Französisch: ''wir SIND Montag'?

Hallo,

bei meinen Studien der französischen Sprache stoße ich gerade auf Sätze wie: „nous sommes lundi“, „nous sommes vendredi“ etc. Ist das wirklich korrektes Französisch? Das hieße ja, daß die Franzosen in ihrer Sprache ganz explizit über die Wochentage ihre Identität determinierten. Schließlich sagen sie ja nicht „nous avons…“, sondern „nous sommes…“!

Ist das wirklich so?

Beste Grüße
Uwe

Hallo Uwe,

„nous sommes lundi“, „nous sommes vendredi“
Ist das wirklich korrektes Französisch?

ja, ist es korrekt, wobei mir persönlich die Formulierung mit „on est“ geläufiger ist.

Das hieße ja, daß
die Franzosen in ihrer Sprache ganz explizit über die
Wochentage ihre Identität determinierten. Schließlich sagen
sie ja nicht „nous avons…“, sondern „nous sommes…“!

Einen Wochentag haben, wie wir Deutsch(sprachig)en es tun, ist aber auch nicht viel sinnvoller, oder? Daraus könnte man schließen, dass wir alle die verschiedenen Tage (und vielleicht die Zeit allgemein) besitzen. Solche scheinpsychologischen Interpretationen, gerade bei Konstruktionen mit Hilfsverben, halte ich für müßig. Denn letztlich sagt es herzlich wenig über die Identität eines Sprechers aus, ob er z.B. 18 Jahre ist oder hat, ihm kalt ist bzw. er kalt hat usw.

Gruß,
Stefan

Hallo Stefan,

ja, ist es korrekt, wobei mir persönlich die Formulierung mit
„on est“ geläufiger ist.

das heißt „man ist“, nicht?

.

scheinpsychologischen Interpretationen, gerade bei
Konstruktionen mit Hilfsverben, halte ich für müßig.

Nein, mit Psychologie hat das auch eher wenig zu tun, sondern vielmehr mit Soziologie und Philosophie.

Denn letztlich sagt es herzlich wenig über die Identität eines
Sprechers aus, ob er z.B. 18 Jahre ist oder hat, ihm kalt ist
bzw. er kalt hat usw.

Die psychologische Sichtweise (von außen, kategorisierend/relativierend) ist hier, wie meistens, völlig irreführend. Das obigen Formulierungen innewohnende identitätsbildende Moment würdest du vermutlich verstehen, wenn du einmal das soziologische Standardwerk „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ von Berger und Luckmann lesen würdest.

Vielen Dank für deine Antwort.

Gruß
Uwe

Hallo Uwe,

Die psychologische Sichtweise (von außen,
kategorisierend/relativierend) ist hier, wie meistens, völlig
irreführend. Das obigen Formulierungen innewohnende
identitätsbildende Moment würdest du vermutlich verstehen,
wenn du einmal das soziologische Standardwerk „Die
gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ von Berger
und Luckmann lesen würdest.

Jetzt wäre es interresant zu wissen seit wann diese Formulierung gebräuchlich ist.
Im Zusammenhang mit dem Revoluionkalender würde es sozioogisch einen Sinn ergeben:
http://de.wikipedia.org/wiki/Revolutionskalender

MfG Peter(TOO)

Französisch ‚on est‘
Hallo Uwe,

im gesprochenen und informellen schriftlichen Französisch wird nous + 1. Person Plural sehr oft (wenn nicht sogar fast immer) durch on + 3. Person Singular ersetzt.
A quelle heure on mange? - Wann essen wir?
Qu’est-ce qu’on fait demain? - Was machen wir morgen?

Grüße
Pit

Hallo Uwe,

Die psychologische Sichtweise (von außen,
kategorisierend/relativierend) ist hier, wie meistens, völlig
irreführend. Das obigen Formulierungen innewohnende
identitätsbildende Moment würdest du vermutlich verstehen,
wenn du einmal das soziologische Standardwerk „Die
gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ von Berger
und Luckmann lesen würdest.

Auch ohne das Buch oder die französische Sprache näher zu kennen: Es gibt nicht immer einen psychologischen oder soziologisch heute noch geltenden Grund für Formulierungen in Sprachen. Oft handelt es sich – und das gerade bei Funktionsverben wie „haben“, „sein“ oder solchen desemantisierten Verben wie „machen“ – nicht um bewusste Konstruktionen, hinter denen die Sprecher eine konkrete Vorstellung haben, sondern einfach um eine sehr alte Konstruktion, die vielleicht vormals anders lautete und vielleicht ein Stück länger war. Möglicherweise war dort vormals eine Präposition wie à enthalten („Wir sind im Montag“ macht logisch betrachtet ja auch mehr Sinn, nech?). Das sind nur Vermutungen, ich habe mich nie mit französischer Sprachgeschichte befasst…
Aber von einer Konstruktion kann man nicht unbedingt auf die Zeitwahrnehmung oder -konzeptualisierung der Franzosen schließen. Ebensowenig wie umgekehrt: durch Kenntnisse der französischen Philosophie, Soziologie oder Weltanschauung lässt sich nicht zwangsläufig erklären, warum die Leute dort drüben Montag sind statt haben. Siehe Sapir-Whorf-Theorie. Da darf man keine voreiligen Schlüsse ziehen.

