Fragen zum kontrapunkt

hallo!

ich hätte bitte 2 fragen zum kontrapunkt:

  1. ich habe gelesen, dass bei kontrapunkt musik beide stimmen für sich selber stehen. aber das ist doch immer so, bei irgendwelchen klavierstücken zum beispiel, dass der bass was anderes spielt als die rechte hand.

  2. ich habe bei wikipedia folgendes gelesen: „Die Einführung einer Dissonanz geschieht dadurch, dass der später dissonante Ton zunächst in einem konsonanten Zusammenklang steht, bei Fortschreiten der übrigen Stimmen unverändert liegenbleibt und erst durch dieses Fortschreiten der übrigen Stimmen in dem neu entstehenden Klang dissonant wird.“

mein problem: ich nix verstehen. könnte mir das vielleicht jemand wie einem 6 jährigen erklären, damit auch ich verstehe, was gemeint ist.

P.s: falls mir jemand so antwortet, braucht er keine angst haben, dass ich mich verarscht fühle, mich interessiert klassische musik sehr und ich will auch soviel wie möglich darüber wissen.

danke!

Hallo!
contra-punctum: Stell Dir als diesen Punkt den Notenkopf vor! Contra besagt dann, dass die Stimmen nicht parallel geführt werden (z. B. im Terz-Abstand),
auch nicht als harmonisch geprägte Begleitung zu einer Melodie (homophon),
sondern „gegeneinander“, also als selbstständige Melodien (polyphon).
Gute Musterbeispiele sind die zwei- und dreistimmigen Inventionen von J. S. Bach.

Die Einführung einer Dissonanz geschieht dadurch, dass der
später dissonante
Ton zunächst in einem konsonanten Zusammenklang steht, bei
Fortschreiten der übrigen Stimmen unverändert liegenbleibt und
erst durch dieses Fortschreiten der übrigen Stimmen in dem neu
entstehenden Klang dissonant wird."

Das stimmt für die „strenge“ Setzweise.
Experimentiere: Nimm den Dreiklang c-e-g (eine Konsonanz), lass das c liegen und geh mit den beiden anderen Stimmen nach d und f hinunter: eine Dissonanz, die Du nun unterschiedlich auflösen kannst:
Wenn Du zurückgeht, war es eine Wechselnoten-Dissonanz,
wenn Du sie zu c-e hinunterführst, war es eine Durchgangs-Dissonanz.
Du kannst aber auch d-f liegen lassen und das c zum h hinunterführen,
und diese Dissonanz (eine verminderter Akkord) kannst Du als c-e auflösen,
kannst aber durch die Bildung anderer Dissonanzen und unter Verwendung von Kreuz- und Be-Voreichen in andere Tonarten kommen.
Natürlich kann die Dissonanz auch dadurch eintreten, dass alle Töne gleich bleiben und nur eine Stimme schreitet weiter, und dadurch entsteht die Dissonanz:
e-g-c (kons.) --> e-g-b (diss.) --> Auflösung: f-a.
Alles klar?
H.

Hallo Eric

Frage 1: Die Lehre vom Kontrapunkt stellt selber zunächst eine Frage: Wann wirkt eine Stimme nur als Begleitstimme einer anderen, bzw. was muss sie für Eigenschaften haben, damit sie selbständige Melodie ist?

Frage 2: Wenn man zwei (oder drei) Melodien miteinander in Verbindung bringen will, sodass jede gleiches Gewicht hat, d. h. keine die Begleitstimme der anderen ist (was zwar kaum je gänzlich stimmt, man kann sich aber annähern), dann müssen sie irgendwie „zusammenpassen“, und daher achtet man auf die (physikalisch als „ruhig“ messbaren) stimmigen Zusammenklänge, die Konsonanzen. Man unterscheidet dabei „vollkommene“ und „unvollkommene“ Konsonanzen (vollkommen sind Oktave, Prim, Quint; unvollkommen sind Terz, Sext), und man unterscheidet davon die Dissonanzen.

Die Lehre vom Kontrapunkt rechnet grundsätzlich damit, dass zwei Stimmen von Anfang bis Ende in Konsonanzen zu laufen haben. Wenn nun aber eine Dissonanz zwischen Tönen erklingt, so müssen gewisse Vorschriften erfüllt werden, damit die Lehre vom Kontrapunkt die Melodien noch als zusammenpassend gelten lässt. Bspw. kann, wenn zwei Töne eine Oktave gebildet haben, der untere von beiden einen Ton höher wandern, dadurch entsteht eine Septime, und wenn nun der obere Ton einen Schritt herunterkommt, dann entsteht eine Sext. Falls die Dissonanz, in diesem Fall die Septime, auf einer Zeit erklungen ist, die im Takt etwas mehr betont ist („Gewicht“ hat) als die nachfolgende Zeit, in welcher die Sext zu stehen kommt, gilt die Bewegung noch als kontrapunktisch richtig, obwohl einen Augenblick lang eine Dissonanz geklungen hat (ein sogenannter Vorhalt, daneben gibt es dann noch die Möglichkeit der Durchgangsdissonanzen und, je nach Musikstil, noch weiterer Dissonanzen).

Das ist der Ausgangspunkt.
Gruss
Mike

hallo!

ich hätte bitte 2 fragen zum kontrapunkt:

  1. ich habe gelesen, dass bei kontrapunkt musik beide stimmen
    für sich selber stehen. aber das ist doch immer so, bei
    irgendwelchen klavierstücken zum beispiel, dass der bass was
    anderes spielt als die rechte hand.

