Geschichtlichkeit von Jesus

Hallo,

in einer Amazon-Rezension las ich heute folgenden Satz:

„Das Leben von Jesus ist historisch weit besser bezeugt als der Feldzug von Caesar gegen die Gallier.“

Meine Frage lautet simpel: Ist das wahr? Es geht mir ausdrücklich um die rein historische Authentizität, unabhängig von Glaubensfragen. Auch und besonders interessiert mich, wie sich historisch Situationen feststellen lassen, in denen es außer Jesus selbst keine Zeugen gab (Mk 1,12-13; Lk 4,1-13). Auch würde mich interessieren, ob die seinerzeit wohl bestehende Häufigkeit des Namens Jesus besondere Probleme aufwirft und ob, davon unabhängig, verschiedene Wanderprediger zu Unrecht als Jesus identifiziert worden sein könnten.

Vielen Dank!
Mevius

Hallo,

„Das Leben von Jesus ist historisch weit besser bezeugt als
der Feldzug von Caesar gegen die Gallier.“
Meine Frage lautet simpel: Ist das wahr?

Nein, das ist Unsinn. Der Gallische Krieg ist sehr gut belegt, u.a. durch Ausgrabungen. Man weiß, dass die Schlachten, die Cäsar in De Bello Gallico erwähnte, stattgefunden haben. Man kann nachweisen, dass die Schilderungen Cäsars über den Verlauf des Krieges im wesentlichen Kern korrekt sind. Und wie würdest du ohne den gallischen Krieg die römische Eroberung des heutigen Frankreichs erklären? In dieser Zeit entstanden schließlich eine ganze Reihe von römischen Städten und Lagern.

Dagegen ist über das Leben Jesu historisch gesehen ziemlich wenig bekannt, außer dass er als Prediger gelebt hat und von Pontius Pilatus hingerichtet wurde. Aber auch das ist ja nur aus Quellen belegt, die erst Jahrzehnte nach Jesus Tod geschrieben wurden. Von Geschichtsschreibern die zu seiner Zeit lebten, wurde Jesus nicht erwähnt. Ausgrabungen oder wirkliche harte Funde gibt es keine, man ist also rein auf Überlieferungen angewiesen. Inwiefern diese aber einfach christliche Überlieferungen übernommen haben, oder ob das wirklich auf unabhängigen Quellen beruht, ist unklar.

vg,
d.

Hallo Mevius,

„Das Leben von Jesus ist historisch weit besser bezeugt als
der Feldzug von Caesar gegen die Gallier.“

Die Aussage ist ein bisschen wahr, aber natürlich ziemlich zugespitzt.

Nehmen wir einmal an, wir verwerfen alle christlichen Quellen über das Leben Jesu als voreingenommen und möglicherweise Teil einer umfassenden Verschwörungstheorie. Da bleiben uns aber noch ein paar weitere Erwähnungen, von denen die bekanntesten die von Josephus Flavius und von Tacitus sind. Beide erwähnen, dass es einen Mann namens Jesus gab, der von Pilatus wegen Aufrührerei hingerichtet wurde und der immer noch Ärger stiftende Anhänger hat.
Was dort nirgendwo steht ist, dass er der Sohn Gottes war, Wunder tat, predigte, usw. Das ist aus außerchristlicher Sichtweise Spekulation. Ja wir wissen nicht einmal, ob nicht Josephus und Tacitas unabsichtlich aus christlichen Quellen schöpften.

Wollten wir etwas vom Gallischen Krieg erfahren ohne römische Quellen in Betracht zu ziehen, so hätten wir keine Chance. Die Gallier hatten keine schriftliche Kultur. Wenn Cäsar die Ereignisse um Alesia nur gut erfunden hat, dann gibt es keine Chance dies zu widerlegen. Und es gibt genügend Anhaltspunkte, dass Cäsar im Gallischen Krieg manches geschönt dargestellt hat. Und es gibt nur Cäsars Bericht.

Aber betrachten wir aber einmal die Hauptaussagen des Gallischen Krieges und des Leben Jesu:

Im Gallischen Krieg steht, dass Cäsar Gallien strategisch geschickt erobert hat. Nun, Gallien wurde während Cäsars Prokonsulat römische Provinz, das lässt sich nicht bestreiten. Es gab einen Triumpfzug bei dem ein feindlicher Anführer namens Vercingetorix mitgeführt wurde. Damit entspricht Cäsars Bericht schonmal in Grundzügen der Wahrheit. Ob nun er der große Held war, oder seinen Legaten die Haupterfolge zu verdanken waren, darüber dürfte spekuliert werden.

