Frage zum lateinischen Wort 'ignoscere'

Beim Latein-Lernen stieß ich auf das Beispiel „Ignoscas quaeso!“, was soviel wie „Ich bitte (dich), du mögest verzeihen!“ (Im heutigen Sinne: ich bitte um Entschuldigung!) bedeutet. Laut Langenscheidt bedeutet „ignoscere“: jdm. verzeihen, mit jdm. Nachsicht haben. Da ich jedoch sowohl die lateinischen Vokabeln als auch die deutsche Übersetzung auch nach deren Wortherkunft abkläre (soweit es überhaupt möglich ist!), kamen hier Zweifel auf, ob „ignoscere“ mit „verzeihen“ überhaupt richtig übersetzt ist: während nämlich „verzeihen“ aus dem Präfix „ver-“ (was hier die Umkehrung in das Gegenteil bedeutet) + „zeihen“ (beschuldigen {früher: auf den Beschuldigten zeigen)zusammengestzt ist und soviel wie „ein Beschuldigen rückgängig machen“ heißt (ähnlich wie „schuldig“ und „entschuldigen“), setzt sich das lat. „ignoscere“ aus dem Präfix „in-“ (bzw. dem Präp. „in“) + noscere (alat. gnoscere) zusammen, was soviel wie „innerhalb (bzw. bezüglich) etw. erkennen“ bedeutet, und somit der deutschen Übersetzung „verzeihen“ überhaupt nicht entspricht. - Vielmehr würde ich „ignoscere“ mit „etw. (durch gründliches Erforschen) erkennen und Verständnis (z.B. für die Sorgen eines Anderen) haben“ definieren. (Ähnliche Wörter haben wir im Deutschen: verstehen + einverstanden, kennen + anerkennen). Zudem verglich ich die altgriechische Entsprechung „sug-gignosco“: „gignosco“ entspricht dem lat. nosco, das grch. Präfix „sun-“ entspricht dem lat. con-: mit-, völlig … . „Suggignosco“ bedeutet: mit jdm. erkennen, etw. gründlich erkennen - und stimmt sinngemäß vielmehr mit der deutschen Definition „Verständnis haben für“ überein, als mit „verzeihen“.
Zwar könnte man davon ausgehen, dass jmd. -nachdem er eine Situation verstanden (und die Zusammenhänge erkannt) hat- erst danach Nachsicht ausüben kann, aber ich kann im Gegensatz etwas mit oder ohne Verständnis „verzeihen“ - hier spielt das zugrundeliegende Erkennen keine Rolle. - Entweder handelt es sich von vornherein um eine falsche Übersetzung, oder man wollte früher mit „ignoscere“ ausdrücken: Bitte erkenne die Zusammenhänge, habe Verständnis hiefür und übe Nachsicht aus!
Kann mir jemand diesbezüglich weiterhelfen? Kann mir auch jemand sagen, in welchem Bezug dieses Wort verwendet wurde, denn ich kann mir kaum verstellen, dass im antiken Latein die Höflichkeitsfloskel „ignoscas quaeso!“ jemals verwendet wurde!
Mit freundlichen Grüßen, Gerhard

Salve!

[…] während nämlich „verzeihen“
aus dem Präfix „ver-“ (was hier die Umkehrung in das Gegenteil
bedeutet) + „zeihen“ (beschuldigen {früher: auf den
Beschuldigten zeigen)zusammengestzt ist und soviel wie „ein
Beschuldigen rückgängig machen“ heißt (ähnlich wie „schuldig“
und „entschuldigen“), setzt sich das lat. „ignoscere“ aus dem
Präfix „in-“ (bzw. dem Präp. „in“) + noscere (alat. gnoscere)
zusammen,

Das ist richtig.

was soviel wie „innerhalb (bzw. bezüglich) etw.
erkennen“ bedeutet,

Das ist nicht richtig. Das Präfix in- hat hier die gleiche Bedeutung wie bei Adjektiven, es drückt eine Verneinung aus; wie z. B. bei ignotus,a,um.
Bei Verben hat es zwar meistens die Bedeutung der Präposition „in“, aber nicht in jedem Fall. Vgl. ignorare/nicht-wissen.
Du kannst das nachlesen in GEORGES s.v. „2. in praeverbium“.
Wenn du eine Grundbedeutung von ignoscere suchst, dann könnte man sie vielleicht mit „nicht-mehr-wissen-wollen“ im Sinn unsres „vergeben und vergessen“ angeben.
Vale!
Hannes

Salve Gerhard,

Beim Latein-Lernen stieß ich auf das Beispiel „Ignoscas
quaeso!“, was soviel wie „Ich bitte (dich), du mögest
verzeihen!“ (Im heutigen Sinne: ich bitte um Entschuldigung!)
bedeutet. Laut Langenscheidt bedeutet „ignoscere“: jdm.
verzeihen, mit jdm. Nachsicht haben.

