Forensik

liebe Experten!

In der Zeit stand letztens ein interessanter Artikel über den Maßregelvollzug.
Es war die Rede von verurteilten Menschen, die nach Ablauf ihrer Strafe in die Sicherheitsverwahrung kommen.
Es gibt aber auch Leute, die wegen Unzurechnungfähigkeit zur Tatzeit direkt in die Forensik kommen (§63,64,126a):

Was mich interessiert, ist, ob Menschen, die aufgrund eines Gutachtens über ihre Gefährlichkeit, die aber noch keine Menschen angegriffen haben, zusammen untergebracht werden mit Menschen, die schon grausame Morde hinter sich haben? Oder werden da Unterschiede gemacht?

Ich habe Kontakt zur Forensik in Bedburg-Hau und muss feststellen, dass dort in großem Maße tabuisiert wird und das unter dem Deckmantel des Datenschutzes. Besuchern und Insassen bleibt so völlig unklar, wie dort die Abläufe sind…

Ich wäre dankbar für jegliche aufhellende Antwort zu dem schleierhaften Thema Forensik.

Gruß,
pascale

Hallo Pascale,
Es klingt ein bißchen so, als hättest Du Tausend Fragen, deswegen fange ich mal an, und Du hakst dann an entsprechender Stelle nach, ja?

Die Maßregeln:

Eine Straftat kann bei der Verurteilung durch ein Gericht verschiedene Rechtsfolgen nach sich ziehen. Am bekanntesten sind die Freiheits- und Geldstrafen. Auch die Maßregeln der Besserung und Sicherung können Rechtsfolgen einer Straftat sein, und sind im StGB unter den Paragraphen 61 bis 72 zusammengefasst. Sie sind reine Präventionsmaßnahmen und enthalten kein Unwerturteil über Tat oder Täter, sind also von Schuld und Schuldhöhe abgelöst!!

Die 6 Maßregeln:
können in freiheitsentziehende und nicht freiheitsentziehende Maßnahmen un-terteilt werden.Die Führungsaufsicht, die Entziehung der Fahrerlaubnis (entspricht nicht dem gängigen Fahrverbot) und das Berufsverbot bilden die Gruppe der Maßregeln ohne Freiheitsentzug.
Zu den freiheitsentziehenden Maßregeln zählen die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie die Unterbringung in der Sicherheitsverwahrung.

Wie kommt man in den Maßregelvollzug:

(A) §63 Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus
betroffen sind: Täter die im Zustand der verminderten Schuld oder Schuldunfähigkeit Delikte begangen haben, und von denen weitere erhebliche Taten zu erwarten sind, die wiederum Folge des psychischen Zustands sein müssen. Wer diese 3 Kriterien nicht erfült, kommt auch nicht rein. Vollzogen wird: direkt nach der Urteilsverkündung oder im Anschluss an eine verbüßte Freiheitsstrafe (FS), also Knast.
Überprüft wird die Andauer der Unterbringung alle 12 Monate durch das Gericht- beraten von internen und externen Gutachtern. Der Aufenthalt ist nicht zeitlich begrenzt und dauert im Schnitt etwa 6 Jahre. Einige verbringen nur 2 Jahre dort, andere 30 oder 40.

(B) § 64 Einweisung in eine Enziehungsanstalt
betroffen sind: Täter mit Hang zu Betäubungsmitteln und Alkohol, von denen in diesem Zustand weiter erhebliche Taten zu erwarten sind.
Vollzogen wird: in der Regel in Kombination mit einer FS, selten als alleinige Rechtsfolge einer Tat. Überprüft wird alle 6 Monate durch das Gericht. Die Höchstfrist beträgt 2 Jahre. Da meist in Kombi mit einer FS vollzogen wird heißt das, der Aufenthalt dauert etwa 2/3 der FS plus 2 Jahre (weil man bei einer FS in der Regel auch nach 2/3 aus dem Knast kommt). Hat man also 1 Jahr 7 Monate für einen Raub bekommen, beläuft sich mein Aufenthalt nach §64 auf höchstens 3 Jahre 7 Monate. Häufig kann aber schon früher entlassen werden.
Ein weiteres Kriterium ist der Behandlungserfolg. Wer eine Behandlung verweigert, geht zurück in den Knast. Bei eine 63er dagegen ist der Behandlungserfolg uninteressant. Dafür gibt es dann Long-Stay-Units- wo Therapieverweigerer oder Therapieresistente Täter verweilen.

