Geschwister getrennt in Pflegefamilie

Ich habe heute mit Bestürzung von dem Fall des kleinen Tim und seiner
Schwester Vanessa im Fernsehen gesehen (Ich glaube sie sind 2 und 4
Jahre alt). Die beiden wurden vor 9 Monaten ihren alkoholabhängigen
Eltern weggenommen und in eine Pflegefamilie gegeben, in der es ihnen
wohl sehr gut ging. Jetzt kam letzte Woche das Jugendamt auf die
Idee, dass die jetzigen Pflegeeltern mit über 50 viel zu alt wären,
um kleine Kinder zu erziehen und will die Kleinen getrennt in anderen
Familien unterbringen. Die Pflegeeltern sind sehr entsetzt über diese
Maßnahmen, weil sie die Kleinen unbedingt zusammenlassen wollen, auch
wenn sie in eine andere Familie sollen.

Ich frage mich auch, warum das Amt unbedingt die 2 Kleinen
voneinander trennen will, obwohl sie total aneinander hängen und sich
gut verstehen. Zum Wohle der Kinder kann das ja wohl überhaupt nicht
sein. Die Kleinen und die Pflegeeltern tun mir echt leid, dass sie so
eine Amtsbürokratie über sich ergehen lassen müssen. Heute mittag
wird das Urteil in einem Familiengericht gefällt. Ich kann nur
hoffen, dass die Kleinen zusammen aufwachsen können.

Wie ist eure Meinung dazu? Sollte man Geschwister trennen, wenn sie
in Pflegefamilien kommen?

nein
NEIN nicht wenn kein Sonderfall vorliegt

Nein owt

Sollte man Geschwister trennen,
wenn sie
in Pflegefamilien kommen?

Getrenntunterbringung als Chance…(lang)
Hallo Petra,
ich kenne den Fernsehartikel nicht, ich kannte leider nur den BILD- Artikel und war schockiert.
Warum, sage ich gleich.

Du bist selbst Mutter,
da fällt es Dir wie vielen anderen verständlicherweise schwer, Dir vorzustellen, dass kleine Kinder, die nach schwierigsten Erlebnissen im Elternhaus nichts mehr haben als sich selbst, getrennt werden sollen.

Genau darauf zielt derlei Berichterstattung ab.

So wie in der Bild-Zeitung ein Kinderpsychologe zitiert wird, der aussagt, dass es für die Kinder ganz schreckliche Folgen haben kann, wenn sie getrennt werden, so könnten sich mindestens genausoviele Fachleute/ Psychologen/ Therapeuten… finden, die genau das Gegenteil behaupten und begründen könnten.

Schockierend finde ich, wie am Beispiel der BILD Zeitung mit den persönlichen Daten/ Fotos der Kinder hausieren gegangen wird.
http://www.bild.t-online.de/BTO/news/2007/10/30/gesc…
Solche Fotos zu veröffentlichen ist aus datenschutzrechtlichen Gründen gar nicht erlaubt, hier wird gezielt Stimmung mit den „süßen Kindern“ gemacht, auf Kosten der Kinder…

Was den Kindern mit der Veröffentlichung ihrer Fotos angetan wird, erschließt sich dem Zeitungsleser natürlich nicht auf den ersten Blick.
Da werden Gefühle angesprochen und jeder „normale“ Elternteil denkt sogleich „Wie kann man nur?!“
Die Sprache zielt auf Emotionen und wirkt…

Demgegenüber setze ich dann mal den Artikel aus einer ortsansässigen Zeitung, klingt doch irgendwie anders…
http://www.ruhrnachrichten.de/lokales/shlo/art937,10…

Da lese ich dann z.B. auch, dass die Kinder in einer Bereitschaftspflegefamilie untergebracht worden sind und nie ein längerer Verbleib angedacht war.

-(Zur Begriffserklärung: Bereitschaftspflegefamilie
http://www.moses-online.de/web/256 mit Erfahrungsberichten, etc.)

Die Erfahrung zeigt, dass es häufig sehr lange dauert, bis ein Gericht über den dauerhaften Verbleib von Kindern entschieden hat.
Dies hat leider zur Folge, dass sich logischerweise intensivere Beziehungen zwischen Bereitschaftspflegeeltern und Kindern entwickeln, die so eigentlich nicht gewünscht waren.
Denn darum geht es bei Bereitschaftspflege eben nicht.

Darum geht es bei Pflegeeltern und Adoptiveltern.
Dort, wo ein Kind dauerhaft ein Zuhause finden soll.

In einer Pflegefamilie sollen Kinder dauerhaft leben können, ein neues Zuhause finden.
Tragfähige Bindungen sollten geknüpft werden, ein Kind soll umsorgt werden, versorgt werden und sich sicher fühlen können und es soll vor allen Dingen ungestört endlich einmal Kind sein.

