Freier Wille - ein Modell?

Hallo Zusammen

Ich habe zu dem Thema „freier Wille“ jetzt verschiedene Male in populärwissenschaftlichen Publikationen gelesen, daß ein „freier Wille“ nicht existiert, selbst wenn man den Begriff des Zufalls ins Feld führt.

Ich bin anderer Meinung, aber ein Laie auf dem Gebiet. Ich hab mich nur in das Gebiet der Frage des Bewusstseins etwas eingelesen und da wird so gut wie ausschliesslich klassisch (im Sinne klassische Physik) argumentiert. Ich bin aber der Meinung, daß quantenmechanische Phänomene hier eine entscheidende Rolle spielen. Daher wollte ich für mich einmal ein Modell entwerfen und Euch um Eure Meinung bitten:

Zu Grunde legen möchte ich etwas, was ich „ergebnisoffenes Ereignis“ nennen möchte. Das ist ein Ereignis, ein Prozess oder ein Vorgang, dessen Ergebnis prinzipiell, auch bei vollständiger Kenntnis aller Parameter, nicht vorhergesagt werden kann. Dabei kann es durchaus von der Art der Fragestellung abhängen, ob ein ergebnissoffenes Ereignis vorliegt oder nicht.
Beispiel für ein solches ergebnisoffenes Ereignis wäre der Zerfall eines einzelnen radioaktiven Atoms, wenn man fragt, wann dieses Atom zerfallen wird. Ein Beispiel für ein nicht ergebnisoffenes Ereignis wäre ein Computerprogramm. Hier kann ich bei Kenntnis des Algorithmus und der Eingabe genau vorhersagen, was herauskommen wird.

Modell 1 des freien Willens wäre, wenn man sagt, daß ein Objekt oder Wesen einen freien Willen hat, wenn es in der Lage ist, genau ein mögliches Ergebnis eines ergebnisoffenen Ereignisses auszuwählen und eintreten zu lassen. Ich sympathisiere mit diesem Modell, das aber die Konsequenz hätte, daß man einem Atom oder Elektron einen freien Willen zuordnen müsste. Wenn man noch die normale Randbedingung dazunimmt, daß ein Ergebnis eintreten muß, dann erkennt man die Schwächen dieses Modells.

Um einen Schritt weiterzugehen, definiere ich noch eine „natürliche Statistik“. Diese ergibt sich, wenn man das ergebnisoffene Ereignis unendlich oft ohne weitere Bedingung wiederholt. Im Falle des radioaktiven Zerfalls würde die natürliche Statistik durch die Halbwertszeit und das Zerfallsgesetz für dieses Atom beschrieben. Ein anderes Beispiel wäre ein Gang, der mitten zwischen zwei Durchgängen zu einem Raum endet. Läßt man nun Menschen ohne weitere Information in den Raum gehen, werden sie entweder den rechten oder linken Durchgang benutzen. Die natürliche Statistik würde hier vermutlich ein Übergewicht für den rechten Durchgang ergeben, da sich Menschen spontan häufiger nach rechts orientieren.

Modell 2 für einen freien Willen besäßen Wesen, die

  • in der Lage sind, sich selbst durch interne Prozesse zu steuern.
  • allein durch diese internen Prozesse in der Lage sind, die natürliche Statistik beliebig zu verändern

Damit besäßen Atome keinen freien Willen, wohl aber die Menschen. In dem Beispiel mit dem Gang würde es vermutlich schon genügen, ihnen von der natürlichen Statistik zu erzählen, um die Statistik zu verändern, aber man könnte sie einfach auch nur bitten, durch den linken Durchgang zu gehen.

Was haltet ihr von diesem Modell?

Gruß
Thomas

Hallo Thomas,

in populärwissenschaftlichen Publikationen gelesen

welche denn?

a wird so gut wie ausschliesslich klassisch
(im Sinne klassische Physik) argumentiert.

In den zwanziger Jahren sind hunderte von Aufsätzen zu diesem Thema geschrieben worden. Das Gebiet ist - wir haben es hier ja schon einmal angerissen - viel zu komplex, um es auch nur ansatzweise hier zu diskutieren. Aber ich nehme mal dein Modell.

„ergebnisoffenes Ereignis“ … ist ein Ereignis, ein Prozess
oder ein Vorgang, dessen Ergebnis prinzipiell, auch bei
vollständiger Kenntnis aller Parameter, nicht vorhergesagt
werden kann.

