Hallo an Alle,
ich bin gerade mal 25 Jahre alt und hab das Gefühl in meinem jungen Leben so ziemlich jeden Fehler gemacht zu haben, den man überhaupt machen kann, ohne straffällig zu werden.
Ich werde diese Gelegenheit nutzen um meine Situation und meinen Werdegang in aller Ausführlichkeit und Offenheit zu schildern. Ich versichere das ich schon längst aus der Phase heraus bin, wo ich für irgendetwas Ausreden suche. Im Endeffekt weiss ich heute genau, das ich Alles hätte anders machen müssen. Jeden einzelnen Schritt. Aber das nützt mir auch nichts mehr. Mir bleibt nur die Lektion.
Ich hatte nie Träume oder konkrete Vorstellungen von meiner Zukunft. Mit 16 Jahren hab ich meinen Realschulabschluss mit einem Durchschnitt von 2,4 recht anständig gemacht. Eigentlich fieberte ich während der Schulzeit auf dieses Ende hin. Ich wollte endlich weg, ich wollte endlich raus. Ich wollte etwas Besseres aus meinem Leben machen, aber vermutlich aus den falschen Gründen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits vier Schuljahre massives rein psychisches Mobbing hinter mir und ich wollte nur nie wieder mit solchen Menschen in Berührung kommen. Ich hatte Angst wenn man mich auf der Straße ansprach, ich hatte Angst vor meinen Mitschülern (es war eine zusammengefasste Haupt- und Realschule mit eher sozialschwachen Schülern). Daher die Entscheidung, das ich einen höheren Bildungsweg einschlagen möchte. Also wollte ich mein Abitur nachholen, bin an eines der örtlichen Gymnasien gegangen und bin bereits nach einem Jahr schmerzlich gescheitert. Heute weiss ich, das ich mir einfach von Anfang an Hilfe bei Mitschülern und Lehrern hätte holen müssen. Vermutlich wäre dann alles garkein Problem gewesen. Aber damals hatte ich Angst davor, genauso wie ich vorher Angst hatte, mich wegen des Mobbings an irgendwen zu wenden. Man muss dazu wissen, das ich von Haus aus das Gefühl hatte das Versagen (auch im sozialen Bereich) etwas vollkommen Inakzeptables ist. Ich dachte schlicht und einfach ich MUSS alles immer allein schaffen, sonst hab ich es auch nicht verdient.
ERSTER ABBRUCH IM LEBENSLAUF
Unglaublicherweise habe ich direkt im Anschluss eine Ausbildung bekommen. Inzwischen weiss ich das es totaler Nonsens war in diesem Bereich anzufangen, da er weder meine Interessen noch meine Stärken widerspiegelte. Zudem hatte sich mein psychischer Zustand eher noch verschlechtert als verbessert. Ich kann eigentlich selbst schlecht beschreiben was ich damals für eine Person war, denn im Endeffekt habe ich meine ganze Kindheit und Jugend über immer nur versucht es allen recht zu machen und irgendwie selbst weiter zu kommen. Ich war garkein eigener Mensch. Während der Ausbildung zur Bürokauffrau, in der zweiten Hälfte des Lehrjahres, hatte ich meinen ersten (medizinisch erkannten - Zusammenbrüche hatte ich auch vorher ab und an) ‚Burn-Out‘ was natürlich nicht darauf zurück zu führen war, das die Ausbildung zu stressig war, sondern das ich einfach in einer psychischen Verfassung war, die es mir garnicht erlaubt hat irgendwann mal abzuschalten. (Oh Gott, ich hab heute noch im Kopf, wie meine Mutter mich morgens um fünf Uhr angefahren hat, das ich gefälligst aufstehen soll und aufhören ihr vorzuspielen ich sei krank, während mir der Schädel wummerte, weil ich auf unsere Granittisch geknallt war.) Genau genommen stand ich seit Jahren permanent unter Strom und hab mich selbst unter Druck gesetzt.
Ich verliebte mich… er wohnte am anderen Ende von Deutschland. Ich war zum ersten Mal seit meiner frühen Kindheit, an den Wochenenden glücklich. Ich beschloss nochmal neu anzufangen, von zuhause auszuziehen und zu ihm zu gehen.
ZWEITER ABBRUCH IM LEBENSLAUF
Ich wollte noch einmal einen Anlauf starten mein Abitur bzw. in diesem Fall wenigstens Fachabitur zu machen. Ich schrieb mich an einem Berufskolleg ein und wurde auch angenommen. Bereich: Telekommunikationstechnik/ Informationstechnik
Das Mathe und Physik NIE meine Stärken waren, hat mich damals aus unerfindlichen Gründen nicht geschreckt. Eigentlich konnte es nur im Fiasko enden. Aber mit der Art und Weise hätte ich nie gerechnet. (Die Burn-Outs waren im Übrigen immernoch in fast regelmäßigen Abständen Teil meines Lebens)
Ich wurde schwanger… und ich wollte es nicht sehen. (Wie bescheuert kann man eigentlich sein???) Ich bin auch wegen monatelang anhaltender Schwindelgefühle und Übelkeit nicht zum Arzt gegangen. Was nicht sein durfte, das konnte einfach nicht sein. Ich schob alles auf den Stress, den ich einfach nicht aus meinem Leben verbannen konnte. Ich habe nichtmal mehr meine Zwischenprüfung im ersten Jahr geschrieben, weil ich SOOO viele Fehlzeiten hatte.