Und das geht nicht so einfach.
Das ist eine lange schwere Arbeit, die Pflegeelternbewerber da auf sich nehmen.

Wie es immer wieder betont werden muß:
Es werden nicht Kinder für Eltern gesucht,
sondern es werden Eltern für Kinder gesucht.

Aber es ging ja um Geschwistertrennung…
Das Thema ist riesengroß und ich kann auch nicht mal eben so erklären, was für eine getrennte Unterbringung von Geschwisterkindern sprechen könnte, aber
vielleicht interessieren ein paar Anregungen zum Nachdenken?

-In belasteten Familiensystemen übernehmen ältere Geschwister häufig Verantwortung für jüngere Geschwister.
Selbst noch schutzbedürftig, nehmen sie eine Rolle ein, die ihrem Alter und Entwicklungsstand und ihren eigenen Bedürfnissen in keinster Weise angemessen ist.
Werden diese Kinder gemeinsam vermittelt, bleibt ein Teil des alten Familiensystems erhalten.
Ständige Erinnerung an schmerzhaftes Erleben, ständiges sich wieder das Alte zurückrufen müssen,sich immer wieder bewegen in vertrauten Mustern erschwert Pflegeeltern und Pflegekindern ungemein, Beziehung zueinander aufzubauen, Vertrauen zu entwickeln, und das bekannte, alte loszulassen.
Die Geschwister stehen sich aufgrund ihrer immens hohen Bedürftigkeit gegenseitig im Weg-sind in Konkurrenz um die neuen Elternfiguren.

-Geschwisterkinder aus extrem belasteten Lebenshintergründen klammern sich vor allem so stark aneinander, weil sie keine befriedigenden Elternrollen erlebt haben.
Kontaktaufbau zu den Pflegeeltern gestaltet sich dadurch schwierig.
Die Kinder können, weil sie sich einander verpflichtet und verbunden fühlen, nicht voneinander lassen.

Selbst wenn eines der Kinder ganz angetan ist, von dem, was sich ihm als neues Beziehungsangebot offenbart, so fühlt es sich häufig dem Geschwisterkind oder den leiblichen Eltern aufgrund gemeinsam durchlebter Familiengeschichte verpflichtet.

-Oft müssen Kinder Versprechen ablegen, nichts über die Ursprungsfamilie verlauten zu lassen, sonst „werden schreckliche Dinge geschehen“…
Aus solchen Teufelskreisen kann man Kindern häufig mit viel uneigennütziger Liebe, Wissen, Kraft, Zeit und Geduld heraushelfen.
Diese Angst von den Kindern zu nehmen, ist ein langwieriger, nie endender Prozess.

-Bei Aufnahme von Geschwisterkindern bleibt oft ein Kind „auf der Strecke“, in der Regel das Ältere.
Das angepasstere, pflegeleichtere Kind ist häufig das Jüngere.
Wäre das ältere Kind in einer anderen Pflegefamilie untergebracht worden, hätten beide Kinder zumindest theoretisch vergleichbare Chancen, sich frei und ohne Abhängigkeitsverhältnisse zu entwickeln.

Hier ausführliche Berichte über Geschwisterunterbringung (Schönes und Schwieriges):
http://www.pflegekinder.ch/documents/NETZ_2_2003.pdf
http://www.agsp.de/assets/applets/15jahrekinder.pdf seite 9

In meinem privaten und beruflichen Erleben und Erfahren macht es also durchaus Sinn, Geschwister bei Anbahnung eines Pflegeverhältnisses getrennt unterzubringen.
Ich habe es bislang immer als eine Chance für die Kinder erleben können. (Und bei positiv funktionierender Pflegefamilienarbeit haben Geschwisterkinder natürlich auch die Möglichkeit, sich zu sehen und zu treffen)
Man will den Kindern durch diese Trennung ja nicht ihre gemeinsame Vergangenheit nehmen, sondern eine eigene, neue Zukunft eröffnen.

Gescheiterte Geschwistervermittlung habe ich leider auch mehrfach erlebt.

Herzlichen Gruß,
Finjen

Dankeschön :wink:
Hi Finjen,

ähnliche Gedanken sind mir auch durch den Kopf gegangen, aber ich hätte das nie so fundiert formulieren können. Fühl Dich reich besternt :wink:

*wink*

Petzi

Guten Morgen Finjen,

auch ich stimme dir zu!

Ich habe diese ganze Sache jetzt nicht bis ins kleinste verfolgt, aber das was mir aufstösst ist, dass die Bereitschaftspflegeeltern so einen medialen Aufstand machen!
Und was ich extrem schlimm finde ist, dass die Kinder das alles mitbekommen. Pflegemutter und Pflegevater sitzen mehr oder weniger heulend mit den Kindern auf dem Schoss vor den gepackten Koffern. Und die Kamera steht daneben.

