Frustrierte Totalreflexion und Tunneleffekt

Hallo,

ich lese grade eine populärwissenschaftliche Einführung in die Quantenmechanik. In der kommt natürlich auch der Tunneleffekt vor. Und es wird erklärt, dass es so etwas auch bei sichtbaren Wellenphänomenen gibt, etwa in der stehenden Welle hinter einem Prisma, selbst wenn ein Lichtstrahl im Prisma gebrochen wird, oder aber bei einem Wellenexperimentbecken, in dem eine Welle einerseits von einem tiefen Bereich reflektiert wird, andererseits diesen tiefen Spalt aber doch überspringen kann.
(hier z.B. http://youtu.be/-BsMp8gEc8I?t=5m24s oder hier http://bit.ly/Ta0YE0 , man spricht wohl von verhinderter oder „frustrierter“ Totalreflexion.)

So weit bin ich dank Wikipedia et.al. alleine gekommen. Aber nun frage ich mich: Kann man auch die makroskopische verhinderte Totalreflexion nur über den Quanteneffekt des Tunnelns erklären? Oder gibt es in der „klassischen“ Wellenmechanik eine Erklärung dafür, wie die Welle teilweise eine Grenzschicht überspringt, von der sie doch totalreflektiert werden müsste? Das wird irgendwie nirgends dazu gesagt. Dabei scheint es mir sehr spannend. Kann man da im Überschwappen der Wasserwelle die Quanten in ihrer geheimnisvollen Unbestimmtheit sehen oder gibt es auch eine Erklärung bereits in einem simpleren, klassischen Modell? Der Tunneleffekt ist doch so gering, das von der Welle nur noch ganz, ganz wenig überbleiben dürfte auf der anderen Seite des Spalts …?

Ich hoffe, das war verständlich. Danke im Voraus für alle Antworten. Ganz besonders für sinnvolle. :smile:

Hallo!

Nein, du hast es richtig erkannt: Es handelt sich um einen klassischen Effekt. Witzig, wie ich das vor längerem auf der Uni in einer Optikvorlesung das erste mal gehört habe, dachte ich mir das gleiche und hab genau diese Frage an den Vortragenden gestellt.

Der Effekt ergibt sich, soweit ich mich erinnern kann, aus der klassischen Wellengleichung: Die Lösung ( über dem Grenzwinkel der Totalreflektion) gibt eine schwingende Lösung im gleichem Medium (als für die reflektierte Welle) und eine exponentiell abklingende für das andere Medium. Heißt: Das Feld ist nicht gleich weg hinter dem Glas, es nimmt nur schnell ab. Weil es aber nicht mehr schwingt, können wir es als Welle nicht warnehmen. Kommt dort aber wieder ein Medium mit höherem Index hin, indem sich die Welle wieder ausbreiten kann, dann tut sie das natürlich dort auch wieder.

Keine gute Erklärung, aber vielleicht kanns wer besser. Ist schon lange her, tut Leid.

lg
Alex

Doch, das ist auf jeden Fall hilfreich, vielen Dank!

Hallo,

Oder gibt es in der „klassischen“
Wellenmechanik eine Erklärung dafür, wie die Welle teilweise
eine Grenzschicht überspringt, von der sie doch
totalreflektiert werden müsste? Das wird irgendwie nirgends
dazu gesagt.

Doch z.B. in G. Lehner, elektromagnetische Feldtheorie

Ich hoffe, das war verständlich. Danke im Voraus für alle
Antworten. Ganz besonders für sinnvolle. :smile:

(Ich lasse die Wasserwellen mal außen vor)