Auch der PONS übersetzt das Verb mit: „verzeihen, vergeben, Nachsicht haben“. WORDS (http://lysy2.archives.nd.edu/cgi-bin/words.exe) schreibt: „pardon, forgive“. Das Wiktionary übersetzt’s mit „forgive“ (http://en.wiktionary.org/wiki/ignosco#Latin). Ich denke, der Stowasser wird das selbe sagen…

Da ich jedoch sowohl die
lateinischen Vokabeln als auch die deutsche Übersetzung auch
nach deren Wortherkunft abkläre (soweit es überhaupt möglich
ist!), kamen hier Zweifel auf, ob „ignoscere“ mit „verzeihen“
überhaupt richtig übersetzt ist:

Ja, die Übersetzung ist korrekt. Was du abzuklären versuchst, ist die Etymologie des Wortes… die Kombination der Bedeutungen der Teilwörter (in + noscere) bildet aber nicht zwangsläufig die Bedeutung des zusammengesetzten Wortes, ähnlich wie „gehören“ sich semantisch nicht aus „ge-“ und „hören“ zusammensetzt.

während nämlich „verzeihen“
aus dem Präfix „ver-“ (was hier die Umkehrung in das Gegenteil
bedeutet) + „zeihen“ (beschuldigen {früher: auf den
Beschuldigten zeigen)zusammengestzt ist und soviel wie „ein
Beschuldigen rückgängig machen“ heißt (ähnlich wie „schuldig“
und „entschuldigen“), setzt sich das lat. „ignoscere“ aus dem
Präfix „in-“ (bzw. dem Präp. „in“) + noscere (alat. gnoscere)
zusammen, was soviel wie „innerhalb (bzw. bezüglich) etw.
erkennen“ bedeutet, und somit der deutschen Übersetzung
„verzeihen“ überhaupt nicht entspricht.

Na und? Das muss es ja nicht. „Ignoscere“ bedeutet „verzeihen“. Was die etymologischen Bestandteile im Deutschen heißen, ist für die Übersetzung des Wortes unerheblich. Und da das Verb semantisch recht genau dem deutschen „verzeihen“ entspricht, ist das eine gute Übersetzung dafür.

Vielmehr würde ich
„ignoscere“ mit „etw. (durch gründliches Erforschen) erkennen
und Verständnis (z.B. für die Sorgen eines Anderen) haben“
definieren.

Das bedeutet „ignoscere“ aber nicht; siehe oben. Wenn das Wort jemals in dieser Bedeutung verwendet worden wäre, fände sich das sicherlich als Übersetzung in den einschlägigen Lexika. Mit der Etymologie scheinst du ganz richtig zu liegen (der PONS schreibt das auch), aber es hat offensichtlich einen Bedeutungswandel gegeben oder das Wort hieß in dieser Zusammensetzung schon immer „verzeihen“.

(Ähnliche Wörter haben wir im Deutschen: verstehen

  • einverstanden, kennen + anerkennen). Zudem verglich ich die
    altgriechische Entsprechung „sug-gignosco“: „gignosco“
    entspricht dem lat. nosco, das grch. Präfix „sun-“ entspricht
    dem lat. con-: mit-, völlig … . „Suggignosco“ bedeutet: mit
    jdm. erkennen, etw. gründlich erkennen - und stimmt sinngemäß
    vielmehr mit der deutschen Definition „Verständnis haben für“
    überein, als mit „verzeihen“.

Also laut meinem Altgriechischwörterbuch (Langenscheidt) heißt συγγιγνώσκω (syggignṓskō) „gleicher Meinung sein, zustimmen; einsehen, zugeben; Mitwisser sein; verzeihen; Med. zugeben, nachgeben, einräumen“. Wohlgemerkt, „verzeihen“ ist hier als mögliche Übersetzung dabei und „Verständnis haben“ nicht. Aus welchem Buch stammt deine Übersetzung des Verbs denn?

Entweder handelt es
sich von vornherein um eine falsche Übersetzung, oder man
wollte früher mit „ignoscere“ ausdrücken: Bitte erkenne die
Zusammenhänge, habe Verständnis hiefür und übe Nachsicht aus!

Dass es eine falsche Übersetzung ist, ist auszuschließen. Den möglichen Ursprung, den du nennst, halte ich durchaus für möglich.

Kann mir jemand diesbezüglich weiterhelfen? Kann mir auch
jemand sagen, in welchem Bezug dieses Wort verwendet wurde,
denn ich kann mir kaum verstellen, dass im antiken Latein die
Höflichkeitsfloskel „ignoscas quaeso!“ jemals verwendet wurde!

Über die Floskel kann ich nichts sagen, aber die Lehrwerke und Wörterbücher bestätigen, dass zumindest das Verb genau in dieser Bedeutung (und offenbar nur in dieser) verwendet wurde.
Man muss vorsichtig sein, wenn man versucht, von den Bestandteilen aufs Ganze zu schließen — das geht oftmals schief.

Mit freundlichen Grüßen, Gerhard

Grüße,

  • André

Hallo Hannes,

was soviel wie „innerhalb (bzw. bezüglich) etw.
erkennen“ bedeutet,

Das ist nicht richtig. Das Präfix in- hat hier die gleiche
Bedeutung wie bei Adjektiven, es drückt eine Verneinung aus;
wie z. B. bei ignotus,a,um.

Hier irrst du dich. Das Präfix in- trägt in diesem Wort die Bedeutung der Präposition, also „in, hinein, ein-“, usw. Da hatte Gerhard schon Recht. Das steht auch explizit im PONS-Wörterbuch so drin. Bei „ignorare“ bedeutet drückt das in- die Negation aus; es sind aber zwei verschiedene Präfixe.

Bei Verben hat es zwar meistens die Bedeutung der Präposition
„in“, aber nicht in jedem Fall. Vgl. ignorare/nicht-wissen.
Du kannst das nachlesen in GEORGES s.v. „2. in praeverbium“.

Was schreibt GEORGES denn explizit über den Fall „ignoscere“?

Gruß,

  • André

Hallo, André!

Hier irrst du dich. Das Präfix in- trägt in
diesem Wort die Bedeutung der Präposition, also „in, hinein,
ein-“, usw. Da hatte Gerhard schon Recht. Das steht auch
explizit im PONS-Wörterbuch so drin.

In meinem nicht. Was liest du denn dort?