Im Deutschen und Englischen macht eine Sache Sinn. Im Deutschen und Russischen kann man sich selbst für Fehler entschuldigen. In den meisten europäischen Sprachen sowie im Chinesischen hat man vergangene Ereignisse… Diese Dinge lassen sich linguistisch plausibler und einfacher erklären als mit Philosophie oder Soziologie, auch wenn diese beiden Fächer oft in die Linguistik mit reinspielen (Soziolinguistik, Sprachphilosophie, linguistische Relativität).

Viele Grüße,

  • André
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Hallo nochmal,

das heißt „man ist“, nicht?

ja; „man ist“, aber eben auch „wir sind“.

Nein, mit Psychologie hat das auch eher wenig zu tun, sondern
vielmehr mit Soziologie und Philosophie.

Gut, dann nennen wir das Kind eben nicht „psychologisch“, sondern „soziologisch“ bzw. „philosophisch“.

Das obigen Formulierungen innewohnende
identitätsbildende Moment würdest du vermutlich verstehen,
wenn du einmal das soziologische Standardwerk „Die
gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ von Berger
und Luckmann lesen würdest.

Die unterschwellige Beleidigung übersehe ich mal dezent. Besagtes Werk habe ich zwar nicht gelesen. Aber mit den Zusammenhängen zwischen Sprache und (Gruppen-)Identität, Weltanschauung usw. habe ich mich trotzdem schon intensiv beschäftigt.

Generell kann man sicher gewisse Rückschlüsse von der Sprache auf das Weltbild der Sprecher (und umgekehrt) ziehen, wobei ja die Sapir-Whorf-Hypothese und die Aussagen zum Zeitgefühl der Hopi oder das Verhältnis der Eskimos Inuit zum Schnee mittlerweile relativert wurden. Mir fielen da spontan noch die Benennung der Verwandten im Türkischen und Arabischen ein, die sich ja mitunter stark von der bei uns üblichen unterscheidet, woraus man durchaus Rückschlüsse auf die Familienstrukturen ziehen könnte. Zahlreiche solcher Beispiele von Verknüpfungen zwischen sprachlichen und gedanklichen Konzepten verschiedener Sprachen/Sprecher hat u.a. Deutscher in „Through the Language Glass“ gesammelt.

Im Bereich der Hilfsverben halte ich solche Interpretationen jedoch für relativ müßig. Nimm zum Beispiel die Tatsache, dass in einigen Sprachen die Verben „haben“ und „sein“ deutlich seltener gebraucht werden als im Deutschen und/oder dass sie in bestimmten Zeitformen (oder generell) nicht (mehr) existieren. Wie will man solche Phänomene interpretieren? Hat beispielsweise ein Hebräisch-, Arabisch- oder Russischsprecher ein gestörtes Verhältnis zu Besitz, weil er „ich habe“ in der Regel durch die Hilfskonstruktion „[es gibt] bei mir“ ( יש לי /yesh li, عندي /'indī bzw. у меня /u menja) umschreibt? Man müsste nun zweisprachig aufgewachsene Menschen fragen, ob sie in Muttersprache 1 (mit „haben“) ein anderes Empfinden für Besitz haben als in Muttersprache 2 (ohne „haben“). Aber ich wage das stark zu bezweifeln, da die allermeisten Menschen solche Formulierungen eigentlich gar nicht reflektieren.
Oder wüsstest Du spontan, was es über uns Deutsche aussagt, dass wir alle Wochentage haben können, während es in den meisten anderen Sprachen (die mir gerade durch den Kopf gehen) in der Regel ein bestimmter Tag ist?

Gruß,
Stefan

1 Like

Hallo auch,

Oder wüßtest Du spontan, was es über uns Deutsche aussagt,
daß wir alle Wochentage haben können, während es in den
meisten anderen Sprachen (die mir gerade durch den Kopf gehen)
in der Regel ein bestimmter Tag ist?

nö.

Danke für Deine Antwort, Stefan. ; )

Beste Grüße
Uwe

Hallo André,

danke auch Dir für diese mal wieder sehr aufklärende Antwort. ; )

Beste Grüße
Uwe

Hallo Pit,

Qu’est-ce qu’on fait demain? - Was machen wir morgen?

Zeit Gegenwart - Sinn Zukunft??? Das beißt sich doch.

Qu’est-ce qu’on va faire demain? Que ferons-nous demain?
Oder liege ich falsch?

Viele Grüße

Alexander

Moin,

Qu’est-ce qu’on fait demain? - Was machen wir morgen?

Zeit Gegenwart - Sinn Zukunft??? Das beißt sich doch.

Qu’est-ce qu’on va faire demain? Que ferons-nous demain?
Oder liege ich falsch?

Es ist im Französischen hier wie auch im Deutschen: oft wird die Zukunft gemeint, aber die Gegenwart benutzt. Das hat natürlich einen eher umgangssprachlichen Touch, du wirst es aber oft hören (lesen nicht so häufig).

Gruß

Kubi