Feministische Ethik

Hallo Marion,

Frauen Hilfsmittel an die Hand zu geben, um
sie in der Lage zu versetzen, eine ethisch begründete
Entscheidung hinsichtlich eines Schwangerschaftsabbruches zu
treffen. Also: Was soll sie tun ? Wie soll sie handeln ?

man darf sich eine solche Hilfe nicht als Handlungsanleitung vorstellen, denn wenn jemand eine Handlungsanleitung geben würde, würde er seine eigene Bewertung an die Frau herantragen. Es ist ja in der Ethik nicht so wie in der theoretischen Philosophie, wo man noch verhältnismäßig klare Sachverhalte untersucht, sondern es ist viel komplizierter und ganz anders, weil hier eben Einschätzungen, Vorlieben, Gebräuche und weiteres eine viel größere Rolle spielen.
Wenn man als die Fähigkeit vermitteln möchte, ethisch zu begründen, dann muss man Alternativen aufzeigen und zwar jeweils mit Stärken und Schwächen. Die letzte Entscheidung darf man nicht vorwegnehmen, man muss eher die Gewissensentscheidung durch Gründe stärken.

Und da hat Kant die Richtlinie dahingehend formuliert, dass
man sagen kann, dass man eben so handeln soll, als wenn die
eigene Handlung allgemeines Gesetz werden könnte.

Und wie passt das für Schwangerschaftsabbrüche ? Kann eine
Frau da ihre Entscheidung für andere Frauen als Gesetz
vorgeben ? Wohl kaum.

Die Entscheidung selbst nicht, wohl aber die Einschätzung der Umstände, die vielfach in solchen Situationen aus verständlichen Gründen nicht gesehen werden.

Seh ich nicht, wenn es sich nur auf Situationen bezieht, wenn
der Mann stirbt. Das ist sicher nicht allgemein. Dies wäre
doch ein deutlicher FAll dafür, dass es unterschiedliche Moral
für Männer und Frauen gibt.

Die Moral kann unterschiedlich sein, die Ethik nicht, die hier sagen würde, dass es richtig ist, sich nach den Gebräuchen zu richten. Jetzt könnte man einwenden, dass diese Gebräuche und somit natürlich auch die Moral in diesem Fall inhuman wären, aber dann hätte man einen Schritt weg gemacht, von der Allgemeinheit der ethischen Sätze (die hier eben innerhalb dieses ! ethnischen Rahmens die allgemeinsten waren). Ich will gar nicht behaupten, dass es richtig ist, so zu handeln, es ist aber aus der Sicht der Beteiligten unter Umständen richtig, wenn ! sie den Imperativ so deuten.

Wenn man das Ganze jetzt an der
Schwangerschaftsabbruchproblematik aufzieht, dann sieht man
sofort, wo das Problem ist, nämlich in der Frage, ob man dem
Fötus oder dem Embryo schon Personenstatus zubilligen möchte
oder nicht.

Das mag das jursistische Problem beschreiben, IMHO
jedoch nicht das Problem, dem sich eine Frau stellen muss, die
über einen Schwangerschaftsabbruch nachdenkt.

Doch, das denke ich schon, jedenfalls in einer bestimmten Hinsicht, nämlich in der, dass dem (potentiellen) Kind, also dem Fötus/Embrio möglicherweise allzu leichtfertig der Personenstatus abgesprochen wird und dieses Wesen damit scheinbar gut begründet keinerlei Rechte hat.
Ich will auch nicht behaupten, dass es unbedingt so sein muss, dass es Rechte hat (obwohl ich eigentlich dieser Überzeugung bin), ich möchte nur, dass die Frau und der Mann sich auch darüber Gedanken machen und die alternativen Möglichkeiten zu einem Abbruch zumindest in Erwägung ziehen. Vorschreiben lässt sich hier gar nichts, denke ich.

