Gemeinschaften im Frühen Mittelalter

Wer weiss mehr dazu?
Gemeinschaften & Rechtsbindungen / Frühes Mittelalter

Und vor allem welchen Einfluss hatten diese, und zwar so groß, dass sie für die Geschichtsrekonstruktion dieser Epoche/Zeitalter eine Bewandnis hatten/haben?

Darüber hinaus interessiert es mich, was die größten
Probleme bei der Geschihctsschreibung im frühen Mittelalter waren bzw. bei den Überlieferungen dieser „Geschichte(n)“

Denk da an Gilden oder an die Hanse
Gilden waren die Vorläufer unser heutigen Industrie und Handelskammern, zur damaligen Zeit war das die Legitimation in der Stadt die Konkurrenz gar nicht erst in die Stadt zu lassen.
Hanse war ein Bündnis von Kaufleuten, Vorläufer von Versicherungen und Gerichtshöfen, zur damaligen Zeit brauchte man eine verbindliche Rechtssprechung. Sowas wie eine Advocard, wenn man der Hanse beitrat als einfacher Kaufmann (natürlich mit einer schönen Geldsumme durfte man sich dort einkaufen), so unterwarf man sich deren Rechtsauffassung, diese war aber im ganzen Hansegebiet verbindlich.
Dann gab es noch Minderheiten, die zwar geduldet aber diskriminiert wurden - denk da an den Ausspruch Bandjuden. Die Juden durften nicht arbeiten, verdingten sich daher nur in Wuchergeschäften, als Wechselstuben oder Bankiers.

Es gab Schreibstuben, da saßen welche, die schreiben konnten. Meist war das ein Zweitberuf, waren in Wirklichkeit Stadtchronisten, Stadt- oder Hofschreiber. Viele Ortsnamen wurden anders danach geschrieben, nur weil sich so ein Schreiber mal verschrieb.
Die Hofschreiber waren diejenigen, die maßlos übertrieben - das war allerdings eine Taktik. Denke da ein einem König, sofern man der alten Hofchronik Glauben schenken mag, den Rekord noch heute in Bogenschießen hält, mit einer Distanz von 7 km. Diese allerdings benutzten gern die Worte als Waffe, diese waren es, die die Texte für Herolde schrieben und den ganzen Diplomatischen Papierkrieg. Und nicht selten ein Krieg anstiften mit ihrer Wortwahl oder den Feind verunsicherten.
Die Diplomatische Sprache war damals Latein, später Französisch und heute eher englisch.
Viele Adlige wurden von Ordensbrüdern erzogen, bevor sie als Knaben von 7 Jahren Schildknechte wurden. Konnten daher ganz gut Latein. So um 1200 konnte man sich noch ganz gut im Schwaben, Franken und Bayernland untereinander verständigen. Mit den anderen oder bei den anderen Ländern ging es nicht oder traf das nicht zu.
Der erste Pionier oder einer der ersten Pioniere der Deutschen Sprache war Luther, mit seiner Bibelübersetzung. Erst Anfang des 18. Jh., war u.a. ein Inbegriff der Logen, gab es Gemeinschaften die diese Pionierabeit fortsetzen wollten, denk da an den Palmen Orden in Köthen oder die Rosengenossenschaft in Hamburg. Waren Gemeinschaften oder Logen, die die Deutsche Sprache revormieren wollten, aber eher die Sprache komplizierten. erst als 40 Jahre später Dichter, wie Lessing, Goethe, Schiller, Gottsched usw. mit Schriften oder Bühnenstücken sich profilierten wurde es mit der deutschen Sprache besser. Bis dato hatten die Humanisten oder verarmte Adlige (Götz von Berlichen usw.) nur in ihrem Dialekt geschrieben.

