Hallo Mevius,
„Das Leben von Jesus ist historisch weit besser bezeugt als
der Feldzug von Caesar gegen die Gallier.“
Meine Frage lautet simpel: Ist das wahr?
nein, das ist blanker _ bullshit _ - um diesen hier wirklich passenden, von Harry G. Frankfurt in den geisteswissenschaftlichen Diskurs eingeführten Begriff zu bemühen.
Das Leben von Jesus ist historisch überhaupt nicht belegt - was nun freilich nicht heißen soll, es sei sinnvoll zu bezweifeln, er habe überhaupt gelebt. Nur gibt es da eben nichts im historischen Sinne ‚Bezeugtes‘. Selbst wenn man die Evangelien als ernstzunehmende historische Quellen zum Leben des Rabbi Jeschua ansehen will (ernst zu nehmen sind sie selbstredend als Quellen für die Genese der christlichen Religion), so sind diese doch weder zeitgenössisch noch von Augenzeugen verfasst sondern bestenfalls Zeugnisse aus 2. Hand (wenn nicht 3., 4. …).
Die historische Ahnungslosigkeit des Rezensenten zeigt sich schon darin, dass er vom „Feldzug von Caesar gegen die Gallier“ spricht - welchen meint er denn da? Caesar war 10 Jahre Prokonsul in Gallien und führte dort acht größere Feldzüge. Immerhin haben wir hier eine zwar in vielerlei Hinsicht kritisch zu wertende, aber doch zeitgenössische Quelle - nämlich Caesars Commentarii - sowie handfeste archäologische Nachweise, an denen die Zuverlässigkeit (bzw. partielle Unzuverlässigkeit) der Commentarii überprüfbar ist. Bei den Commentarii gilt dasselbe wie bei allen propagandistischen Rechenschaftsberichten (und nichts anderes waren die Commentarii) - man darf nicht zu dreist lügen, sonst erreicht man das Gegenteil dessen, was man will. Immerhin gab es ja eine Menger römischer Zeugen (genau gesagt: 10 Legionen plus Tross plus touristische ‚Schlachtenbummler‘ aus der römischen Oberschicht, Sklavenhändler, Heereslieferanten …), die Cäsar in vielem der Lüge hätten überführen können. Ob nun aber ein jüdischer Rabbi in einem obskuren galiläischen Dorf einer Besessenen die bösen Geister austrieb und diese Schweine fahren ließ oder in Gegenwart einiger Fischer übers Wasser lief - welcher Proselyt in Korinth oder Rom hätte eine solche Geschichte überprüfen können?
Was nun die oft angeführten außerchristlichen Quellen zu Jeschua angeht - Tacitus, Sueton, Flavius usw. - so sind sie in biographischer Hinsicht völlig wertlos und überdies ebenfalls nicht zeitgenössisch. Sie wurden im religionswissenschaftlichenn Brett schon wiederholt diskutiert.
Das sog. Testimonium Flavianum - eine dreiste Fälschung, um 300 u.Z. eingefügt. Wir wissen das durch Origenes, der in Contra Celsum 47.1 über Josephus Flavius schreibt: „Und wenn auch dieser selbe Schriftsteller Jesus nicht als Messias anerkennt …“ - während an der Stelle, auf die er sich bezieht, (Antiquitates Judaicae XVIII 3,3) in heutigen Ausgaben steht: „Er war der Messias.“
Offensichtlich stand das so bei Origines noch nicht - die Stelle ist eindeutig erst um 300 u.Z. (vermutlich durch Eusebius) in den Text gekommen. Gleichermaßen unwahrscheinlich ist es, das Flavius Josephus als bekennender Pharisäer so etwas geschrieben haben soll:
„Er erschien ihnen nämlich am dritten Tage wieder lebend, wie gottgesandte Propheten neben tausend anderen wunderbaren Dingen von ihm verkündet hatten.“ - kein rechtgläubiger Jude (und das war Josephus) hätte so etwas 93 u.Z. geschrieben. In welchem Ausmaß ansonsten noch an der Stelle herumgefälscht wurde, ist strittig. Dass Flavius Josephus in seinem Originalwerk weder Jesus als Messias bezeichnet hat noch eine Auferstehung nach drei Tagen berichtet oder geglaubt hat hingegen nicht. Gerade an der zweiten Stelle bei Flavius Josephus, die gerne als Beleg angeführt wird (XX, 9,1) schreibt Josephus dann ja auch vom „Bruder Jesu, des sogenannten Christus“.
Die Erwähnung bei Tacitus („Dieser Name leitete sich von Christus ab, der unter der Regierung des Tiberius durch den Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet worden war“) gibt lediglich her, dass es im Jahr 64 u.Z. eine aus Judäa stammende, in üblem Ruf stehende religiöse Gemeinschaft in Rom gab, die sich auf einen ‚Christus‘ berief, der durch Pontius Pilatus hingerichtet wurde. Tacitus gibt offensichtlich lediglich wieder, was er von bzw. über Christen gehört hat. Letztere Behauptung (die Hinrichtung durch den *Prokurator* Pilatus) hielt Tacitus eindeutig für zutreffend, auch wenn er diese Angabe offensichtlich nicht überprüfte - sonst wäre ihm (der selbst in der kaiserlichen Verwaltung tätig war) nämlich aufgefallen, dass Pontius Pilatus gar nicht Prokurator war, sondern vielmehr kaiserlicher Präfekt. Ein zwar für galiläische Fischer sicherlich marginaler Unterschied - nicht aber für einen römischen Senator und Historiker.
