Frage/Kritik zu Fichte: Erste Einl. i.d. Wiss

Hallo,
Ich schreibe zur Zeit eine Hausarbeit und habe schon einige Bücher gewälzt aber bisher keine Stichhaltigen Argumente gegen Fichtes Einleitung in die Erste Wissenschaftslehre gefunden. Ich schreibe über den Freiheitsbegriff bei Fichte.

Er behauptet ja selbst, das erste System der Freiheit entwickelt zu haben und dass sein System eine Analyse des Begriffs der Freiheit darstellt.

Die bisher gelesene Kritik konnte meines Erachtens nicht textimmanente Fehler aufzeigen, welche seine Aussagen widerlegen. Ich habe gelesen, dass Hegel Fichtes Theorie ausgebaut hat; worin bestanden diese Änderungen?
Ich habe jetzt nicht mehr viel Zeit und hoffe, dass jemand unter euch einen guten Literaturtipp hat, oder selbst Ideen, wo Fichte falsch liegen könnte, damit ich gezielter arbeiten kann.
Mit freundlichsten Grüßen,
Pascal Merkel

Hallo,

es wäre nicht nebensächlich, zu wissen, welche Bücher und welche Kritiken.

Du meinst die „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre“ von 1794, oder?

Das hört sich seltsam an. Könnte es sein, dass dir noch nicht so ganz deutlich geworden ist, was in der klassischen Philosophie eine Abhandlung über die Grundlegung von Philosophie überhaupt bedeutet. Das sind keine Argumentationen mit Aussagen über Sachverhalte, die man beweisen muß oder widerlegen kann. Und sie enthalten auch nicht in diesem Sinne „Fehler“, sondern hier werden generelle Grundsteine gelegt, deren Konsequenzen ein anderer, in einer kritischen Analyse, entweder übernimmt (und z.B. weitere Konsequenzen daraus entwickelt) oder nicht (und diese Grundlegungen ablehnt, und dafür Gründe angibt).

Anders gesagt: Hier wird nicht mit Argumenten Pingpong gespielt, sondern die Voraussetzungen bzw die Bedingungen der Möglichkeit für Aussagen, Urteilen und andere Denkstrukturen untersucht. Genauso wie es vorher Wollf, Jacobi, Kant usw. gemacht hatten.
Die Suche nach „textimmanenten Fehlern“ würde sich da merkwürdig tun. Es könnte sich höchstens um Tippfehler handeln.

System der Freiheit

Richtig. Das ist es, weshalb er zu den Hauptvertretern des sog. „Deutschen Idealismus“ zählt: Weil er sich um eine Systemphilosophie bemühte (in diesem Fall mit dem „Ich“ als Prinzip) und weile er die Auffassung vertrat, alle Philosophie (= „Wissenschaftslehre“ bei Fichte) bzw. alle philosophische Bemühung müsse auf eine „Philosophie der Freiheit“ hinauslaufen.

Da Hegel überhaupt, auch als sein Nachfolger auf dem Berliner Lehrstuhl, der stärkste und wichtigste Kritiker Fichtes war, empfiehlt sich bedingungslos sein erster Geniestreich: „Die Differenz des Fichteschen und Schellingsschen Systems der Philosophie“ von 1801 (die sog. „Differenzschrift“).

Weiteres von Hegel für Fichte, gegen Fichte und über Fichte hinaus findest du am einfachsten und am kompaktesten in Hegels „Vorlesung über die Geschichte der Philosophie“, 3. Teil, 2. Kapitel, darin der Abschnitt über Fichte. (In der Suhrkamp-Werke-Edition Bd. 20).

Schönen Gruß
Metapher

Hallo und Danke für die gute Antwort,
es geht um die erste Einleitung in die Wissenschaftslehre von Fritz Medicus (Hrsg.), Meiner Verlag 1797.
(Google Suche: Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre Uni Trier.pdf sollte direkt die Datei liefern)
Diesem Text widmete sich das Seminar (Schwerpunkt Erste Einleitung). Ich soll nun über den Freiheitsbegriff schreiben.
Ich habe einige Texte in der Bibliothek gelesen, welche allerdings nur die Philosophie Fichtes erklärten und ggf. in einen historischen Kontext gesetzt haben.
An diesen Texten orientiert habe ich nun 9 Seiten geschrieben und beim erstellen des Fazits ist mir aufgefallen, dass eine kritische Stellungnahme fehlte und die Hausarbeit lediglich eine Wiederholung/Umformulierung des Primärtextes darstellt.
Als wissenschaftliche Arbeit sollte man ja eine Forschungsfrage aufstellen, welche bezüglich des o.g. Themas wohl die zuvor genannten Aussagen Fichtes überprüfen sollte.
Da fehlt mir im Moment der Ansatz.

Nun habe ich noch eine Woche Zeit und habe eben die Lektüre von „Fichtes Wissenschaftslehre 1794 - Philosophische Resonanzen“ Hogrebe Wolfgang (Hrsg.) Suhrkamp 1995 abgeschlossen und konnte leider wenig aus dem Text entnehmen, welches sich für die Hausarbeit eignet.

