Und da sehen wir wieder die Dichotomie von individuellem und gesellschaftlichem Risiko. Die Wahrscheinlichkeit, an Covid-19 zu erkranken, war für jedes Individuum in Deutschland immer gering und die Wahrscheinlichkeit, schwer zu erkranken, noch viel geringer. Heute haben wir in Deutschland ungefähr 5.000 aktive Fälle, von denen mal so grob gepeilt die Hälfte infektiös ist. Selbst wenn man mal annimmt, daß die Zahl der tatsächlichen Fälle (also positiv getestet zzgl. unerkannte) zehnmal so hoch ist, haben wir im Moment 25.000 infektiöse Menschen in Deutschland. Das ist in etwa jeder dreitausendste. Daraus kann man schon ableiten, daß die Wahrscheinlichkeit, einen infektiösen Menschen im Flugzeug zu haben, sehr überschaubar ist und noch unwahrscheinlicher ist, daß dieser Mensch ausgerechnet neben oder hinter einem sitzt. Das individuelle Risiko, sich im Flugzeug zu infizieren, ist also nahe null und das gilt im übrigen auch für den Rückflug aus einem beliebigen Land in Europa.
Etwas ganz anderes ist das gesellschaftliche Risiko einer starken Infektionswelle, die zu einer Überlastung des Gesundheitssystems führt. Die Maßnahmen, die in Deutschland ergriffen wurden, dienten dazu, dieses Risiko zu reduzieren. Und nun stellt sich die Frage, wie sich die Aufnahme der Reisetätigkeit auf dieses Risiko auswirkt. Studien aus der Anfangsphase der Pandemie haben nicht gezeigt, daß es in Flugzeugen zu vielen Infektionen kommt. Insofern besteht das gesellschaftliche Risiko eher darin, daß durch rückreisende Personen Infektionen neu nach Deutschland eingeschleppt werden, wie es auch schon am Anfang war, als die Partypeople das Virus in großem Stil von Südtirol aus in ganz Europa verbreitet haben.
Aber, und das ist jetzt der eigentliche Clou, das hat nichts mit dem Verkehrsmittel zu tun. Insofern kann man in Summe festhalten, daß aus der Flugreise an sich weder ein erhöhtes persönliches noch ein gesellschaftliches Risiko erwächst, wohl aber aus der Reisetätigkeit. Und da spielt das Flugzeug insofern eine große Rolle, als daß damit eben viele Personen aus weit entfernten Regionen nach Deutschland reisen, die die Reise mit einem anderen Verkehrsmittel nicht angetreten hätten.
Daraus braucht man aber nicht zu schlußfolgern, daß man sich Sorgen um seine eigene Gesundheit machen müßte, nur weil man in einem Flugzeug sitzt. Ich gehe im übrigen davon aus, daß die nun durchgeführten Flugreisen einen vorläufig letzten Höhepunkt der Flugreisetätigkeit darstellen. Das sind nämlich die Leute, die ihre Flugreisen schon vor längerer Zeit gebucht haben und dank der aufgehobenen Reisewarnungen nicht mehr kostenfrei stornieren konnten. Die Zahl der Flugreisen, die seit März gebucht wurden und die für den Rest des Jahres bis in den nächsten Sommer gebucht werden, dürfte sich sehr in Grenzen halten. Ich denke weiterhin, daß wir spätestens Anfang des kommenden Jahres vor der Situation stehen werden, daß nicht nur die Zahl der Flüge, sondern auch die Zahl der Fluggesellschaften stark rückläufig ist.
Gruß
C.