§ 66 Sicherungsverwahrung
betroffen sind: Unabhängig von Schuld oder Schuldunfähigkeit
Täter mit mehreren Vorstrafen (da gibt es bestimmte Auflagen, die an dieser Stelle zu weit führen würden), Sexualstraftäter und andere gefährliche Straftäter. Die Dauer beläuft sich in der Regel auf 10 Jahre (10 plus FS… also 8 Jahre bekommen macht dann 18). Überprüft wird alle 2 Jahre. Sicherungsverwahrung ist ein KANN des Gerichts, kein MUSS. Nicht Jeder Sexualstraftäter muß in Sicherungsverwahrung.

Sicherungsverwahrung wird sowohl in den Justizvollzugsanstalten als auch im Maßregelvollzug vollzogen. Will heißen, je nach Bundesland und Einrichtung verbringt man die SV im Knast oder in der Psychiatrie.
Aus Platzgründen ist es aber häufig der Maßregelvollzug. Ein Verurteilter in Sicherungsverwahrung hat keinen Therapieanspruch. Er soll vorrangig gesichert, nicht gebessert werden. Anders bei den anderen beiden Maßregeln.

Die letzte Möglichkeit in den Maßregelvollzug zu kommen ist der 126 A der StPO (Strafprozessordnung). Und zwar ist das der einzige Weg VOR einem Urteilsspruch des Richters eingewiesen zu werden. Immer dann, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass der Angeklagte auch nach dem Urteil in den Maßregelvollzug eingewiesen wird. Der Angeklagte wird in gewisser Weise entlastet (Bedingungen U-Haft, Umgewöhnung etc.)

So viel erst einmal dazu… nun versuch ich mich mal an Deine Fragen:

Was mich interessiert, ist, ob Menschen, die aufgrund eines
Gutachtens über ihre Gefährlichkeit, die aber noch keine
Menschen angegriffen haben, zusammen untergebracht werden mit
Menschen, die schon grausame Morde hinter sich haben? Oder
werden da Unterschiede gemacht?