Das Problem dieser Definition dürfte darin liegen, dass die prinzipielle Vorhersagbarkeit keine ontologische Valenz hat.

Modell 1 des freien Willens wäre, wenn man sagt, daß ein
Objekt oder Wesen einen freien Willen hat, wenn es in der Lage
ist, genau ein mögliches Ergebnis eines ergebnisoffenen
Ereignisses auszuwählen und eintreten zu lassen.

Das ist eine Definition von Willensfreiheit als Wahlfreiheit, und die ist eigentlich unproblematisch. (Sieh mal im Archiv nach.)

Modell 2 für einen freien Willen besäßen Wesen, die

  • in der Lage sind, sich selbst durch interne Prozesse zu
    steuern.
  • allein durch diese internen Prozesse in der Lage sind, die
    natürliche Statistik beliebig zu verändern

Die eigentliche Frage muss zunächst sein, was du eigentlich unter Selbststeuerung verstehst. Das ist nicht so einfach, wie es aussieht. Weil nämlich jede Wirkung eine Ursache haben muss - sonst wäre sie nämlich keine Wirkung -, musst du als Ursache der freien Handlung eine „ursachelose Wirkung“, nämlich den Steuerungsimpuls annehmen. Das ist problematisch.

Damit besäßen Atome keinen freien Willen, wohl aber die
Menschen.

Dass ist das eigentliche Problem. Der Beweis der Freiheit des menschlichen Willens ist das Ziel. Und diesem Ziel wird die problematische Seite untergeordnet, nämlich die Frage nach der Herkunft. Du als „praktizierender Christ“ wirst damit keine Probleme haben, aber methodisch ist das ein wirklicher Knackpunkt. Solltest du nämlich sagen - was ich vermute -, Gott sei die Ursache, dann müsste man dir entgegen halten, dass dieses Postulat als außerweltlich und damit als unzulässig zurückzuweisen ist. Nimmst du Gott aber mit in die Welt hinein, hast du dasselbe Problem wie vorher, nur jetzt nicht auf den menschlichen, sondern auf den göttlichen Impuls bezogen.

Was haltet ihr von diesem Modell?

Es gibt Fragen, die sehr schwer zu beantworten sind und die doch von existentieller Bedeutung sind. Die Freiheitsfrage gehört dazu. Ob man sich damit abfinden muss, dass es keine Lösung gibt oder dass man eine Lösung postulieren muss, ist nicht eigentlich die Frage. Die Frage ist, wie wir mit unserer Unfähigkeit, diese Frage mit den Mitteln der Logik zu lösen, umgehen können oder sollen.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Hallo Thomas,

in populärwissenschaftlichen Publikationen gelesen

welche denn?

Im wesentlichen Spektrum der Wissenschaft

„ergebnisoffenes Ereignis“ … ist ein Ereignis, ein Prozess
oder ein Vorgang, dessen Ergebnis prinzipiell, auch bei
vollständiger Kenntnis aller Parameter, nicht vorhergesagt
werden kann.

Das Problem dieser Definition dürfte darin liegen, dass die
prinzipielle Vorhersagbarkeit keine ontologische Valenz hat.

Sei so gut und erklär das einem armen Physiker auf deutsch.

Die eigentliche Frage muss zunächst sein, was du eigentlich
unter Selbststeuerung verstehst. Das ist nicht so einfach, wie
es aussieht. Weil nämlich jede Wirkung eine Ursache haben muss

  • sonst wäre sie nämlich keine Wirkung -, musst du als Ursache
    der freien Handlung eine „ursachelose Wirkung“, nämlich den
    Steuerungsimpuls annehmen. Das ist problematisch.

Ich sehe ein, daß es problematisch sein kann, Selbststeuerung zu definieren. Aber die Argumentation mit der „ursachenlosen Wirkung“ erscheint mir zu linear, ein künstlicher Versuch, mit dem Henne - Ei Problem fertig zu werden. Viele Prozesse, gerade auch in der Physik, sind von der Art von Regelungssystemen. Hier kann man Ursache und Wirkung nicht eindeutig auseinanderhalten, weil die Wirkung wieder als Ursache auf die Ursache zurückwirkt. Mit unserem linearen Denken ist das problematisch, aber mathematisch durchaus zu packen. In diese Richtung sehe ich eher Land als mit der Ursachenlosen Wirkung anzukommen.

Dass ist das eigentliche Problem. Der Beweis der Freiheit des
menschlichen Willens ist das Ziel. Und diesem Ziel wird die
problematische Seite untergeordnet, nämlich die Frage nach der
Herkunft.