Würde die Kernaussage des Neuen Testaments sein, dass es irgendeinen Menschen namens Jehoshua gegeben hat, der Ärger mit der römischen Besatzung bekam und am Kreuz hingerichtet wurde, so würde ich sagen, dass diese fast hundertprozentig sicher bestätigt ist. Aber in der Bibel geht es ja um viel viel mehr. Alles was hinsichtlich des Tuns Jesu, seiner Lehre, seiner Herkunft und der christlichen Ethik überliefert ist (also eigentlich alles Wesentliche), lässt sich nicht historisch belegen; es bleibt Glaubenssache.

Also stimmt die obige Aussage einerseits und andererseits ist sie falsch.

Gruß
Hardey

Hallo Mevius,

„Das Leben von Jesus ist historisch weit besser bezeugt als
der Feldzug von Caesar gegen die Gallier.“

Meine Frage lautet simpel: Ist das wahr?

nein, das ist blanker _ bullshit _ - um diesen hier wirklich passenden, von Harry G. Frankfurt in den geisteswissenschaftlichen Diskurs eingeführten Begriff zu bemühen.

Das Leben von Jesus ist historisch überhaupt nicht belegt - was nun freilich nicht heißen soll, es sei sinnvoll zu bezweifeln, er habe überhaupt gelebt. Nur gibt es da eben nichts im historischen Sinne ‚Bezeugtes‘. Selbst wenn man die Evangelien als ernstzunehmende historische Quellen zum Leben des Rabbi Jeschua ansehen will (ernst zu nehmen sind sie selbstredend als Quellen für die Genese der christlichen Religion), so sind diese doch weder zeitgenössisch noch von Augenzeugen verfasst sondern bestenfalls Zeugnisse aus 2. Hand (wenn nicht 3., 4. …).

Die historische Ahnungslosigkeit des Rezensenten zeigt sich schon darin, dass er vom „Feldzug von Caesar gegen die Gallier“ spricht - welchen meint er denn da? Caesar war 10 Jahre Prokonsul in Gallien und führte dort acht größere Feldzüge. Immerhin haben wir hier eine zwar in vielerlei Hinsicht kritisch zu wertende, aber doch zeitgenössische Quelle - nämlich Caesars Commentarii - sowie handfeste archäologische Nachweise, an denen die Zuverlässigkeit (bzw. partielle Unzuverlässigkeit) der Commentarii überprüfbar ist. Bei den Commentarii gilt dasselbe wie bei allen propagandistischen Rechenschaftsberichten (und nichts anderes waren die Commentarii) - man darf nicht zu dreist lügen, sonst erreicht man das Gegenteil dessen, was man will. Immerhin gab es ja eine Menger römischer Zeugen (genau gesagt: 10 Legionen plus Tross plus touristische ‚Schlachtenbummler‘ aus der römischen Oberschicht, Sklavenhändler, Heereslieferanten …), die Cäsar in vielem der Lüge hätten überführen können. Ob nun aber ein jüdischer Rabbi in einem obskuren galiläischen Dorf einer Besessenen die bösen Geister austrieb und diese Schweine fahren ließ oder in Gegenwart einiger Fischer übers Wasser lief - welcher Proselyt in Korinth oder Rom hätte eine solche Geschichte überprüfen können?

Was nun die oft angeführten außerchristlichen Quellen zu Jeschua angeht - Tacitus, Sueton, Flavius usw. - so sind sie in biographischer Hinsicht völlig wertlos und überdies ebenfalls nicht zeitgenössisch. Sie wurden im religionswissenschaftlichenn Brett schon wiederholt diskutiert.