Ja, schon. Der Unterschied ist aber, dass bei homophonen (= akkordisch gesetzten) Stücken (für Klavier vor allem Klassiker, Romantiker) nur eine Stimme melodieführend ist (kann auch Bass oder Mittelstimme sein), während die anderen blosse Begleitfunktion haben. Bei polyphonen (kontrapunktischen) Stücken jedoch sind alle Stimmen gleichermassen melodieführend, einmal diese, einmal jene.

Typisch bei polyphonen Stücken ist die Imitation:
die Stimmen setzen der Reihe nach mit dem selbem Motiv ein,
bei Fugen nennt man das „Engführung“.

Auch die rythmische Unabhängigkeit ist sehr viel auffälliger als bei akkordischer Musik: wenn Du ein Orchester anhörst wo scheinbar alle so „durcheinander spielen“, kannst Du davon ausgehen, dass es polyphon gesetzt ist.

  1. ich habe bei wikipedia folgendes gelesen: „Die Einführung
    einer Dissonanz geschieht dadurch, dass der später dissonante
    Ton zunächst in einem konsonanten Zusammenklang steht, bei
    Fortschreiten der übrigen Stimmen unverändert liegenbleibt und
    erst durch dieses Fortschreiten der übrigen Stimmen in dem neu
    entstehenden Klang dissonant wird.“

Das meint zb: c-c1, d-c1, d-h. Das c1 ist erst konsonant (Vorbereitung der Dissonanz), wird durch das d dissonant. Die Oberstimme geht runter zum h, und wird dadurch wieder konsonant. Die Ansicht von Mike „Konsonanzen seien selbstverständlich“, teile ich in keiner Weise.

Die Dissonanz-Behandlung ist auch je nach Epoche sehr unterschiedlich:
Bei Bach ist sie schon viel freier als im Frühbarock, da findet man oft auch Dissonanzen ohne jede Vorbereitung. Das ist im Wiki-Artikel hoffentlich differenziert worden. es gibt auch polyphone Musik von Arnold Schönberg, da geht es noch ganz anders zu.

mein problem: ich nix verstehen. könnte mir das vielleicht
jemand wie einem 6 jährigen erklären, damit auch ich verstehe,
was gemeint ist.

Wie Ernst Kurth is seinem Buch „Kontrapunkt“ völlig zu Recht bemerkt, ist der Ausdruck „Kontrapunkt“ mehr üblich als richtig:

nicht zwei Noten sind es ja, die da etwas „gegeneinander“ machen (etymologisch „punctus contra punctum“), sondern vielmehr zwei Melodien (oder beliebig viele), die nebeneinander existieren, sodass die Bezeichnung „paralinear“ bei weitem treffender wäre. Der Ausdruck K. hat sich bloss so eingebürgert.

P.s: falls mir jemand so antwortet, braucht er keine angst
haben, dass ich mich verarscht fühle, mich interessiert
klassische musik sehr und ich will auch soviel wie möglich
darüber wissen.

Schau in der örtlichen Bücherei, da gibt es oft auch Bücher über K., z.B. von Michael Dachs, oder Claus Ganter. Das Buch von Ernst Kurth würde ich Einsteigern dagegen nicht raten, das ist sehr theoretisch.

Günstig ist natürlich auch ein Tasteninstrument, auf dem Du Beispiele aus dem Buch durchspielen kannst, oder Du besorgst Dir Noten, von Bach u.a.

danke!

Eines möchte ich Dir raten:

==>> hören nützt, hören schützt!

Hallo Martin

natürlich besteht Musik aus Konsonanzen und Dissonanzen, sie ist ja meist gerade ein Wechselspiel zwischen beiden. Selbstverständlich ist dabei die Dissonanz der intensivere Teil, und also hat völlig konsonante (wie auch völlig dissonante) Musik ein wichtiges Wesenselement weniger als solche, bei der dieses Spiel möglich ist.

Dass ich von Konsonanzen ausgehe, bedeutet nicht, dass die Dissonanzen nicht auch wesentlich wichtig für den Ablauf musikalischen Geschehens sind. Es handelt sich vielmehr um ein pädagogisches Vorgehen, an das ich mich halte, wenn ich Kontrapunkt lehre, sodass die „Lehre vom Kontrapunkt“ eben üblicherweise davon ausgeht, dass zunächst bloss Konsonanzen vorhanden sind, ja dass sogar noch zwischen vollkommenen und unvollkommenen Konsonanzen unterschieden wird: In den ersten Übungen hat die Melodie mit einer vollkommenen Konsonanz anzufangen und aufzuhören, während dazwischen keine vollkommene Konsonanz stehen darf.

Aber die Frage dieses Threads ist meines Erachtens nicht die Frage nach dem Begriff der „Polyphonie“ oder der „vielschichtigen Musik“, wenngleich Vielschichtigkeit ein wesentliches Merkmal des Kontrapunktes ist, sondern die Frage geht eben nach dem Begriff „Kontrapunkt“ und danach, was er in der Musikgeschichte oder Musiklehre bedeutet.

Vgl. zu dieser Pädagogik Knud Jeppesen, Kontrapunkt, Breitkopf & Härtel, ISBN: 376510003X Buch anschauen

Gruss
Mike