Französische Kriegsreparationen 1871

Hallo,

ich habe kürzlich ein Buch von Hew Strachan gelesen, in dem es heißt, die deutschen Reparationszahlungen nach dem 1. Weltkrieg seien bereits dadurch gerechtfertigt gewesen, dass Deutschland nach dem Sieg 1871 Frankreich eine Summe aufgedrückt habe, die die deutschen Zahlungen nach 1919 bei Weitem überstiegen haben sollen.

Nun gut, mal davon abgesehen dass die Zerstörungen des ersten Weltkrieges nicht mit denen des 1870/71er Krieges zu vergleichen sind, stört mich diese Feststellung ein klein wenig, weshalb ich mich auf die Suche gemacht habe, aber nichts Brauchbares fand.

Nun, Frankreich wurde 1871 zu 5 Milliarden Franc (5.000.000.000 mal 0,29g Gold = 1450 t Gold) verpflichtet. Deutschland zahlte allein schon bevor Weiteres geregelt wurde 20 Mrd Goldmark (20.000.000.000 mal 0,35842 g Gold = 7168,4 t Gold)

Begehe ich gerade einen großen Irrtum oder irrt sich der gute Herr Strachan in seiner Beurteilung der Umfänge der Reparationen?

Gruß
Betasator

Ich kann es zwar nicht beschwören, aber ich vermute mal das der Autor eher Frankreich als Deutschland zugewandt ist, und man darf nicht vergessen daß Geschichte immer von den Siegern geschrieben wird.

Deine Aufrechung ist nicht schlecht, allerdings möchte ich darauf verweisen, daß die Reparationszahlungen des I. WK unter dem Titel „Die Schande von Versailles“ mit als Rechtfertigung des II.WK herangezogen wurden.

Wäre nett wenn Du mir den Titel mal mitteilst, würd das Buch gern mal lesen…

Hallo,

hier die Infos zu meiner Ausgabe:

Hew Strachan; „Der Erste Weltkrieg“; 1. Auflage München 2003.

Die Stelle auf die ich mich beziehe findet sich auf Seite 402 in den letzten drei Zeilen des ersten Abschnittes:
„Die konkrete Summe sollte sich am Ende als irrelevant herausstellen: Alles in allem zahlte Deutschland weniger als Frankreich nach 1871“

Das Buch ist zusammen mit einer TV-Dokumentationsreihe über den Ersten Weltkrieg bei der BBC entstanden.
Insgesamt finde ich es ein ziemlich gutes Buch als Einstieg zur Thematik, denn es erzählt nicht nur typische Westfront-Schlachtengeschichten sondern vermittelt durch seine plastische Darstellungsweise das notwendige Verständnis für diese Zeit und die Zusammenhänge.

Insgesamt wahrt der Autor auf etwa 400 Seiten durchaus eine kritisch-neutrale Position, verfällt dann aber leider gegen Ende in einen auffallend unkritischen, fast schon polemischen Stil wenn es darum geht, den Versailler Vertrag zu bewerten.

[…]daß die Reparationszahlungen des I. WK unter dem Titel „Die :Schande von Versailles“ mit als Rechtfertigung des II.WK :herangezogen wurden.

Meinst du aus heutiger Sicht um erklären zu können weshalb Hitler&Co an die Macht kamen oder bereits schon aus Sicht der Zeitgenossen?

Hallo,
bei den jeweiligen Reparationen macht es mE wenig Sinn, einfach den jeweiligen Goldwert miteinander zu vergleichen. Sinnvoller ist es, die zu leistenden Reparationen ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt zu setzen, also zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des durch die Reparationen belasteten Staates.

Auch ohne nun den Anteil der jeweiligen Reparationsforderungen (die nach 1918 in der Höhe ja auch unbestimmt waren) am Bruttoinlandsprodukt zu kennen zeigt alleine schon die Tatsache, dass die französischen Reparationen bereits 1873(!) vollständig beglichen waren, dass eine solche Behauptung

die deutschen Reparationszahlungen nach dem 1.
Weltkrieg seien bereits dadurch gerechtfertigt gewesen, dass
Deutschland nach dem Sieg 1871 Frankreich eine Summe
aufgedrückt habe, die die deutschen Zahlungen nach 1919 bei
Weitem überstiegen haben sollen.

völlig absurd ist.

Freundliche Grüße,
Ralf

Sicherlich, der alleinige Goldwert dient höchstens dazu, eine Vorstellung für die Summen zu bekommen.

Auf der anderen Seite wiederum ist es verdammt schwierig, ad hoc brauchbare Zahlen - die vermutlich nichtmals existieren - zu bekommen.
Gerade bei Deutschland sehe ich da praktisch keine Chance Zahlen zu bekommen, die genauer sind als irgendwelche Schätzwerte, da es sich bis 1871 um rund 40 Einzelstaaten handelte, die zudem unterschiedliche Währungen und unterschiedliche Maßeinheiten hatten.