Ich habe zum Beispiel folgenden Text gelesen, welcher Fichtes Darlegungen stark kritisiert:
Fichtes I. Einleitung in die Wissenschaftslehre (1797) Brandt, R Kant-Studien; Jan 1, 1978; 69, 1; ProQuest pg. 67 Bin mir aber nicht sicher wie ich diese Kritik einstufen soll.
Wie ihnen, wohl zurecht, aufgefallen ist, bin ich kein „Vollzeitphilosoph“ , sondern studiere noch weiter Fächer, weshalb sich mein Wissen über Fichte auf dieses Seminar beschränkt. Das ist dem Dozenten auch bekannt, ebenso, dass dies meine erste Hausarbeit darstellt und hoffe, dass dadurch die Anforderungen entsprechend ausfallen.
Wie gesagt ist dies meine Erste Hausarbeit und ich bin recht überfordert mit der Menge der Literatur und der geringen Ausbeute bisher.
Es waren hauptsächlich Sekundärliteratur mit dem Schwerpunkt Fichte &/oder Fichtes Freiheit

Ah, ok. Diese Edition von Medicus (zuerst. glaube ich, 1944) ist ja nur eine Neuedition von Fichtes „Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre“ (und dazu wiederum die Einleitung) aus der ersten großen Fichte-Ausgabe 1845ff.

Und es ist der Versuch Fichtes von 1797, nocheinmal klarer zu rekapitulieren, was in seiner „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre“ (was wiederum ursprünglich nur ein Begleittext zu seiner Vorlesung war) von 1794 seinen Lesern unklar geblieben war. Auch dies war aber nur ein Versuch und die Bemühung Fichtes kulminiert dann in der kompletten Neufassung 1804 seiner „Wissenschaftslehre“, d.h. der Grundlegung der auf dem Prinzip „Ich“ (das nicht Gegenstand des Bewußtsein sein kann und aus dem sein Begriff der Freiheit rekurriert) basierenden Philosophie des „subjektiven Idealismus“. Darauf aufbauend dann später Hegels und Schellings „objektiver Idealismus“.

Auf der „Grundlage …“ und dem „Versuch …“ basiert dann auch die erwähnte Differenzschrift Hegels, die ja 1801 verfaßt wurde, also vor der 1804-Neufassung der Wissenschaftslehre. Ok, die Differenzschrift durchzuackern, also die erste große kritische Analyse Fichtes, dürfte dich überfordern, zumal dafür die Zeit fehlt. Und es scheint mir für deine Hausarbeit auch nicht unbedingt nötig zu sein. Es dürfte dir aber nützlich sein, die Darstellung Fichtes in der erwähnten Philosophiegeschichte Hegels zu lesen. Die ist ja nicht sehr umfangreich, aber fundamental, und daher nützlich für deine Zwecke.

Im Kontext von Seminaren und Vorlesungen über diese Epoche der Philosophie ist genau das, nämlich die stringente Wiedergabe und Zusammenfassung der komplexen Argumentation eines Originaltextes, Sinn und Zweck einer ersten Hausarbeit. Das ist noch keine wissenschaftliche Arbeit, aber es ist eine unabdingbare Vorübung für eine solche, die eigentlich erst mit der Dissertation, ggf. auch schon der Bachelorarbeit, gefordert ist.

Es kommt nun darauf an, wie umfangreich deine Hausarbeit sein muß und vor allem, wie das Thema genau lautet. Ohne Kenntnis davon möchte ich meinen, dass du völlig richtig liegst, wenn du aus der „Einleitung“ die Gegenüberstellung von Dogmatismus und Idealismus rekapitulierst und begründest, warum sie sich gegenseitig weder begründen noch widerlegen können. Dies geht natürlich über die Stellung der Grundbegriffe des „Ich“ im Kontext des „Bewußtseins“ und dies wiederum vor dem Hintergrund (bzw eigentlich Vordergrund) der „Erfahrung“, welche ja in beiden Ismen eine unterschiedliche Rolle spielt.

Wenn du dann noch aufzeigst, wie Fichte aus dieser ideologischen Konfrontation seinen Begriff der Freiheit rekurriert (d.h. wie steht Fichtes Ich-Prinzip gegen „Notwendigkeit“ und gegenüber der Erfahrung usw. und was bedeutet das für den Gegensatz Materie-Geist usw.), dann dürftest du der Anforderung einer solchen knappen, zumal ersten, Hausarbeit sicher Genüge getan haben. Da sich dein

Wissen über Fichte auf dieses Seminar beschränkt.

kann niemand mehr von dir erwarten. Denn eine

kritische Stellungnahme

wäre nur im Kontext eines umfangreichen Wissens im Deutsche Idealismus zwischen Kant Hegel Schelling möglich.

Gruß
Metapher

1 Like

Danke nochmals für die ausführliche Antwort.
Werde die Hausarbeit dieses Wochenende abschließen können.
Danke für die Hilfestellung, das gab mir Sicherheit.
Gruß Pascal