Man möge mich berichtigen, wenn ich falsch liege.
Hallo Martin,
da die genannten Web-Sites nicht soviel hergeben, wie ich gehofft hatte, habe ich mir selbst ein paar Gedanken gemacht, bzw. mich kurz mal in die Materie eingelesen.
Dabei bin ich zu folgenden Resultaten gekommen.
Deine eigentlichen Frage lautet ja, kippst du mit Deiner Konstruktion um.
Bei einer Kurvenfahrt mit einem Einspurfahrzeug reicht es aus, wenn man sich in die Richtung neigt, in der die Kurvenfahrt erfolgen soll. Das ist jetzt geradezu extrem vereinfacht, kann aber generell als zutreffend angesehen werden.
Deine Konstruktion gemäß der Zeichnung aber bewirkt, dass man sich genau in die andere Richtung neigt. Eine Kurvenfahrt ist somit unmöglich oder zumindest erschwert. Das hat etwas mit der Präzession und den Kreiselkräften zu tun. Ein nähere Erklärung dazu ist sehr schwierig, da sie recht physikalisch/mathematisch ausfallen würde
Deswegen ist es einfacher, wenn Du ein Fahrrad am Oberohr in die Hand nimmst, es nach vorne rollst und dabei beobachtest, was passiert, wenn Du es nach links oder rechts neigst. Je nachdem in welche Richtung es geneigt wird, schlägt auch die Lenkung ein. So MUSS es auch umgekehrt sein.
Weiterhin sind mir auch noch folgende Überlegungen in den Sinn gekommen.
Meines Wissens nach gibt es kaum Fahrzeuge mit einer Hinterradlenkung.
Allenfalls Gabelstapler und Baufahrzeuge (Radlader etc.) werden mit einer Hinterradlenkung ausgestattet. Von mitlenkenden Konstruktionen sehe ich hier mal ab.
Das hat auch gute Gründe, die ich unten näher erläutern werde. Die einzigen Konstruktionen die mir auf Anhieb einfallen, die generell hinten gelenkt werden, sind Boote und Schiffe.
Und darin liegt das eigentliche Problem einer solchen Lenkung. Wenn Du Dein Liegerad, so möchte ich es mal bezeichnen, hinten lenkst, wirst Du Lenkeigenschaften wie bei einem Segelboot erzielen.
Der Unterschied zu einer Lenkung vorne liegt darin, dass die Reaktion auf die Lenkbewegung sehr viel später erfolgt, als umgekehrt.
Vereinfacht könnte man sagen, dass das Fahrzeug bei einer Vorderradlenkung den Vorderrädern folgt, also gezogen wird.
Umgekehrt wird bei einer Hinterradlenkung der vordere Bereich eher geschoben. Dadurch ergibt sich ein sehr träges Lenkverhalten und die Neigung zum Untersteuern. Das bedeutet, dass eine solche Konstruktion auch generell die Eigenschaft haben müsste, über das Vorderrad hinaus zum Kurvenäußeren zu schieben. Du fährst also eher geradeaus, als um die Kurve herum.
Das waren bisher generelle Überlegungen zu Fahrzeugen im allgemeinen.
Noch schwieriger wird es bei Einspurfahrzeugen.
Die von Dir angestrebte Konstruktion mit einer Lenkung vor dem Hinterrad hat ein Eigenschaft, die in der Literatur als Teewageneffekt bezeichnet wird.
Das bedeutet, dass bei einer solchen Anordnung das Rad durch die Vorwärtsbewegung stabilisiert und zum Geradeauslauf hin ausgerichtet wird. Wie eben bei einem Teewagen oder Einkaufswagen.
Die technisch korrekte Bezeichnung für eine solche Radführung lautet: Einrad-Schlepp-Modell.
In der Neigung sich zum Geradeauslauf hin zu stabilisieren, liegen auch alle Nachteile begründet. Da ein solches System (zumeist, es geht auch anders) mit einem negativen Nachlauf arbeitet, bewirkt jede Bodenunebenheit ein Störung des System. Das ist sowohl beim Einkaufswagen, als auch bei einem rückwärts gezogenen Fahrrad sehr gut zu beobachten.
Gegen diese Störkräfte müsste also jederzeit gegengelenkt werden.
Nur zur Erklärung: Der Nachlauf ist der Abstand der Lenkachse zum Radaufstandspunkt. Verlängert man also beim normalen Fahrrad die Mittelachse des Steuerrohres bis sie auf den Boden trifft liegt, dieser Punkt vor dem Radaufstandspunkt. Der Radaufstandspunkt läuft also nach.
Je größer dieser Nachlauf jedoch ist, desto größer sind auch die Kräfte die man beim Lenken überwinden muss.
Umgekehrt ist es bei Deiner Konstruktion. Sie arbeitet mit einem negativen Nachlauf. Deswegen auch die instabilen Fahreigenschaften, die aber durch die Geradeausfahrt stabilisiert werden. Je langsamer Du fährst, desto schwieriger dürfte Deine Konstruktion zu lenken sein.
Weiterhin muss man mit den aus dem Achsversatz resultierenden Kräften rechnen. Der Achsversatz ist in diesem Fall der Abstand von der Lenkachse zur Radachse.
Auch hier müssen entsprechende Kräfte überwunden werden.
Ein weiterer Nachteil ist die von Dir gewählte Sitzposition und die damit verbunden Schwerpunktlage. Auch die wirkt sich über die Radaufstandskräfte auf die Lenkung aus.
Ein weiterer Nachteil ist der recht große Radstand Deiner Konstruktion in Verbindung mit einer solchen Anordnung der Lenkung. Da kommt wieder der Vergleich mit dem Segelboot in Frage. Länge läuft zwar gut, beim Einspurfahrzeug sind dem aber Grenzen gesetzt.
Meine Empfehlung lautet also:
Wenn Du ein hinterradgelenktes Liegerad bauen möchtest, was vom Prinzip her recht sinnig ist, man tritt ja schließlich vorne, würde ich mich bei der Lenkung nicht auf ein so problematisches Lenkprinzip einlassen.
Ordne die Lenkung einfach über der Radachse an und zwar mit genau den gleichen Voraussetzung wie beim Fahrrad, also einem gleichen Steuerrohrwinkel, der sozusagen der Neigung Deiner Rückenlehne entspricht und somit einen positiven Nachlauf hat.
Mein Vorschlag zum Aufbau der Lenkung würde es Dir ermöglichen ein normalen Fahrradsteuersatz zu nehmen. Damit ist Dein Lagerproblem gelöst.
Durch den tiefen Schwerpunkt ist trotz ungleichmäßiger Gewichtsverteilung vorne/hinten trotzdem ausreichend Gewichtskraft auf dem Vorderrad zu erwarten.
MfG
Harold Shea
Quellen:
-Jörnsen Reimpell: Fahrwerktechnik
-Wolfgang Matschinsky: Die Radführung der Straßenfahrzeuge
-Dipl. Ing. Ch. Teuber und Prof. Dr.Ing. H.-P. Willumeit: Theoretische Untersuchung der Fahrstabilität von Einspurfahrzeugen mit passiv gelenktem Hinterrad
-Michael Gressmann: Fahrradphysik und Biomechanik