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hi,

zur Geschichtsschreibung des MA:

ist nicht mit unserer heutigen Geschichtsschreibung zu vergleichen gewesen: sie war von der eschatologischen Erwartung des Weltenendes und des kommenden Gottesreich geprägt (Augustinus: ~4./5.Jh). Diese Erwartung war nicht unrelevant für die Interpretation der damaligen Gegenwart: Denn da das römische Kaiserreich das letzte vor dem himmlischen sein sollte, musste dieses sozusagen „verlängert“ werden: Daher erklärten sich auch die deutschen Kaiser(bzw. die römischen Kaiser deutscher Herkunft) aus der römischen Tradition heraus. Bot auch für die großen Papst-Kaiser Konflikte (Barbarossa, Friedrich II.) Stoff, die teilweise ebenfalls eschatologische Ausmaße annahmen (F. II. und Papst Gregor IX. (?) warfen sich gegenseitig vor der Endkaiser und sogar Antichrist zu sein).
Schließlich seien noch die Kreuzzüge genannt, die gewiss ebenfalls solcherart mitmotiviert waren: denn während der irdische Staat mit Babylon verglichen wurde, wurde der himmlische mit Jerusalem in Verbindung gebracht.

Zur Glaubwürdigkeit der Geschichtsschreibung: wie schon erwähnt in der Regel sehr kritisch zu lesen, da sie (und nicht nur damals) stets auch eine persönliche Darstellung des Autors sind.
Ein Beispiel hierfür sind die Berichte des Salimbene von Parma (13. Jh.) der ganz im Sinne der eschatologischen Erwartung Friedrich II. als Endkaiser darstellt. Selbst war er Franziskaner (Minorit)und hatte unter den Kriegen in Norditalien zu leiden. Daher ist seine Haltung gewissermaßen nachvollziehbar. Ausschmückenderweise unterstellt er dem Kaiser auch den berühmten Ursprachenversuch (bei dem Kinder völlig isoliert aufgezogen werden sollten um zu sehen welches die Ursprache ist). Inzwischen wird diese Behauptung stark hinterfragt, da es solche Darstellungen bereits vor F. II. gab und ansonsten keine Versuche mit Menschen mit ihm in Verbindung gebracht werden konnten. Auch steht die Behauptung des Salimbene alleine, ist in keinen anderen Quellen in Bezug auf F. II. zu finden. Sie hat aber lange Zeit (teilweise bis 20. Jh.) die Rezeption F. II. geprägt.

Ein zweiter Punkt der problematisch ist, ist dass selbst Stadtchroniken oft erst nach der beschriebenen Zeit entstanden sind, was natürlich ebenfalls Lücken und Fehler warscheinlich macht und auch zur Wertung einlädt. Hier ein (schon fast neuzeitliches) Beispiel: Zur Geschichte Straßburgs zur Zeit der Einführung der Reformation gibt es eine Zahl von Stadtchroniken. Ddie beiden umfangreichsten Chroniken von Sebastian Brandt und Daniel Specklin: Die Brandt zugeschriebene behandelt eine Zeit nach seinem Tod (zumindest ab einem gewissen Punkt, ich glaube 1514), und die Specklins ist nach der beschriebenen Zeit entstanden.

Darüber hinaus interessiert es mich, was die größten
Probleme bei der Geschihctsschreibung im frühen Mittelalter
waren bzw. bei den Überlieferungen dieser „Geschichte(n)“

hoffe deine Frage zumindest teilweise beantwortet zu haben. Ich denke es gibt sicher noch tausend andere Dinge die ne Rolle spielen, wo vielleicht andere besser Bescheid wissen,

liebe Grüße von Kati

p.s. beispiele beziehen sich auf zeiten mit denen ich mich intensiver auseinandergesetzt hab, es gibt sicher noch ne menge anderer.

Wer weiss mehr dazu?
Gemeinschaften & Rechtsbindungen / Frühes Mittelalter

Und vor allem welchen Einfluss hatten diese, und zwar so groß,
dass sie für die Geschichtsrekonstruktion dieser
Epoche/Zeitalter eine Bewandnis hatten/haben?