Ich denke, es ginge erst einmal darum, ein logisches Konzept für Willensfreiheit zu entwerfen, das akzeptabel ist, so daß man nicht einfach sagen kann „gibt es nicht“. Hat man ein solches Konzept, dann kann man sich auch Wege suchen, wie das entstanden ist.

Solltest du nämlich sagen - was ich vermute -,
Gott sei die Ursache, dann müsste man dir entgegen halten,
dass dieses Postulat als außerweltlich und damit als
unzulässig zurückzuweisen ist.

Nun ja, darüber liesse sich tatsächlich diskutieren, aber mein primäres Ziel liegt eine Stufe früher.

Es gibt Fragen, die sehr schwer zu beantworten sind und die
doch von existentieller Bedeutung sind. Die Freiheitsfrage
gehört dazu. Ob man sich damit abfinden muss, dass es keine
Lösung gibt oder dass man eine Lösung postulieren muss,
ist nicht eigentlich die Frage. Die Frage ist, wie wir mit
unserer Unfähigkeit, diese Frage mit den Mitteln der Logik zu
lösen, umgehen können oder sollen.

Einverstanden

Viele Grüße

Thomas

Hallo Thomas,

Das Problem dieser Definition dürfte darin liegen, dass die
prinzipielle Vorhersagbarkeit keine ontologische Valenz hat.

Sei so gut und erklär das einem armen Physiker auf deutsch.

oh sorry! Gemeint ist die Tatsache, dass ich wenn ich etwas nicht voraussagen kann, damit noch keine Aussage über Tatsächlichkeiten gemacht ist. Also dass - um ein physikalisches Beispiel zu benutzen - die Unschärferelation zwar zeigt, dass wir keine Kausalität der Ereignisse feststellen können und dass das sogar prinzipiell gilt, aber das die Unschärferelation keineswegs die tatsächliche Abwesenheit von Kausalität im Mikrobereich zur Folge hat, sondern dass wir nur nicht in der Lage sind, sie festzustellen. Die Statistik kann zwar Anhaltspunkte liefern, aber als Widerlegung des Prinzips taugt sie nicht.

Ich sehe ein, daß es problematisch sein kann, Selbststeuerung
zu definieren. Aber die Argumentation mit der „ursachenlosen
Wirkung“ erscheint mir zu linear, ein künstlicher Versuch, mit
dem Henne - Ei Problem fertig zu werden. Viele Prozesse,
gerade auch in der Physik, sind von der Art von
Regelungssystemen. Hier kann man Ursache und Wirkung nicht
eindeutig auseinanderhalten, weil die Wirkung wieder als
Ursache auf die Ursache zurückwirkt. Mit unserem linearen
Denken ist das problematisch, aber mathematisch durchaus zu
packen. In diese Richtung sehe ich eher Land als mit der
Ursachenlosen Wirkung anzukommen.

Kausalität ist ein Denkprinzip, das als methodische Prämisse vorausgesetzt wird. Empirisch ist da nichts zu widerlegen. Kausalität ist das Grund/Folge-Prinzip des Empirischen. Das mathematische Grund/Folge-Prinzip ist keine Kausalität, also etwas ganz anderes.

Ich denke, es ginge erst einmal darum, ein logisches Konzept
für Willensfreiheit zu entwerfen, das akzeptabel ist, so daß
man nicht einfach sagen kann „gibt es nicht“. Hat man ein
solches Konzept, dann kann man sich auch Wege suchen, wie das
entstanden ist.

Meinst du mit „logischem Konzept“ eher eine begriffliche Klarstellung?

Einverstanden

Das höre ich immer gerne. :smile:
Der Rest ist diskutabel.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Hallo Thomas,

Erst einmal Entschuldigung für meine langsamen Reaktionsraten, ich komm nicht so oft dazu zu surfen.

Das Problem dieser Definition dürfte darin liegen, dass die
prinzipielle Vorhersagbarkeit keine ontologische Valenz hat.

oh sorry! Gemeint ist die Tatsache, dass ich wenn ich etwas nicht
voraussagen kann, damit noch keine Aussage über Tatsächlichkeiten gemacht ist.

