Hallo, Jessy,
ich versuche mal, Dir ohne Ideologie zu antworten. Das ist nicht ganz einfach, weil ja über Wirtschaftsdinge jeder seine feste Meinung hat, obwohl wahrscheinlich niemand die Wirtschaft völlig durchblickt.
In Deiner Antwort auf die von der Lehrerin gestellten Frage sehe ich einen Fehler und eine weitere Schwäche.
Fehler: Ein Unternehmer kann nicht allein über den Preis entscheiden, denn wenn einer z.B. für ein Pfund Butter zehn Euro verlangte, bliebe er auf der Butter sitzen. Der Preis wird deshalb zwischen Anbieter und Kunde ausgehandelt. Über das Zusammenspiel von Angebot, Nachfrage, Preis und Produktion hast Du ja schon eine schöne Antwort bekommen.
Schwäche: Deine beiden anderen Punkte, „freie Wirtschaft“ und „Markt als Vorraussetzung“ wiederholen eigentlich nur den Ausdruck „freie Marktwirtschaft“.
Es ist so, als würdest Du Heiligabend damit erklären, es sei 1. ein Abend und 2. sei er heilig.
Je nachdem, in welcher Klasse/Jahrgangsstufe Du bist, brauchst Du eine komplexere Definition von „Freiheit“, „Wirtschaft“ und „Markt“.
Wirtschaft: In den Nachrichten werden mit diesem Wort nur die Unternehmen bezeichnet. Es gehört aber mehr dazu. In der Wirtschaft geht es um den Austausch von Waren und Dienstleistungen und damit auch von Geld, Rohstoffen und Arbeitskraft. Wirtschaftsteilnehmer sind deshalb Unternehmen (bei Adam Smith UnternehmeR), Arbeitnehmer (bei Smith Arbeiter) und Kunden. (An vielen wirtschaftlichen Aktivitäten ist noch eine vierte Gruppe beteiligt, nämlich „die“ Allgemeinheit. Beispiel: Wenn Du Dir eine Trompete kaufst, kannst Du Dich leicht mit dem Händler auf einen Preis einigen. Aber spätestens, wenn Du sie das erste Mal gespielt hast, werden Deine Nachbarn behaupten, sie hätten auch ein Wörtchen mitzureden.)
Doch davon ab. Zu Smiths Zeiten waren die meisten Leute entweder Unternehmer oder Arbeiter (oder adlig). Heute sind die meisten Leute abwechselnd alles drei. Kunden sind wir alle irgendwann, ob wir Butter oder eine Trompete kaufen oder zum Friseur gehen. Arbeitnehmer sind wir hoffentlich auch die meiste Zeit zwischen Schule und Rente - das schließt die Bankvorstände mit ihren Bonuszahlungen ein, auch sie sind Arbeitnehmer. Und die meisten Leute haben, wenn schon keine Aktien, dann doch Fondsanteile, und sei es über ihren Riesterrentenvertrag. Die Fondsanteile bedeuten über drei Ecken wiederum Aktienbesitz, also Anteile an Unternehmen. So gesehen sind die meisten von uns auch Unternehmer. Allerdings dürfen die Leute mit den Fondsanteilen nicht über das Handeln jener Unternehmen mitbestimmen. Das dürfen die Fondsmanager. Ich könnte noch endlos weitersabbeln, will aber nur sagen, die Wirtschaft ist heute viel komplexer als zu Smiths Zeiten.
Freiheit: Smith meinte tatsächlich, wenn alle Marktteilnehmer einfach ihr eigenes Interesse verfolgten, würde eine „unsichtbare Hand“ des Marktes für das Wohlergehen der Allgemeinheit sorgen. Zu dem Thema hast Du ja einige widerstreitende Antworten bekommen. Der Streit kommt daher, dass noch niemand überprüfen konnte, ob die These von der unsichtbaren Hand stimmt. Denn noch nie seit der Eisenzeit, vielleicht noch nie seit der Steinzeit, hat es eine Wirtschaft ohne Eingriffe der Obrigkeit gegeben. Die meisten Menschen finden gewisse Eingriffe auch richtig. Mach Dir klar, in einer wirklich freien Wirtschaft könnte jeder mit Heroin handeln, jeder mit dem nötigen Kleingeld könnte Atombomben kaufen und verkaufen, auch der Handel mit Menschen wäre erlaubt. Es ist wohl im Interesse der Allgemeinheit, dass solche „Waren“ nicht gehandelt werden. Es ist auch im Interesse der Allgemeinheit, dass bestimmte Dinge überhaupt nicht erst produziert werden. Beispiele wirst Du selbst genug finden.