Ist das so in Ordnung für die Kinder? Ich denke nein.

Andrea

Hallo Finjen!
Danke für deinen ausführlichen Beitrag!
Wie du schon am Anfang gesagt hast, gehe ich natürlich vom Stand einer
Mama aus und da stelle ich mir das sehr schlimm vor für die Kleinen.
Aber wie auch schon erwähnt, ist natürlich die Stellung der Medien
wieder sehr extrem. Deswegen bin ich ganz froh, mal eine andere
Meinung, die wiederum ein ganz anderes Licht auf das Ganze wirft, zu
lesen.

LG
Petra

1 Like

Hallo,

Du sprichst mir aus der Seele, und wenn ich hier nicht gerade letztens schon wieder einen längeren Riemen u.a. zum Thema Wirklichkeitsverzerrung durch entsprechende Medien geschrieben hätte, hätte es mir dieses Thema auch angetan. Aber Deinen Ausführungen ist nicht viel hinzuzufügen.

Bereitschaftspflegefamilien die sich der Konsequenzen nicht klar sind, die genau diese Rolle mit sich bringt sind für diese Aufgabe nicht geeignet, und wenn eine solche Familie dann die ganz normalen Abläufe in dieser Form in die Presse bringt um Druck auf die Aufsichtsbehörde auszuüben, dann dürfte dies wohl hoffentlich auch die letzte Unterbringung dort gewesen sein.

Dabei will ich die Betroffenen gar nicht zu sehr verurteilen, denn neben dieser sachlichen und objektiven Sicht der Dinge ist die Aufnahme von Pflegekindern auch eine sehr emotionale Sache, und ich möchte wirklich nicht in der Haut eines Bereitschaftspflegevaters stecken, der nach längerer Zeit ein liebgewonnenes Pflegekind wieder abgeben muss. Daher würde ich mir eine solche Geschichte nie zutrauen und habe ich grundsätzlich hohen Respekt vor Menschen, die hierzu in der Lage sind, oder zumindest meinen hierzu in der Lage zu sein und dann doch an der emotionalen Komponente scheitern.

Nur gibt es eben auch Grenzen dieses Verständnisses, wenn hier Kinder instrumentalisiert werden um nicht zuletzt offenbar auch eigene Interessen zu verfolgen.

Was die Trennung der Geschwister angeht, so macht sich dies sicher niemand leicht, und ich denke an einen Fall, in dem ich auch mal das Sorgerecht und den Aufenthaltsort der Kinder teilen lassen wollte/musste und mit dem ich lange schwanger gegangen bin, ob man so einen Antrag überhaupt stellen kann/darf/soll, und welche Erfolge dieser wohl vor Gericht haben würde. Tatsächlich kamen aber alle Beteiligten zu dem Schluss, dass in genau diesem Fall die Trennung der einzig richtige Weg sei, und so hat man es dann auch den Beteiligten klar gemacht, die dies dann auch eingesehen haben. D.h. es brauchte kein Urteil.

Die verkürzte Mediendarstellung die sich einfach nur der in der Öffentlichkeit mit dem lautesten Skandalgeschreie vertretbaren Position anhängt lässt nur zu gerne vergessen, das in Ämtern, Gerichten und Anwaltskanzleien durchaus auch Eltern arbeiten, die sich ihren Job nicht leicht machen und ggf. gute Gründe dafür haben eine auf den ersten Blick auch noch so falsche Entscheidung zu treffen. Natürlich kann man in der Zeitung nicht 200 Seiten Akten mit den Gutachten und Stellungnahmen von fünf Fachleuten abdrucken. Verantwortungsvoller Journalismus wird sich aber die Mühe geben, alle Seiten der Geschichte möglichst objektiv darzustellen. So habe ich es jedenfalls von meinem Vater (früher selbst mal bei der RN) kennen gelernt. Leider ist aber diese Form des Journalismus deutlich auf dem Rückzug, weil sich die Blätter mit den großen Schlagzeilen nun mal besser verkaufen lassen.

Gruß vom Wiz

2 Like

Dankeschön…
Hallo Petra,
ich komme grade vom Dienst und habe mich sehr gefreut, das von Dir
zu lesen.

…Deswegen bin ich ganz froh, mal eine
andere
Meinung, die wiederum ein ganz anderes Licht auf das Ganze
wirft, zu
lesen.

Um mehr sollte es bei meinem Geschreibsel ja eigentlich auch nicht gehen…

…habe mich aber natürlich trotzdem ziemlich dolle über die positiven Reaktionen gefreut… :smile:

Herzliche Grüße an Alle und einen schönen Novemberanfang
wünscht Finjen