Das verstehe ich und halte es auch für korrekt, aber welche Dinge haben denn onthologische Valenz? Ich bin davon ausgegangen, daß wenn die Naturgesetze, so wie wir sie heute kennen, eine bestimmte Eigenschaft haben, dann muß man damit erst einmal umgehen. Man kann zwar nicht ausschliessen, in Zukunft seine Meinung noch mal ändern zu müssen, aber schliesslich müssen die Philosophen der Zukunft auch was zu tun haben. Für mich ist es eher faszinierend, wie das Problem, daß in der klassischen Physik der freie Wille gar nicht existenzfähig war, durch die Entwicklung der letzten 100 Jahre gelöst wurde.

Kausalität ist ein Denkprinzip, das als methodische Prämisse vorausgesetzt
wird. Empirisch ist da nichts zu widerlegen. Kausalität ist das Grund/Folge-
Prinzip des Empirischen. Das mathematische Grund/Folge-Prinzip ist keine
Kausalität, also etwas ganz anderes.

Gut ok, aber ich denke, daß die Empirie doch wesentlich ist. Ich habe nämlich bemerkt, daß mein Gedanke zu kurz griff. Auch ein Regelsystem wird mittels einer Initialbedingung in Gang gesetzt, auch wenn das Ergebnis des Regelkreises in weiten Teilen von der exakten Anfangsbedingung unabhängig ist. Also greift auch hier das philosophische Kausalitätsprinzip.
Dennoch schliesst die Argumentation zu der „ursachenlosen Wirkung“ eine Annahme ein, die auf Empirie beruht. Wenn ich das richtig verstanden habe, argumentiert man, daß jedes Ereignis auf einer (oder mehreren) kausalen Ursachen beruht, die zeitlich früher liegt. Wickelt man das immer weiter zurück, dann kommt man vielleicht bei Gott an, aber auch hierfür brauchen wir eine Ursache, so daß wir diese ursachenlose Wirkung einführen müssen
Der Haken liegt hier in der impliziten Annahme einer linearen, absoluten Zeit (das „immer weiter zurück“). Hier überlappt sich das philosophische Prinzip mit der Empirie und diese sagt inzwischen, daß die Zeit nicht absolut und nicht linear ist. Bezieht man die Relativitätstheorie mit ein, dann ist es vielleicht möglich, ohne die ursachenlose Wirkung auszukommen - vielleicht ähnlich wie Achilles den Wettlauf mit der Schildkröte gewinnt.

Meinst du mit „logischem Konzept“ eher eine begriffliche Klarstellung?

Mhhh, ja, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob Du mit „begrifflicher Klarstellung“ nicht noch mehr meinst (oder anderes). Mir geht es darum, daß man nicht sagen kann „Freier Wille gibt es nicht“ oder „Jeder Mensch hat einen freien Willen“, wenn man nicht vorher gesagt hat, was man damit meint. Intuitiv habe ich den Begriff für mich schon immer in bestimmter Weise verstanden, aber mir geht es erst einmal darum, diese Intuition in meiner Sprache auszudrücken und ob mir dabei irgendwelche groben Fehler unterlaufen sind.

Herzliche Grüße

Thomas

Hallo Thomas,

Erst einmal Entschuldigung für meine langsamen Reaktionsraten,
ich komm nicht so oft dazu zu surfen.

dieses Mal bin ich der Trödler, mein System hat mich zwei Tage boykottiert.

welche Dinge haben denn onthologische Valenz?

Protokollsätze wie z. B. „Dieser Schreibtisch hier steht jetzt vor mir.“ oder „Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit für dieses Elektron beträgt …“. Hier wird etwas ausgesagt über einen Zustand, der nachprüfbar ist. Er muss dazu aber nicht vorhersagbar sein, denn ich könnte den Schreibtisch verstellt haben oder einen Wahrscheinlichkeitsextremwert erhalten. Und selbst bei Protokollsätzen kann ich mich irren, indem ich diesen Schreibtisch vielleicht nur virtuell vorgegaukelt bekomme (nun gut, das wäre schon ein Extremfall) oder mich verrechnet habe.

ich bin davon
ausgegangen, daß wenn die Naturgesetze, so wie wir sie heute
kennen, eine bestimmte Eigenschaft haben, dann muß man damit
erst einmal umgehen.

