Fällt der Glaube an eine Religion nicht auch unter Aberglauben?

Wo ist da der Unterschied? https://de.wikipedia.org/wiki/Aberglaube Wikipedia lehrt mich, dass der Aberglaube eher negativ aufgefasst wird, was ja auch nur subjektiv empfunden werden kann - wie ein Glaube an sich eben auch. Der Glaube ist nicht wohinter es gewisse wissenschaftliche Beweise gibt - zählt dieser dann nciht auch zu einem Aberglauben?
LG joschi

Die Vorsilbe „Aber-“ bedeutet wider oder gegen etwas zu sein. So könnte ein Katholik etwa einen Ungläubigen/Heiden als abergläubisch bezeichnen, weil der Heide den Glauben des Katholiken aus seinem Glauben heraus bezweifelt. Genau genommen war diese Art von Aberglaube früher ausreichend Grund für den Vorwurf des Ketzertums und der glückseligmachenden Bestrafung mittels Scheiterhaufen.

Andererseits ist die negative Konnotation sehr unverständlich. Da man mittels des Vorwurfs des „Aberglaubens“ lediglich Glauben (Meinung, Überzeugung) in Frage stellt. Und nicht etwa Wissen.

Franz

Hallo Joschi,

ergänzend zu der Erläuterung von Franz: Das mittelhochdeutsche „abe“ = „ab“ wird als Präfix verwendet, um das Gegenteil eines Begriffes auszudrücken. Neben heute nicht mehr gebräuchlichen „Abergunst“ = „Mißgunst“, „Abername“ = „Spottname“, „Aberwille“ = „Widerwille“ hat sich erhalten „Aberwitz“ = „Unverstand“.

Was genau „Unglaube“ und was „nur“ ein Irrtum im Glauben ist, ist zeitlichen Schwankungen und Moden unterworfen. Ich kenne einen spätbarocken Klosterbibliothekssaal, in dem verschiedene Irrlehren als Figuren im Disput mit Kirchenlehrern dargestellt sind; unter diesen Irrlehren unter anderem Materialisten, Lutheraner, Utraquisten, Hussiten und Mohammedaner. So isches noch au wieder…

Mit der Frage hat sich unter anderem auch Eugen Roth befasst. Er sagt dazu:

Ein Mindestmaß an Aberglauben
ist medizinisch zu erlauben
und nicht ganz auszurotten, denn:
Wer aber glaubt, der glaubt auch wenn!

In diesem Sinne

MM

Hallo,

klar. Jeder Glaube war/ist/wird irgendwann Aberglaube, noch später schlicht vergessen.
Die Mächtigen ändern die „Glauberei“ schon mal wie es politisch grad passt, der Rest muss mitziehen - so wurden z.B. die Römer Christen.
Die Volksglauben ändern sich auch, aber meist langsamer mit vielen Übergängen.
Das ist ständig in Bewegung. Welcher Christ glaubt denn z.B. heute noch an Hexen und Dämonen? Ist aber noch garnicht so lange her.

Gruß, Paran

Die bisherigen Antworten beziehen sich auf den deutschen Begriff ´Aberglaube´, der ein spätes christliches Produkt ist, und erklären seine Bedeutung wortanalytisch. Die ursprünglich dahinter stehende Idee wird so aber nicht geklärt. ´Aberglaube´ ist die Eindeutschung des lateinischen ´superstitionem´, welches konzeptuell auf das griechische ´deisidaimonia´(Götterfurcht) und in diesem Sinne gebraucht wird (z.B. bei Cicero), wobei unklar ist, wie der lateinische Begriff (wörtlich etwa: ´darüber stehen´) zu seiner Bedeutung gelangte.

Das Konzept geht jedenfalls auf Epikur zurück, der die Verehrung der Götter, deren Existenz er nicht anzweifelte, von der Furcht vor den Göttern unterschied. Ersteres sei gerechtfertigt und vernünftig, letzteres aber widervernünftig, da es keinen Grund gäbe, die Götter zu fürchten. Epikur unterteilte die Welt in zwei Dimensionen: die materielle Welt auf der Basis des Demokrit´schen Atomismus und die davon getrennte Welt der Götter, die zur materiellen Welt in keiner Beziehung stehen, sich um die Menschen also nicht kümmern und sie schon gar nicht regieren. Es gäbe also keinen Grund, die Götter zu fürchten, es genüge, sie als in Ewigkeit und Seligkeit lebende Wesen zu verehren.