Du kannst das nachlesen in GEORGES s.v. „2. in praeverbium“.

Das bezog sich nicht auf ignorare, sondern allgemein auf das Präfix „in-“.

Was schreibt GEORGES denn explizit über den Fall „ignoscere“?

Nichts Besonderes. Er gibt halt an: i-gnoscere aus in und gnosco, und die Grundbedeutung „nicht kennen wollen“. Ich hab die Bedeutung der Wörter, die ich nachgeschlagen habe, aus dem Georges gelernt,
und deshalb meine Ansicht zu ignoscere.
Wo ist denn genau nachgewiesen, dass es sich um die Präposition „in“ handelt? Möglich ist es ja.
Denn was mich jetzt im Nachhinein unsicher macht, ist der Dativ bei ignoscere. „Etwas nicht wissen wollen“ würde eigentlich den Akkusativ verlangen, der ist bei diesem Verb aber nicht gebräuchlich. Das heißt, es müsste dann wohl der Dativus (in-/)commodi sein. Wie erklärt man das?
Vale!
Hannes

Hi,
als Hobbylateiner sehe ich die Sache so:
ignoscere: Assimilation der Verneinungspräfix in: nicht, nein, un-
und noscere:
kennen (lernen), wissen, erfahren, verstehen, untersuchen (als Richter).
ignoscere demnach: nicht kennen, nicht wissen, nicht untersuchen - im Sinne von: darüber hinwegsehen, etwas (bewußt) nicht zur Kenntnis nehmen (wollen), nicht genauer untersuchen.
Daraus erwächst die erweiterte Sinnbedeutung: verzeihen, Nachsicht haben, begnadigen.
Vergleiche: ignorare: nicht wissen, unkundig sein
ignobilis: von niederer Herkunft (in + nobilis)
ignominia: Beschimpfung (in + Ableitung von nominare/ nomen)

lg O

Hallo, André!

Hier irrst du dich. Das Präfix in- trägt in
diesem Wort die Bedeutung der Präposition, also „in, hinein,
ein-“, usw. Da hatte Gerhard schon Recht. Das steht auch
explizit im PONS-Wörterbuch so drin.

In meinem nicht. Was liest du denn dort?

Ich zitiere:

īgnōscō, īgnōscere, īgnōvī, īgnōtum (in-1 u. nosco) verzeihen, vergeben, Nachsicht haben (m. Dat.; alci alqd nur beim Neutr. eines Pron. od. allg. Adj.; m. quod) […]

Du kannst das nachlesen in GEORGES s.v. „2. in praeverbium“.

Das bezog sich nicht auf ignorare, sondern allgemein auf das
Präfix „in-“.

Was schreibt GEORGES denn explizit über den Fall „ignoscere“?

Nichts Besonderes. Er gibt halt an: i-gnoscere aus in und
gnosco, und die Grundbedeutung „nicht kennen wollen“. Ich hab
die Bedeutung der Wörter, die ich nachgeschlagen habe, aus dem
Georges gelernt,
und deshalb meine Ansicht zu ignoscere.
Wo ist denn genau nachgewiesen, dass es sich um die
Präposition „in“ handelt? Möglich ist es ja.

Wie gesagt nur in meinem PONS-Wörterbuch. Ich habe keine andere Quelle dafür.

Denn was mich jetzt im Nachhinein unsicher macht, ist der
Dativ bei ignoscere. „Etwas nicht wissen wollen“ würde
eigentlich den Akkusativ verlangen, der ist bei diesem Verb
aber nicht gebräuchlich. Das heißt, es müsste dann wohl der
Dativus (in-/)commodi sein. Wie erklärt man das?

Darüber weiß ich leider zu wenig, ich hatte nie Latein in der Schule.

Vale!
Hannes

Hallo,

Daraus erwächst die erweiterte Sinnbedeutung: verzeihen,
Nachsicht haben, begnadigen.

Das Problem hierbei ist, dass das die einzige Sinnbedeutung ist. Es gibt keine Bedeutung dieses Verbs, das irgendwie „nicht wissen“ bedeutet. Und einige Bücher geben an, dass das in- hier eben „ein-“ und nicht „un-“ bedeutet.

Gruß,

  • André

Das steht auch

explizit im PONS-Wörterbuch so drin.

In meinem nicht. Was liest du denn dort?

Ich zitiere:
īgnōscō,
īgnōscere, īgnōvī,
īgnōtum (in-1 u.
nosco)
verzeihen, vergeben, Nachsicht haben
(m. Dat.; alci alqd nur beim Neutr. eines Pron. od.
allg. Adj.; m. quod)
[…]

Das las ich dort auch. Aber was sagt das denn aus über die Bedeutung des Präfix in-? Eine wörtliche Bedeutung muss nicht ins Wörterbuch aufgenommen werden. Da geht es um die Bedeutungen, die man mit Gleichheitszeichen wiedergeben kann. Dass es „eigentlich“ nicht -mehr-wissen-wollen bedeutet, besagt dann eben nichts mehr.
GEORGES ist da grundsätzlicher und gibt als erste Bedeutung an „etwas nicht kennen wollen“ (also genau soviel wie non-noscere).

Wo ist denn genau nachgewiesen, dass es sich um die
Präposition „in“ handelt? Möglich ist es ja.

Wie gesagt nur in meinem PONS-Wörterbuch.

Da sehe ich es aber immer noch nicht nachgewiesen.
Schönen Gruß!
Hannes

Aber André!

Es gibt keine
Bedeutung dieses Verbs, das irgendwie „nicht wissen“ bedeutet.

Aber meine Hinweise auf das Lemma im GEORGES!