Hallo,

die ganze Sache ist nicht einfach. Das frühe Mittelalter bezeichnet ja die Zeit von etwa 600 - 900 . Und speziell dazu ist die Datenlage ausgesprochen dürr. Selbst in Rom ist das eng - über die Reihenfolge und Regierungszeit der Päpste im 8. Jahrhundert zum Beispiel gibt es nur das später erstellte Buch der Päpste und nicht ein einziges wirklich originales Dokument.
Im Gebiet des heutigen Deutschland sieht das noch dümmer aus. Im alten römischen Reich gab es ja die ganzen schriftlichen Zeugnisse der Römer, das betraf auch das von Rom besetzte germanische Gebiet und über die Berichte von Händlern auch das unbesetzte Gebiet. Aber dieses Reich war unter dem germanischen Ansturm zerfallen. Die Städte im Rheinland befanden sich in Auflösung, man nimmt einen Niedergang bis etwa 800 oder sogar noch länger an. Jeglicher Fernhandel war mehr oder weniger zum Erliegen gekommen.
Etwas besser sah es im heutigen Frankreich aus - über damalige Reich der Franken liegen wohl einige schriftliche Zeugnisse vor.
Man darf eimns nicht vergessen: Das Volk konnte nicht lesen und schreiben. Auch der Adel konnte das nicht - selbst karl der Große soll erst im Alter das Schreiben gelernt haben und noch die späteren deutschen Könige im 10. und 11. Jahrhundert waren des Lesens und Schreibens unkundig. Noch bei Friedrich II. um 1200 wurde ausdrücklich seine Bildung als unübliche Ausnahme vermerkt.
Schreiben konnten eigentlich nur im Kloster die Mönche und vereinzelte Schreiber an den königlichen Höfen. Allerdings beschäftigten sich die Mönche oft nur mit dem reinen Kopieren alter Schriften wie dem Kopieren der heiligen Schrift. Von daher ist die künstlerische Gestaltung damals entstandener Kopien der Bibel eine der wenigen zuferlässigen Quellen über den Stand der Kunst und Kultur der damaligen Zeit.
Eine deutsche geschichtsschreibung entstand erst mit Karl dem großen um 800 und geht auf dessen Chronisten Einhardt zurück. Etwa aus dieser zeit datieren auch erste und älteste Belege über eine deutsche kunst und Literatur. leider trat nach Karl dem Großen schon wieder ein Rückgang ein, dessen reichsordnung hatte in der ganzen unwegsamen und dünn besiedelten zeit wenig Bestand. Man darf nicht vergessen, daß es damals ja Städte in Deutschland noch gar nicht gab, auch keine ausgesprochenen Verwaltungszentren. Der kaiserliche bzw. königliche Hof zog von Pfalz zu Pfalz bzw. Kloster zu Kloster, weil eine Versorgung des königlichen Gefolges über längere zeit an einem ort gar nicht möglich war - das blieb im ganzen Mittelalter so.
Erst nach 900 setzte ein allgemeiner Aufschwung ein. Ab 916 wurde das Land unter den sächsischen Königen wirklich zentralisiert, die ersten Städte entstanden, Heinrich I. lies die ersten Burgen bauen alkas Abwehr gegen die Ungarneinfälle usw. Ab da ging es wirklich aufwärts.

Gernot Geyer

Wer weiss mehr dazu?
Gemeinschaften & Rechtsbindungen / Frühes Mittelalter

Tach Multa Vista,

über die Schwierigkeiten der Geschichtsschreibung im frühen MA hast Du ja nun genug erfahren.

Die große Gemeinschaft war natürlich die, die vom König als dem obersten Lehnsherrn ausging und sich bis hinunter zum kleinsten Ritter auf seiner Klitsche und seinen Leibeigenen fortsetzte.

Es hat vor zehn oder fünfzehn Jahren mal den Versuch gegeben, diese Lehnsgemeinschaft als Fiktion zu entlarven, aber davon hat man nach einer kurzen Welle nichts mehr vernommen.

Über die entsprechenden Stichworte - Lehen, Gefolgschaft, Reichsunmittelbarkeit und -mittelbarkeit etc. - solltest Du im Netz schnell fündig werden.

Das aber führt scho in das Hoch- oder spätere Mittelalter.

Im frühen MA gab es wohl vor allem Gefolgschaften von Kleinkönigen. Die Thidrekssaga bietet da einigen Anschauungsstoff, vor allem, wenn Du der Theorie folgst, daß sie ursprünglich in der Gegend um Zülpich, Bonn, Euskirchen und Soest spielt.

Sonst sehe ich als feste Gemeinschaften eigentlich nur die Klöster und geistlichen Orden. Und da gab es vorderhand nur die Benediktiner - alle anderen kamen später und reichen ins Hochmittelalter und so.

Gruß - Rolf

Ergänzug
Ja - nun noch eine Ergänzung zu den Gemeinschaften. Ich beziehe mich dabei auf den Raum des heutigen Deutschland - das ist am Einfachsten.