Das tun die Physiker ja auch. Nur wenn man manche Sätze von bestimmten Physikern liest - ich denke wieder an den sehr überschätzen Weizsäcker, aber auch andere -, dann hat man den Eindruck, es gäbe so etwas wie Substanz, Kausalität usw. gar nicht mehr und wir hätten uns im Mathematischen nur noch nach Wahrscheinlichkeiten zu richten, die doch - das ist der logische Gesichtspunkt - zumindest aus diskreten Ergebnissen zusammengesetzt sind. So wird gesagt, ein Elektron befindet sich zu diesem Zeitpunkt hier und zum anderen Zeitpunkt dort, und was dazwischen geschieht können wir wegen der Unschärfe nicht feststellen. So weit ist es in Ordnung. Aber jetzt zu sagen „Weil wir es nicht feststellen können, gibt es in diesem Bereich keine Kausalität“ halte ich für falsch, weil wir natürlich davon ausgehen müssen, dass das Elektron nicht von A nach B gesprungen ist, sondern sich dorthin bewegt hat - auf einer Bahn zwar, die wir nicht feststellen können, aber immerhin auf einer Bahn. Es gibt überhaupt keinen Grund, daran zu zweifeln, denn wenn wir das täten, würden wir die Grundlagen des Denkens und damit den gesamten methodischen Rahmen der Naturwissenschaft in Frage stellen. Das aber kann höchstens durch Mathematik und Logik, aber nicht durch die Empirie geschehen. Ein anderes Beispiel: Wenn ein Zauberer ein Kaninchen aus dem Hut zaubert, gehen wir selbstverständlich davon aus, dass er es dort „irgendwie“ (im Sinne von nicht feststellbar) deponiert hat. Wir setzen also methodisch die Kausalität voraus. Das muss man auch im subatomaren Bereich tun.

Man kann zwar nicht ausschliessen, in
Zukunft seine Meinung noch mal ändern zu müssen, aber
schliesslich müssen die Philosophen der Zukunft auch was zu
tun haben.

Es ist aber ein Unterschied, ob man seine Meinung in empirischen Dingen ändert, oder ob man wegen einer prinzipiellen bestehenden Schwierigkeit, Aussagen über Denkstrukturen macht.

Für mich ist es eher faszinierend, wie das Problem,
daß in der klassischen Physik der freie Wille gar nicht
existenzfähig war, durch die Entwicklung der letzten 100 Jahre
gelöst wurde.

Schön wär’s ja, aber leider ist hierdurch gar nichts gelöst.

Gut ok, aber ich denke, daß die Empirie doch wesentlich ist.
Ich habe nämlich bemerkt, daß mein Gedanke zu kurz griff. Auch
ein Regelsystem wird mittels einer Initialbedingung in Gang
gesetzt, auch wenn das Ergebnis des Regelkreises in weiten
Teilen von der exakten Anfangsbedingung unabhängig ist. Also
greift auch hier das philosophische Kausalitätsprinzip.

So ist es.

Dennoch schliesst die Argumentation zu der „ursachenlosen
Wirkung“ eine Annahme ein, die auf Empirie beruht. Wenn ich
das richtig verstanden habe, argumentiert man, daß jedes
Ereignis auf einer (oder mehreren) kausalen Ursachen beruht,
die zeitlich früher liegt. Wickelt man das immer weiter
zurück, dann kommt man vielleicht bei Gott an, aber auch
hierfür brauchen wir eine Ursache, so daß wir diese
ursachenlose Wirkung einführen müssen

Das ist das Problem, an dem schon Kant sich die Zähne ausgebissen hat. Die klassischen metaphysischen Fragen nach Gott, Freiheit und Unsterblichkeit sind nach ihm nicht lösbar, weil man für diese Fragen keine empirische Basis hat. Für eine Erkenntnis - das möchte ich noch einmal betonen - ist sowohl das Denken als auch die Empirie notwendig. Der historische Kernsatz bei Kant lautet: „Begriffe ohne Anschauungen sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“ Nur wenn wir beides haben, kommen wir zu nachprüfbaren naturwissenschaftlichen Ergebnissen. Lässt man die begriffliche Ebene weg, dann kommt es zu den oben beklagten physikalischen Missdeutungen; lässt man die empirische Ebene weg, verliert sich die kausale Verknüpfung in Spekulation.

Der Haken liegt hier in der impliziten Annahme einer linearen,
absoluten Zeit (das „immer weiter zurück“). Hier überlappt
sich das philosophische Prinzip mit der Empirie und diese sagt
inzwischen, daß die Zeit nicht absolut und nicht linear ist.

