Getrenntunterbringung als Chance…(lang)
Hallo Petra,
ich kenne den Fernsehartikel nicht, ich kannte leider nur den BILD- Artikel und war schockiert.
Warum, sage ich gleich.
Du bist selbst Mutter,
da fällt es Dir wie vielen anderen verständlicherweise schwer, Dir vorzustellen, dass kleine Kinder, die nach schwierigsten Erlebnissen im Elternhaus nichts mehr haben als sich selbst, getrennt werden sollen.
Genau darauf zielt derlei Berichterstattung ab.
So wie in der Bild-Zeitung ein Kinderpsychologe zitiert wird, der aussagt, dass es für die Kinder ganz schreckliche Folgen haben kann, wenn sie getrennt werden, so könnten sich mindestens genausoviele Fachleute/ Psychologen/ Therapeuten… finden, die genau das Gegenteil behaupten und begründen könnten.
Schockierend finde ich, wie am Beispiel der BILD Zeitung mit den persönlichen Daten/ Fotos der Kinder hausieren gegangen wird.
http://www.bild.t-online.de/BTO/news/2007/10/30/gesc…
Solche Fotos zu veröffentlichen ist aus datenschutzrechtlichen Gründen gar nicht erlaubt, hier wird gezielt Stimmung mit den „süßen Kindern“ gemacht, auf Kosten der Kinder…
Was den Kindern mit der Veröffentlichung ihrer Fotos angetan wird, erschließt sich dem Zeitungsleser natürlich nicht auf den ersten Blick.
Da werden Gefühle angesprochen und jeder „normale“ Elternteil denkt sogleich „Wie kann man nur?!“
Die Sprache zielt auf Emotionen und wirkt…
Demgegenüber setze ich dann mal den Artikel aus einer ortsansässigen Zeitung, klingt doch irgendwie anders…
http://www.ruhrnachrichten.de/lokales/shlo/art937,10…
Da lese ich dann z.B. auch, dass die Kinder in einer Bereitschaftspflegefamilie untergebracht worden sind und nie ein längerer Verbleib angedacht war.
-(Zur Begriffserklärung: Bereitschaftspflegefamilie
http://www.moses-online.de/web/256 mit Erfahrungsberichten, etc.)
Die Erfahrung zeigt, dass es häufig sehr lange dauert, bis ein Gericht über den dauerhaften Verbleib von Kindern entschieden hat.
Dies hat leider zur Folge, dass sich logischerweise intensivere Beziehungen zwischen Bereitschaftspflegeeltern und Kindern entwickeln, die so eigentlich nicht gewünscht waren.
Denn darum geht es bei Bereitschaftspflege eben nicht.
Darum geht es bei Pflegeeltern und Adoptiveltern.
Dort, wo ein Kind dauerhaft ein Zuhause finden soll.
In einer Pflegefamilie sollen Kinder dauerhaft leben können, ein neues Zuhause finden.
Tragfähige Bindungen sollten geknüpft werden, ein Kind soll umsorgt werden, versorgt werden und sich sicher fühlen können und es soll vor allen Dingen ungestört endlich einmal Kind sein.
Und das geht nicht so einfach.
Das ist eine lange schwere Arbeit, die Pflegeelternbewerber da auf sich nehmen.
Wie es immer wieder betont werden muß:
Es werden nicht Kinder für Eltern gesucht,
sondern es werden Eltern für Kinder gesucht.
Aber es ging ja um Geschwistertrennung…
Das Thema ist riesengroß und ich kann auch nicht mal eben so erklären, was für eine getrennte Unterbringung von Geschwisterkindern sprechen könnte, aber
vielleicht interessieren ein paar Anregungen zum Nachdenken?
-In belasteten Familiensystemen übernehmen ältere Geschwister häufig Verantwortung für jüngere Geschwister.
Selbst noch schutzbedürftig, nehmen sie eine Rolle ein, die ihrem Alter und Entwicklungsstand und ihren eigenen Bedürfnissen in keinster Weise angemessen ist.
Werden diese Kinder gemeinsam vermittelt, bleibt ein Teil des alten Familiensystems erhalten.
Ständige Erinnerung an schmerzhaftes Erleben, ständiges sich wieder das Alte zurückrufen müssen,sich immer wieder bewegen in vertrauten Mustern erschwert Pflegeeltern und Pflegekindern ungemein, Beziehung zueinander aufzubauen, Vertrauen zu entwickeln, und das bekannte, alte loszulassen.
Die Geschwister stehen sich aufgrund ihrer immens hohen Bedürftigkeit gegenseitig im Weg-sind in Konkurrenz um die neuen Elternfiguren.
-Geschwisterkinder aus extrem belasteten Lebenshintergründen klammern sich vor allem so stark aneinander, weil sie keine befriedigenden Elternrollen erlebt haben.
Kontaktaufbau zu den Pflegeeltern gestaltet sich dadurch schwierig.
Die Kinder können, weil sie sich einander verpflichtet und verbunden fühlen, nicht voneinander lassen.
Selbst wenn eines der Kinder ganz angetan ist, von dem, was sich ihm als neues Beziehungsangebot offenbart, so fühlt es sich häufig dem Geschwisterkind oder den leiblichen Eltern aufgrund gemeinsam durchlebter Familiengeschichte verpflichtet.
-Oft müssen Kinder Versprechen ablegen, nichts über die Ursprungsfamilie verlauten zu lassen, sonst „werden schreckliche Dinge geschehen“…
Aus solchen Teufelskreisen kann man Kindern häufig mit viel uneigennütziger Liebe, Wissen, Kraft, Zeit und Geduld heraushelfen.
Diese Angst von den Kindern zu nehmen, ist ein langwieriger, nie endender Prozess.
-Bei Aufnahme von Geschwisterkindern bleibt oft ein Kind „auf der Strecke“, in der Regel das Ältere.
Das angepasstere, pflegeleichtere Kind ist häufig das Jüngere.
Wäre das ältere Kind in einer anderen Pflegefamilie untergebracht worden, hätten beide Kinder zumindest theoretisch vergleichbare Chancen, sich frei und ohne Abhängigkeitsverhältnisse zu entwickeln.
…
Hier ausführliche Berichte über Geschwisterunterbringung (Schönes und Schwieriges):
http://www.pflegekinder.ch/documents/NETZ_2_2003.pdf
http://www.agsp.de/assets/applets/15jahrekinder.pdf seite 9
In meinem privaten und beruflichen Erleben und Erfahren macht es also durchaus Sinn, Geschwister bei Anbahnung eines Pflegeverhältnisses getrennt unterzubringen.
Ich habe es bislang immer als eine Chance für die Kinder erleben können. (Und bei positiv funktionierender Pflegefamilienarbeit haben Geschwisterkinder natürlich auch die Möglichkeit, sich zu sehen und zu treffen)
Man will den Kindern durch diese Trennung ja nicht ihre gemeinsame Vergangenheit nehmen, sondern eine eigene, neue Zukunft eröffnen.
Gescheiterte Geschwistervermittlung habe ich leider auch mehrfach erlebt.
Herzlichen Gruß,
Finjen