Und einige Bücher geben an, dass das in-
hier eben „ein-“ und nicht „un-“ bedeutet.

Sag halt schon, welche Bücher. Das ist es doch, wonach ich dauernd frage. Bitte!
Hannes

Das las ich dort auch. Aber was sagt das denn aus über die
Bedeutung des Präfix in-? Eine wörtliche Bedeutung muss nicht
ins Wörterbuch aufgenommen werden. Da geht es um die
Bedeutungen, die man mit Gleichheitszeichen wiedergeben kann.
Dass es „eigentlich“ nicht -mehr-wissen-wollen bedeutet,
besagt dann eben nichts mehr.

Oh Sorry, ich hatte total vergessen, die hochgestellte 1 zu erklären… im Eintrag für in-1 steht die Präpositionalbedeutung in, an, auf, bei, hinein, ein-. Nummer 2 wäre nicht, ohne, un-.

GEORGES ist da grundsätzlicher und gibt als erste Bedeutung an
„etwas nicht kennen wollen“ (also genau soviel wie
non-noscere).

Das mag seine Theorie der Etymologie des Wortes sein, aber das heißt nicht, dass das Wort das auch jemals geheißen haben muss. Man müsste eine Stelle in der Literatur finden, in der „ignoscere“ im Sinne von „nicht-wissen“ oder „nicht-kennen“ verwendet wurde.

Wo ist denn genau nachgewiesen, dass es sich um die
Präposition „in“ handelt? Möglich ist es ja.

Wie gesagt nur in meinem PONS-Wörterbuch.

Da sehe ich es aber immer noch nicht nachgewiesen.

Hast Recht. Aber GEORGES scheint’s ja auch nicht nachgewiesen zu haben, er stellt auch nur eine Behauptung auf, oder?

Gruß,

  • André

Aber André!

Es gibt keine
Bedeutung dieses Verbs, das irgendwie „nicht wissen“ bedeutet.

Aber meine Hinweise auf das Lemma im GEORGES!

Okay, aber wie begründet er’s? Bzw., belegt er es mit Textstellen in denen „ignoscere“ die (angenommene) ursprüngliche Bedeutung hat?

Und einige Bücher geben an, dass das in-
hier eben „ein-“ und nicht „un-“ bedeutet.

Sag halt schon, welche Bücher. Das ist es doch, wonach ich
dauernd frage. Bitte!

PONS Schülerwörterbuch, 1. Auflage, 2001. Klett-Verlag. Seite 241 links unten. :wink:

Gruß,

  • André

Hi,
na und?
Nachsicht heißt ja auch svw. Gnadenerweis und nicht (mehr): jemandem hinterhersehen. Dazu sagt man heute: (das) Nachsehen (haben).
Zudem bedeutet noscere zwar auch wissen, jedoch schwingt da viel mehr an Unterbedeutungen mit, insb. kennen, kennenlernen, z.B. bei
nobilis: i.e. S.: kenntlich (leicht erkennbar), bekannt, jedoch insb. vornehm, adlig, edel. -> Nobilitas.
Bin mittlerweile auch der Meinung. daß das g zu noscere (gnoscere) gehört, also keine Assimilation von in bedeutet.
Siehe auch Bedeutungsvielfalt zu cognoscere, recognoscere, incognitus
lg O

Bin mittlerweile auch der Meinung. daß das g zu noscere
(gnoscere) gehört, also keine Assimilation von in bedeutet.
Siehe auch Bedeutungsvielfalt zu cognoscere, recognoscere,
incognitus

Ja, ich denke, da sind wir uns einig. Vor einem /n/ assimiliert sich das „in-“ ja nicht, sondern bleibt wie es ist (Bsp.: „innatus“). Vor einem „gn“, das im Lateinischen sehr wahrscheinlich ja als [ŋn] ausgesprochen wurde, assimilierte sich das „in-“ zu einem langen „ī-“.
Ich weiß allerdings nicht, warum es so oft „-gnoscere“ heißt. Ich denke aber, dazu gehört das griechische Verb γνωρίζω (gnōrízō), „erkennen, kennen“ und das Nomen γνῶσις (gnōsis), „Erkenntnis“.
Ohne es jetzt weiter nachgeforscht zu haben, würde ich behaupten, dass „gnor-/gnos-“ die ursprünglichen Form in beiden Sprachen waren, die im Lateinischen ihren plosiven Anlaut verlor, wenn kein Präfix davorstand.

Gruß,

  • André

Hallo mitnand!
Da mische ich mich jetzt doch noch ein. Ich muss den Ursprungsposter da etwas in Schutz nehmen, er vertritt im Prinzip auch mein Anliegen im Umgang mit den Wörtern fremder Sprachen.

Da ich jedoch sowohl die
lateinischen Vokabeln als auch die deutsche Übersetzung auch
nach deren Wortherkunft abkläre (soweit es überhaupt möglich
ist!), kamen hier Zweifel auf, ob „ignoscere“ mit „verzeihen“
überhaupt richtig übersetzt ist:

Die Grundbedeutung des Wortes muss als bildliche Vorstellung nicht identisch sein mit den im Lexikon angegebenen Bedeutungen. Die dienen nur dazu, auszudrücken xlat.=y.dt.
Beispiel: mons=Berg. Aber „mons“ gehört zum Stamm „-min-“ und drückt etwas Bedrohliches aus (wilde Tiere? Weglosigkeit? Schnee?), „Berg“ erinnert wahrscheinlich* an „bergen“(Wohnhöhle? Versteck? Schätze?)*.
Das ist für das Lexikon, wenn es nur dem Übersetzen dient, unwichtig.

die Kombination der
Bedeutungen der Teilwörter (in + noscere) bildet aber nicht
zwangsläufig die Bedeutung des zusammengesetzten Wortes,

Was denn sonst? Beim Übersetzen in die Zielsprache dann nicht mehr, klar.

setzt sich das lat. „ignoscere“ aus dem

Präfix „in-“ (bzw. dem Präp. „in“) + noscere (alat. gnoscere)
zusammen, was soviel wie „innerhalb (bzw. bezüglich) etw.
erkennen“ bedeutet, und somit der deutschen Übersetzung
„verzeihen“ überhaupt nicht entspricht.