Ich hatte es vor kurzem schon mal gepostet, daher hier nur kurz. Die Relativitätstheorie ist die herrschende Meinung in der Physik, und sie hat auch viel für sich. Gleichwohl gibt es Physiker, die wegen der Widersprüchlichkeit der Grundaxiome der RT versuchen, die Lorentz-Transformationen wieder gesellschaftsfähig zu machen - unter dem Verzicht auf die Absolutheit der Lichtgeschwindigkeit. Weil ich mich mit dieser Materie jahrelang nicht mehr beschäftigt habe, bin ich leider
nicht in der Lage, das jetzt im Einzelnen zu erklären, aber wenn du willst, suche ich dir Literatur dazu heraus. Einen Mittelweg geht die „Protophysik der Zeit“ von Peter Janich:
ISBN: 3518064169 Buch anschauen , sehr zu empfehlen.

Mir geht es darum, daß man nicht sagen kann „Freier
Wille gibt es nicht“ oder „Jeder Mensch hat einen freien
Willen“, wenn man nicht vorher gesagt hat, was man damit
meint. Intuitiv habe ich den Begriff für mich schon immer in
bestimmter Weise verstanden, aber mir geht es erst einmal
darum, diese Intuition in meiner Sprache auszudrücken und ob
mir dabei irgendwelche groben Fehler unterlaufen sind.

Ja, genau das ist es: Man kann nicht sagen „Es gibt keinen freien Willen“, aber man kann eben nur mit subjektiver Intuition sagen „Ich meine, einen freien Willen zu haben“. Der Satz " Jeder Mensch hat einen freien Willen" geht aber wieder zu weit.

Herzliche Grüße

Thomas

Hallo Thomas,

Da ich denke, daß die Diskussion hier langsam zu sehr nach unten verschwindet, nur noch ein paar abschliessende Bemerkungen.

Ich habe noch nicht ganz verstanden, wieso das Problem der Erstursache so starken Einfluß auf das Problem des freien Willen hat. Ich bin der Meinung, daß man die beiden Fragen durchaus als nur schwach voneinander abhängig behandeln kann.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Du die Quantenmechanik so ganz richtig verstehst. Zum Beispiel ist die Kausalität auf Mikroebene sehr wohl gut definiert. Ich habe auch das Gefühl, daß Du dem ganzen Gedankengut der QM sehr skeptisch gegenüberstehst und Du deshalb viel Hoffnung auf doch ausgesprochen vage und schlecht belegte Gegentheorien setzt. Ich würde nicht sagen, daß alles falsch sein muß, was da so spekuliert wird, aber letztlich ist es eben nur Spekulation und es gehört schon erheblich mehr dazu, richtige Physik zu werden.

Viele Grüße
Thomas

Hallo Thomas,

Da ich denke, daß die Diskussion hier langsam zu sehr nach
unten verschwindet, nur noch ein paar abschliessende
Bemerkungen.

ich antworte immer noch gerne.

Ich habe noch nicht ganz verstanden, wieso das Problem der
Erstursache so starken Einfluß auf das Problem des freien
Willen hat. Ich bin der Meinung, daß man die beiden Fragen
durchaus als nur schwach voneinander abhängig behandeln kann.

Ich weiß nicht, auf welche meiner Äußerungen du hier anspielst. Aber ich vermute, dass du mit dem Einfluss der Erstursache das Problem meinst, dass der Wille ja irgendwie in Gang gebracht werden muss. Meinst du das?

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Du die Quantenmechanik so
ganz richtig verstehst.

Das sind eigentlich sehr harte Geschütze, die du da auffährst. Wenn man seinem Gegenüber die Kompetenz entzieht, etwas richtig zu verstehen, ist es für denjenigen natürlich schwer, darauf zu antworten. Obwohl diese Art der Argumentation nicht ganz fair ist, möchte ich aber doch darauf antworten.

Wovon ich - in der Tat - wenig verstehe, dass sind die Experimente und die höhere Mathematik. Ich habe zwar - vor ca. 15 Jahren - Vorlesungen zu dem Thema gehört, aber ich gebe zu, dass es mir dabei auf die Rechnung nicht so sehr ankommt - das ist ein Manko, aber - wie ich meine - kein unüberwindliches. Denn das entscheidende in der Physik (besonders bei als so fundamental behaupteten Theorien wie der QM und der RT) ist die Interpretation der Gleichungen. Und dafür benötigten die Physiker eigentlich einen philosophischen Verstand, denn das Argument, dass mit den Gleichungen die Probleme aus dem Weg sind und das damit alle Phänomene gelöst werden könnten, reicht nicht aus, und zwar aus zwei Gründen: Einmal sind in der Tat nicht alle Probleme gelöst, sondern nur verschoben - oder scheinbar besser gelöst.