Man darf die zeit einfach nicht aus heutiger Sicht sehen. Wir finden in weiten Landesteilen damals genau genommen nur kleine Siedlungen mit Bauern, behrrscht von Edelleuten, die aber auch sehr primitiv lebten verglichen mit späteren Zeiten. Und im Großen und Ganzen war das Ganze erst einmal auf Selbstversorgung ausgerichtet.
Eine Kirche gab es noch gar nicht im 7. und zu Beginn des 8. Jahrhunderts in weiten Landesteilen. Die Germanen waren heiden - auch die, die die die Römer aus ihren Gebieten vertrieben hatten. Der fränkische König Chlodewig nahm erst spät das Christentum an und wohl auch mehr aus taktischen Gründen. Und das sagt noch lange nichts aus über eine Missionierung des ganzen Landes und die durchgängige gründung von Klöstern und Kirchen - dazu kam es wohl erst Ende des 8. Jahrhunderts. Von den Sachsen wissen wir zum beispiel, daß erst Karl der Große das Land in einem sehr langwierigen Kampf eroberte und diese zwangsweise taufen lies - nicht gerade ein Anlaß für die Frischbekehrten, sich dem neuen Glauben mit Hingabe zu widmen. Auch die Bekehrung der Thüringer durch Bonifazius geschah nicht viel früher. Die moderne geschichtsschreibung hegt auch große Zweifel, ob im Rheinland das Christentum kontinuierlich betzsand von der Römerzeit her hatte oder ob es nicht doch eher zu einer Neubekehrung nach einer längeren Pause kam. Zwar führen sich manche Kirchen und Gemeinden bis auf die Römer zurück - nur so richtig historisch belegbar ist das wohl nur selten, da ist oft doch mehr der Wunsch nach möglichst langer Tradition der Vater des Gedankens.
531-33 wurde das Reich der Thüringer durch die Franken erobert. Das problem ist nur, daß die fränkische Herrschaft so gut wie keine Spuren hinterlassen hat. Angesichts der geringen Möglichkeiten, eine straffe herrschaft über größere Entfernungen überhaupt auszuüben, dürfte es sich hier nur um eine sehr lockere Bindung gehandelt haben - ein wirkliches Gefühl von gemeinschaft ergab sich daraus nicht.
Erst im 8. Jahrhundert begann das sich verbreitende Christentum, eine Art Klammer zu bilden für das Ganze. Ab da entstanden Klöster und Bischhofsitze, die auch administrative Aufgaben übernahmen und ab da konnte dann auch die geistliche Hierarchie als Bindeglied dienen. Damit entsand dann auch der erste Fernhandel wieder, die Menschen begannen, nicht mehr nur das eigene Dorf zu sehen.
Und auf dieser grundlage konnte dann auch Karl der große endlich ein reich errichten, in dem es wirklich so etwas wie eine staatliche Ordnung und auch ein Gefühl von Zusammenhalt gab.
Trotzdem blieben wohl die Bindungen innerhalb der Stämme und der sich dauas entwickelnden Herzogtümer bis zum 10. Jahrhundert wohl das eigentlich bestimmende Bindeglied.

Gernot Geyer

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Danke Euch für Eure Anmerkungen!

„Die Thidrekssaga bietet da einigen
Anschauungsstoff…“

Tja - wohl leider für den GROßTEIL der Gesschichte aus dem Mitelalter, erst recht aus Antike und Spätantike?
Siehe ggf. mehr dazu hier:

http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/www/service.fpl?..

Schriftlich oder nicht … Kapitularien waren ja niedergeschrieben, zu Zeiten Karls…
es waren wohl Rechtsbindungen im Sinne von „Dienst- und Arbeitsanweisungen“…

Inwiefern geben die Kapitularien Einblick in die „Mentalität“ dieser Zeit?
Wohl vor alem im Verhältnis von Freien zu Unfreien und Hörigen…

Es sind Quellen der FRÄNKISCHEN Geschichte - also nicht übertragbar auf andere „Regionnen“? Karolinger und wo noch?

Übrigens war es nicht SO wichtig, dass ein König sie „unterschrieb“, wichtiger war ihre Nutzbarkeit für die Anwendung, ihre PRAKTISCHE Geltung stand im Vordergrund.

Wirkung erziellten die Kapitularien erst wenn sie „publik“ genmcht wurden (Königsboten- mündliche „Ausrufung“)