Die klassische Erklärung gibt es. Für die Feldgrößen der elektromagnetischen Wellen gibt es bei „Grenzflächen- Betrachtungen“ sog. Randbedingungen, welche die Stetigkeit einiger dieser Feldgrößen beim Übergang in ein anderes Medium verlangen. Und das erklärt sowohl das Auftreten Reflexion und Brechung an einer Grenzfläche als auch homogene Wellenzüge der reflektierten und der gebrochenen Welle. Bei der Totalreflexion gelten die gleichen Randbedingungen, nur dass ein Problem auftritt. Denn der Sinus des Austrittswinkels der gebrochenen Welle ist größer 1, was einen imaginären Austrittswinkel ergibt. Was aber nicht bedeutet, dass es keine gebrochene Welle gibt. Nur, die gebrochene Welle ist kein homogener Wellenzug, sondern eine von der Oberfläche hinweg abnehmende exponentiell abklingende Funktion. Formal ist das Ganze eine Analogie zum quantenmechanischen Tunneleffekt. Denn der quantenmechanische Tunneleffekt beruht auch auf dem Auftreten einer imaginären Größe, eines imaginären Quantenteilchen- Impulses. Das Verhalten von Quantenteilchen wird mit Gleichungen beschrieben wird, deren Lösungen an Wellengleichungen erinnern und deren Bedeutung darin besteht, die Aufenthaltswahrscheinlichkeit eines Quantenteilchens zu bemessen. Das sind Sinus und Cosinus- Funktionen oder deren entsprechende Exponentialfunktionen mit komplexen Exponenten, in denen der Impuls im Exponential steht. Ein imaginärer Impuls bedeutet einen reell negativen Exponenten. Also eine Dämpfungsfunktion und damit eine - wenn auch kleine- Aufenthaltswahrscheinlichkeit außerhalb des Potentialtopfs. Und damit einen Tunneleffekt.

Mich würde noch mal interessieren, welche populärwissenschaftliche Literatur du liest.

Gruß

Peter

hallo Peter,
zunächst mal Danke für die ausführliche Antwort.

Ich lese „Das Quanten-Universum“, Tony Hey und Patrick Walters, in der Ausgabe von 1998. Nicht mehr ganz taufrisch, aber das ist ja auch alles sehr basic und nicht die neueste Wissenschaft. (Über eventuelle Literaturhinweise - gern laientauglich - freue ich mich aber natürlich immer.)

Wenn sich diese gedämpfte Welle hinter der (Nicht-)Austrittsgrenze aus den Maxwell-Gleichungen ergibt, ergibt sie sich dann auch aus dem „alten“ Snellius-Brechungsgesetz? Da eigentlich nicht, richtig?

Oder habe ich das noch nicht verstanden?

schöne Grüße
Simon

Wenn sich diese gedämpfte Welle hinter der
(Nicht-)Austrittsgrenze aus den Maxwell-Gleichungen ergibt,
ergibt sie sich dann auch aus dem „alten“
Snellius-Brechungsgesetz? Da eigentlich nicht, richtig?

Oder habe ich das noch nicht verstanden?

Vergleiche hinken oft. Es kommt darauf an, woraus man das Snellius-Brechungsgesetz ableitet. Auf der Basis, dass der Sinus eines Winkels nicht größer sein kann als Eins, ist auszuschließen, dass es ab einer bestimmten Strahlengeometrie einen reellen Winkel eines gebrochenen Strahls gibt. Also gibt es dort keinen Strahl. Aber Messungen zeigen, dass es dort eine Dämpfungsfunktion (keine homogene Welle) gibt, die in einem (recht nah!) anschließenden Medium als echte homogene Welle fortläuft. Denn: wenn man die Strahlengeometrie als Wellengeometrie sieht und mit Wellenvektoren rechnet, ergeben die „klassischen“ Wellengleichungen erstens mal das Snellius- Gesetz, beinhalten jedoch zweitens auch einen klassischen „quasi Tunneleffekt“ aufgrund einer Dämpfungsfunktion im Raum „hinter dem Reflektor“ (aus Stetigkeitsgründen von Feldgrößen). Das „Tunneln“ wird also schon mit einer klassischen Theorie erklärbar. Es ist nicht richtig, alles was jenseits des „alten Snellius-Brechungsgesetzes“ bereits mit verbesserter klassischer Physik erklärbar ist, gleich mit „Quantenmechanik“ gleichzusetzen. Obwohl der Versuch auch rein quantenmechanisch (ohne klassische Wellen) erklärbar ist.

Gruß

Peter