Vermischung von Glaube und ´Geschichte´
Hi.
Die Geschichte des Christentums ist für jede historische
Forschung offen wie alle anderen Gebiete auch.
Ich vermute, Du meinst den christlichen Glauben und seinen
Anspruch auf Wahrheit.
Das solltest Du aber nicht mit der Kirchengeschichte
vermischen.
Christlicher Glaube und Kirchengeschichte vermischen sich aber dort, wo kirchengeschichtliche Daten historisch nicht objektiv gesichert sind. Das betrifft das komplette 1. Jh. und den Anfang des 2. Jh… Für diesen Zeitraum liegen keine zuverlässigen außerchristlichen Textzeugnisse über Personen oder Ereignisse vor, die dem Christentum zugeordnet werden können. Ebenso wenig gibt es archäologische Hinweise auf die Existenz eines Christentums im 1. Jh… Die kanonischen Evangelien können ebenfalls nicht zuverlässig in das 1. Jh. oder den Beginn des 2. Jh. datiert werden, sie sind historisch erst ab ca. 180 (Irenäus von Lyon) bezeugt. Die konventionelle Datierung (Mk ab 70 usw.) ist willkürlich und scheint nur dem Zweck zu dienen, die Texte möglichst nahe an die angebliche Lebenszeit des angeblichen Religionsgründers heranzurücken. ´70´ gilt als untere Grenze, weil in Mk 13,2, nach Ansicht der meisten Exegeten, auf die Zerstörung Jerusalems (im Jahr 70) Bezug genommen wird.
Daraus folgt: Alle ´kirchengeschichtlichen´ Aussagen über Personen und Ereignisse des 1. Jahrhunderts sind per se Glaubensaussagen , d.h. sie stützen sich nicht auf fundierte Daten, sondern auf das Vertrauen in den Wahrheitsgehalt christlicher Glaubenszeugnisse (Evangelien, Paulusbriefe, Apostelgeschichte).
Dass der historische Gehalt der Evangelien fragwürdig ist, weil es den Autoren weniger um historische Genauigkeit als um die Vermittlung von ´Glaubenswahrheiten´ ging, bestätigen auch viele Theologen, darunter Küng. Die Frage ist, was nach der Entmythologisierung dieser Texte noch übrig bleibt. Gibt es einen historischen Kern im mythologischen Fruchtfleisch (Jesus hat existiert), oder gleichen sie eher einer Zwiebel ohne Kern (Jesus hat nicht existiert)? War vielleicht eine andere jüdische Gestalt aus den Jahrzehnten vor der Zeitenwende das Modell für die (evt.) fiktionale Jesusfigur?
Für die Existenz des Jesus liegen folgende außerchristliche (vermeintliche) Zeugnisse vor:
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zwei Stellen bei Flavius Josephus (Ant 20,200 und Ant 18,63-63 im Testimonium Flavianum)
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eine Stelle bei Tacitus (Ann 15,44)
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ein brieflicher Bericht von Plinius d.J.
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zwei Stellen bei Sueton (Suet. Claud. 25,4 und Suet. Nero 16,2)
Leider können diese Zeugnisse einer kritischen Prüfung nicht hundertprozentig standhalten, sie können sehr wohl auch spätere christliche Interpolationen sein und daher als fragwürdig gelten.
Die Paulusbriefe sind historisch erst ab ca. 140 belegt. Inhaltlich stehen sie nur in minimalem historischen Bezug zur Jesusgestalt. Abgesehen davon, dass ´Paulus´ also nicht als Augenzeuge für die Existenz des Jesus gelten kann, ist er auch selbst nicht historisch gesichert.
Bis einschließlich Soterus (Mitte 2. Jh.) sind alle in der katholischen Kirchengeschichte aufgeführten Bischöfe von Rom historisch ungesichert. Das betrifft im einzelnen folgende ´Personen´:
Petrus, Linus, Anaklet, Clemens I., Evaristus, Alexander I., Sixtus I., Telesphorus, Hyginus, Pius I., Anicetus und Soterus.
Zu Petrus:
Es gibt weder einen zuverlässigen archäologischen noch einen zuverlässigen Textbeweis für die Existenz dieser Gestalt. Dass unter dem Altar des Petersdoms eine alte Gedächtnisstätte gefunden wurde, beweist nur, dass es diese Gedächtnisstätte gab, nicht aber, wessen Gedächtnis gepflegt wurde. Der von Pius XII. mit der Untersuchung beauftragte deutsche Prälat Ludwig Kaas kam - es kann nicht überraschen - zu den Ergebnis, dass es sich um das Petrusgrab handele. Objektiven wissenschaftlichen Kriterien hält dieser Befund allerdings null stand und wird dementsprechend von der Wissenschaft nicht anerkannt. Weder ist nachweisbar, dass das Grab überhaupt aus dem 1. oder 2. Jh. stammt, noch gibt es Hinweise auf einen christlichen Kontext.
Die angeblichen Hinweise auf Petrus in den Briefen von Clemens, Ignatius und Petrus himself beweisen ebenfalls nichts, da die gegen sie erhobenen Fälschungsvorwürfe (im Falle der Petrusbriefe mit breitem Konsens) nicht überzeugend entkräftet werden können. Vermutlich wurde die Legende um Petrus incl. Romaufenthalt von römischen Klerikern im 2. Jh. gestrickt, um auf der Grundlage einer behaupteten apostolischen Nachfolge (in Gestalt des Bischofs von Rom) Anspruch auf das Primat über die Kirche zu erlangen bzw. zu festigen. Da kann es auch nicht überraschen, dass die Ausschmückung der Petrusfigur zum himmlischen Torwächter dem römischen Gott Janus nachempfunden wurde, welcher die Tore des Himmels öffnet und schließt.
Chan