Das sog. Testimonium Flavianum - eine dreiste Fälschung, um 300 u.Z. eingefügt. Wir wissen das durch Origenes, der in Contra Celsum 47.1 über Josephus Flavius schreibt: „Und wenn auch dieser selbe Schriftsteller Jesus nicht als Messias anerkennt …“ - während an der Stelle, auf die er sich bezieht, (Antiquitates Judaicae XVIII 3,3) in heutigen Ausgaben steht: „Er war der Messias.“

Offensichtlich stand das so bei Origines noch nicht - die Stelle ist eindeutig erst um 300 u.Z. (vermutlich durch Eusebius) in den Text gekommen. Gleichermaßen unwahrscheinlich ist es, das Flavius Josephus als bekennender Pharisäer so etwas geschrieben haben soll:
„Er erschien ihnen nämlich am dritten Tage wieder lebend, wie gottgesandte Propheten neben tausend anderen wunderbaren Dingen von ihm verkündet hatten.“ - kein rechtgläubiger Jude (und das war Josephus) hätte so etwas 93 u.Z. geschrieben. In welchem Ausmaß ansonsten noch an der Stelle herumgefälscht wurde, ist strittig. Dass Flavius Josephus in seinem Originalwerk weder Jesus als Messias bezeichnet hat noch eine Auferstehung nach drei Tagen berichtet oder geglaubt hat hingegen nicht. Gerade an der zweiten Stelle bei Flavius Josephus, die gerne als Beleg angeführt wird (XX, 9,1) schreibt Josephus dann ja auch vom „Bruder Jesu, des sogenannten Christus“.

Die Erwähnung bei Tacitus („Dieser Name leitete sich von Christus ab, der unter der Regierung des Tiberius durch den Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet worden war“) gibt lediglich her, dass es im Jahr 64 u.Z. eine aus Judäa stammende, in üblem Ruf stehende religiöse Gemeinschaft in Rom gab, die sich auf einen ‚Christus‘ berief, der durch Pontius Pilatus hingerichtet wurde. Tacitus gibt offensichtlich lediglich wieder, was er von bzw. über Christen gehört hat. Letztere Behauptung (die Hinrichtung durch den *Prokurator* Pilatus) hielt Tacitus eindeutig für zutreffend, auch wenn er diese Angabe offensichtlich nicht überprüfte - sonst wäre ihm (der selbst in der kaiserlichen Verwaltung tätig war) nämlich aufgefallen, dass Pontius Pilatus gar nicht Prokurator war, sondern vielmehr kaiserlicher Präfekt. Ein zwar für galiläische Fischer sicherlich marginaler Unterschied - nicht aber für einen römischen Senator und Historiker.

Auch bei Sueton handelt es sich lediglich um einen einzigen Satz in der Vita Claudii 25,4: „Da die Juden unter ihrem Anführer Chrestos beständig Unruhe stifteten, vertrieb er sie aus Rom.“ Kaiser Claudius, wohlgemerkt, nicht Tiberius. Die Vertreibung fällt vermutlich in das Jahr 50, vgl. Apostelgeschichte 18, 1-2: „Danach verließ Paulus Athen und kam nach Korinth und fand einen Juden mit Namen Aquila, aus Pontus gebürtig; der war mit seiner Frau Priszilla kürzlich aus Italien gekommen, weil Kaiser Klaudius allen Juden geboten hatte, Rom zu verlassen. Zu denen ging Paulus.“

Chrestos wird manchmal als Schreibfehler oder sog. Itazismus bezeichnet und es wird behauptet, es sei eigentlich Christus gemeint. ‚Chrestos‘ ist aber auch ein epigraphisch gut belegter zeitgenössischer Name, der vor allem von griechischstämmigen Freigelassenen oder Sklaven getragen wurde. Also: entweder müssen wir davon ausgehen, dass mit ‚Chrestos‘ eigentlich 'Christus gemeint ist - dann lebte der im Jahr 50 u.Z. immer noch, und zwar als ‚Anführer der Juden‘ in Rom. Wir haben keinen Grund anzunehmen, dass Sueton hier von einem ‚Anführer der Juden‘ (was in Bezug auf Jesus ohnehin höchst seltsam wäre) spricht, der etwa 20 Jahren früher im weit entfernten Judäa hingerichtet wurde - das steht da schlicht und einfach nicht. Oder aber es handelt sich um einen Juden (Christen wurden noch nicht von ihnen unterschieden) mit dem durchaus nicht unüblichen griechischen Namen Chrestos (man vergleiche den Juden in der Apostelgeschichte mit dem römischen Namen ‚Aquila‘), der in Rom Unruhe stiftete. Setzt man Ockhams Messer an, muss man wohl oder übel von Letzterem ausgehen.