Selbst wenn eine Theorie sich mit allen Phänomenen decken würde, müsste man immer noch fragen, warum das so ist. Auch das ist keine physikalische Frage. Zum anderen kann eine Erklärung noch so nützlich sein, wenn ihre Grundbedingungen nicht stimmen, stimmt die ganze Theorie nicht. „Ex falso sequitur quodlibet.“ (Aus Falschem folgt Beliebiges.) Das funktioniert ähnlich wie ein Placebo-Effekt: Ich muss nur lange genug behaupten, dass die Grundlagen stimmen, dann stimmt auch der Aufbau aus ihnen. Das ist aber der grundlegende Irrtum - besser: Es scheint mir der grundlegende Irrtum zu sein.

Zum Beispiel ist die Kausalität auf Mikroebene sehr wohl gut
definiert.

Das mag sein, aber definieren kann ich viel - ob es stimmt, ist die Frage. Und viele Äußerungen, die ich von Physikern und auch ihren philosophischen Anhängern darüber gelesen habe, lassen den Schluss zu, dass es denjenigen nicht darum geht, Wahrheit zu erzeugen, sondern allenfalls Brauchbarkeit.

Ich habe auch das Gefühl,
daß Du dem ganzen Gedankengut der QM sehr skeptisch
gegenüberstehst und Du deshalb viel Hoffnung auf doch
ausgesprochen vage und schlecht belegte Gegentheorien setzt.

Nein, das ist nicht so. Die QM ist ja brauchbar, das habe ich auch nie bestritten. Nur ihre Erklärungen dürfen nicht das letzte Wort haben, solange sie nicht auch in den Grundlagen stimmt. Und eine Hoffnung baue ich ebenfalls nicht auf Gegentheorien. Es geht ja nur darum, dass man - mit Gründen! - diese Theorien auch sehr gut verteidigen kann. Nun ist die QM an der Reihe, sie zu entkräften. Aber was man hört, ist immer nur: „Das sind vage Theorien“ und „Das sind schlechte Theorien“.
Es scheinen aber nur deswegen schlechte Theorien zu sein - in den Augen der Verfechter der QM -, weil sie nicht der herrschenden Meinung (bitte jetzt völlig unpolitisch gedacht!) entsprechen. Eine wirkliche Diskussion über die Grundlagen findet nicht statt. (Achtung: Ich bin über den aktuellen Stand nicht wirklich informiert, aber es würde mich wirklich wundern, wenn sich so etwas finden ließe.)

Ich würde nicht sagen, daß alles falsch sein muß, was da so
spekuliert wird, aber letztlich ist es eben nur Spekulation
und es gehört schon erheblich mehr dazu, richtige Physik zu
werden.

Diese Leute, über die du so herziehst, sind nicht „bloße Philosophen“ oder „reine Spekulierer“. Es sind - in der Regel - Physiker, und vielleicht nicht die schlechtesten, weil sie sich Gedanken über ihre Methodik machen, was die anderen nicht nötig zu haben scheinen.

Und noch ein letztes Wort zu mir: Ich würde mich freuen, wenn die Diskussion so geführt würde, wie sie geführt werden sollte. Aber dein „Argument“ oben über mein - du schränkst es freundlicherweise als möglich ein - mangeldes Verständnis ist kein Argument. Leider wird auf diesem Niveau allzu oft geredet. Auch Schamanen sprechen den Nichteingeweihten einfach das Verständnis ab, statt sich über Methodik auseinanderzusetzen.

Sollten wir also hier die Diskussion beenden, dann möchte ich dir noch sagen, dass es mir trotzdem Freude gemacht hat, über diese Dinge zu schreiben, weil ich mich damit - wie gesagt - schon über ein Jahrzehnt nicht mehr intensiv befasst habe, aber die Erinnerung daran keine dunkle ist.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Hallo Thomas,

Zunächst einmal sorry für meine Bemerkung, die ich wirklich nicht so gemeint habe, wie Du sie aufgefasst hast. Ich habe hier lediglich von mir auf andere geschlossen. Ich bin ein Physiker, der sich mit einigen Fragen der Philosophie beschäftigt und ich gebe freimütig zu, daß ich nicht alles verstehe in der Philosophie und kaum Chancen sehe, hinter alles zu kommen, weil ich eben keine Gelegenheit mehr habe, nochmal Jahre zu studieren. Du bist ein Philosoph, der sich intensiv mit physikalischen Fragestellungen beschäftigt hat und ich habe grosse Hochachtung vor Deinem Wissen.