Na und? Das muss es ja nicht. „Ignoscere“ bedeutet
„verzeihen“. Was die etymologischen Bestandteile im Deutschen
heißen, ist für die Übersetzung des Wortes unerheblich.

Man kann sich aber doch Gedanken darüber machen.
Und so falsch ist das nicht:

Vielmehr würde ich
„ignoscere“ mit „etw. (durch gründliches Erforschen) erkennen
und Verständnis (z.B. für die Sorgen eines Anderen) haben“
definieren.

Ich bin inzwischen etwas klüger geworden und kann mir vorstellen, dass ignoscere die Präposition „in“ (und nicht unbedingt die Negationspartikel) enthält. Dann käme die Grundbedeutung „ein Einsehen haben mit jemand/etwas“ (vgl. Wikipedia) dem lateinischen Wort am nächsten. Ich gebe aber zu, dass meine Suche nach einem eindeutigen Beleg für diesen Sachverhalt bisher erfolglos war.

ich kann mir kaum verstellen, dass im antiken Latein die

Höflichkeitsfloskel „ignoscas quaeso!“ jemals verwendet wurde!

Die Bitte „mihi ignoscas!“ ist gutes Latein.
Wie schon weiter unten gesagt, hat mich zum weiteren Nachdenken die Tatsache gebracht, dass dieses Verb gewöhnlich mit dem Dativ verbunden wird, während bei noscere/kennenlernen nur der Akkusativ vorkommt. Also denkt man im Lateinischen nicht „ETWAS verzeihen“, sondern „JEMANDEM/EINER SACHE entgegenbringen“. [Man kann auf Lateinisch nicht einmal sagen „jemandem etwas verzeihen“, sondern muss umdenken: "jemandes Tat ein Einsehen (?) entgegenbringen.]
*Falls es sich mit der Etymologie von „Berg“ tatsächlich nicht so verhält - sie ist umstritten - kann man sich ein anderes Beispiel ausdenken. Es soll hier nur auf das Problem der unterschiedlichen Vorstellungen hingewiesen sein, die in den verschiedenen Sprachen vorhanden sind, durch Zeitverlauf mehr oder weniger deutlich fassbar.
Valete!
Hannes

Salve, Allesamt!
Wie ich sehe, hat meine ursprüngliche Frage eine Menge Diskussion ausgelöst, und ich denke, dass es gut ist:
Es ist eine Sache, einfach Vokabeln einer Sprache auswendig zu lernen, und sie mit den Wörtern der Übersetzung gleichzusetzen (auch wenn wie bei Latein 2000 Jahre zwischen den Begriffen {und den verschiedenen Kulturen} auseinanderliegen {ein klass.-lat. „domus“ ist eben nicht gleich ein Haus des 21.Jhds.!}. Die andere Sache ist, ein Wort einer Fremdsprache genau so zu verstehen, wie es bei dem fremden Volk (und zu der damaligen Zeit und Lebensweise)verwendet wird bzw. wurde. - Und dies ist auch mein Weg, eine Fremdsprache wie Latein nicht nur zu lernen, sondern sie auch zu verstehen!
Das Wort „ignoscere“ mit dem heutigen deutschen Wort „verzeihen“ gleichzusetzen, ist für mich daher wie „domus Romae“ = „deutsches Haus“! - Wie sicherlich viele von Euch mit mir übereinstimmen, ist es daher wichtig, sich (soweit überhaupt möglich) mit der Herkunft des Wortes auseinanderzusetzen, um ein klares Bild zu bekommen, was genau mit „ignoscere“ gemeint ist!
Nach dieser langatmigen Einführung komme ich nun zum Punkt: Obwohl es sicherlich verlockend ist, davon auszugehen, dass das Präfix in- im Sinne von „un-, nicht …“ ist (Übrigens: mein Langscheidts Taschenbuch Latin gibt ebenfalls die Präposition „in“ als Herkunft an!) -auch habe ich schon daran gedacht, dass sich „ignoscere“ womöglich von „ignotus“ rückentwickelt haben könnte-, so denke ich dennoch, dass die grundlegende Idee von „innerhalb etw. erkennen (und als Folge von Verständnis Nachsicht geübt wird“ mehr zutrifft. - Offenbar fehlt hier ein Bindeglied zwischen den Begriffen „kennen“ und „verzeihen“! Es gibt 2 Faktoren, die diese Annahme verstärken: 1) wie schon oben richtig erkannt wurde, wird dieses Wort in Verbindung mit einem Dativ verwendet!, 2) die altgriechische Entsprechung „sug-gignosko“, welche aus dem Präfix „sun-/syn-“ (entspr. lat. con-: mit-) und gignosko" (entspr. lat {g}nosco: kennen lernen, erfahren) zusammengesetzt ist. Vielleicht kann jmd. von Euch, der sich mit grch. Wörtern u. deren Herkunft schon beschäftigt hat, hier das fehlende Glied finden! - Anfügend einige Daten bzgl. „suggignosko“ (aus GEMOLL Griechisch-Deutsches Schul-u.Hand-Wörterbuch):
„sug- od. zug-gignosko (ionisch spätgrch. -ginosko)
I. (activum) 1.a) mit jdm. denken, gleicher Meinung sein, beistimmen, übereinstimmen, b) gründlich erkennen, völlig einsehen, zugeben, eingestehen, 2) mitwissen, Mitwisser sein, 3) verzeihen, vergeben (absolut od. tini, tini ti, tini tinos: jdm. wegen etw., mit {dativus} der Person und Sache, tivi ei, oti), II. (medial) 1) von sich zugeben, eingestehen, 2) =activum, besonders übereinstimmen“.
Leider kann ich so gut wie kein Griechisch (auch wenn ich die Buchstaben kenne), sodass mir die gramm. Angaben etwas aussagen. Aber man kann hier schon gut erkennen, dass sich ein Bedeutungswandel von „gleicher Meinung sein“ zu „übereinstimmen“ (viell. sogar noch über "von sich zugeben, eingestehen) zu „verzeihen, vergeben“ gegeben hat (im Sinne: ich habe dein Argument kennengelernt, verstanden, und meine Gedanken stimmen nun mit deinen Gedanken überein. Ich muß außerdem eingestehen, dass mein voriger Vorwurf nicht den Tatsachen entsprach und werde daher keine weiteren Konsequenzen {wie Hassgefühle, Verurteilung} unternehmen.) - Da „verzeihen“ lt. Duden ein Nachlassen erlittenen Unrechts ist, kann man daher weder bei „ignoscere“ noch bei „suggignosko“ von „Verzeihen“ (im heutigen Sinne) sprechen!
Eine 2. Methode, um „i-gnoscere“ richtig zu interpretieren, wäre herauszufinden, wie sich das Präfix i- (bzw. in- oder dessen Ableitungen iff-, etc.) sich bei anderen Zusammensetzungen hinsichtl. des Bezugsverbes verhält. (Z.B. habe ich beim Präfix „con-“ herausgefunden, dass es beim Wort „conscindere“ {besteigen} diejenige Funktion hat, ein Akkusativobjekt zu verlangen {wie z.B. im Deutschen „auf ein Pferd steigen - ein Pferd besteigen“ - hier wird ein Präp.Objekt in ein Akkusativobjekt umgewandelt! - Wie es sich im Lateinischen verhält, kann ich aufgrund zu geringer Gramm.-kenntnisse noch nicht sagen}, obwohl im Langenscheidt-Wörterbuch bei „con-“ keine entsprechende Definition angegeben ist!
Vielleicht gibt es bzgl. dem Präfix „in-“ auch eine ähnliche Funktion, die nicht im Wörterbuch enthalten ist, und die es auszugraben gilt!
Vale, Gerhard