Kommen wir zum nächsten „historischen Zeugen“, den Syrer Mara Bar Serapion. Da sind wir übrigens schon im 2. Jahrhundert, der Mann wurde 73 geboren. In Mara Bar Serapions Brief an seinen Sohn heisst es: „Was hatten die Juden davon, dass sie ihren weisen König umbrachten? Ganz kurze Zeit darauf wurde ihr Königtum abgeschafft. […]Und auch der weise König der Juden starb nicht umsonst; er lebt weiter in der Lehre, die er verkündet hat.“

Offenbar hält Mara den ‚weisen König‘, von dem hier die Rede ist (und mit dem möglicherweise tatsächlich Jeschua gemeint ist), für ein Mitglied der Hasmonäer-Dynastie - die Nachkommen Herodes des Großen waren bekanntlich die letzten ‚Könige der Juden‘, bis die Römer im Jahre 54 das ‚Königtum‘ engültig abschafften. Als Quellenbeleg für historische Fakten ist auch dieses Zitat wohl kaum zu verwenden. Wenn Mara hier tatsächlich über Jeschua schreiben sollte, hatte er jedenfalls recht wenig Ahnung von dessen Herkunft und Leben - da er das mit dem ‚König der Juden‘ offensichtlich wörtlich nimmt. Was nicht ganz der Komik entbehrt, wenn man so jemanden als historischen Zeugen benennt.

Noch wunderlicher der „Gewährsmann“ Julius Africanus (ca. 160/170 - nach 240 u.Z.), der in seiner Chronographie (18,1) den samaritanischen Historiker Thallos indirekt(!) zitiert. Insofern ist das auch allenfalls ein indirekter Belg dafür, dass Thallos über die Sonnenfinsternis vom 24.11.29 schrieb - und sie auch als solche bezeichnet: „Thallus erklärt im dritten Buch seiner ‚Geschichte‘ die Dunkelheit als eine Sonnenfinsternis - was mir unbegründet erscheint.“

Natürlich erscheint dies Julius Africanus als unbegründet, weil Jesus ja am Vortag des Pessach-Fest gestorben sein soll, das nicht nur nicht im November stattfindet, sondern obendrein bei Vollmond - wo eine Sonnenfinsternis astronomisch gar nicht möglich ist. Ob Thallos’ Erwähnung der Sonnenfinsternis des Jahres 29 tatsächlich auf die in den Evangelien berichtete Verfinsterung bezogen war und sie als natürliches Ereignis erklären wollte (wie Julius Africanus es versteht oder verstanden haben will), geht aus dem ‚Zitat‘ jedenfalls nicht hervor. Übrigens - selbst wenn man das irgendwie als historisches Zeugnis für den Rabbi Jeschua nehmen will, was ich nicht so ganz nachvollziehen kann - schrieb auch Thallos seine (verlorengegangene) Geschichte erst nach 52, also nicht als Zeitgenosse.

Um Missverständnissen vorzubeugen - die genannten ‚Zeugnisse‘ sind keine Auswahl - mehr als das gibt es nicht. Jedenfalls nicht in dieser zeitlichen Nähe zu den in den Evangelien berichteten Ereignisen.

Freundliche Grüße,
Ralf

Hallo!

Obwohl ich die fachliche Qualität deines Postings, für das ich mich bedanke, nicht beurteilen kann, weshalb ich mich eigentlich hüten sollte, dich zu sehr zu loben, muss ich gestehen, von dem fachlichen Eindruck, den du jedenfalls erweckst, geradezu erschlagen zu sein. Was muss man eigentlich in seinem Leben studiert oder gelesen haben, um das alles zu wissen?

Das Leben von Jesus ist historisch überhaupt nicht belegt -
was nun freilich nicht heißen soll, es sei sinnvoll zu
bezweifeln, er habe überhaupt gelebt.

Woran machst du denn fest, ob es sinnvoll oder sinnlos ist?

Nur gibt es da eben
nichts im historischen Sinne ‚Bezeugtes‘. Selbst wenn man die
Evangelien als ernstzunehmende historische Quellen zum Leben
des Rabbi Jeschua ansehen will (ernst zu nehmen sind sie
selbstredend als Quellen für die Genese der christlichen
Religion)

Mit solchen Aussagen habe ich Verständnisschwierigkeiten. Aber die gehören natürlich nicht ins Brett Geschichte. Glücklicher Zufall: Unter dem Stichwort „Bibel: Tatsachenschilderung vs. Glaubensinhalt“ thematisiere ich meine Verständnisschwierigkeiten derzeit im Religionsbrett.