Das mag sein, aber definieren kann ich viel - ob es stimmt,
ist die Frage. Und viele Äußerungen, die ich von Physikern und
auch ihren philosophischen Anhängern darüber gelesen habe,
lassen den Schluss zu, dass es denjenigen nicht darum geht,
Wahrheit zu erzeugen, sondern allenfalls Brauchbarkeit.

Und Brauchbarkeit hat sich in der Physik als ein sehr fruchtbares Konzept erwiesen.

Es geht ja nur darum, dass man - mit Gründen! -
diese Theorien auch sehr gut verteidigen kann. Nun ist die QM
an der Reihe, sie zu entkräften.

Das kommt darauf an, welche Methoden man benutzt. Diese Gegentheorien verwenden oft rein logisch/philosophische Argumente und hier kann man tatsächlich mit weitem Umfang diskutieren. In der Physik geht es aber auch und gerade um Vorhersagbarkeit und um experimentelle Nachweisbarkeit und hier bleiben diese Aussenseiterpositionen sehr vieles schuldig. Wenn sie hier nachlegen, dann werden sie zur Standardtheorie, aber dahin ist eben ein weiter Weg.

Diese Leute, über die du so herziehst, sind nicht „bloße
Philosophen“ oder „reine Spekulierer“. Es sind - in der Regel

  • Physiker, und vielleicht nicht die schlechtesten, weil sie
    sich Gedanken über ihre Methodik machen, was die anderen nicht
    nötig zu haben scheinen.

Es sind eben Physiker und im physikalischen Zirkus aufzufallen ist auch nicht einfach. Am Besten geht das, wenn man irgendeine von allen abgelehnte Theorie vertritt - und Recht behält. Aber zweite Einsteins sind eben selten.

Viele Grüße
Thomas

Hallo Thomas,

ich habe grosse Hochachtung vor Deinem Wissen.

das ist nun auch wieder zu viel, aber ich bemühe mich.

Und Brauchbarkeit hat sich in der Physik als ein sehr
fruchtbares Konzept erwiesen.

Brauchbarkeit kann durchaus fruchtbar sein, aber gelegentlich hindert sie am „Weiter-in-die-Tiefe-Gehen“.

Das kommt darauf an, welche Methoden man benutzt. Diese
Gegentheorien verwenden oft rein logisch/philosophische
Argumente und hier kann man tatsächlich mit weitem Umfang
diskutieren.

Naja, es geht hier nicht um rein logisch-philos. Argumente, die im schlimmsten Fall einen minimalen Einfluss hätten, sondern es geht um handfeste methodische Voraussetzungen, die in ihrer möglichen Tragweite überhaupt keine Berücksichtigung finden. Das ist - unter Nützlichkeitsaspekten betrachtet - richtig, aber das hat dann auch mit Erkenntnis - auch mit physikalischer - eigentlich nicht mehr viel zu tun.

Es sind eben Physiker und im physikalischen Zirkus aufzufallen
ist auch nicht einfach. Am Besten geht das, wenn man
irgendeine von allen abgelehnte Theorie vertritt - und Recht
behält. Aber zweite Einsteins sind eben selten.

Nein, auffallen wollen diese Leute - jedenfalls die seriösen - eigentlich nicht, sondern sie haben - genau wie Einstein - gewisse Zweifel an den Bedingungen der Forschung - wie Einstein selbst ja auch (ohne dass sie gleich zweite Einsteins sein wollen) - und werden trotzdem tot geschwiegen.

(Ich meine gar nicht mich persönlich - falls du hier irgendwelche Eitelkeiten vermuten solltest. Ich meine einfach, dass man grundsätzliche methodische Schwierigkeiten nicht unter den Teppich kehren darf. Zumindest muss man auf sie antworten (Natürlich nicht auf alle, das ist auch klar, aber doch auf die seriös gemeinten.).

Um allen Vorurteilen meine Eitelkeit betreffend entgegenzutreten, betone ich hier, dass keine der Theorien, die ich hier zur Berücksichtigung einfordere, von mir stammt, und auch keinen dieser Theorien in irgendeinem Zusammenhang mit mir steht. Es ist allein fraglich, ob man diese Dinge einfach so wegfegen kann.

Herzliche Grüße

Thomas Miller