Hallo,

Die Grundbedeutung des Wortes muss als bildliche Vorstellung
nicht identisch sein mit den im Lexikon angegebenen
Bedeutungen. Die dienen nur dazu, auszudrücken xlat.=y.dt.
Beispiel: mons=Berg. Aber „mons“ gehört zum Stamm „-min-“ und
drückt etwas Bedrohliches aus (wilde Tiere? Weglosigkeit?
Schnee?), „Berg“ erinnert wahrscheinlich* an
„bergen“(Wohnhöhle? Versteck? Schätze?)*.

Das mag stimmen, dass „mons“ ursprünglich von einer Wurzel „min-“ abgeleitet ist, aber das hat in diesem Falle keinen Einfluss auf die Bedeutung des Wortes „mons“. Will sagen, es ist höchst unwahrscheinlich, dass z.B. ein Lateiner/Römer sich unter „mons“ etwas bedrohliches vorstellte oder mit Bergen immer eine Art Bedrohung assoziierte, nur weil das Wort diese Etymologie hatte. Etymologie ist sehr interessant, aber für die eigentliche Wortbedeutung beim Übersetzen völlig unerheblich.
Es ist also nicht der Fall, dass die „eigentliche“ Bedeutung eines Wortes in der Etymologie zu suchen wäre.

Das ist für das Lexikon, wenn es nur dem Übersetzen dient,
unwichtig.

Auch wenn man die Bedeutung eines Wortes genau kennen möchte, ist das unerheblich. Die Herkunft interessiert, wenn man über die Etymologie etwas erfahren möchte.

die Kombination der
Bedeutungen der Teilwörter (in + noscere) bildet aber nicht
zwangsläufig die Bedeutung des zusammengesetzten Wortes,

Was denn sonst? Beim Übersetzen in die Zielsprache dann nicht
mehr, klar.

Auch in der Ursprungssprache nicht zwangsläufig, wenn ein starker Bedeutungswandel stattgefunden hat. „Beheben“ lässt sich auch in „be-“ und „heben“ segmentieren, doch hat es von seiner bloßen Bedeutung her nicht mehr viel mit „heben“ zu tun, genausowenig wie Berge irgendetwas mit Gefahr bedeuten (man kann das mit ihnen assoziieren, aber das ist pure Semantik und im oben von dir genannten Fall für Sprecher nicht mehr aus dem Wort ersichtlich).

Na und? Das muss es ja nicht. „Ignoscere“ bedeutet
„verzeihen“. Was die etymologischen Bestandteile im Deutschen
heißen, ist für die Übersetzung des Wortes unerheblich.

Man kann sich aber doch Gedanken darüber machen.

Klar kann man. Das fällt dann in den Bereich der Etymologie und hat in vielen Fällen (aufgrund semantischer Verschiebungen) nicht mehr sehr viel mit der eigentlichen Bedeutung der Wörter zu tun. Wenn ich wissen möchte, was ein Wort bedeutet (egal ob übersetzt oder erklärt), dann ist die eigentliche Zusammensetzung und Herkunft des Wortes nicht wichtig, lediglich interessant.

