Hallo Steffen,
Was ist genau die produktive Einbildungskraft.
Einbildungskraft ist ja bei Kant das Vermögen, sich ein Objekt
auch ohne sinnliche Anschauung vorzustellen. Die
reflektierende Einbildungskraft erinnert sich nur und wird
deshalb von Kant der Psychologie zugewiesen, ist also kein
Gegenstand der Philosophie
(Soweit richtig ???)
grundsätzlich ja. In exentso:
Die entscheidende Funktion der Einbildungskraft ist die Synthesis (BV 103), die ja für die Frage nach den synth. Urt. apriori konstitutiv ist.
Einbildungskraft ist als produktive also Spontaneität (B 152), d. h. sie produziert das transzendentale Schema, das einerseits rein und doch intellektual und gleichzeitig sinnlich sein soll.
Was kann aber dann die produktive Einbildungskraft genau?
Da ist die spätestens seit Fichte (1794!) die Frage (und nicht erst, aber auch in der Romantik).
Kann sie Ideen versinnlichen und so doch eine Art
intellektuelle Anschauung ermöglichen? (scheint bei den
Frühromantikern eine diskutierte Möglichkeit gewesen zu sein)
Da die Sache mehr als umstritten ist, also immer noch unerledigt, kann ich dir (leider) nur meine eigenen Meinung - und auch die nur kurz - mitteilen:
Produzieren kann die Urteilskraft - jetzt immer aus meiner Sicht - nur hypothetisch. Das heißt, dass ein Resultat der EK nur dann wahr sein kann, wenn es empirisch fundiert ist - ist es das nicht, ist es zwar möglich im Sinne von phantastisch oder denkbar, aber noch nicht real. Empirische Fundierung allein aber reicht nicht aus, da auch die Denkmöglichkeit gegeben sein muss. Einen nicht-euklidischen Raum also kann es beispielsweise nicht geben, weil eben der „Raum“ als euklidisch definiert zu gelten hat. Will man also einen nicht-euklidischen Raum postulieren, so muss man auch gleichzeitig sagen, dass derjenige „Raum“, den man als „nicht-euklidisch“ bezeichnet, eigentlich nicht dasselbe bezeichnet, was man eigentlich als „Raum“ bezeichnet wissen will. Ein schwieriges Feld, das weiß ich nur zu genau.
Der Begriff der intellektuellen Anschauung hilft hier aber nur sehr begrenzt, da er (seit Fichte) zwar verwendet wird, aber niemand eigentlich wirklich weiß, was er bedeutet. Dieser Begriff widerspricht sich ja eigentlich, da etwas entweder intellektuell oder anschaulich ist. Was Fichte und seine Nachfolger damit bezeichnen wollten ist, dass es etwas gibt, das auf der einen Seite gedacht und auf der anderen Seite gleichzeitig empfunden oder erlebt werden kann. Das aber ist - aus kantischer Sicht - unmöglich, wie auch die Ablehnung Kants gegenüber dieser Deutung seiner Philosophie durch Fichte zeigt.
Viele Verteidiger Kants schieben dieses Problem auf die sogenannte „Patchworktheorie“, die davon ausgeht, dass Kant bei der Fülle seiner Einzelbeobachtungen schlicht den Überblick verloren hat. Das freilich glaube ich nicht, sondern ich meine, dass die Einbildungskraft ein methodisches Element ist (ähnlich dem Trial-and-Error-Prinzip, nur eben nicht-empirisch).
Eine kleine (lobende) Bemerkung erlaube ich mir noch: Als Autodidakt bis du erstaunlich aufmerksam, sodass ich mich auf weitere Frage freue.
Herzliche Grüße
Thomas Miller