Cicero schließt sich in „De natura deorum“ dieser Auffassung an und überträgt die Epikur´sche ´deisidaimonia´ in den Begriff ´superstitionem´, das in der dt. Übersetzung zu ´Aberglaube´ wird. Unter ´superstitionem´ fallen sowohl der Glaube, die Götter nähmen Einfluss auf die Menschenwelt, als auch alle kultischen Praktiken, deren Ziel ist, die Götter gnädig zu stimmen (Mantik, Orakel, Opfer, Gebete usw.).

Aus „De natura deorum“ 1, 45:

Wenn das so ist, ist von Epikur diese Meinung richtig dargelegt
worden, dass das, was glückselig und ewig sei, selbst keine Schwierig- keiten mache und
sie auch keinem anderen verursache, deshalb weder durch Zorn noch durch Gunst sich bestimmen lasse, weil alles derartige schwach wäre. Wenn wir nichts
anderes erstreben würden, außer dass wir die Götter fromm verehren und
vom Aberglauben befreit werden, wäre genug gesagt; denn das überlegene Wesen
der Götter würde durch die Frömmigkeit der Menschen verehrt,
weil es ewig und glückselig ist (denn Herausragendes hat
nämlich seine Verehrung zu Recht), und die ganze Furcht vor dem Zorn und der Gunst der
Götter wäre vertrieben (…)

Im christlichen Kontext nahm der Superstitionsbegriff eine deutlich andere Bedeutung an, die ich im Einzelnen hier nicht auszuführen brauche, da sie bekannt ist. Der griechisch-römische Begriff hält die Furcht vor Göttern für unvernünftig, der christliche Begriff ´Aberglaube´ aber verdreht den originalen Sinn ins Gegenteil . Erstens, weil die ´Furcht vor Gott´ ein unleugbar zentrales Dogma der christlichen Lehre ist und für Demokrit und Cicero ein Ausdruck von ´deisidaimonia´ und ´superstitionem´ gewesen wäre, und zweitens, weil die Hingabe an (im christlichen Sinne) ´abergläubische´ Ansichten und Praktiken als Sünde wider ´Gott´ verurteilt wird, die negative Folgen für den ´Sünder´ nach sich zieht. Gottesfurcht ist also die Basis der christlichen Ablehnung des ´Aberglaubens´.

Chan

Ich kann jetzt nicht sagen dass ich zu 100 Prozent mit deiner Meinung konform bin aber ich fand deine Begründung so spannend, dass ich dir trotzdem danke sagen muss und du deswegen auhc in meinen Augen die berste Antwort gegeben hast :slight_smile:

Ehrfurcht ja - Angst nein

Dein Text leidet erheblich an Akkusativis: Oder sollten die Texte, aus denen du - teils gar nicht verstanden, teils falsch verstanden - deine hiesige Abhandlung zusammengebastelt hast, allen Ernstes den lateinischen Begriff superstitio (sic!) ausschließlich im Akkusativ verwendet haben? Kaum denkbar, nicht? :slight_smile:
(nein, ich frag nicht, warum du gar nicht gemerkt hast, daß es Akk. ist)

Das ist 1. kein „Konzept“ und 2. war es nicht Epikur, sondern Theophrast, der das Thema als erster zur Diskussion stellte: Die δεισιδαιμονια, deisidaimonia hat nämlich in der gesamten griechischsprachigen Antike eine doppelte Konnotation. Sie ist zuallererst nämlich synonym mit ευσεβεια, eusebeiea bzw. θεωσεβεια, theosebeia, also „Frömmigkeit“, „Verehrung“, „Gottesverehrung“, und in diesem positiven(!) Sinne: „Ehrfurcht“. (Wer dabei mit „daimonia“ genau gemeint war, ist hier zu explizieren jetzt mal obsolet.)

Zugleich - und erst in zweiter Instanz - wurde unter deisidaimonia wörtlich (deisi- < deido = „fürchten, scheuen“) auch eine Angst vor göttlichen und anderen nicht-sinnlichen Wesen verstanden. Und Theophrast, in Folge dann auch Epikur, greift genau diese Komponente auf und zeigt die Widersinnigkeit einer solchen Angst auf (mit verschiedenen Argumenten, die hier ebenfalls nicht zu explizieren sind). Es bleibt aber dennoch die positive Konnotation deisidaimonia = eusebeia im Sprachgebrauch. Deisidaimonia wird dann sogar auch für den Begriff „Religion“ ganz allgemein verwendet, und zwar im positiven, respektierenden Sinn. So u.a. auch im NT
Apg. 17.22:
ἄνδρες Ἀθηναῖοι, κατὰ πάντα ὡς δεισιδαιμονεστέρους ὑμᾶς θεωρῶ
„Männer von Athen, in jeder Hinsicht sehe ich euch als überaus gottesfürchtig.“