Der freie Handel kann aber an einer weiteren Stelle eingeschränkt werden. Wenn es für eine Ware oder Dienstleistung nur einen Anbieter gibt, also nur ein Unternehmen oder ein Kartell, das die Preise abspricht, sind die Kunden in einer sehr schwachen Position. Bis vor wenigen Jahren gab es in Deutschland nur einen Anbieter für Telefonverbindungen, die Bundespost. Die Telefongebühren wurden vom Staat festgelegt, also von einem Vertreter der Allgemeinheit, der auch der Eigentümer war. Wäre die Bundespost damals in Privatbesitz gewesen und hätte frei über die Gebühren entscheiden können, wäre sie eine Goldgrube gewesen, denn aufs Tefonieren kann man ja nicht völlig verzichten.
Eingeschränkt sind Produktion und Handel auch durch Patente. Wer ein Medikament gegen eine bisher unheilbare tödliche Krankheit entwickelt, darf allen anderen verbieten, dieses Medikament zu kopieren. Wer auf der anderen Seite diese tödliche Krankheit hat, ist dem Hersteller des Medikaments völlig ausgeliefert. In einer völlig freien Wirtschaft gäbe es keine Patente.
Richtig frei sind auch nicht die Arbeitnehmer. Wenn Du zehn Millionen Euro investieren willst, bist Du fast überall auf der Welt willkommen. Wenn Du bloß Krankenschwester bist, hast Du überall Grenzbeamte, die Dir peinliche Fragen stellen, und Dich im Zweifel nicht durchlassen.
Viele Leute meinen, zu einer freien Wirtschaft gehörten auch die bürgerlichen Rechte, also freie Rede, Pressefreiheit, Brief- und Telefongeheimnis, Versammlungsfreiheit, gleiches und geheimes Wahlrecht, Religionsfreiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung, Schutz vor Diskriminierung usw. Es gibt aber andere Länder, Singapur z.B., in denen man außer Herstellen und Handeln sehr wenig darf.
Bleibt der Markt: Hier geht es ums Handeln. Beteiligt sind Anbieter und Nachfrager. Beides können Unternehmen, müssen aber nicht Unternehmen sein. Wenn Du z.B. Arbeit suchst, bist Du Anbieter. Ein Unternehmen soll Dir ja etwas abkaufen, nämlich Deine Arbeitskraft zu einem möglichst hohen Preis. Wichtig für die freie Marktwirtschaft ist die Transparenz des Marktes. Jeder Kunde muss alle Anbieter des Produktes kennen, das er sucht, ihre Preise und die Qualität, die sie jeweils bieten. Zu Smiths Zeiten war das einfacher als heute, weil die Qualität damaliger Produkte, etwa von Äpfeln oder von Tuch, leicht zu erkennen war und weil als Anbieter nur solche aus der Umgebung infrage kamen. Heute kannst Du einen CD-Spieler direkt aus Hongkong bestellen, wenn Dir der Preis inkl. Transportkosten recht ist. Es sind also viel mehr Anbieter zu vergleichen. Der Vergleich fällt aber umso schwerer, weil ein CD-Spieler viel schwerer zu durchschauen ist als ein Apfel. (Deshalb gibt es Testberichte.) Trotzdem hat die Wirtschaftswissenschaft bis vor kurzem einhellig angenommen, alle Märkte seine völlig transparent.
Uff. Ich sagte ja, es ist komplex.
Mein Fazit wäre: In einer freien Marktwirtschaft werden alle Waren und Dienstleistungen öffentlich von etwa gleichstarken Partnern gehandelt. Alle Anbieter informieren möglichst umfassend und detailliert über ihr Angebot. Der jeweilige Preis ergibt sich aus Angebot und Nachfrage. Eingeschränkt wird der Handel nur durch Gesetze, die den Frieden und die guten Sitten schützen.
Ich hoffe, so ähnlich stehts auch bei Adam Smith.
Grüße,
GoThen