, aber es geht bei evolutiven Fragen um nichts anderes als den Fortpflanzungserfolg, auch wenn der nur sehr indirekt ist.)

Viele Grüße!
Scrabz aka aka.

Chris,

Evolution ist das Wechselspiel von Diversifizierung und Selektion, aus der im Laufe der Zeit eine irgendwie geartete Entwicklung resultieren kann (die Betonung liegt auf „irgendwie“).

Die Diversifizierung erfolgt durch permanente Mutationen im Erbgut auf Grund von Replikationsfehlern. Diese Mutationen haben im Zusammenwirken mit Anreicherungsprozessen den Polymorphismus des Menschen hervorgebracht. Die Tatsache, dass es Völker mit unterschiedlicher Hautfarbe, Sprache usw. gibt, wäre bei reinem „statistischen Rauschen“ der Mutationen nicht möglich gewesen. Dieser Polymorphsimus ist das heutige Gen-Pool unserer Art.

Die Auswahl entsteht durch die Umwelt. Diese ist aber im Laufe der Menschheitsgeschichte immer mehr von einer „natürlichen“ (bestimmt durch andere Tiere, Klima, Ernährung) zu einer „sozialen“ (bestimmt durch andere Menschen und die interaktion mit diesen) gedriftet.

Natürlich hat sich dadurch auch verändert, wer sich mehr fortpflanzt und wer weniger (wenn man das diskriminierend findet, müsste man jede Frau verpflichten, mit jedem Mann ins Bett zu gehen und Kinder zu bekommen).

Dass dabei etwas „Gutes“ oder „Höherers“ herauskommt, liegt nicht in der Natur dieses Mechanismus’. Sicher ist nur eines : Es ist „irgendwie“.