Auch bei Sueton handelt es sich lediglich um einen einzigen Satz in der Vita Claudii 25,4: „Da die Juden unter ihrem Anführer Chrestos beständig Unruhe stifteten, vertrieb er sie aus Rom.“ Kaiser Claudius, wohlgemerkt, nicht Tiberius. Die Vertreibung fällt vermutlich in das Jahr 50, vgl. Apostelgeschichte 18, 1-2: „Danach verließ Paulus Athen und kam nach Korinth und fand einen Juden mit Namen Aquila, aus Pontus gebürtig; der war mit seiner Frau Priszilla kürzlich aus Italien gekommen, weil Kaiser Klaudius allen Juden geboten hatte, Rom zu verlassen. Zu denen ging Paulus.“
Chrestos wird manchmal als Schreibfehler oder sog. Itazismus bezeichnet und es wird behauptet, es sei eigentlich Christus gemeint. ‚Chrestos‘ ist aber auch ein epigraphisch gut belegter zeitgenössischer Name, der vor allem von griechischstämmigen Freigelassenen oder Sklaven getragen wurde. Also: entweder müssen wir davon ausgehen, dass mit ‚Chrestos‘ eigentlich 'Christus gemeint ist - dann lebte der im Jahr 50 u.Z. immer noch, und zwar als ‚Anführer der Juden‘ in Rom. Wir haben keinen Grund anzunehmen, dass Sueton hier von einem ‚Anführer der Juden‘ (was in Bezug auf Jesus ohnehin höchst seltsam wäre) spricht, der etwa 20 Jahren früher im weit entfernten Judäa hingerichtet wurde - das steht da schlicht und einfach nicht. Oder aber es handelt sich um einen Juden (Christen wurden noch nicht von ihnen unterschieden) mit dem durchaus nicht unüblichen griechischen Namen Chrestos (man vergleiche den Juden in der Apostelgeschichte mit dem römischen Namen ‚Aquila‘), der in Rom Unruhe stiftete. Setzt man Ockhams Messer an, muss man wohl oder übel von Letzterem ausgehen.
Kommen wir zum nächsten „historischen Zeugen“, den Syrer Mara Bar Serapion. Da sind wir übrigens schon im 2. Jahrhundert, der Mann wurde 73 geboren. In Mara Bar Serapions Brief an seinen Sohn heisst es: „Was hatten die Juden davon, dass sie ihren weisen König umbrachten? Ganz kurze Zeit darauf wurde ihr Königtum abgeschafft. […]Und auch der weise König der Juden starb nicht umsonst; er lebt weiter in der Lehre, die er verkündet hat.“
Offenbar hält Mara den ‚weisen König‘, von dem hier die Rede ist (und mit dem möglicherweise tatsächlich Jeschua gemeint ist), für ein Mitglied der Hasmonäer-Dynastie - die Nachkommen Herodes des Großen waren bekanntlich die letzten ‚Könige der Juden‘, bis die Römer im Jahre 54 das ‚Königtum‘ engültig abschafften. Als Quellenbeleg für historische Fakten ist auch dieses Zitat wohl kaum zu verwenden. Wenn Mara hier tatsächlich über Jeschua schreiben sollte, hatte er jedenfalls recht wenig Ahnung von dessen Herkunft und Leben - da er das mit dem ‚König der Juden‘ offensichtlich wörtlich nimmt. Was nicht ganz der Komik entbehrt, wenn man so jemanden als historischen Zeugen benennt.
Noch wunderlicher der „Gewährsmann“ Julius Africanus (ca. 160/170 - nach 240 u.Z.), der in seiner Chronographie (18,1) den samaritanischen Historiker Thallos indirekt(!) zitiert. Insofern ist das auch allenfalls ein indirekter Belg dafür, dass Thallos über die Sonnenfinsternis vom 24.11.29 schrieb - und sie auch als solche bezeichnet: „Thallus erklärt im dritten Buch seiner ‚Geschichte‘ die Dunkelheit als eine Sonnenfinsternis - was mir unbegründet erscheint.“
Natürlich erscheint dies Julius Africanus als unbegründet, weil Jesus ja am Vortag des Pessach-Fest gestorben sein soll, das nicht nur nicht im November stattfindet, sondern obendrein bei Vollmond - wo eine Sonnenfinsternis astronomisch gar nicht möglich ist. Ob Thallos’ Erwähnung der Sonnenfinsternis des Jahres 29 tatsächlich auf die in den Evangelien berichtete Verfinsterung bezogen war und sie als natürliches Ereignis erklären wollte (wie Julius Africanus es versteht oder verstanden haben will), geht aus dem ‚Zitat‘ jedenfalls nicht hervor. Übrigens - selbst wenn man das irgendwie als historisches Zeugnis für den Rabbi Jeschua nehmen will, was ich nicht so ganz nachvollziehen kann - schrieb auch Thallos seine (verlorengegangene) Geschichte erst nach 52, also nicht als Zeitgenosse.
Um Missverständnissen vorzubeugen - die genannten ‚Zeugnisse‘ sind keine Auswahl - mehr als das gibt es nicht. Jedenfalls nicht in dieser zeitlichen Nähe zu den in den Evangelien berichteten Ereignisen.
Freundliche Grüße,
Ralf