Und so falsch ist das nicht:

Vielmehr würde ich
„ignoscere“ mit „etw. (durch gründliches Erforschen) erkennen
und Verständnis (z.B. für die Sorgen eines Anderen) haben“
definieren.

Ich bin inzwischen etwas klüger geworden und kann mir
vorstellen, dass ignoscere die Präposition „in“ (und nicht
unbedingt die Negationspartikel) enthält. Dann käme die
Grundbedeutung „ein Einsehen haben mit jemand/etwas“ (vgl.
Wikipedia) dem lateinischen Wort am nächsten. Ich gebe aber
zu, dass meine Suche nach einem eindeutigen Beleg für diesen
Sachverhalt bisher erfolglos war.

Ja, gut möglich. Ich glaube, eine ähnliche Vermutung hatte ich auch mal irgendwo hier aufgestellt. Das ist dann aber die ursprüngliche Bedeutung (die sich gewandelt haben kann), nicht mehr die _Grund_bedeutung des Wortes.

*Falls es sich mit der Etymologie von „Berg“ tatsächlich nicht
so verhält - sie ist umstritten - kann man sich ein anderes
Beispiel ausdenken. Es soll hier nur auf das Problem der
unterschiedlichen Vorstellungen hingewiesen sein, die in den
verschiedenen Sprachen vorhanden sind, durch Zeitverlauf mehr
oder weniger deutlich fassbar.

Aber wie gesagt ist die Vorstellung von bestimmten Konzepten wie BERG nicht abhängig von der Etymologie des Wortes, zumal sie bei „mons“ für Sprecher sicher nicht mehr ersichtlich ist. Bei „entschuldigen“ im Deutschen und „ignoscere“ im Lateinischen mag sie das noch sein. Berg ist hier kein guter Vergleich.
Weil ich Beispiele so sehr mag, hier ein Gegenbeispiel:
Das Verb „ätzen“ ist etymologisch gesehen der Kausativ von „essen“ — bedeutet also eigentlich ursprünglich ‚füttern‘ (mehr oder weniger). Das weiß kaum ein Sprecher des Deutschen und praktisch niemand assoziiert „ätzen“ mit „essen“. Genauso wenig wird kein Lateinischsprecher das Wort „Berg“ eher mit Gefahren assoziieren als ein Altgriechischsprecher, Sumerer, Mittelägypter oder Wikinger.

Valete!
Hannes

Gruß,

  • André

Salve, Allesamt!
Wie ich sehe, hat meine ursprüngliche Frage eine Menge
Diskussion ausgelöst, und ich denke, dass es gut ist:
Es ist eine Sache, einfach Vokabeln einer Sprache auswendig zu
lernen, und sie mit den Wörtern der Übersetzung gleichzusetzen
(auch wenn wie bei Latein 2000 Jahre zwischen den Begriffen
{und den verschiedenen Kulturen} auseinanderliegen {ein
klass.-lat. „domus“ ist eben nicht gleich ein Haus des
21.Jhds.!}.

Das ist richtig und eine kluge Vorgehensweise. Man muss die Wörter im Lichte der jeweiligen Kultur sehen.

Die andere Sache ist, ein Wort einer Fremdsprache
genau so zu verstehen, wie es bei dem fremden Volk (und zu der
damaligen Zeit und Lebensweise)verwendet wird bzw. wurde. -

Die Verwendung erschließt sich aber nicht aus der Etymologie des Wortes, sondern aus… naja… eben seiner Verwendung. Wenn ein Wort _nur in einer einzigen Bedeutung in einer Sprache verwendet wird, so hat es eben auch nur diese eine Bedeutung, egal ob es etymologisch gesehen mal etwas ganz anderes bedeutete. Das ist für die Sprecher einer Sprache ja für gewöhnlich nicht inhärent ersichtlich.

Und dies ist auch mein Weg, eine Fremdsprache wie Latein nicht
nur zu lernen, sondern sie auch zu verstehen!
Das Wort „ignoscere“ mit dem heutigen deutschen Wort
„verzeihen“ gleichzusetzen, ist für mich daher wie „domus
Romae“ = „deutsches Haus“! - Wie sicherlich viele von Euch mit
mir übereinstimmen, ist es daher wichtig, sich (soweit
überhaupt möglich) mit der Herkunft des Wortes
auseinanderzusetzen, um ein klares Bild zu bekommen, was genau
mit „ignoscere“ gemeint ist!

Nein, das ist die falsche Vorgehensweise. Wenn du die Herkunft des Wortes analysierst, erfährst du etwas über die geschichtliche Entwicklung seiner Bedeutung und Struktur, teilweise auch etwas über die kulturellen Assoziationen mit dem Wort. Den Bereich nennt man „Etymologie“ und die Betrachtungsweise „diachron“.
Wenn du wissen möchtest, was ein Wort in einer Sprache zu einem bestimmten Zeitpunkt bedeutet, spielt die Etymologie keine Rolle. Wirklich keine. Alles was dann zählt, ist die Verwendung. Und wenn sich die Verwendung in Sprache A zu 100% mit der Verwendung der vermeintlichen Übersetzung in Sprache B deckt, so bedeuten die Wörter auch das gleiche, sofern auch die Konnotation stimmt (ich würde das aber unter Verwendung fassen). Das ist dann die lexikalische Bedeutung eines Wortes und das, was die Bedeutung ausmacht. Die Betrachtungsweise nennt man „synchron“ (weil man sich eine Sprache oder ein Wort in einem Einzelzustand anschaut und nicht über Jahrhunderte hinweg).