DRITTER ABBRUCH IM LEBENSLAUF
Ich habe geheiratet und meinen Sohn bekommen. Es folgten für mich SEHR anstrengende, aber auch heilsame Jahre. Ich hatte zum ersten Mal unheimlich viel Zeit um mir über mich und mein Leben, meine Vergangenheit und alles Gedanken zu machen. Ich glaub ich hab für ein ganzes Leben geheult und meinen eigenen Psychiater gespielt. Zu behaupten ich wäre auf Anhieb die geborene Mutter und Hausfrau gewesen wäre auch gelogen. Aber es gibt Dinge im Leben die kann und darf man einfach nicht Abbrechen. Der ersten Jahre waren für mich (da ich auch keinen Kontakt mehr zu meiner Familie pflegte) extrem schwierig, doch sie zeigten mir auch, das es sich lohnte an einer Sache zu arbeiten und mein Sohn zeigt mir heute, fünf Jahre später, welche wunderbaren Früchte kontinuierliche Arbeit tragen kann, wenn man nicht aufgibt. Trotzdem forderte der Blick in mich und auf mein bisheriges Leben auch seine Konsequenzen. Essstörung… wenn ich all die Zeit die ich mit Sport und Kalorien zählen und weniger apettitliches vergeudet habe, in Lernen investiert hätte, dann könnte ich heute wenigstens was vorweisen.
Und trotzdem habe ich mich in den letzen fünf Jahren auch zum ersten Mal als wirkliche Person erlebt. Ich hab Charakterstärke an mir entdeckt, ich habe Leidenschaft in mir entdeckt und ich habe eingesehen, das ich nicht an allem Schuld sein kann. Das ich nicht für alles in meiner Kindheit und Jugend die Verantwortung übernehmen darf.
Versteht mich nicht falsch. Das ich an meinem beruflichen Fiasko in VOLLEM Umfang selbst schuld bin, das steht ausser Frage.
Es ging eher darum… warum dachte ich als Kind überhaupt, das ich meine Eltern nicht um Hilfe bitten darf? Warum hatte ich von klein auf kein Vertrauen zu niemandem? Warum war ich mir SELBST nicht wichtiger, als die Meinung die meine Eltern/ Mitschüler/ Bekannte von mir haben könnten?
Jedenfalls war das für mich eine sehr wichtige Erkenntnis die mir Selbstvertrauen gegeben hat und mich vor allem mit dem konfrontiert, was jetzt vor mir liegt:
Mein Lebenslauf ist eine Katastrophe.
UND
Das darf nicht das Ende sein.
Eins ist klar. Der Arbeitsmarkt wartet nicht gerade auf mich. Wenigstens muss ich mir nicht auch noch den Stempel Hartz IV aufdrücken. Aber sich von seinem Mann aushalten zu lassen, ist im Grunde nicht besser. Ich fühle mich, wenn ich ehrlich mit mir selbst bin, wertlos.
Es gibt für mich in der Theorie drei Möglichkeiten:
a.) ich mache jetzt eine Berufsausbildung
b.*) ich mache mein Abitur (von dem ich immernoch träume) per Fernstudium nach (lässt sich auch super mit c kombinieren)
c.) ich suche mir eine Stelle die ich auch ungelernt machen kann
*Volkshochschule ist aufgrund fehlender Berufserfahrung und Ausbildung, meines Wissens nach, nicht möglich
Was ich dabei zu bedenken habe, ist aber zudem folgender Faktor:
Mein Mann ist SAZ (Soldat auf Zeit) und das noch genau 3 Jahre. Er ist oft auf See und das auch oft wochenlang. Wir wohnen sowohl von meiner Familie, als auch von seiner 500km entfernt. Jede Zeit, die ich für Beruf gebe, nehme ich meinem Sohn weg. Der muss Aufgrund einer Hochbegabung (ohne Verhaltensauffälligkeiten) auch noch besonders gefördert werden.
Im Falle einer Berufsausbildung müsste ich diese Verantwortung also unter Garantie massiv an Fremde abgeben. Ihr könnt euch vorstellen wie sehr er an Fremde gewöhnt ist, wenn ich den ganzen Tag zuhause bin. Ich weiss einfach aus meiner eigenen ‚Psychoanalyse‘ wie sensibel ich auf Dinge reagiert habe, die meine Eltern getan bzw. nicht getan haben und wie weitreichend das Kreise gezogen hat bis in mein heutiges Leben. Ich bin mir wichtig, aber mein Sohn ist noch wichtiger.
Eigentlich ein hervorragendes Argument für das Abitur und einen 400-Euro-Job während seiner Schulzeiten. Aber wenn ich nach dem Abi noch studieren will… dann bin ich min. 32Jahre alt ehe ich (und das nur mit Bachelor) fertig bin. Als 32 bzw. 35-jährige Bewerberin ohne Berufserfahrung in einem def. nicht technischen Bereich, habe ich da überhaupt Chancen auf eine Stelle, oder investiere ich dann einfach nur unheimlich viele Jahre und Geld in Arbeitslosigkeit?
Und für die ganz Pessimistischen:
Wie hoch schätzt ihr bei meinem Lebenslauf überhaupt meine Chancen ein, irgendwie in Arbeit zu kommen?
Am Ende entschuldige ich mich noch für eventuelle Rechtschreib- und/oder Satzzeichenfehler. Es wühlt doch ganz schön auf, seine eigene Situation so ungeschönt auf den Tisch zu packen.