Film 'Die Päpstin'

Hallo Film- und Mittelalterfans,

trotz z.T. vernichtender Kritiken (z.B. heute im Deutschlandradio) wird der o.g. Film seine Zuschauer finden. Spätestens im Fernsehen. ABER kein Kritiker geht auf den (tatsächlich nicht vorhandenen) historischen Hintergrund ein, keiner thematisiert diesen Anachronismus, dass ein gesellschaftliches Problem des 20. Jahrhunderts (Emanziaption der Frau) einfach so auf das 10. Jh. übertragen wird.

Was glaubt Ihr? Wieviele Zuschauer glauben an die historische Wahrhaftigkeit des Stoffes?

Gruß,
Andreas

ABER kein Kritiker geht auf den

(tatsächlich nicht vorhandenen) historischen Hintergrund ein,
keiner thematisiert diesen Anachronismus, dass ein
gesellschaftliches Problem des 20. Jahrhunderts (Emanziaption
der Frau) einfach so auf das 10. Jh. übertragen wird.

Nur ist die Sache die, daß es sich dabei nicht um ein gesellschaftliches Problem des 20. Jahrhunderts handelt, sondern die Legende von der Päpstin Johanna schon aus dem Mittelalter stammt. Erstmals berichtet wird sie von Martin von Troppau im 13. Jahrhundert. Ich kenne nun weder den Film noch das Buch, daher kann ich nicht beurteilen, wieviel an „rezenter Denke“ mit eingeflossen ist. Aber derlei kommt des öfteren vor, daß Figuren eines historischen Romans oder eines Films denken wie Menschen des 21. Jahrhunderts…

Hallo!

die Legende von der Päpstin Johanna […]aus dem
Mittelalter […]. Erstmals berichtet wird sie von Martin von
Troppau im 13. Jahrhundert.

Nein. Die älteste Fassung findet man in der „Chronica Universalis Mettensis“, angeblich von Jean de Mailly: MGSS XXIV 514.
Allerdings sind andere Fassungen dieser Legende weiter verbreitet, am weitesten wohl die des Martin von Troppau: MGSS XXII 428.
Hannes

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Hallo Andreas,

ABER kein Kritiker geht auf den
(tatsächlich nicht vorhandenen) historischen Hintergrund ein,

Erstmal: Tatsächlich weiß keiner. Es gibt reichlich Grund zu der Annahme, dass es die Päpstin nie gegeben hat. Aber ein Negativum zu neweisen ist recht schwer.
Und dann: Ja und? Es regt sich ja auch keiner über die falschen Darstellungen und Hintergründe in The Patriot, Gladiator, Der erste Ritter und sonstigen Filmen auf, die in der Vergangeheit spielen. Wozu auch? Es sind nur Filme.

keiner thematisiert diesen Anachronismus, dass ein
gesellschaftliches Problem des 20. Jahrhunderts (Emanziaption
der Frau) einfach so auf das 10. Jh. übertragen wird.
Was glaubt Ihr? Wieviele Zuschauer glauben an die historische
Wahrhaftigkeit des Stoffes?

50-70%. Was solls.

Ralph

Hallo Andreas,

es ist ein Film, basierend auf einem Roman. Wer da noch glaubt das wäre wirklich so gewesen…na ja. Der wird auch glauben das alles aus dem DaVinci Code „echt“ ist.

Und schon als das Buch herauskam berichteten mir diverse Leser mit leuchtenden Augen wie toll das sei und das an der Geschichte was dran sei. So wie auch über König Arthur berichtet wird von dem auch nie bewiesen sein wird wer nun sein reales Vorbild war.

Mir hat mal jemand versucht zu erklären die Folgen Akte X basieren auf echten FBI Fällen. Des Menschen Glaube ist sein Himmelreich. Lass die Leute doch sowas glauben. Es tut niemandem weh. Die schönsten Klischees über die Vergangenheit wird niemand ausrotten können. Die Päpstin darf sich da jetzt einreihen.

Grüsse
Helena

Gegen eine Päpstin spricht vor allem die Logik. Selbst wenn es Johanna wie durch ein Wunder gelungen wäre, ihre Weiblichkeit so lange erfolgreich zu verbergen, wäre sie wie so ziemlich jeder Papst bei Amtsantritt nicht mehr die Jüngste gewesen. Und dann soll sie auch noch nach (laut manchen Quellen) 20 Jahre Papst gewesen sein, als sie bei einer Prozession entbunden hat. Wie alt müsste sie denn zu diesem Zeitpunkt gewesen sein? Im gebärfähigen Alter wohl kaum. Auch die Zeitangaben zum „Papst“ Johanna differieren je nach Quelle um mehrere Jahrhunderte. Ähnliche Geschichten gibt es zudem auch in anderen patriarchaischen Gesellschaften, z. B. wird wild von einer chinesischen Kaiserin spekuliert. Wichtigtuer und Spinner gab es zu jeder Zeit. Und schon im Mittelalter wusste man, dass sich nicht so schlecht verkauft wie die Wahrheit.

Gegen eine Päpstin spricht vor allem die Logik.

Sicher, die Legende gilt historisch ja auch als längst widerlegt.
Aber sie ist das, was man in der Volkskunde als Aition-(also: Ursprungs-)Sage bezeichnet und dient(e) zur passenden Erklärung von etwas sonst nicht Erklärbaren. Hier z. B.
Die Statue einer Frau mit der Tiara auf dem Kopf? Richtig! Die Päpstin. (Dass es die personifizierte Eccesia/Kirche ist - was tut’s?)
Warum hieß ein alter Stadtteil (bei S. Clemente) „vicus papissae“? Richtig! Ital. „papessa“ bedeutet Päpstin und das ist hier gemeint. (Dass der Name von der Adelssippe derer „de Papa“ herkommt - was tut’s?)
Und der alte Straßenaltar dort? Richtig! Die Päpstin wurde dort gesteinigt.
Warum machte die Prozessionsstraße, auf welcher im Mittelalter der neugewählte Papst die Stadt in Besitz nahm („possesso“), einen Knick? Richtig! Um die Stelle der Niederkunft der Päpstin zu umgehen.
Welchen Zweck hat der berühmte antik-römische Kackstuhl mit dem Ausschnitt unter dem Platz für die Genitalien? Richtig! Da musste sich nach dem Missgeschick mit der Päpstin der neue Papst draufsetzen und ein Kardinal musste sich handgreiflich von dessen Männlichkeit überzeugen. [Er sieht haargenau so aus wie alle anderen in den römischen Latrinen auch. Aber was tut’s, er befindet sich halt im Vatikan!]
Undsoweiter und soweiter.
Wie will man so etwas widerlegen?
Schönen Gruß!
Hannes

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