Aber du hast Recht: Die Tatsache, dass Frankreich den Reparationsforderungen binnen 2 Jahren nachkommen konnte (und sich dabei nicht übermäßig verschulden musste) zeigt deutlich, dass die Reparationen eher im gemäßigten Rahmen lagen.

Zum Vergleich: Die Bundesrepublik Deutschland zahlt bis zum Jahr 2010 jährlich fünf Milliarden Euro an Schulden zurück, die wegen der Reparationsbestimmungen des Versailler Vertrages gemacht werden mussten.

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die alten Statistiker…
Hallo Betasator!

es ist und bleibt doch immer das gleiche: Traue keiner statistischen Erhebung, die du nicht selbst gefälscht hast. Ich denke, man kann sogar sehr gut „beweisen“, dass die Reparationsleistungen Frankreichs 1871 deutlich höher waren als andersherum von Deutschland 1919ff. Es ist nur die Frage, was da miteinander verglichen wurde?! Geht es um Geld- und/oder Sachwerte? Geht es nur um die Zahlungen Deutschland-Frankreich und andersherum, oder um die Gesamtaufwendungen? Kann man vielleicht eine Pro-Kopf-Rechnung aufmachen oder eine andere Verhältnisgleichung wie z.B.: geschätzter Schaden/Ersatzleistungen?! Was ich damit sagen will, ist, dass es sicherlich genug Kenngrößen gibt, in denen Frankreich deutlich belasteter wirkt als Deutschland. Aber wie schon meine Vorredner dargelegt haben, kann ich nur beipflichten: Die Indizien sprechen alle dafür, dass die Reparationsforderungen an Deutschland laut dem Versailler Vertrag eine bisher nie dagewesene Höhe erreicht haben. Um nur einige Beispiele anzuführen:

  • Es gab im gesamten Verlauf der 20er Jahre bis hinein in die 30er immer wieder Korrekturen der zu zahlenden Summen nach unten, offensichtlich, weil eine horrende Summe gefordert war. Bis zuletzt war aber der Zeitraum der Abzahlung auf mehrere Jahrzente festgelegt. Ein eklatanter Widerspruch zu den erwähnten 2 Jahren, die Frankreich nach 1871 benötigte.
  • Neben Geldwerten wurden dem damaligen Deutschland ja auch massiv Sachwerte aberkannt, wie z.B. Kohle, Eisen und Stahl, sodass ein nicht unerheblicher Teil der deutschen Wirtschaft anfangs nur für die Reparationen gearbeitet haben soll. In viele Rechnungen gehen solche Werte nur indirekt oder gar nicht ein, obwohl ja auch abgetretenes BIP und Ressourcen durchaus erheblichen Wert haben können.
  • Bei allen Bemühungen zur pflichtgemäßen Abzahlung führte der massive wirtschaftliche Druck (neben anderen Ursachen) 1923 trotzdem zur bekannten Hyperinflation in Deutschland. Ein vergleichbares wirtschaftliches Zusammenbrechen ist für Frankreich nach 1871 nicht belegt.
  • Frankreichs Ausgleichsleistungen haben die deutsche Wirtschaft in den 70er Jahren des 19.Jhd. nachweislich beflügelt - gerade mal 6-8 Jahre. Schon um 1880 herum war der relativ geringe Aufschwung vorrüber und die sozialen Unruhen wurden wieder zunehmend heftiger. Wie groß kann eine Reparationszahlung schon sein, die eher einem Strohfeuer gleicht?

Grüße,

the_digger

Ich will damit nicht sagen, daß Hitler nur deswegen an die Macht kam, allerdings spielt es mit in die Machtergreifung ein, wie unzählige andere Faktoren auch, die sowohl Hitler als auch seine Gefolgsleute für Ihre Zwecke zu nutzen wußten, aber das würde hier zu weit vom Thema abschweifen.
Fakt ist das ein großteil der Bevölkerung der damaligen Zeit extrem unter den Auswirkungen des ersten Weltkrieges litten (Stichwort Inflation) und zu einem großen Teil Frankreich dafür die Schuld gaben, was durch die Summe der Reparationszahlungen natürlich nicht besser wurde.
Die rechtfertigung Frankreichs für die Höhe der rearationen war, wenn ich mich recht entsinne etwas wie : Wir haben in diesem Krieg viel verloren, Menschen und Material, daß wir auch viel zurückhaben wollen.
Ausserdem darf man nicht vergessen, daß viele derjenigen, die die Bedingungen aushandelten jene waren, die 1870/71 mitgekämpft haben und bestimmt auch ein guter Teil Rache dabei war, das unterstell ich jetzt einfach mal.
Man kann also ohne weiteres von einer doppelten Schande von Versailles sprechen, einmal für Frankreich und einmal für Deutschland.
Etwas ähnliches kann man auch in den Memoiren von Otto Fürst von Bismark lesen. Allerdings ist der als bekannter Choleriker und als äusserst rachsüchtig bekannt auch mit einer gewissen vorsicht zu bewerten…
Gruß
der Nemrod