Die Abkürzung „u.Z.“ soll bei dir wohl „unsere Zeitrechnung“ sein. Das habe ich, glaube ich, noch nie gelesen. Neutralität in höchster Konsequenz?

Viele Grüße
Mevius

Hallo Mevius,

Woran machst du denn fest, ob es sinnvoll oder sinnlos ist?

nun - offensichtlich ist im frühen 1. Jahrhundert u.Z. eine jüdische Sekte entstanden, die einen Wanderprediger aus Galiläa als Messias verehrte und sich in dieser Auffassung auch durch dessen unrühmlichen Tod nicht beirren ließ. Aus dieser Sekte entwickelte sich bekanntlich recht schnell eine eigenständige Religion - vor allem durch die evidente Notwendigkeit, Funktion und Wirken des Messias grundlegend anders zu definieren als bislang in der jüdischen Religion üblich. Es gibt keinen vernünftigen Grund, an der tatsächlichen Existenz dieses Wanderpredigers zu zweifeln - auch wenn sie historisch nicht nachweisbar ist. Dass der Rabbi Jeschua (dessen tatsächliche Existenz eben nicht sicher, aber hoch wahrscheinlich ist) in vielem sehr anders war, als ihn die Evangelien schildern, ist für mich ebenso wahrscheinlich - und ebenso wenig beweisbar.

Nun kann man natürlich der Auffassung sein, eine solche Gründergestalt habe nie wirklich existiert sondern sei reine Erfindung. Es gibt ja Menschen, die durchaus dieser Auffassung sind - aber ich halte sie für sinnlos, weil sie zusätzliche grundlose Annahmen voraussetzt, die wiederum (selbst wenn sie zutreffen sollten) keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn bringen.

Nur gibt es da eben
nichts im historischen Sinne ‚Bezeugtes‘. Selbst wenn man die
Evangelien als ernstzunehmende historische Quellen zum Leben
des Rabbi Jeschua ansehen will (ernst zu nehmen sind sie
selbstredend als Quellen für die Genese der christlichen
Religion)

Mit solchen Aussagen habe ich Verständnisschwierigkeiten. Aber
die gehören natürlich nicht ins Brett Geschichte.

Selbstverständlich gehören sie in dieses Brett. Gemeint war: natürlich sind die neutestamentarischen Texte nicht nur religiöse, sondern auch historische Quellen. Nur eben in Bezug auf die Biographie des Religionsstifters keine verläßlichen - das war ja auch gar nicht ihr Sinn, sie waren nie als Biographie oder Geschichtsschreibung gedacht. Das ist der Unterschied zwischen Bio graphie und Hagio graphie.

Die Abkürzung „u.Z.“ soll bei dir wohl „unsere Zeitrechnung“
sein.

Kuckstu hier: http://de.wikipedia.org/wiki/V._u._Z.

Freundliche Grüße,
Ralf

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Hallo,

nur eine kleine Korrektur: Der Wikipedialink funktioniert so nicht. Hier ein funktionierender Link auf den Artikel.
http://de.wikipedia.org/wiki/Vor_unserer_Zeitrechnung

vg,
d.

Es war nicht Sinn der Evangelien, historisch verlässlich zu sein? Das ist genau das, was ich nicht verstehe. Konsequent gedacht, würde das doch bedeuten: Die Evangelien behaupten den Kreuztod Jesu als Erlösertod; an ihn zu glauben, ist maßgebliche Voraussetzung dafür, Christ zu sein; die Evangelisten schreiben das einfach mal auf, obwohl das alles historisch und damit tatsächlich gar nicht stimmen muss. Wichtig ist nur, dass die Christen den Sühnetod Jesu glauben, egal, ob er nun stattgefunden hat oder nicht.

So meinst du es doch vermutlich nicht, wenn du sagst, historische Verlässlichkeit sei für die Evangelisten nicht relevant gewesen, oder? Nur - wie dann? Ich könnte verstehen, wenn die Evangelisten schon historisch authentisch schreiben wollten und ihre Aussagen auch für wahr nahmen, nur dass sie eben lediglich das, was für den Glauben relevant ist, aufschrieben (insofern: keine Biographie). Auch das stimmt aber nicht, weil auch letztlich irrelevante Dinge behauptet werden, wie etwa der Geburtsort Jesu, der doch keine Rolle für den Kreuztod spielt. Also kannst du das auch nicht gemeint haben.