Wie kann das sein ? Sollte Ethik denn nicht für alle Maßstäbe
setzen ? Wenn so ein weites Spektrum in einer Gesellschaft
vorhanden ist, dann dürfte die Ethik in diesem Punkt doch
ziemlich versagt haben.

Von „Versagen“ kann man, meine ich, nicht sprechen, der Eindruck ergibt sich nur, wenn man von der Ethik zuviel verlangt, nämlich konkrete Anweisungen wie „Nimm den Finger aus der Nase!“, „Setz dich gerade hin!“, „Töte nicht dein mögliches Kind!“. Solche Anweisungen sind nicht durchdacht, sondern sind Gewohnheitsurteile, die zwar auch verständlich sind, aber die es sich zu einfach machen. Wer das anstrebt, strebt Moral an (also eigentlich Fremdbestimmtheit), aber nicht Ethik.

Richtig, und darum ging es mir hauptsächlich. Dies macht IMHO
nämlich die feministische Ethik in Bezug auf die besondere
Situation der Frauen.

Ich vermute, dass du hiermit nicht das meinst, was die philosophischen Ethikerinnen (hauptsächlich diese, obwohl es auch männliche Vertreter, allerdings wenige gibt), sondern dass du dich auf die konkrete Nothilfe etwa in Frauenhäusern beziehst. Hier kommen in der Regel Aspekte hinzu, die die rationale Entscheidung erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen, so dass man hier in vielen Fällen nicht von ethischen Entscheidungen sprechen kann. Die philosophische Ethik beschäftigt sich vor allem damit, wie eine ethische Entscheidung rational aussehen könnte, also wie z. B. eine Frau entscheiden sollte, wenn die Situation ganz bestimmte Merkmale aufweist. Die Variationsbreite der Merkmale bestimmt dann die Breite der Entscheidungsmöglichkeiten.

Vielleicht, weil in Europa kaum einer ernsthaft darüber
nachgedacht hat bislang ? Bis jetzt war es doch so, dass man
dieses Thema hauptsächlich den Theologen und Medizinern (und
den Juristen) überlassen hat. Diese Mangel versucht die
feministische Ethik ja grade auszugleichen.

Ich habe ja gar nicht gegen die feministische Ethik, ich bin nur der Überzeugung, dass man das nicht so nennen sollte, weil es nicht am Geschlecht, sondern an der Situation festgemacht werden sollte. Und dann gibt der jeweilige Situationsrahmen auch den Rahmen für die Anwendung des kategorischen Imperativs.

Hm…widersprichst du dir nicht selbst, wenn du sagst, dass
die ethische Abwähung von Fall zu Fall hier verschieden ist
und sich nach den Umständen richtet ? Sollte sie grade
das denn nicht ?

Auf der Ebene der Allgemeinheit des kategorischen Imperativs sollte es umständeneutral sein, mein ich. Aber ich bin seit langem der Überzeugung, dass das nicht ausreicht (kritisiere also hier Kant), allerdings sind die bisher aufgezeigten Alternativen einer Wertethik (Scheler) oder einer Nutzenethik (Utilitarismus) für mich ebenso wenig überzeugend. Für ganz besonders schlimm halte ich aber den Verzicht auf Ethik überhaupt, also die Beschränkung auf reine Beschreibung (Hume, Schopenhauer).

Eine Frau, die sich nach einer Vergewaltigung z.B. für einen
Schwangerschaftsabbruch entscheidet, kann kaum verlangen, dass
andere Frauen sich genau so entscheiden, bzw. eine Frau, die
sich nach einer Vergawaltigung dafür entscheidet, dass Kind
trotzdem auszutragen, kann dies auch wohl kaum von anderen
Frauen verlangen.

Eben. Es reicht nicht aus, sich auf den Tatbestand der Vergewaltigung allein zu berufen, sondern man muss die weiteren Umstände in Erwägung ziehen.

Herzliche Grüße

Thomas