Und auch Cicero unterscheidet beide Bedeutungen. Z.B. auch in deinem Zitat:
„… ut deos pie coleremus et ut superstitione liberaremur …“
also „deos pie colere“ = „die Götter fromm verehren“ (= positv bewertete Ehrfurcht vor dem Göttlichen) einerseits, und „superstitione liberari“ = „von superstitio (sic!) befreit werden“ andererseits. Und bei ihm kommt mit superstitio neben der unbegründeten (und dem Begriff des Göttlichen widersprechenden) Angst vor den Göttern eine weitere Komponente auf den Tisch, nämlich der Gebrauch magischer Praktiken, der Glaube an übelwollende und Schadenzufügende Dämonen, Abwehrzauber und alles das.

Und daher ist das hier

natürlich begriffshistorische Verdrehung (aka Kokolores). Denn der erst im 14. Jhdt im Deutschen aufkommende Begriff „Aberglaube“ meint exakt dasselbe: diese zweite Komponente, die auch Cicero anspricht. Wogegen die „Ehrfurcht“ alias „Gottesfurcht“ (in manchen Schriften heißt es auch „heilige Scheu“, also wortwörtlich dasselbe wie die griech. deisidaimonia) genau das bezeichnete, was im Lateinischen „pie colere“ meint: Frömmigkeit.

Der griechisch-römische Begriff hält die Furcht vor Göttern für unvernünftig,

Eben nicht. Da hast du sogar dein eigenes Zitat nichtmal verstanden: Die Ehrfurcht vor den Göttern“ wird positiv betrachtet, auch bei Theophrast, auch bei Epikur, auch bei Cicero. Nur die Angst vor den Göttern“ wird als unvernüftigt und schädlich betrachtet!

Und daher ist natürlich dein

die ´Furcht vor Gott´ ein unleugbar zentrales Dogma der christlichen Lehre
ebensosolcher Unsinn.

Unsinn jedenfalls in dem Sinne, den du hineinphantasierst: Mit „Gottes-Ehrfurcht“ ist auch im Christentum niemals und nirgends „Angst vor Gott“ gemeint. Du kannst ja gerne mal nach Belegen in spätantiker und frühneuzeitlicher Literatur suchen :smile:

Du kannst das natürlich nicht wissen, daher ist deine tendenziöse Mißdeutung verzeihlich: In allen antiken Theismen, in den griechischen, hebräischen, altpersischen, auch vedischen, finden sich für die genuine Verehrung des Göttlichen Ausdrücke, die zugleich im allgemeinen jeweiligen Sprachgebrauch neben „Furcht“, „Scheu“ auch direkt „Angst“ bedeuten. Im AT findet sich - nur um eins von unzähligen Beispielen zu nennen: ירא ( jareˀ) ist sowohl das „fürchten, Angst haben“, als auch das „ehren, ehrfürchtig sein“. Und was es heißt, ist im Kontext immer eindeutig:
Job 2.3
איש תם וישר ירא אלהים וסר מרע …
„… ein Mann, untadelig und rechtschaffen, der Gott fürchtet und das Böse meidet“
und das heißt sicher nicht
" … ein Mann … der vor Gott Angst hat …"
oder
3 Mo 19.3
איש אמו ואביו תיראו
„Ein jeder soll seinen Vater und seine Mutter ehren
und das heißt ganz sicher nicht
„Jeder soll vor seinem Vater und seiner Mutter Angst haben“ :slight_smile:

Metapher

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Richtig, solange nicht die „Wahrheit Gottes“ gelehrt wird, ist es kein „echter Glaube“ sondern wird vom „Gott dieser Welt“ beeinflusst (Offb.12,9).

Im näheren Sinne: ja !

Denn der „Gott dieser Welt“ (2.Kor.4,4) hat seine „Weltkirche“ (Offb.12,9) dazu benutzt, die Menschheit zu verführen und die Wahrheit Gottes (Joh.17,17) abzulehnen (Röm.6,23; Offb.20,4).

Doch nicht mehr lange, dann schreitet Jesu ein (Offb.14,1-3; 20,2).