Schwierige Frage, weil Du da scheinbar etwas ganz konkretes im Kopf hast, wie Du später ja auch schreibst. Ich probier’s mal.
Also grundsätzlich sind alle Patienten Straftaten und es ist keiner besser oder schlechter als der andere. Es gibt keine „nicht so schlimme“ und „schlimme“ Morde, Brandstiftungen etc. Aber ich versteh was Du meinst- Dir ist unwohl bei dem Gedanken, dass Dein Bekannter/ Verwandter mit einem 8-fachen Mörder frühstückt. Das sind mehrere Punkte-
(a) Sicherheit. Für Patienten gelten dieselben Sicherheitsansprüche wie für das Personal. Ich, klein, weiblich, zierlich, wackel jeden Morgen dort hinein und fühle mich dort sehr sicher. Es kann durchaus passieren, dass einem dort wer vor den Nuschel haut, mir als Personal, genauso wie Patienten untereinander. Aber es wird alles getan, damit das nicht vorkommt. Es stimmt nicht, dass da nichts passieren kann, aber es ist sehr sehr selten. Wesentlich seltener, als wenn man seine Zeit als Insasse im normalen Knast absitzt. Es gibt überall Gerangel und Hackordnungen wo viele Menschen aufeinandertreffen, aber es ist Aufgabe des Personals tätliche Auseinandersetzungen zu verhindern und in solche einzuschreiten. (b) der Blickwinkel. Die Stationen in den Einrichtungen sind nach der Art und der Schwere der psychischen Erkrankung aufgeteilt, nicht nach der Schwere des Delikts oder der Frage der Schuld. So gibt es Stationen auf denen die 64er (Alkohol & Drogen) liegen, die in der Regel getrennt sind von den Stationen auf denen 63er Patienten liegen. Die sind wiederum unterteilt in Stationen für Patienten mit Minderbegabung,Persönlichkeitsstörungen, Psychosen etc. Frauen sind ebenfalls getrennt von den Männern. Einige Kliniken führen sogar Stationen für einzelne Untergruppen, z.B. eine Station „Schizophrenie“ oder „Sexualstraftäter“. Allen Patienten einer Station ist gemeinsam, dass sie dasselbe Krankheitsbild haben, nicht, dass sie dasselbe Delikt begangen haben. Der Maßregelvollzug therapiert nicht Mörder oder Brandstifter oder Räuber, sondern Schizophrene, Persönlichkeitsgestörte, Drogenabhängige, die aufgrund ihrer Krankheit das Delikt X begangen haben. Demnach müsste ich Deine Frage mit Ja beantworten. Ziel der Thrapie ist nicht die Kriminalität, sondern die Krankheit, wegen der man kriminell geworden ist.
Es gibt Menschen, die sind sehr sehr schwer krank, haben jedoch nur ein verhältnismäßig geringes Delikt begangen, von einer Gruppe mit anderen, die ähnliche Delikte begangen haben, jedoch nicht so schwer krank sind, würden diese Leute untergehen und könnten kaum profitieren. Zu guter Letzt ist das Beurteilen von Taten Aufgabe des Gerichts, im Maßregelvollzug zählt nicht wer wen umgebracht hat, sondern, mit wem man persönlich gut auskommt, wer einem liegt, ein Freund sein kann, wer hilft voranzukommen. Auch das ist etwas, was dort gelernt werden soll und im Gegensatz zu draußen erstaunlich gut funktioniert. Wir orientieren uns alle viel zu sehr an dem WAS jemand ist, anstelle von WIE jemand ist. Kontakte, die kontraproduktiv sind werden unterbunden. Wer Streit mit einem anderen oder Angst vor diesem hat, muss das äußern. Umgekehrt verstehen sich zwei ZU gut und heizen sich z.b. gegenseitig an, die Pfleger zu beleidigen oder Patienten zu piesacken gilt natürlich dasselbe.

Ich habe Kontakt zur Forensik in Bedburg-Hau und muss
feststellen, dass dort in großem Maße tabuisiert wird und das
unter dem Deckmantel des Datenschutzes. Besuchern und Insassen
bleibt so völlig unklar, wie dort die Abläufe sind…

Hier sprichst Du anzunehmenderweise von einem ganz konkreten Fall.
WAS wird dort tabuisiert? und von WEM genau?
In den drei Zeilen steckt so viel drin, dass ich nochmal so viel schreiben könnte. Aber vielleicht kannst Du das ja ein wenig konkreter beschreiben, ohne gleich alles erzählen zu müssen. Das geht uns evtl alle nichts an und ist vielleicht auch nicht in Deinem Sinne, aber so fällt es mir schwer etwas darauf zu antworten.

Ich hoffe, ich konnte einige Fragen beantworten, aber ich bin mir sicher, dass Du noch viele weitere hast. Ich weiß, dass die Aufklärung von Angehörigen teilweise nur schleppend verläuft. Als Angehöriger möchte man natürlich alles sofort wissen und verstehen, schließlich gib man dort einen geliebten Menschen in die Obhut. Das Personal hat dann, wie in jedem Job, den Schreibtisch voll und geht das ganze etwas ruhiger an, schließlich „weiß man“, dass derjenige noch was länger bleibt und dannn rasselt es ab und an mal im Karton.
Also frag ruhig, ich bin sehr erfreut zu sehen, dass sich nicht alle ihrem Schicksal einfach so hingeben und ich gebe mir große Mühe Dir zu antworten.

Lieben Gruß

Frosch

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Hallo Bleifrosch!

Vielen Dank für deine ausführliche Antwort.
Ich bin gerade auf dem Sprung in den Urlaub und habe daher keine Zeit, meine Fragen in Ruhe zu präzisieren.
Ich freue mich aber sehr über deine große Bereitschaft, mir ein paar Dinge zu erklären.
Wenn es dir recht ist, melde ich mich Mitte Juli per email und antworte auf deinen Artikel?

liebe Grüße,
pascale

Ich hinterlass Dir unter Deiner Adresse eine Mail, wo ich zuverlässiger erreichbar bin

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