Bliebe, dass es so etwas wie religiöse Wahrheiten gibt, die mit der Historie nicht übereinstimmen. Meinst du vielleicht so etwas? Dann müsste ein Christ nicht glauben, dass Jesus wirklich für die Sünden aller Menschen am Kreuz gestorben ist, er müsste es aber zeitgleich für eine Art religiöse Wahrheit halten. Das fände ich nun sehr widersprüchlich.

Ich bin gespannt - wie meinst du es?

Letzte Bemerkung: Ich lese immer wieder von Christen, die gerade deswegen Christen sind, weil sie es für bezeugte Wahrheit halten, dass Jesus Wunder tat und dass er nach der Kreuzigung wieder auferstanden ist. Ich verstehe es so, als ginge es ihnen darum, dass es „wirklich“ so war. Und wenn es nicht „wirklich“ so war, würden sie vermutlich gar nicht so recht wissen, was genau sie denn dann glauben sollen, um in den Himmel kommen zu können, und mir leuchtet das ehrlich gesagt auch nicht recht ein.

Ist historische Zuverlässigkeit wirklich kein Maßstab der Evangelien?

Hallo,

Ist historische Zuverlässigkeit wirklich kein Maßstab der
Evangelien?

Glaubst du, dass ein Buch der Scientologen objektiv über Scientology berichtet? Wieso sollten die Anhänger Jesu dann objektiv über Jesus berichten? Wieso sollte nicht das ein oder andere „Wunder“ ein bisschen ausgebaut worden sein, damit es eben noch „wunderlicher“ wirkt?

vg,
d.

Es war nicht Sinn der Evangelien, historisch verlässlich zu
sein?

Genau - das Anliegen der Evangelien ist - um christliche Terminologie zu benutzen - ein heilsgeschichtliches, kein geschichtliches. Historische Fakten (oder das, was als solche ausgegeben wird) sind dem heilsgeschichtlichen Anliegen untergeordnet.

Das hier:

Ich könnte verstehen,
wenn die Evangelisten schon historisch authentisch schreiben
wollten und ihre Aussagen auch für wahr nahmen, nur dass sie
eben lediglich das, was für den Glauben relevant ist,
aufschrieben (insofern: keine Biographie). Auch das stimmt
aber nicht, weil auch letztlich irrelevante Dinge behauptet
werden, wie etwa der Geburtsort Jesu, der doch keine Rolle für
den Kreuztod spielt. Also kannst du das auch nicht gemeint
haben.

Ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Der Geburtsort Jesu spielt im Gegenteil eine ganz erhebliche Rolle, weil er die Erfüllung der Prophezeiung ist, dass der Messias (der nach ursprünglichem Verständnis das Königtum des legendären Nationalheroen David wiedererrichten sollte) aus der Stadt Davids kommen sollte - aus Betlehem. Die Evangelisten, die die Geburt Jeschuas in Betlehem berichten, führen nun unterschiedliche Gründe an, warum der Galiläer Jeschua ausgerechnet im (für damalige Verhältnisse) recht weit entfernten judäischen Betlehem geboren wurde - wobei diese Gründe historisch gesehen übrigens nicht stichhaltig sind. Aber - wenn Jeschua der Messias (Christus) ist, muss er eben in Betlehem geboren sein.

Das gleiche gilt für die prophezeite Abstammung des Messias von David - die wird in zwei Evangelien mit Stammbäumen „belegt“. Die allerdings den Schönheitsfehler haben, erheblich voneinander abzuweichen. Aber - wenn Jeschua der Messias (Christus) ist, muss er eben von David abstammen.

Was nicht passt, wird passend gemacht. Nicht mit der bewussten Absicht, zu fälschen, sondern mit der, Andere von dem zu überzeugen, was der Berichterstatter für unumstößlich wahr hält - nämlich dass Jeschua der Messias ist. Das ist die Prämisse, der alles andere untergeordnet wird. Was dazu in Widerspruch steht, muss falsch sein. Was diese Prämisse unterstützt, muss richtig sein. Daher hat man im letzten Fall auch keine Bedenken, derart ‚Richtiges‘ zu konstruieren - sprich, zu erfinden. Heilsgeschichte wird vom Ende her gedacht. Nicht aus den historischen Ereignissen ergibt sich, dass Jeschua der Messias ist, sondern daraus, das Jeschua der Messias ist, ergeben sich Ereignisse, die deswegen stattgefunden haben müssen.