…so denke ich dennoch, dass die
grundlegende Idee von „innerhalb etw. erkennen (und als Folge
von Verständnis Nachsicht geübt wird“ mehr zutrifft. -

Das ist keine Bedeutung, das ist eine Interprätation der möglichen Etymologie. In den Büchern stand dazu leider nur die mutmaßliche Herkunft der Bestandteile (in- und (g)noscere) und du hast dir dadurch die mögliche ursprüngliche Bedeutung abgeleitet. Diese entsprach jedoch offenbar längst nicht mehr der im Lateinischen vorliegenden Bedeutung von „ignoscere“, was die Wörterbucheinträge zeigen. Möglich, dass deine Interprätation fürs Proto-Indo-Europäische, Altitalische oder das Altlateinische zutreffend ist, für das, was wir unter Latein verstehen jedoch nicht mehr.
Und ich denke, du wolltest die Bedeutung im Lateinischen untersuchen, nicht in den noch älteren Sprachen, die man nur noch rekonstruieren kann…

Da „verzeihen“ lt. Duden ein Nachlassen erlittenen Unrechts
ist, kann man daher weder bei „ignoscere“ noch bei
„suggignosko“ von „Verzeihen“ (im heutigen Sinne) sprechen!

Noch einmal: Wenn die Verwendung (also wo’s vorkommt) gleich ist, ist es auch die Bedeutung. Sicherlich ist das nicht gegeben (100%ige Synonyme gibt’s selbst in einer einzelnen Sprache fast nie), aber wenn in einem bestimmten Kontext „verzeihen“ und „ignoscere“ beiderseits benutzt werden können, mit denselben Konnotationen, dann sind „verzeihen“ und „ignoscere“ zumindest Teilübersetzungen (bzw. Teilbedeutungen) voneinander. Ich denke, das mit der Konnotation ist in der Tat der Fall, doch müsste man da langwierige Korpusstudien durchführen um das zu bestätigen.

Gruß,

  • André_

Die Verwendung erschließt sich aber nicht aus der Etymologie
des Wortes, sondern aus… naja… eben seiner Verwendung.
Wenn ein Wort nur in einer einzigen
Bedeutung in einer Sprache verwendet wird, so hat es eben auch
nur diese eine Bedeutung, egal ob es etymologisch gesehen mal
etwas ganz anderes bedeutete. Das ist für die Sprecher einer
Sprache ja für gewöhnlich nicht inhärent ersichtlich.

Da gebe ich dir auch insofern recht, aber ich sehe dies auch unter einem anderen Licht: Ich versuche einerseits zu begreifen, was das Wort ursprünglich bedeutete, und andererseits zu erkennen, wie sich das Wort von der ursprünglichen Bedeutung zu dem entwickelt hat, wie es zum Zeitpunkt der Sprache (wie hier klass.Latein) verwendet wird. - Es liegt mir sehr am Herzen, ein Wort logisch zu verstehen und alle Glieder einer Entwicklungs-Kette zu erkennen, auch wenn es speziell bei alten Sprachen sehr schwierig ist.
Auch wenn die ursprüngl. Bedeutung von „ignoscere“ nicht mehr das ist, was im klass.Latein gemeint war, so kann man doch erkennen, wie sich eine Kultur weiterentwickelt hat bzw. tiefer gesunken ist (Beispiel: „entschuldigen“ heißt im Grunde „eine Schuld nachlassen“! - Wenn man heutzutage jdm. ansprechen möchte, sagt man gewöhnlich: „Bitte entschuldigen Sie“! Gemäß der Wortbedeutung müsste man hier fragen: Welche Schuld hat derjenige gemacht, welche es zu ent-schuld-igen gäbe? Ist es ein Vergehen, jdm. etw. zu fragen?
Worauf ich hinauswill, ist der Punkt: Wie geht man mit Wörtern und ihrem eigentlichen Sinne um? - Werden Wörter bewusst verwendet oder nur mehr oberflächlich „so dahingesagt“?). - Dies alles kann man aus einer Etymologie herausfinden, und daher ist mein „Herumforschen“ auch nicht Zeitverschwendung, sondern ein wesentlicher Faktor zum Verstehen einer Sprache und die sie repräsentierte Kultur.
Abgesehen davon: Es gibt viele Möglichkeiten, etwas zu „verzeihen“, etwas nachzulassen: Man kann sehr oberflächlich und ohne Verstehen verzeihen (um z.B. seine Macht hervorzuheben), oder man verzeiht erst dann, wenn man alle Einzelheiten abgeklärt hat und zu dem Schluss gekommen ist, warum es zu der „Schuld“ des Anderen überhaupt kam; oder man kann verzeihen, weil es „so Sitte ist“, und, und, und!
Offensichtlich war die ursprüngliche Bedeutung ein Schuldennachlass, welcher auf Verstehen gegründet war. Ob sich diese Bedeutung in der klassischen Zeit noch erhalten hat, oder inzwischen sich wie bei dem deutschen Wort „entschuldigen“ verformt hat, wird man heute kaum mehr herausfinden können - außer man findet in klass.lat. Texten einen entsprechenden Hinweis beim Kontext.
Ich weiß, dass ich mit meiner Vorgehensweise ziemlich tief in die Materie gehe, und wohl muss ich mir den Vorwurf gefallen lassen, dass meine Art nichts mehr mit Latein-Lernen zu tun hat, aber wie ich schon zuvor betont habe, liegt mir weniger daran, Latein zu lernen, sondern es auch zu verstehen!