Foucaultsche Machtbegriffe?

Hallo

Durch einen wunderbaren Roman kam ich auf Foucault. Ich wollte mehr wissen und schlug in Wikipedia nach. Mich interessieren Machtstrukturen, doch was ich da las, kann ich einfach nicht verstehen. Kann mir da jemand helfen.

In „Der Wille zum Wissen“ grenzt er sich von seinen früheren, „juridisch-diskursiven“ Machtbegriff ab, nach dem Macht als repressiv verstanden wurde und auf Gehorsam (z.B. gegenüber dem Gesetz) abzielte. Die von ihm geprägte „strategisch-produktive“ Machtvorstellung betont dagegen, dass Machtvorstellungen multibel sind, überall entstehen und wirken.

Diese Begriffe „juridisch-diskursiv“ und „strategisch-diskursiv“ verstehe ich absolut nicht. Eventuell kann mir auch jemand ein Buch empfehlen, dass ich überhaupt Foucault`s Denken über Macht allgemein besser verstehen lerne.

Nun bin ich einfach gespannt ob mir jemand einfach ein wenig Zeit und Wissen schenkt.

Gruss Veronika

Hallo Veronika,

In „Der Wille zum Wissen“ grenzt er sich von seinen früheren,
„juridisch-diskursiven“ Machtbegriff ab,

ja und zwar genau auf den Seiten 101-112 bzw. 113-124 der stw-Ausgabe.

Dieser juridisch-diskursive Machtbegriff war allerdings nicht Foucaults eigener früherer Machtbegriff, sondern es ist der Machtbegriff, den er überwinden möchte, der noch allgemein gängig ist, aber im Grunde ein Überbleibsel altens Denkens ist, des Denkens des „ancien regime“, des Souveränität-Gehorsam- bzw- König-Untertan-Verhältnisses.

(wenn überhaupt, dann verwendet ihn Foucault noch in seiner sehr frühen Schrift „Psychologie und Geisteskrankheit“, von 1954, von der er sich allerdings bald distanzierte)

nach dem Macht als
repressiv verstanden wurde und auf Gehorsam (z.B. gegenüber
dem Gesetz) abzielte.
Die von ihm geprägte
„strategisch-produktive“ Machtvorstellung betont dagegen, dass
Machtvorstellungen multibel sind, überall entstehen und
wirken.

Diese Begriffe „juridisch-diskursiv“ und
„strategisch-diskursiv“ verstehe ich absolut nicht. Eventuell
kann mir auch jemand ein Buch empfehlen, dass ich überhaupt
Foucault`s Denken über Macht allgemein besser verstehen lerne.

am leichtesten erkennbar wird dieser Unterschied zwischen den beiden Machtbegriffen m.E. in Foucaults Antrittsvorlesung am College de France, abgedruckt in „Die Ordnung des Diskurses“ auf ca. 50 Seiten.

Als Sekundärliteratur ist absolut empfehlenswert, und gut lesbar:
Paul Veyne, „Foucault: Die Revolutionierung der Geschichte“ (ca. 80 Seiten)

Nach diesen beiden Lektüren ist Foucaults Grundansatz so weit verständlich, dass man die Unterschiede der Machkonzeptionen selbst erkennen kann, wenn man die entsprechenden Seiten 101-124 des Willens zum Wissen liest.

Allgemein überaus empfehlenswert zu Foucault ist übrigens, aber eben erst bei guten Vorkenntnissen sinnvoll lesbar:
Gilles Deleuze, „Foucault“

Wenn Du hier in diesem Forum den Unterschied zwischen den beiden Macht-Konzeptionen erörtern willst, dann sag, was Du konkret nicht verstehst, und gib möglichst Textstellen an (ich vermute mal, Dir liegt der Wille zum Wissen vor), dann helfe ich Dir gerne;

um aber einfach so ins Blaue antworten zu können ist der Machtbegriff Foucaults viel zu voraussetzungsreich und viel zu vielschichtig.

Vielleicht kurz der Hauptunterschied der beiden Formen:

die juridische Macht-Konzeption ist repressiv, sie begreift einen Satz wie „Du sollst nicht masturbieren“ als Verbot, als nachträgliche Einschränkung des ursprünglichen Begehrens der Masturbation. Eine Kritik der Macht findet folglich im Namen der Befreiung der Masturbation statt, der Emanzipation.

(von dieser Machtkonzeption gibt es allerlei Varianten, die bekannteste ist wohl diejenige, die die Befreiung der natürlichen Empfindungen, Triebe, etc. von den gesellschaftlich-ökonomischen-zivilisatorischen Beschränkungen und Verboten fordert)

Foucaults Macht-Konzeption versteht diesen Satz nicht als „Proposition“, sondern als „Aussage“, als Thematisierung der Masturbation, damit als diskursive Hervorbringung des Komplexes (nicht der einzelnen Entitäten, wie die juridische Konzeption dies sehen würde!) Masturbation-Sexualität-Verbot-Wissen.

Eine Kritik dieser Macht geschieht eben nicht im Namen eines ursprünglichen Begehrens, eines Vor-der-Macht, sondern „im Namen der Körper und Lüste“, wie Foucault dies so schön nennt, und wie man dies so schön unterschiedlich interpretieren kann - und auch interpretiert hat.

Viele Grüße
Franz

Hallo Franz

Ich habe so gut wie gar keine Ahnung von dem was Foucault uns zu sagen hatte und doch spüre ich, dass er mir viel zu sagen hätte. Durch deine Zeilen -die ich mir ausgedruckt habe- weiss ich nun ein wenig mehr und ich werde mir das Buch von Paul Veyne besorgen. „Die Revolutionierung der Geschichte“. Ich brauche noch etwas Zeit, melde mich aber eventuell noch einmal.

Alles zusammen eigentlich mehr wie ich erwartet habe.

Tausend Dank Veronika