Das ist ein völlig anderer Ansatz als der historische, das „sine ira et studio“ („ohne Zorn und Eifer“ - das heisst ohne Parteilichkeit) des Tacitus. Das ist vielmehr völlig von „Eifer“ durchdrungen und diesem frommen Eifer wird die historische Wahrheit untergeordnet - auch in dem Sinne, dass schlichtes Nichtwissen durch ‚passende‘ Erfindungen ersetzt wird. Was die (freilich nur geglaubte) „Wahrheit“ stützt, muss ebenfalls wahr sein - auch wenn es frei erfunden ist.

Du verstehst den Unterschied zwischen Geschichte und Heilsgeschichte? Ich hatte in diesem Zusammenhang schon auf den Unterschied zwischen Biographie und Hagiographie hingewiesen. Die Hagiographie transportiert eine religiöse Botschaft, die Biographie eine historische. Die Hagiographie bedient sich der Form der Biografie - vermengt aber tatsächliche (historische) biographische Details mit fromm (und frei) erfundenden, legendenhaften. Wenn nun - wie im Fall der Evangelien - echte historische Referenzen fehlen, ist es unmöglich, beides zweifelsfrei voneinander zu trennen. Man kann allenfalls bei einzelnen berichteten ‚biografischen Details‘ auf interne Widersprüche und fehlende Plausibilität verweisen und sie so als wahrscheinlich(!) nur pseudo-biografisch (also als Legende) identifizieren.

Freundliche Grüße,
Ralf

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der Galiläer Jesus

Die Evangelisten, die die Geburt Jeschuas in Betlehem berichten,

Genauer: Zweie der synoptischen Evangelien.

führen nun unterschiedliche Gründe an, warum der Galiläer Jeschua ausgerechnet im (für damalige Verhältnisse) recht weit entfernten judäischen Betlehem geboren wurde - wobei diese Gründe historisch gesehen übrigens nicht stichhaltig sind.
Aber - wenn Jeschua der Messias (Christus) ist, muss er eben in Betlehem geboren sein.

Wogegen nach Johannes (siehe die Episode Joh. 7.40-52) genau das, daß er eben aus Galiläa kam und nicht aus Judäa, der Kern der Auseineandersetzung mit der judäischen, speziell der Jerusalemer, Oberschicht.

freundlichen Gruß
Metapher

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Historische Fakten (oder das, was als solche
ausgegeben wird) sind dem heilsgeschichtlichen Anliegen
untergeordnet.

Leider fällt es mir noch schwer, diese Differenzierung zu verstehen. Unter historischer Authentizität verstehe ich, dass eine behauptete Tatsache wirklich stimmt. Nun scheinen ja zwei Evangelisten zu behaupten, Jesus sei in Bethlehem geboren worden, wofür sie die von dir dargelegten Gründe haben. Mir ist unklar, ob sie nun

  1. davon ausgehen, dass dieser Geburtsort wirklich stimmt, auch wenn sie diesen Schluss nicht auf Grund einer historischen Untersuchung sondern einer angenommenen heilsgeschichtlichen Notwendigkeit ziehen, oder

  2. durchaus sagen, dass dieser Geburtsort historisch unter Umständen falsch ist, im Sinne des Glaubens aber richtig, was eine Art Aufspaltung der Wahrheit bedeuten würde, also eine Art Zwitterstellung.

Das hier klingt für mich wie 1.:

Was nicht passt, wird passend gemacht.

Andererseits würde bei 1. ja die historische Authentizität mit der heilsgeschichtlichen Historie übereinstimmen („Jesus ist in Bethlem geboren worden, das ist heilsgeschichtlich notwendig, und das war auch wirklich so.“), so dass es kein Über-/Unterordnungsverhältnis mehr geben könnte, das du aber ja gerade andeutest. Auch das hier spricht andererseits aber wieder für 1.:

Was dazu in
Widerspruch steht, muss falsch sein.