Der Wille ist nicht frei
Hallo Martin
Also ich denke mir das so:
Der Wille heisse frei, wenn er weder vom Gedaechtnis noch von der
Umwelt eindeutig festgelegt wird. Unter Gedaechtnis verstehe ich
alles, was die Umwelt des Gehirns im Laufe der Zeit in diesem
zurueckgelassen hat. Umwelt sei die Menge aller Einfluesse, die auf
das Gehirn wirken, d.h. Sinnesreize und biochemische Vorgaenge im
Koerper.
Meine Behauptung: Der freie Wille existiert nicht. Was wir tun und
denken, ist Ergebnis des gegenwaertigen Gehirnzustandes im
Zusammenspiel mit den gegenwaertigen Sinnesreizen.
Beispiel: Ich sage dir: „kruemme deinen Finger!“ Du entscheidest dich
entweder dies zu tun oder es nicht zu tun und glaubst, dass die
jeweilige Entscheidung genau so gut auch anders haette ausfallen
koennen. Du fuehlst dich frei in dieser Entscheidung.
Dieses Gefuehl ist aber eine Illusion.
Als du zur Welt kamst, waren manche Gehirnstrukturen schon vorhanden:
von denen, die den Koerper steuern, abgesehen, auch einige, die sich
in instinktivem Verhalten aeussern. Wie schon im Mutterleib stroemen
von Geburt an, Reize ins Gehirn und legen Strukturen an. Erziehung
geschieht im Wesentlichen durch Woerter, die ebenfalls Reize sind. So
bildet sich staendig ein neuer Gehirnzustand, der immer Ergebnis aus
vergangenen und gegenwaertigen Reizen ist. Dringen nun die Woerter
„kruemme deinen Finger!“ ueber das Ohr in dein Gehirn, dann treffen
sie auf deinen aktuellen Gehirnzustand, der wie gesagt, Ergebnis
einer langen Geschichte ist, und loesen dort Reaktionen aus, die
entweder zur der einen oder zu der anderen Entscheidung fuehren.
Vor Jahren ging die Nachricht durch die Medien, dass ein Finger sich
in Wahrheit schon kruemme, bevor sein Besitzer sich dessen bewusst
wird, d.h erst wird die Entscheidung getroffen und das Signal
geschickt und dann wird das Bewusstsein ueber die bereits Tatsache
gewordene Kruemmung informiert, und neben dieser Information auch die
Illusion erzeugt, sie haette freiwillig stattgefunden.
Aus diesen Ansichten leite ich ab, dass keines Menschen Tun im
engeren Sinne verurteilt werden koenne, sondern jegliche Kritik kann
nur Versuch sein, das zukuenftige Verhalten zu veraendern, naemlich
dadurch, dass man Woerter in die Ohren oder Augen eines Uebeltaeters
schickt, die als Reize den Gehirnzustand nachhaltig in gewuenschter
Weise veraendern. Genuegen Woerter nicht, dann sind auch andere Reize
(Schlaege, Freiheitsentzug) geeignet, den Gehirnzustand zu
modifizieren. Freilich kann sich der Kritiker auch nicht frei
entscheiden, wie er auf sein Objekt wirkt.
In diesem Sinne gilt auch meine Ansicht: Jeder lebt so gut er kann.
Daran sollte man denken, wenn man sich wundert oder aufregt, wie
seltsam manche Leute leben, wie dumm sie sprechen u.s.w. Keiner kann
anders sein als er ist.
Tychi